Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 27.Mai 1982 unter dem Vorsitz des Hofrats des Obersten Gerichtshofs Dr. Müller, in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Horak, Dr. Schneider, Dr. Hörburger und Dr. Lachner als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Stolfa als Schriftführers in der Strafsache gegen Andreas A wegen des Vergehens der Fälschung besonders geschützter Urkunden nach §§ 223 Abs. 2, 224
StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluß des Kreisgerichts Wr. Neustadt vom 21. oder 22.April 1981, GZ. 9 a E Vr 435/78-23, zur Wahrung des Gesetzes erhobene Nichtigkeitsbeschwerde nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrags des Berichterstatters, Hofrats des Obersten Gerichtshofs Dr. Hörburger, und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalts Dr. Knob, zu Recht erkannt:
Spruch
Der Beschluß des Kreisgerichts Wiener Neustadt vom 21. oder 22. April 1981, GZ. 9 a E Vr 435/78-23, mit dem die dem Verurteilten Andreas A gnadenweise gewährte bedingte Entlassung wegen vor dem Gnadenakt begangener strafbarer Handlungen widerrufen wurde, verletzt die Bestimmung des Art. 65 Abs. 2 lit. c B-VG. in Verbindung mit dem § 53 StGB Der bezeichnete Beschluß und alle darauf beruhenden Anordnungen und Verfügungen (insbes. die Strafvollzugsanordnung) werden aufgehoben und es wird in der Sache selbst erkannt:
Der Antrag der Staatsanwaltschaft vom 7.April 1981
auf Widerruf des bedingten Strafnachlasses (richtig der gnadenweisen bedingten Entlassung) wird abgewiesen.
Dem Kreisgericht Wiener Neustadt wird aufgetragen, die Akten (9 a E Vr 435/78) auf dem vorgeschriebenen Weg dem Bundesministerium für Justiz zur Entscheidung durch den Bundespräsidenten über den allfälligen Widerruf der Begnadigung vorzulegen.
Text
Gründe:
Der am 11.November 1957 geborene Hilfsarbeiter Andreas A, der im Verfahren 9 a E Vr 435/78 des Kreisgerichts Wiener Neustadt wegen des Vergehens nach den §§ 223 Abs. 2, 224 StGB und - entgegen der Judikatur des Obersten Gerichtshofs (LSK. 1980/155 = ZVR. 1981 Nr. 48 mit zustimmender Glosse von Kienapfel) - idealkonkurrierend auch wegen des Vergehens nach den §§ 15, 108
Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen a 130 S, im Uneinbringlichkeitsfall zu einer Ersatzfreiheitsstrafe von 90 Tagen verurteilt worden war, wurde mit Entschließung des Bundespräsidenten vom 11.Dezember 1979 in der Weise begnadigt, daß ihm der 29 Tage betragende Rest der gegen ihn vollzogenen Ersatzfreiheitsstrafe unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Die erwähnte Entschließung wurde ihm am 14.Dezember 1979 kundgemacht, worauf er noch am selben Tag um 10,00 Uhr auf freien Fuß gesetzt wurde (S. 67-71 im Akt 9 a E Vr 435/78 des Kreisgerichts Wiener Neustadt).
Am 21. oder 22.April 1981 (S. 77, 78 im zitierten Akt) faßte das Kreisgericht Wiener Neustadt über entsprechenden Antrag der Staatsanwaltschaft (S. 75) den Beschluß auf Widerruf dieser (gnadenweisen) bedingten Entlassung, ordnete die Vollziehung der (restlichen Ersatz-) Freiheitsstrafe von 29 Tagen an und begründete dies damit, daß Andreas A mit dem Urteil des Kreisgerichts Wiener Neustadt vom 6.Februar 1981, GZ. 11 a E Vr 1626/80-6, wegen innerhalb der Probezeit begangener strafbarer Handlungen neuerlich zu einer Freiheitsstrafe von 5 Monaten verurteilt worden sei. Der Beschluß des Kreisgerichts Wiener Neustadt vom 21. oder 22.April 1981, GZ. 9 a E Vr 435/78-23, steht mit dem Gesetz nicht im Einklang:
Wie sich aus dem Akt 11 a E Vr 1626/80 des Kreisgerichts Wiener Neustadt ergibt, wurde Andreas A in diesem Verfahren zwar mit dem Urteil vom 6.Februar 1981
des Vergehens des schweren Betrugs nach den §§ 146, 147 Abs. 2 StGB schuldig erkannt, doch lagen der Verurteilung Straftaten zugrunde, die er bereits am 21.Juli 1978, am 2.August 1978 und am 7. August 1978 - somit vor jenem Zeitpunkt, zu dem der erwähnte Gnadenakt im Verfahren 9 a E Vr 435/78 des Kreisgerichts Wiener Neustadt erging -
verübt hatte. Der Umstand, daß im Urteil des Kreisgerichts Wiener Neustadt vom 6.Februar 1981, GZ. 11 a E Vr 1626/80-6, als einer der mehreren Tatzeitpunkte der 7.August 1980
- statt richtig (S. 6, 11, 23 des zuletzt zitierten Aktes) der 7. August 1978 - angeführt ist, beruht ersichtlich auf einem aus dem Strafantrag (S. 27) übernommenen Schreibfehler.
Rechtliche Beurteilung
Andreas A hat daher in Wahrheit innerhalb der ihm im Verfahren 9 a E Vr 435/78 des Kreisgerichts Wiener Neustadt bestimmten Probezeit gar keine neuen strafbaren Handlungen begangen. Die Entscheidung darüber aber, ob die bedingte Begnadigung des Genannten wegen jener strafbaren Handlungen widerrufen werden sollte, die der Begnadigte - ohne daß dies zur Zeit der Begnadigung bekannt gewesen wäre - begangen hatte, ehe ihm der Gnadenakt kundgemacht worden war, stand nicht dem Gericht zu. Dieses hätte vielmehr die Akten mit einem gutachtlichen Bericht dem Bundesministerium für Justiz vorlegen müssen. Dadurch, daß es selbst über den Widerruf entschied, griff es in ein Hoheitsrecht ein, das dem Bundespräsidenten vorbehalten ist (EvBl. 1978/75). Der von der Generalprokuratur nach § 33 Abs. 2 StPO erhobenen Beschwerde war gemäß § 292 StPO stattzugeben und wie eingangs zu erkennen.
Anmerkung
E03686European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1982:0130OS00075.82.0527.000Dokumentnummer
JJT_19820527_OGH0002_0130OS00075_8200000_000