TE Vwgh Erkenntnis 2005/5/24 2003/01/0471

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Veröffentlicht am 24.05.2005
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §23;
AsylG 1997 §28;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
AVG §37;
AVG §45 Abs2;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
AVG §67d;
EGVG 1991 Anlage Art2 Abs2 Z43a;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Nowakowski, Dr. Pelant und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerde des A in W, vertreten durch Dr. Peter H. Jandl, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Landesgerichtsstraße 6, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 18. Juni 2003, Zl. 238.063/0-V/15/03, betreffend §§ 7 und 8 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein der arabischen Volksgruppe angehörender Staatsangehöriger des Königreichs Marokko, reiste am 14. Dezember 2002 in das Bundesgebiet ein und stellte am 25. März 2003 einen schriftlichen Asylantrag; er gab im Antragsformular (in arabischer Schrift) zu seinen Fluchtgründen an: "Ich bin geflüchtet, weil ich das Haus eines Mannes ausmalen wollte. Er wollte mich ermorden. Ich bin Maler".

Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt (am 5. Mai 2003) gab er zu seinen Fluchtgründen im Wesentlichen an, er sei Maler und Anstreicher und in dieser Funktion im November 2002 von einer Frau beauftragt worden, ihr Haus auszumalen. Er habe (gemeinsam mit zwei Arbeitern) mit diesen Arbeiten begonnen; er sei von Nachbarn gesehen worden, dass er das Haus der Frau betreten habe. Davon seien die Brüder dieser Frau verständigt worden; sie hätten ihn nach dem Grund seines Besuches im Haus der Frau gefragt, sie seien mit den Malerarbeiten nicht einverstanden gewesen und sie hätten ihn geschlagen; er sei vor den Brüdern nach Hause geflüchtet. Sie (die beiden Brüder) hätten ihn aber weiter verfolgt und ein weiteres Mal an seiner Wohnadresse und später an seinem Zufluchtsort in Casablanca geschlagen. Von den Brüdern sei ihm vorgeworfen worden, er habe mit der Frau ein Verhältnis. Da der (geschiedene) Ehegatte dieser Frau Polizist sei und über gute Beziehungen verfüge, habe er (der Beschwerdeführer) darüber keine Anzeige erstattet.

Mit Bescheid vom 14. Mai 2003 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 Asylgesetz 1997 ab und sprach aus, dass seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Marokko gemäß § 8 Asylgesetz 1997 zulässig sei.

Begründend führte das Bundesasylamt im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer habe keine konkreten oder detaillierten Angaben gemacht, sein Vorbringen habe er widersprüchlich dargestellt. In seinen niederschriftlichen Angaben habe er dargelegt, er sei als Maler und Anstreicher von einer Frau damit beauftragt worden, deren "Wohnung" auszumalen; in der Folge sei er von deren Brüdern aus "Eifersucht" bedroht worden. Hingegen habe er im Formblatt seines Asylantrages angegeben, er hätte das Haus eines Mannes ausmalen sollen und sei von diesem Mann bedroht worden. Der Beschwerdeführer habe das Bedrohungsmoment hinsichtlich der Bedroher und des auslösenden Grundes der Bedrohung "völlig widersprüchlich" dargestellt. Sein "eigentliches" niederschriftliches Vorbringen widerspreche "jeglicher allgemeiner Lebenserfahrung", weil nicht nachvollziehbar sei, warum er als selbstständiger Maler und Anstreicher, der in Begleitung von Mitarbeitern und Ausrüstung/Material bei der Auftraggeberin erscheine, von deren Angehörigen bedroht werden sollte. Es habe offensichtlich "handwerkliche Notwendigkeit zur Durchführung von notwendigen Sanierungsarbeiten" bestanden und sei daher nicht nachvollziehbar, warum unter diesen Bedingungen Grund für Streitigkeiten bestehen sollte. Auf Grund dieser Ungereimtheiten und Widersprüchlichkeiten sei den Angaben des Beschwerdeführers über seine Fluchtgründe die Glaubwürdigkeit zu versagen.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 7 AsylG ab und stellte gemäß § 8 AsylG iVm § 57 FrG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Marokko zulässig sei.

