Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 6.Juli 1982 unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Racek in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Faseth, Dr. Bernardini, Dr. Schneider und Dr. Friedrich als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Glock als Schriftführer in der Strafsache gegen Ilse A wegen des Verbrechens der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang nach § 83 Abs. 1, 86
StGB über die von der Angeklagten gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Kreisgericht Korneuburg vom 21.April 1982, GZ. 10 Vr 347/81-65, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini, sowie der Ausführungen des Verteidigers Dr. Schriefl und des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Kodek, zu Recht erkannt:
Spruch
Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben und der Angeklagten gemäß § 38 StGB (außer der im angefochtenen Urteil angeführten) auch die am 19.Mai 1981 ab 04 Uhr 50 erlittene Vorhaft auf die Strafe angerechnet.
Der Berufung der Staatsanwaltschaft wird Folge gegeben und die Freiheitsstrafe auf 3 1/2 (dreieinhalb) Jahre erhöht. Die Angeklagte wird mit ihrer Berufung auf diese Entscheidung verwiesen.
Gemäß § 390 a StPO fallen der Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde die am 1.Februar 1956 geborene Löterin Ilse A auf Grund des Wahrspruchs der Geschwornen des Verbrechens der vorsätzlichen Körperverletzung mit tödlichem Ausgang nach § 83 Abs. 1, 86 StGB schuldig erkannt, weil sie am 18.Mai 1981 in Rabensburg ihren Ehegatten Josef A durch Abgabe eines Schusses mit einem Kleinkalibergewehr in die Brustgegend vorsätzlich verletzte, wobei die Tat den Tod des Geschädigten zur Folge hatte. Das Geschwornengericht verurteilte sie hiefür nach § 86 StGB zu zweieinhalb Jahren Freiheitsstrafe; es nahm dabei keinen Erschwerungsgrund an, billigte ihr hingegen den Umstand, daß sie bisher einen ordentlichen Lebenswandel führte und die Tat mit ihrem sonstigen Verhalten in auffallendem Widerspruch steht (§ 34 Z. 2 StGB), ebenso als mildernd zu wie eine (durch ein jahrelanges 'Ehemartyrium' und die ihrer deliktischen Handlungsweise unmittelbar vorangegangene heftige Auseinandersetzung ausgelöste) allgemein begreifliche heftige Gemütsbewegung, durch die sie sich zur Tat hinreißen lassen hat (§ 34 Z. 8 StGB).
Gemäß § 38 Abs. 1 StGB wurde ihr die Vorhaft vom 19.Mai 1981, 12 Uhr 00 bis (zum Zeitpunkt der Urteilsfällung am) 21.April 1982, 20 Uhr 30 auf diese Strafe angerechnet.
Nur den letzteren Ausspruch bekämpft die Angeklagte mit einer auf die Z. 13 des § 345 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, in der sie auch die Anrechnung der Zeit der vorausgegangenen Anhaltung ab 04 Uhr 50
des 19.Mai 1981 (als Verwahrungshaft) begehrt.
Rechtliche Beurteilung
Die Rechtsrüge ist begründet.
Materiell die Kriterien einer Verwahrungshaft, die i.S. des § 38 StGB (nach dieser Gesetzesstelle) auf die Strafe anrechenbar ist, weist jeder Zeitraum auf, innerhalb dessen sich der Verurteilte - anders als bei einer (allenfalls auch längeren) vorübergehenden Anwesenheit auf einem Gendarmerieposten oder einer Polizeidienststelle zwecks bloßer Einvernahme oder deren Ergänzung, beispielsweise nach Anhörung anderer Personen, ohne (ausdrücklich ausgesprochene oder sich aus der Amtshandlung - konkludent - ergebende) Festnahme (Leukauf-Steininger, Komm. zum StGB2, RN. 2 zu § 38 StGB u.a.) - zum Zwecke der (weiteren) Anhaltung (- und damit - unter haftmäßigen Bedingungen) im Gewahrsam einer Sicherheitsbehörde befunden hat, ohne daß es des formellen Akts einer Festnahme bedarf, die sich unter derartigen Um-Umständen in der Vorgangsweise der Behörde (allein) hinreichend manifestiert.
Vorliegend wurde nach der Aktenlage die erste Einvernahme der Beschwerdeführerin beim Gendarmeriepostenkommando Bernhardsthal am 19. Mai 1981 (kurz nach der Tat) bereits um 01 Uhr 50 begonnen und um 04 Uhr 00
(desselben Tages) beendet (Bd. I S. 45 ff.). Darnach ist sie über Anordnung des Journalrichters des Kreisgerichtes Korneuburg um 04 Uhr 50 'in Verwahrung genommen' und am genannten Posten verwahrt worden (Bd. I S. 227 -
vgl. auch den Vermerk am Personalblatt Bd. I S. 229:
'Verwahrungshaft (§ 175, 177 StPO) vom 19.05.1981, 04.50'). Das Ergebnis der nachfolgend aus Anlaß der Nichtigkeitsbeschwerde vom Vorsitzenden des Schöffensenats - vollkommen überflüssig - veranlaßten 'Aufklärungen' haben diesen Sachverhalt im wesentlichen bestätigt (vgl. den Bericht der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 8.Juni 1982, Bd. II S. 163 sowie jenen des Gendarmeriepostens Bernhardsthal vom 11.Juni 1982 Bd. II S. 167, der sinngemäß das gleiche besagt).
