Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 1. April 1982 unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Breycha und in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Keller, Dr. Kral, Dr. Steininger und Dr. Lachner als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Nemec als Schriftführerin in der Strafsache gegen Maria A wegen des Verbrechens der Verleumdung nach § 297 Abs 1 StGB über die von der Angeklagten gegen das Urteil des Kreisgerichtes St. Pölten als Schöffengericht vom 18. November 1980, GZ 15 Vr 846/80-17, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Steininger, der Ausführungen des Verteidigers Dr. Sieder und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Gehart, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Gemäß § 390 a StPO fallen der Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde die am 25. Juni 1933 geborene Landwirtin Maria A des Verbrechens der Verleumdung nach § 297 Abs 1 (höherer Strafsatz) StGB schuldig erkannt.
Ihr liegt zur Last, in einem am 16. Mai 1979 in Purgstall an der Erlauf zur Post gegebenen, an den beim Gendarmeriepostenkommando Mank dienstversehenden Bezirksinspektor Alfred B adressierten anonymen Brief den Hauptbezirksparteisekretär der Österreichischen Volkspartei in Scheibbs Rupert C sowie die Mitarbeiterin der Österreichischen Frauenbewegung in Oberndorf an der Melk Maria D durch die Anschuldigung, beide hätten bei einer 1974 durchgeführten öffentlichen Sammlung zugunsten der Familie A, deren Anwesen in Oberndorf an der Melk abgebrannt war, eingegangene Spendengelder im Betrag von zirka 300.000 S teils sich selbst, teils Organisationen der Partei zugeeignet, des Verbrechens der Veruntreuung (§ 133 Abs 1, Abs 2
zweiter Fall StGB), und den Ignaz D (den Gatten der Maria D) durch die Anschuldigung, er habe das Anwesen der Familie A und mehrere andere Anwesen in der Gegend von Oberndorf an der Melk angezündet, des Verbrechens der Brandstiftung (§ 169 Abs 1 StGB) falsch verdächtigt und die genannten Personen dadurch der Gefahr einer behördlichen Verfolgung ausgesetzt zu haben, wobei sie wußte, daß diese Verdächtigungen falsch waren.
Den gegen sie ergangenen Schuldspruch bekämpft die Angeklagte mit einer auf die Z 4, 5 und 9 lit a, 'hilfsweise' auch Z 10, des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.
Verfahrensmängel im Sinne des erstangeführten Nichtigkeitsgrundes erblickt die Beschwerdeführerin, die (nach ursprünglichem Leugnen) auf Vorhalt des positiven Ergebnisses der Handschriftvergleichung durch den Gerichtssachverständigen Univ.Prof. Dr. Konrad F (ON 4) vor Beamten der Sicherheitsdirektion für das Burgenland Niederösterreich gestanden hatte, den gegenständlichen anonymen Brief geschrieben zu haben (S 137-141), dieses Geständnis aber vor Gericht widerrufen hat (ON 10; S 171 ff), in der - vom Erstgericht beschlossenen - Abweisung der durch ihren Verteidiger in der Hauptverhandlung gestellten Anträge auf Einholung eines wegen der Schwierigkeit der Begutachtung für notwendig gehaltenen 'Kontrollgutachtens' und auf (zeugenschaftliche) Einvernahme des (mit ihrem Gatten verschwägerten: S 141) Bezirksinspektors Alfred B über den Inhalt der Unterredung, die er mit ihr unmittelbar vor ihrem Geständnis geführt, sowie über die Mitteilungen, die er danach den Beamten der Sicherheitsdirektion vom Ergebnis seiner Unterredung mit der Angeklagten gemacht hat (S 183-184).
Rechtliche Beurteilung
Durch das Unterbleiben der beantragten Beweisaufnahmen sind jedoch - den Beschwerdeausführungen zuwider - Verteidigungsrechte der Angeklagten nicht beeinträchtigt worden.
