TE OGH 1982/5/19 12Os70,71/82

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Veröffentlicht am 19.05.1982
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 19.Mai 1982 unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Breycha in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Keller, Dr. Kral, Dr. Steininger und Dr. Lachner als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Schroth als Schriftführerin in der Strafsache gegen Reinhard A wegen des Vergehens der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs. 1 StGB über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil des Bezirksgerichtes Steyr vom 17. Juli 1979, GZ. 1 U 27/79-8, sowie gegen die Beschlüsse des bezeichneten Gerichts vom 17.Juli 1979, GZ. 1 U 27/79-7, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Lachner, und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Gehart, zu Recht erkannt:

Spruch

Im Verfahren zum AZ. 1 U 27/79 des Bezirksgerichtes Steyr gegen Reinhard A, geb. am 10.Mai 1945 wegen des Vergehens der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs. 1 StGB ist das Gesetz verletzt:

1. durch den bei der Hauptverhandlung am 17.Juli 1979 gefaßten Beschluß auf Einbeziehung des Aktes 1 U 87/79 des Bezirksgerichtes Steyr in der Bestimmung des § 56 StPO, 2. durch den ohne Anhörung des Verurteilten gefaßten, im Hauptverhandlungsprotokoll vom 17.Juli 1979 beurkundeten Beschluß, mit dem die im Urteil des Bezirksgerichtes Steyr vom 8.Mai 1978, GZ. 1 U 24/78-8, dem Reinhard A, geboren am 19.November 1946, gewährte bedingte Strafnachsicht widerrufen wurde, in den Bestimmungen des § 495 Abs. 3 StPO und des § 53 Abs. 1 StGB, 3. durch die mit dem verkündeten Urteil vom 17. Juli 1979 nicht übereinstimmende Urteilsausfertigung (ON. 8) und deren Zustellung an den Beschuldigten in den Bestimmungen der §§ 270, 458 Abs. 1 und 459 letzter Satz StPO Die zu 1. und 2. bezeichneten Beschlüsse werden aufgehoben; der Antrag des öffentlichen Anklägers vom 17.Juli 1979 auf Widerruf der bedingten Strafnachsicht zum AZ. 1 U 24/78 des Bezirksgerichtes Steyr wird abgewiesen.

Das Urteil des Bezirksgerichtes Steyr vom 17.Juli 1979, GZ. 1 U 27/79-8, sowie alle darauf beruhenden Beschlüsse und Verfügungen werden gleichfalls aufgehoben und dem Bezirksgericht Steyr die Erneuerung des Verfahrens aufgetragen.

Text

Gründe:

Beim Bezirksgericht Steyr waren zur gleichen Zeit Verfahren wegen Vergehens der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs. 1 StGB anhängig 1. zum AZ. 1 U 27/79 gegen den am 10.Mai 1945 in Steyr geborenen Reinhard A, wohnhaft in 4400 Steyr, Penselstraße 12, weil er laut Anzeige der Bezirkshauptmannschaft Gänserndorf (Jugendamt) für seine ehelichen Kinder Peter A (geb. 11.Dezember 1967) und Reinhard A (geb. 7.Jänner 1970) in den Monaten Juni bis August 1977 und seit 1.Dezember 1977 keinen Unterhalt geleistet hatte.

2. zum AZ. 1 U 87/79 gegen den am 19.November 1946 in Freistadt geborenen Reinhard A, wohnhaft in 4400 Steyr, Ortskai 5, weil auch er laut Anzeige des Magistrats Steyr (Jugendamt) für seine ehelichen Kinder Natascha A (geb. 29.Juli 1971) und Claudia A (geb. 20.Februar 1973) seit 19.Dezember 1978 keinen Unterhalt geleistet hatte, obwohl er schon mit Urteil des Bezirksgerichtes Steyr vom 8.Mai 1978, GZ. 1

U 24/78-8, wegen Verletzung der Unterhaltspflicht den zuletzt genannten Kindern gegenüber zu einer gemäß § 43 Abs. 1 StGB unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von acht Tagen verurteilt worden war. In beiden Verfahren beraumte das Bezirksgericht Steyr die Hauptverhandlung auf den 17.Juli 1979 an (und zwar zum AZ. 1 U 27/79 für 8,30 Uhr und zum AZ. 1 U 87/79 für 8,40

Uhr); beide Vorladungen wurden jedoch - und zwar durch irrtümliche gleiche Anschriftangabe auch die zu AZ. 1 U 87/79 ergangene - durch Hinterlegung beim Postamt dem in Steyr, Penselstraße 12 wohnhaften Reinhard A (geb. am 10.Mai 1945) zugestellt.

