TE OGH 1982/6/29 11Os93/82 (11Os93/82)

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Veröffentlicht am 29.06.1982
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Der Oberste Gerichtshof hat am 29. Juni 1982 unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska, in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, Dr. Walenta, Dr. Schneider und Dr. Reisenleitner als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Stolfa als Schriftführers in der Strafsache gegen Alois A wegen des Vergehens der Gefährdung der körperlichen Sicherheit nach dem § 89 StGB über die von der Generalprokuratur gegen die Urteile des Bezirksgerichtes Horn vom 12. August 1980, GZ. U 232/80-25, und des Kreisgerichtes Krems/Donau als Berufungsgerichtes vom 3. März 1981, AZ. 7 Bl 116/80, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrates des Obersten Gerichtshofes Dr. Schneider, der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwaltes Dr. Kodek, und der Ausführungen des Verteidigers Dr. Strizik zu Recht erkannt:

Spruch

Im Verfahren gegen Alois A wegen § 89 StGB, AZ. U 332/80 des Bezirksgerichtes Horn, verletzen das Urteil dieses Gerichtes vom 12. August 1980, ON. 25, mit dem der Genannte des Vergehens der Gefährdung der körperlichen Sicherheit nach dem § 89 StGB schuldig erkannt wurde, und das Urteil des Kreisgerichtes Krems/Donau als Berufungsgerichtes vom 3. März 1981, 7 Bl 116/80, mit dem die gegen das erstbezeichnete Urteil erhobene Berufung des Angeklagten Alois A wegen Nichtigkeit und Schuld als unbegründet zurückgewiesen wurde, das Gesetz in der Bestimmung des § 89 StGB Diese Urteile werden aufgehoben und es wird gemäß dem § 288 Abs. 2 Z. 3 StPO in der Sache selbst zu Recht erkannt:

Alois A wird von der wider ihn erhobenen Anklage, er habe am 13. Juni 1979 in Johannesthal als Lenker eines Traktorzuges dadurch, daß er den nichtöffentlichen Bahnübergang bei Bahnkilometer 32,8 der Eisenbahnstrecke Retz-Drosendorf befuhr, ohne sich vorher die Gewißheit verschafft zu haben, daß ein gefahrloses übersetzen möglich ist, sodaß es zum Zusammenstoß mit einem Personenzug kam, sohin unter besonders gefährlichen Verhältnissen, fahrlässig Elfriede A am Körper verletzt und hiedurch das Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung nach dem § 88 Abs. 1

und 3 (§ 81 Z. 1) StGB begangen, gemäß dem § 259 Z. 3 StPO freigesprochen.

Text

Gründe:

Mit Urteil des Bezirksgerichtes Horn vom 12. August 1980, GZ. U 232/80-25, wurde der am 12. Mai 1934 geborene Landwirt Alois A - abweichend von dem in Richtung des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach dem § 88 Abs. 1 und 3 (§ 81 Z. 1) StGB gestellten Bestrafungsantrag des öffentlichen Anklägers (S. 114) - des Vergehens der Gefährdung der körperlichen Sicherheit nach dem § 89

StGB schuldig erkannt, weil er am 13. Juni 1979 in Johannesthal als Lenker eines Traktors mit Anhänger dadurch, daß er einen nichtöffentlichen Bahnübergang der Eisenbahnstrecke Retz-Drosendorf befuhr, ohne sich vorher die Gewißheit verschafft zu haben, daß ein gefahrloses übersetzen möglich ist, sodaß es zum Zusammenstoß mit einem Personenzug kam, sohin unter besonders gefährlichen Verhältnissen, fahrlässig eine Gefahr für das Leben, die Gesundheit oder die körperliche Sicherheit seiner (auf dem Anhänger sitzenden) Ehegattin Elfriede A herbeiführte.