In der Begründung ihrer Entscheidung führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer habe in seiner Berufung als Fluchtgründe die Lebensbedrohung durch Privatpersonen, die Einfluss bei der Polizei hätten, angegeben. Die erstinstanzliche Behörde habe in der Begründung ihres Bescheides ihre bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte rechtliche Beurteilung "klar und übersichtlich zusammengefasst". Die belangte Behörde schließe sich den bezughabenden Ausführungen des Bundesasylamtes zu beiden Spruchpunkten vollinhaltlich an. Darüber hinaus werde festgehalten, dass der Beschwerdeführer sein Vorbringen nicht auf asylrelevante Gründe gestützt habe. Von einer mündlichen Verhandlung habe Abstand genommen werden können, weil der Sachverhalt auf Grund der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung ausreichend geklärt erscheine.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Die belangte Behörde hat auf die Beweiswürdigung des erstinstanzlichen Bescheides verwiesen, in dem das Vorbringen des Beschwerdeführers als widersprüchlich und seine niederschriftlichen Angaben als "jeglicher allgemeiner Lebenserfahrung" widersprechend beurteilt wurden.

Im angefochtenen Bescheid wurde auf diese Beweiswürdigung inhaltlich nicht eingegangen, sondern diese nur als "klar und übersichtlich zusammengefasst" bezeichnet, was allerdings über deren Schlüssigkeit keine Aussage enthält. Die belangte Behörde hat es daher unterlassen, sich mit den Erwägungen des Bundesasylamtes zur Beweiswürdigung inhaltlich auseinander zu setzen.

Der vom Bundesasylamt vorgehaltene "Widerspruch" zwischen Formularantrag und niederschriftlicher Aussage wurde vom Beschwerdeführer damit erklärt, er könne "nicht so gut schreiben". Darauf ist das Bundesasylamt weder in der Einvernahme des Beschwerdeführers - etwa durch entsprechende Nachfragen - noch in der Bescheidbegründung eingegangen; die Behörde erster Instanz sieht die niederschriftlich festgehaltenen (mündlichen) Angaben aber als das "eigentliche" Vorbringen des Beschwerdeführers an. Damit wird die Bedeutung des angenommenen "Widerspruchs" schon in der Beweiswürdigung erheblich gemindert, weil die Behörde erster Instanz damit selbst erkennen lässt, dass der Beschwerdeführer seine Fluchtgründe im schriftlichen Formularantrag noch nicht (nachvollziehbar) darstellte. Diese - im angefochtenen Bescheid übernommene - Beweiswürdigung enthält keine Begründung, warum der Beschwerdeführer (nach seinen insoweit gleichbleibenden Angaben) mit dem Ausmalen eines "Hauses" beauftragt worden sei, das Bundesasylamt (auch in der niederschriftlichen Vernehmung) aber annimmt, er hätte eine "Wohnung" ausmalen sollen. In diesem Zusammenhang hätte es zur Klärung eines allfälligen "Widerspruchs" zwischen Formularantrag und niederschriftlichen Angaben einer ergänzenden Befragung des Beschwerdeführers bedurft, ob das Haus, in dem die Malerarbeiten vorgenommen werden sollten, der Person "gehörte" (in deren Eigentum stand), die ihn beauftragte, oder ob Auftraggeber (Auftraggeberin) und Hausbesitzer (Hausbesitzerin) verschiedene Personen (also allenfalls ein Mann und eine Frau) gewesen sind.