Bei Aufruf der Strafsache 1 U 27/79 am 17.Juli 1979 zur bestimmten Stunde war der Beschuldigte Reinhard A nicht erschienen, worauf das Gericht gemäß § 459 StPO die Hauptverhandlung in dessen Abwesenheit durchführte. Außerdem faßte es den Beschluß 'auf Einbeziehung des hg. Aktes 1 U 87/79' (S. 24). Nach Schließung des Beweisverfahrens, in welchem eine (auch seitens der Bezirkshauptmannschaft Gänserndorf über den Sachverhalt der dortigen Anzeige informierte) Vertreterin des Magistrats Steyr zu beiden Anzeigen als Zeugin vernommen wurden, ohne daß die Verschiedenheit der jeweils angezeigten (namensgleichen) Personen erkannt worden wäre, beantragte der Bezirksanwalt die Fällung eines Schuldspruchs und den Widerruf der im Urteil vom 8.Mai 1978, GZ. 1 U 24/78-8, gewährten bedingten Strafnachsicht.

Hierauf verkündete der Richter das (schuldigsprechende) Urteil samt den wesentlichen Entscheidungsgründen sowie den Beschluß, daß die im mehrfach erwähnten Urteil vom 8.Mai 1978 gewährte bedingte Strafnachsicht widerrufen werde, weil der Beschuldigte während der Probezeit neuerlich das Vergehen nach § 198 Abs. 1 StGB begangen habe (S. 25).

Der dem Bezirksgericht Steyr im Verfahren 1 U 27/79 offensichtlich infolge irriger Annahme einer Identität des Beschuldigten Reinhard A mit der seinerzeit zu 1 U 24/78 rechtskräftig verurteilten und zu 1 U 87/79

(neuerlich) angezeigten Person gleichen Namens unterlaufene Fehler wurde alsbald entdeckt, worauf der einbezogene Akt 1 U 87/79 gesondert weiterbehandelt, der im Verhandlungsprotokoll beurkundete (noch nicht ausgefertigte) Widerrufsbeschluß formlos aus dem Protokoll gestrichen (S. 25) und ein (Abwesenheits-) Urteil ausgefertigt wurde, dessen Inhalt sich auf die Verletzung der gesetzlichen Unterhaltspflicht durch den Beschuldigten Reinhard A, geb. 10.Mai 1945, gegenüber seinen ehelichen Kindern Peter (geb. 1967) und Reinhard (geb. 1970) beschränkt und jede Bezugnahme auf die einbezogene Strafsache 1 U 87/79 unterläßt (ON. 8). Die Urteilsausfertigung wurde dem Beschuldigten am 1.Oktober 1979 zugestellt. Das Urteil blieb unangefochten; die verhängte (Freiheits-) Strafe (von zwei Wochen) wurde indes noch nicht vollzogen.

Rechtliche Beurteilung

Im gegenständlichen Straffall sind dem Bezirksgericht Steyr mehrfache Gesetzesverletzungen unterlaufen.

Schon die bei der Hauptverhandlung beschlossene Vereinigung der Verfahren 1 U 27/79 und 1 U 87/79 widersprach dem Gesetz, weil es (aktenkundig) an der im § 56 Abs. 1

(erstem Fall) StPO normierten Voraussetzung fehlte, daß die betreffenden strafbaren Handlungen demselben Beschuldigten zur Last liegen. Die Nichtbeachtung der Personsverschiedenheit der in beiden Verfahren jeweils Angezeigten (Beschuldigten) hatte zur Folge, daß sich das gegen Reinhard A (geb. am 10.Mai 1945) ergangene und verkündete Strafurteil - wie durch eine nachträgliche öußerung des erkennenden Richters bestätigt ist - (auch) auf den mit diesem Beschuldigten in keinerlei Beziehung stehenden Gegenstand des (zu Unrecht einbezogenen) Verfahrens 1 U 87/79 erstreckte. Gleichfalls mit dem Gesetz unvereinbar sind der vom Bezirksgericht Steyr im Zusammenhang mit dem Widerruf der bedingten Strafnachsicht zu 1 U 24/78 eingehaltene Vorgang und der bezügliche Widerrufsbeschluß selbst:

Gemäß § 495 Abs. 3 StPO wäre vor der Entscheidung (über den Widerruf) der Verurteilte zu hören gewesen, was nicht geschehen ist. Zudem hätte der vom Gericht angenommene Widerrufsgrund, daß der Rechtsbrecher wegen einer während der Probezeit begangenen strafbaren Handlung verurteilt wurde (§ 53 Abs. 1 StGB), die Rechtskraft der wegen der neuen Straftat erfolgten Verurteilung vorausgesetzt (Leukauf-Steininger StGB2 § 53 RN. 9; Kunst im WK. § 53

Rz. 5); folglich durfte der Widerruf nicht auf das eben erst verkündete, noch nicht rechtskräftige Urteil gestützt werden, welches überdies - wie dargetan - gar nicht jenen Rechtsbrecher betraf, dem seinerzeit die bedingte Strafnachsicht gewährt worden war.