Zur Ermittlung, von wessen Hand eine bestimmte Schrift herrührt, sieht § 135 StPO die Handschriftvergleichung durch einen oder zwei Sachverständige vor. Dabei gilt der in § 118 StPO allgemein aufgestellte Grundsatz, daß in der Regel ein Sachverständiger genügt (Abs 1) und zwei Sachverständige nur ausnahmsweise, nämlich dann beizuziehen sind, wenn es wegen der Schwierigkeit der Beobachtung oder Begutachtung erforderlich ist (Abs 2). Die auf unvollständige Zitate aus dem Gutachten des vom Erstgericht bestellten Sachverständigen Univ.Prof. Dr. Konrad F gestützte Behauptung der Beschwerdeführerin, ein (solcher) schwieriger Fall liege hier vor, trifft indes nicht zu:
War es doch dem Sachverständigen möglich, die an ihn gerichtete Frage, ob der anonyme Brief von der Hand der Angeklagten stammt, unter Berücksichtigung der im Gutachten erörterten Problematik der Aussagekraft übereinstimmender Rechtschreibfehler auf Grund der zwischen der strittigen Schrift in dem inkriminierten Brief und der mit der Angeklagten aufgenommenen Schriftprobe bestehenden zahlreichen auffälligen übereinstimmungen mit teilweise hohem Seltenheitswert - nicht bloß in der fehlerhaften Orthographie, sondern auch in der Raumeinteilung, in Fehlschreibungen, Ausbesserungen und im Schriftbild -, denen keine die Identität der Urheber in Frage stellenden Abweichungen gegenüberstehen, mit voller Bestimmtheit zu bejahen (S 79).
In einem derart gelagerten Fall kann von einer Schwierigkeit der Begutachtung, die ausnahmsweise im Sinne des § 118 Abs 2 die Beiziehung eines zweiten Sachverständigen erforderlich machen würde, nicht gesprochen werden (vgl ÖJZ-LSK 1979/370). Wenn die Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang bemängelt, daß nicht auch eine der Adresse auf dem Umschlag des strittigen Briefes entsprechende Schriftprobe aufgenommen und in die Vergleichung einbezogen wurde, ist ihr entgegenzuhalten, daß sie eine diesbezügliche Ergänzung der Befundaufnahme nicht beantragt hat, wie es ihr überhaupt freigestanden wäre, nach der Verlesung des vorliegenden Gutachtens auf eine Vernehmung des Sachverständigen Univ.Prof. Dr. F in der Hauptverhandlung hinzuwirken, was sie jedoch unterlassen hat. Auf diese Weise nicht behebbare Mängel des Befundes oder des Gutachtens, welche darum die Beiziehung eines anderen (zweiten) Sachverständigen gemäß den § 125, 126 Abs 1 StPO geboten erscheinen ließen, werden von der Beschwerdeführerin nicht einmal behauptet.
Durch die Ablehnung der begehrten Zeugeneinvernahme des Alfred B kann sich die Beschwerdeführerin schon deshalb nicht mit Grund in ihren Verteidigungsrechten beeinträchtigt erachten, weil das Erstgericht ohnedies im Sinn ihrer Verantwortung sowie auf Grund der Aussagen der als Zeugen vernommenen Erhebungsbeamten Abteilungsinspektor Josef G und Bezirksinspektor Franz H als erwiesen angenommen hat, daß die Angeklagte bei dem (von diesen Beamten herbeigeführten) Gespräch mit Alfred B ihre Täterschaft noch bestritten und B dies den Beamten anschließend mitgeteilt hat. Welche Unrichtigkeit der von den Zeugen G und H über den Gesprächsinhalt gemachten Angaben oder welche (sonst) für die Würdigng des danach von der Angeklagten vor den Beamten abgelegten (später widerrufenen) Geständnisses bedeutsamen Umstände durch den beantragten Zeugenbeweis hätten dargetan werden sollen, ist dem Beweisantrag (und übrigens auch dem Beschwerdevorbringen) nicht zu entnehmen, weshalb die Verfahrensrüge auch in diesem Punkt versagen muß.