Nach den wesentlichen Urteilsfeststellungen ereignete sich der Unfall an einer durch eine Privatwegtafel gesicherten Eisenbahnkreuzung. Etwa 1 km davor ist ein Gruppenpfeifpflock aufgestellt, der den Lokomotivführer zur Abgabe wiederholter Warnpfiffe verpflichtet. Sicherungsanlagen, wie Andreaskreuze, Schranken oder Blinklichter sind nicht vorhanden. Für den Beschuldigten betrug die Sichtweite nach links auf die Geleise etwa 60 m. Das Herannahen einer Lokomotive von den Ausmaßen der mit dem Traktor kollidierenden hätte er bei Durchsicht zwischen den Bäumen auf eine Entfernung von maximal 100 m wahrnehmen können. Der Beschuldigte hielt seinen Traktor ca. 5,5 m von der ersten Schiene entfernt an und setzte ihn sodann wieder in Gang, um im Schrittempo den Bahnkörper zu übersetzen. In diesem Augenblick näherte sich ein Personenzug mit einer (über der erlaubten Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h liegenden) Geschwindigkeit von ca. 65 km/h. Der Lokomotivführer gab erst kurz vor dem Bahnübergang, als er bemerkte, daß der Traktor zu nahe an den Schienen stand, einen Warnpfiff ab und leitete eine Notbremsung ein. Der Beschuldigte sah den Zug erstmals aus einer Entfernung von 15 bis maximal 50 m, glaubte, die Schienen nicht mehr rechtzeitig überqueren zu können, und bremste sein Fahrzeug so ab, daß er knapp vor der ersten Schiene zum Stehen kam. Der Vorderteil seines (bereits stehenden) Traktors wurde (noch) von der Lokomotive erfaßt. Elfriede A fiel vom Anhänger auf einen Laubhaufen und blieb, wie das Gericht annahm, unverletzt. Eine Gefährdung der Zuginsassen trat nicht ein. Der Beschuldigte selbst erlitt nicht unerhebliche Verletzungen.

Das Erstgericht beurteilte den Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht unter analoger Anwendung des § 21 Eisenbahnkreuzungsverordnung dahin, daß der Beschuldigte den Eisenbahnübergang nur hätte übersetzen dürfen, wenn er sich der Gefahrlosigkeit dessen vergewissert hätte, wozu er allenfalls eines Einweisers bedurft hätte. Auf die Abgabe akustischer Signale durch den Lokomotivführer hätte er mangels Anbringung eines Andreaskreuzes nicht vertrauen dürfen. Aus den vorliegenden Unfallsfotos leitete es eine - nicht näher beschriebene - außergewähnlich hohe Unfallswahrscheinlichkeit ab.

Die Berufung des Angeklagten wegen Nichtigkeit und Schuld wies das Kreisgericht Krems/Donau als Berufungsgericht mit Urteil vom 3. März 1981, AZ. 7 Bl 116/80 (ON. 33 des erstgerichtlichen Aktes) als unbegründet zurück, wobei es die rechtliche Beurteilung durch das Erstgericht billigte und ebenfalls ausführte, daß der Beschuldigte nicht auf die rechtzeitige Abgabe eines Warnzeichens vertrauen durfte.

überdies nahm das Berufungsgericht auch einen Aufmerksamkeitsfehler deshalb an, weil der Angeklagte den Zug bereits auf 100 m hätte sehen können, ihn aber nach seiner Verantwortung erst in einer Entfernung von etwa 15 m sah. Zur Frage der besonders gefährlichen Verhältnisse führte es aus, daß der Angeklagte erkennen konnte, daß bei Unterlassen der erforderlichen Vorsicht bei überqueren des Schienenübergangs eine Kollision mit einem Schienenfahrzeug eintreten kann und daß dann der Eintritt eines Schadens an Leib und Leben für die Benützerin seines Fahrzeuges sehr wahrscheinlich ist.

Rechtliche Beurteilung

Die Urteile des Bezirksgerichtes Horn und des Kreisgerichtes Krems/Donau als Berufungsgerichtes stehen mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Das Tatbild nach § 89 StGB erfüllt, wer in den im § 81 Z. 1 und 2 StGB bezeichneten Fällen, wenn auch nur fahrlässig, eine Gefahr für das Leben, die Gesundheit oder die körperliche Sicherheit eines anderen herbeiführt. In dem hier ausschließlich in Frage kommenden Fall des § 81 Z. 1

StGB genügt für die Strafbarkeit der Herbeiführung einer konkreten Gefahr, daß der Täter durch sein Verhalten eine außergewähnlich hohe Unfallswahrscheinlichkeit (fahrlässig) verschuldet hat, wobei die solcherart qualifizierte Gefährdung einer einzigen Person zur Tatzeit ausreicht (vgl. Leukauf-Steininger, Kommentar z. StGB2, RN. 5 zu § 89 und RN. 6 ff. zu § 81; SSt. 48/24 = EvBl. 1977/210 = RZ. 1977/91