Aus den (gemäß § 447 Abs. 1 StPO auch im bezirksgerichtlichen Verfahren zu beachtenden) Bestimmungen der §§ 268 und 270 StPO in ihrem Zusammenhang ergibt sich in Verbindung mit § 458 Abs. 1 StPO, daß das Gericht an das verkündete Urteil (§ 268 StPO) insoweit gebunden ist, als eine sachliche Abweichung der schriftlichen Ausfertigung (§ 270 StPO) vom mündlich verkündeten Urteil in seinen notwendigerweise der Verkündung unterliegenden Teilen unzulässig, die verkündete Entscheidung in diesem Umfang vielmehr sachlich unverändert zu beurkunden ist (SSt. 47/50 u.a.m.); eine mit dem mündlich verkündeten Urteil in dessen unbedingt zu verkündenden Teilen sachlich übereinstimmende Ausfertigung verlangt auch § 459 StPO mit der in seinem letzten Satz enthaltenen Anordnung, daß dem (von der Hauptverhandlung) ausgebliebenen Beschuldigten eine amtliche Abschrift des (gemäß dem vorangehenden Satz dieser Gesetzesstelle gefällten und verkündeten) Urteils zuzustellen ist. Dem widerspricht aber das im vorliegenden Fall ausgefertigte und dem Beschuldigten zugestellte Urteil insofern, als daraus in keiner Weise zu ersehen ist, daß mit dem verkündeten Urteil auch über die im einbezogenen Verfahren 1 U 87/79 (in Wahrheit einem anderen Beschuldigten) angelastete Verletzung der Unterhaltspflicht gegenüber anderen als den in der Urteilsausfertigung genannten Kindern abgesprochen worden war.

Hier sei erwähnt, daß das Gericht auch an den in der Hauptverhandlung verkündeten - wenngleich auf irrigen Voraussetzungen beruhenden - Beschluß über den Widerruf der (vermeintlich demselben Rechtsbrecher gewährten) bedingten Strafnachsicht gebunden war, zu dessen Behebung es die prozeßordnungsgemäß erforderlichen Schritte hätte unternehmen müssen, statt ihn formlos aus dem Protokoll zu streichen und in der Folge einfach als nicht (mehr) existent zu behandeln. Die bei den erwähnten Beschlußfassungen, bei der Urteilsfällung und anläßlich der Urteilsausfertigung unterlaufenen Gesetzesverletzungen gereichen in erster Linie dem am 10.Mai 1945 geborenen Beschuldigten Reinhard A zum Nachteil, weil nicht auszuschließen - nach der eingeholten Äußerung des Urteilsrichters vielmehr sogar anzunehmen - ist, daß dem ergangenen Strafurteil die irrige Annahme einer strafbaren Verletzung der Unterhaltspflicht des Beschuldigten gegenüber insgesamt vier (statt zwei) ehelichen Kindern zugrundelag und das Gericht bei der Strafbemessung außerdem (gleichfalls unzutreffend) unterstellte, eben dieser Beschuldigte, gegen den sich das Urteil richtete, sei bereits einmal wegen einer gleichartigen Straftat verurteilt worden, wobei all dies für den Beschuldigten aus der ihm zugestellten (mit dem verkündeten Urteil sohin in wesentlichen Punkten nicht übereinstimmenden) Urteilsausfertigung nicht erkennbar war. Daß der gesetzwidrig zustandegekommene und seinem Inhalt nach gesetzwidrige Widerrufsbeschluß jenen Verurteilten benachteiligt, dem die (damit widerrufene) bedingte Strafnachsicht gewährt worden ist, bedarf - mag auch der in dieser Entscheidung verkörperte Nachteil für jenen in der Folge nicht aktuell geworden sein - keiner weiteren Begründung. In Stattgebung der von der Generalprokuratur gemäß § 33 Abs. 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes waren daher die aufgezeigten Gesetzesverletzungen festzustellen und nach § 292 letzter Satz StPO wie im Spruch zu beheben.

Anmerkung

E03678

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1982:0120OS00070.82.0519.000

Dokumentnummer

JJT_19820519_OGH0002_0120OS00070_8200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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