Unter dem Nichtigkeitsgrund nach § 281 Abs 1 Z 5
StPO macht die Angeklagte geltend, Aussprüche des Gerichtshofes über
entscheidende Tatsachen seien teils unvollständig, teils nicht oder
nur offenbar unzureichend begründet;
auch dies jedoch zu Unrecht:
Die bekämpfte Urteilsannahme, daß die Angeklagte den von ihr geschriebenen Brief selbst in Purgstall an der Erlauf zur Post gegeben hat, findet in ihrem Geständnis vor den Beamten der Sicherheitsdirektion beweismäßige Deckung (S 141) und betrifft zum übrigen keine entscheidende Tatsache. Denn für die Beurteilung der vorliegenden schriftlichen Tatsachenmitteilung, die ihrem Inhalt nach zur Weitergabe durch den Adressaten (Bezirksinspektor Alfred B des Gendarmeriepostenkommandos Mank) an eine zur Strafverfolgung berufene Behörde bestimmt war, als nach § 297 Abs 1 StGB tatbildmäßige Falschverdächtigung ist es ohne Belang, auf welche Weise sie dem Empfänger zugeleitet wurde; keinesfalls kommt es bei einer derartigen - wie hier - durch die Post übermittelten Mitteilung darauf an, ob sie der Täter eigenhändig zur Post gegeben hat.
Zur überzeugung, die Angeklagte habe gewußt (§ 5 Abs 3 StGB), daß ihre Anschuldigungen falsch sind, gelangte das Schöffengericht mit schlüssiger Begründung. Seiner folgerichtigen Argumentation steht der Umstand nicht entgegen, daß die Sicherheitsdirektion für Niederösterreich in ihrer Sachverhaltsmitteilung an die Staatsanwaltschaft St. Pölten vom 18. Jänner 1980 ausgeführt hat, verschiedene von Franz A - dem Gatten der Angeklagten - vertraulich mitgeteilte Umstände 'sowie der Inhalt dieses anonymen Briefes' (damals noch ungeklärter Herkunft) ließen darauf schließen, daß bei der Sammlung doch mehr Geld hereingekommen sei als an die Familie A ausbezahlt wurde (S 47);
diese (ursprüngliche) Beurteilung der (durch den gegenständlichen anonymen Brief geschaffenen) Verdachtslage seitens der Sicherheitsbehörde, in welcher bloß die nach § 297 Abs 1 StGB deliktstypische 'Gefahr einer behördlichen Verfolgung' für die (der Veruntreuung von Sammelgeldern) Verdächtigten verkörpert erscheint, war im Zusammenhang mit den von der Beschwerde bekämpften Urteilskonstatierungen zur subjektiven Tatseite dieses Verbrechens nicht erörterungsbedürftig. Mit dem Vorwurf aber, das Schöffengericht hätte die Feststellungen zur inneren Tatseite nicht treffen dürfen, ohne zuvor (darüber) die Zeugen G und H sowie (vor allem) auch Franz A von Amts wegen zu hören, wird eine (vermeintliche) Unvollständigkeit nicht der Urteilsbegründung, sondern des Beweisverfahrens behauptet, die nach dem System der Nichtigkeitsgründe des § 281 Abs 1 StPO niemals unter die Z 5 dieser Gesetzesstelle fallen kann, nach deren Z 4 aber nur unter der - hier nicht gegebenen - Voraussetzung eines in der Hauptverhandlung gestellten entsprechenden Antrags gerügt werden könnte. Auch mit der Rechtsrüge vermag die Angeklagte nicht durchzudringen. Ihr auf Z 9 lit a und 'hilfsweise' auf Z 10 des § 281 Abs 1 StPO gestütztes Beschwerdevorbringen, das Urteil leide wegen des Fehlens der (ausdrücklichen) Konstatierung, daß die Angeklagte auch die Anschrift auf dem (die falschen Verdächtigungen enthaltenden) Brief geschrieben habe, an einem Feststellungsmangel, weil nur unter dieser Voraussetzung des Verbrechens nach § 297 Abs 1 StGB als vollendet anzusehen sei, wogegen andernfalls bloß ein Versuch dieses Delikts in Betracht komme, findet im Gesetz keine Grundlage. Auf welche Weise eine Verdächtigung erfolgt, ist grundsätzlich ohne Belang; zur Deliktsvollendung ist erforderlich, aber auch ausreichend, daß die (vom zumindest bedingten Vorsatz des Täters umfaßte) konkrete Gefahr behördlicher Verfolgung für den Verdächtigten eingetreten ist, die Verdächtigung also bei Kenntnisnahme durch die Behörde unter Zugrundelegung der Vorschriften der § 34 Abs 1, 84 Abs 1 und 87 Abs 1 StPO die vom Täter (zumindest dolo eventuali) gewollte behördliche Verfolgung des Verdächtigten in den Bereich naher Wahrscheinlichkeit gerückt hat (Leukauf-Steininger Kommentar2 RN 6 und 23 zu § 297; EvBl 1979/152 ua). Daß dies im vorliegenden Fall - bei mängelfrei festgestelltem Gefährdungsvorsatz der Angeklagten in bezug auf behördliche Verfolgungsakte im dargelegten Sinn - zutrifft, kann schon deshalb nicht bezweifelt werden, weil sich aus den Akten ergibt (S 43), daß die Staatsanwaltschaft St. Pölten tatsächlich Erhebungen (durch die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich) zur überprüfung des fälschlich behaupteten Sachverhalts, insbesondere in bezug auf die dabei genannte Sammelaktion, eingeleitet hat (vgl ÖJZ-LSK 1979/127 = EvBl 1979/
151; zur Gefährdungseignung anonymer Anzeigen: § 87 Abs 2 StPO).