= ZVR. 1977/178 mit Glosse von Melnizky und die seither einheitliche Rechtsprechung zu dieser Frage; a. M. zur Anzahl der gefährdeten Personen: Burgstaller im WK., RN. 20 und 29). Die Wahrscheinlichkeit eines Unfalls wird bereits für die Abgrenzung der (zur Erfüllung des Tatbilds nicht hinreichenden) abstrakten von der (jedenfalls erforderlichen) konkreten Gefährdung eines Menschen durch die Tat vorausgesetzt (vgl. Leukauf-Steininger2, RN. 5 und Kienapfel, BT. I, RZ. 471, je zu § 89 StGB). Für die Anwendbarkeit des § 89 StGB ist demnach eine - dem Täter anzulastende - deutliche Verschärfung der konkreten Gefahr erforderlich. Daß im Normalfall typischer Weise mit einer Verletzung zu rechnen ist, begründet bloß die konkrete Gefahr, nicht aber auch schon das Vorliegen besonders gefährlicher Verhältnisse.

Diese fehlen vorliegend:

Das Befahren einer wenig frequentierten Eisenbahnkreuzung (s. S. 149) in Verbindung mit der dem Lokomotivführer zur Last fallenden

Unterlassung - hier: bahnintern vorgeschriebenen - Abgabe von Pfeifsignalen bei Annäherung zum Bahnübergang begründet an sich, auch bei schlechten Sichtverhältnissen, wie im vorliegenden Fall, noch keine extrem hohe, dem Täter vorhersehbare Gefahr, die erst zur konkreten wird, wenn die überquerung in der Reichweite eines herannahenden Eisenbahnzuges geschieht. Dann allerdings ist ein Unfall insbesondere unter Berücksichtigung des langen Bremsweges eines Eisenbahnzuges, wahrscheinlich. Nach den Urteilsfeststellungen war aber die Unfallsgefahr nicht über das Normalmaß an Gefahr hinaus gesteigert. Fallbezogen darf auch nicht unberücksichtigt bleiben, daß die vom Beschuldigten nach den Urteilsannahmen eingehaltene Fahrweise sein Anhalten kurz vor den Schienen, wenn auch schon im 'Lichtraum' der Lokomotive ermöglichte, wodurch nur der Vorderteil seines Traktors erfaßt werden konnte. Von einem 'gesteigerten Gefährlichkeitsgrad' (vgl. zu diesem Begriff Burgstaller im WK., RN. 21 bis 23 zu § 81 StGB, mit zahlreichen Beispielen aus der Praxis in RN. 27 und 28) kann hier daher (anders als etwa beim übersetzen des Gleiskörpers unmittelbar vor dem herannahenden Zug, aber angesichts sich senkender Bahnschranken) noch nicht gesprochen werden. Da auch bei der rechtlichen Beurteilung sogenannter 'Eisenbahn-Kraftfahrzeugunfällen' von der besonderen Gestaltung des (konkreten) Falles auszugehen ist (anders noch die Regelung der § 335, 337 lit. a /85 lit. c/ StG 1945), zeigt sich somit, daß die Urteile des Bezirksgerichtes Horn und Kreisgerichtes Krems/Donau in der Beurteilung der Tat des Angeklagten nach dem § 89 StGB (bei Annahme 'besonders gefährlicher Verhältnisse' im Sinn des § 81 Z. 1 StGB) rechtsirrig sind. Diese dem Angeklagten zum Nachteil gereichenden, mit dem Nichtigkeitsgrund des § 468 Abs. 1 Z. 4

(§ 281 Abs. 1 Z. 9 lit. a) StPO behafteten Erkenntnisse waren daher aufzuheben, wobei sogleich in der Sache selbst zu erkennen und mit Freispruch (von der, wie einleitend festgehalten, auf das Vergehen nach dem § 88 Abs. 1 und 3

/§ 81 Z. 1/ StGB lautenden Anklage) vorzugehen war, weil nach dem vollständig festgestellten Sachverhalt eine abschließende rechtliche Beurteilung der Sache möglich ist.

Anmerkung

E03750

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1982:0110OS00092.82.0629.000

Dokumentnummer

JJT_19820629_OGH0002_0110OS00092_8200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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