Daß der Untersuchungsrichter, wie er 'über Ersuchen des Vorsitzenden' am 7.Juni 1982 in einem Aktenvermerk (Bd. I ON. 2 S. 3) festhielt, anläßlich des fernmündlichen Anrufs der Gendarmerie am 19. Mai 1981 um 04 Uhr 50 'keinen mündlichen Haftbefehl erließ' und seine Anordnung damals allenfalls nur dahin gelautet hätte, Ilse A habe (zunächst bis zum Vorliegen des Ergebnisses der noch ausständigen Untersuchungshandlungen am Tatort 'einstweilen' am Gendarmerieposten 'zu verbleiben' (Formulierung im letzteren der beiden obangeführten Berichte), würde höchstens bedeuten, daß die faktisch (zum Zweck der Anhaltung) vorgenommene vorläufige Verwahrung der - damit festgenommenen - Genannten nicht auf einer gerichtlichen Anordnung fußte, der Anhaltung aber in keiner Weise den Charakter einer verwaltungsbehördlichen Verwahrungshaft nehmen. Die ebenfalls über 'Aufforderung' des Vorsitzenden durch den Gendarmerieposten Bernhardsthal abgegebene Äußerung vom 15.Juni 1982 (Bd. II S. 168), wonach A 'weder festgenommen und auch keine Verwahrung ausgesprochen worden sei', kann bei der vorliegenden Sachlage bloß dahin verstanden werden, daß kein ausdrücklicher Formalakt in der einen oder anderen Richtung gesetzt wurde, dessen es jedoch nach dem Gesagten für die Anrechenbarkeit der Anhaltung nicht bedarf. Jedenfalls kann entgegen der von der Generalprokuratur (die eine Verwerfung der Nichtigkeitsbeschwerde beantragte) in ihrer Stellungnahme vertretenen Auffassung keine Rede davon sein, daß sich die Angeklagte am 19.Mai 1981 auch in der Zeit von 04 Uhr 50 bis 12 Uhr 00 lediglich zum Zweck ihrer niederschriftlichen Vernehmung 'teilweise' ... 'in den Räumen des Gendarmeriepostens befunden habe'. Die Angeklagte hat vielmehr während dieser Zeitspanne eine verwaltungsbehördliche Verwahrungshaft erlitten, die ihr in Stattgebung der berechtigten Nichtigkeitsbeschwerde als Vorhaft unter entsprechender Ergänzung des Urteilsausspruchs nach § 38 StGB ebenfalls auf die Strafe anzurechnen war.
Mit Berufung wird der Strafausspruch selbst sowohl von der Staatsanwaltschaft, welche eine Erhöhung der Strafe anstrebt, als auch von der Angeklagten bekämpft, die eine Ermäßigung der Strafe - unter Anwendung der außerordentlichen Strafmilderung - und die Gewährung bedingter Strafnachsicht nach § 43 StGB begehrt. Nur die Berufung des öffentlichen Anklägers ist begründet. Das Erstgericht hat zwar die Milderungsgründe im wesentlichen zutreffend festgestellt, jedoch wie bereits erwähnt, nichts als erschwerend erachtet, obwohl der Angeklagten, wenn ihr schon zugebilligt wird, bei Abgabe eines Schusses aus einer Entfernung von lediglich 30 cm gegen den Körper ihres Ehegatten nur fahrlässig gehandelt zu haben, doch zumindestens eine besonders krasse Sorglosigkeit in bezug auf die Todesfolge als äußerst gewichtiger Erschwerungsgrund angelastet werden muß. Ausgehend von den solcherart (zum Nachteil der Angeklagten) ergänzten Strafzumessungsgründen und angesichts des hohen Unrechtsgehaltes der Tat erweist sich die vom Erstgericht über die Angeklagte verhängte Freiheitsstrafe als zu gering, weshalb sie, wie aus dem Spruch ersichtlich, angemessen zu erhöhen war.
Mit ihrer Berufung war die Angeklagte demgemäß - auch soweit sie eine bedingte Strafnachsicht beantragt, für die eine Herabsetzung der Freiheitsstrafe die Voraussetzung gebildet hätte (vgl. § 43 Abs. 2 StGB) -
auf diese Entscheidung zu verweisen.
Anmerkung
E03812European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1982:0100OS00103.82.0706.000Dokumentnummer
JJT_19820706_OGH0002_0100OS00103_8200000_000