Ein angenommener Widerspruch "des Grundes der Auslösung der Bedrohung" ist nicht nachvollziehbar, hat der Beschwerdeführer in seinem gesamten Vorbringen doch Malerarbeiten als Ausgangspunkt seiner Bedrohung dargestellt. Darüber, warum daraus eine Bedrohung für ihn entstanden ist, hat er im Formularantrag keine (schriftlichen) Angaben gemacht. Wenn der Beschwerdeführer später (in seinen niederschriftlichen Angaben) darlegte, welche Folgerungen andere Personen (Verwandte der Auftraggeber oder Nachbarn) aus seinen Malerarbeiten gezogen haben, bzw. dass ihm die Vornahme von Malerarbeiten als Vorwand für ein (intimes) Verhältnis mit einer Frau unterstellt worden sei, ist darin kein widersprüchliches sondern ein ergänzendes Vorbringen zu erblicken. Über den "Bedroher" hat der Beschwerdeführer im Formularantrag ebenfalls noch keine konkreten Angaben gemacht, sondern diesen nur als "Mann" bezeichnet. Dass er von einem, allenfalls auch mehreren Männern (aber nicht von einer Frau) bedroht wurde, ist den niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers zu entnehmen, sodass der herangezogene "Widerspruch" nicht als wesentlich bzw. aussagekräftig erscheint.

Insoweit im erstinstanzlichen Bescheid ein Widerspruch des niederschriftlichen Vorbringens mit "jeglicher allgemeiner Lebenserfahrung" angenommen wurde, blieb dabei unbegründet bzw. wurde nicht dargestellt, welchen Inhalt (bzw. auch welche Grundlage) diese als Beurteilungsmaßstab herangezogene "Lebenserfahrung" hat. Dass das Vorbringen des Beschwerdeführers der allgemeinen Lebenserfahrung über die Verhältnisse und Lebensumstände in einem zur islamischen Welt gehörenden Land (hier: das zum Maghreb gehörende Königreich Marokko) widersprechend sei, wurde im erstinstanzlichen Bescheid nicht schlüssig (nachvollziehbar) begründet. Der Beschwerdeführer macht in seiner Beschwerde aber insoweit zutreffend geltend, dass bei der Beweiswürdigung unberücksichtigt blieb, dass er "ein sekulärer Moslem, wohingegen der (geschiedene) Mann jener Frau, deren Haus ich ausgemalt habe, nicht nur ein einflussreicher hochrangiger Polizist, sondern ein fanatischer fundamentalistischer Moslem ist".

Die Beweiswürdigung des Bundesasylamtes erweist sich somit als unschlüssig. Diese Mangelhaftigkeit der erstinstanzlichen Beweiswürdigung schlägt infolge der gewählten "Verweistechnik" auf den bekämpften Bescheid durch. Sie führt aber auch dazu, dass die belangte Behörde nicht von der Durchführung einer Berufungsverhandlung hätte absehen dürfen (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 3. Dezember 2003, Zl. 2003/01/0509, mwN.).

Insoweit die belangte Behörde über den Verweis auf den erstinstanzlichen Bescheid hinaus festgehalten hat, der Beschwerdeführer habe sein Vorbringen nicht "auf asylrelevante Gründe" gestützt, ist dieser - auf der Grundlage einer Wahrunterstellung vorgenommenen - Beurteilung des Vorbringens des Beschwerdeführers zu erwidern, dass diese Betrachtungsweise den allenfalls religiös motivierten Hintergrund des vom Beschwerdeführer geschilderten Bedrohungsbildes außer Acht lässt.

Die belangte Behörde wäre daher verpflichtet gewesen, in einer mündlichen Berufungsverhandlung den Beschwerdeführer zu vernehmen, sich (vor dem Hintergrund der aufgezeigten Erwägungen) mit seinem Vorbringen auseinanderzusetzen und nachvollziehbare Feststellungen zu treffen.

Da sie dies unterlassen hat, ist der angefochtene Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften behaftet. Er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht - im Rahmen des gestellten Begehrens - auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil es in diesen Vorschriften keine Deckung findet.

Wien, am 24. Mai 2005

Schlagworte

Begründung Begründungsmangel Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher Verfahrensmangel Besondere Rechtsgebiete Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Freie Beweiswürdigung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2005:2003010471.X00

Im RIS seit

03.07.2005
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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