Auf einer Verkennung des geltend gemachten materiellrechtlichen Nichtigkeitsgrundes (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO) beruhen schließlich die übrigen Beschwerdeeinwände, laut denen 'Feststellungsmängel' darin erblickt werden, daß das Schöffengericht auf der subjektiven Tatseite Wissentlichkeit (§ 5 Abs 3 StGB) der falschen Verdächtigungen aus nach Ansicht der Beschwerdeführerin nicht überzeugenden Erwägungen als erwiesen angenommen hat, statt ihr zuzubilligen, daß sie (hinreichende) Gründe gehabt habe, ihre Anschuldigungen für wahr zu halten. Denn damit weicht sie augenfällig von dem im Urteil als erwiesen angenommenen Sachverhalt ab, läßt sich in Wahrheit bloß in eine unzulässige und daher unbeachtliche Bekämpfung der schöffengerichtlichen Beweiswürdigung ein und führt solcherart weder den angerufenen noch sonst einen Nichtigkeitsgrund prozeßordnungsgemäß aus.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.
Das Schöffengericht verurteilte die Angeklagte nach dem zweiten Strafsatz des § 297 Abs 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 1 (einem) Jahr, wobei es diese Strafe gemäß § 43 Abs 1 StGB unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachsah. Bei der Strafbemessung wertete es als erschwerend, daß drei Personen verleumdet wurden, als mildernd hingegen das Geständnis vor der Gendarmerie und den bisherigen ordentlichen Lebenswandel. Mit ihrer Berufung strebt die Angeklagte die Verhängung einer (bedingt nachgesehenen) Geldstrafe anstelle einer Freiheitsstrafe (§ 37 Abs 1 StGB) bzw die Herabsetzung der Freiheitsstrafe an. Der Berufung kommt keine Berechtigung zu.
Das Erstgericht hat die Strafzumessungsgründe richtig und vollständig festgestellt, aber auch zutreffend gewürdigt. Entgegen der Meinung der Berufung wurde der Umstand, daß die Berufungswerberin mehrere Personen - in der Berufungsausführung wird in diesem Zusammenhang irrig von acht Personen gesprochen, wiewohl es sich nur um drei Personen gehandelt hat - zutreffend als erschwerend gewertet. Selbst wenn man, worauf die Berufungswerberin der Sache nach abzielt, zu ihren Gunsten berücksichtigt, daß ihre verleumderischen Angaben bei den Verleumdeten (über die eingetretene konkrete Gefahr behördlicher Verfolgung hinaus) keine weiteren nachteiligen Folgen bewirkt haben, so darf doch andererseits nicht übersehen werden, daß es sich bei den Behauptungen der Berufungswerberin um den Vorwurf gravierender Straftaten, die jeweils jede für sich strengen Strafdrohungen unterliegen, gehandelt hat. Angesichts des solcherart manifestierten hohen Grades an Täterschuld ist aber das vom Erstgericht gefundene Strafmaß nicht überhöht, weshalb eine Reduzierung der Strafe nicht in Erwägung gezogen werden konnte. Damit scheidet aber eine Anwendung des § 37 Abs 1 StGB schon im Hinblick auf die Höhe der zu verhängenden Freiheitsstrafe aus.
Es mußte demnach auch der Berufung ein Erfolg versagt bleiben. Die Kostenentscheidung fußt auf der bezogenen Gesetzesstelle.
Anmerkung
E03681European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1982:0120OS00049.81.0401.000Dokumentnummer
JJT_19820401_OGH0002_0120OS00049_8100000_000