TE OGH 1982/10/21 7Ob515/82

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Veröffentlicht am 21.10.1982
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Norm

KSchG §1
KSchG §3

Kopf

SZ 55/157

Spruch

Eine Ungleichgewichtslage allein rechtfertigt noch nicht die sinngemäße Anwendung des Konsumentenschutzgesetzes. Unter dessen weiten Unternehmerbegriff fallen ohne Rücksicht auf Betriebsgröße, Kapital und Organisation besonders auch die freien Berufe und die Land- und Forstwirtschaft. Ein Landwirt ist daher bei betriebsbezogenen Rechtsgeschäften auch einem allein in der Branche spezialisierten Verkäufer gegenüber nicht Verbraucher

OGH 21. Oktober 1982, 7 Ob 515/82 (LGZ Graz 5 R 403/81; BG Feldbach 2 C 312/81)

Text

Der Beklagte, ein Landwirt, bestellte am 14. 10. 1980 bei einem Vertreter der klagenden Partei für seinen bäuerlichen Betrieb eine Flüssigfütterungsanlage zum Gesamtpreis von 59 000 S. Am 16. 10. 1980 erklärte er den Rücktritt vom Vertrag. Die klagende Partei nahm diese Erklärung nicht an.

Der Erstrichter wies das Klagebegehren auf Zahlung des Kaufpreises ab. Er vertrat die Rechtsansicht, daß der Beklagte als Verbraucher iS des Konsumentenschutzgesetzes anzusehen sei, weil sein landwirtschaftlicher Betrieb kein Handelsgewerbe sei, der Begriff des Unternehmers nach dem Konsumentenschutzgesetz aber jenem des § 343 HGB entspreche. Überdies habe sich der Beklagte zumindest in einem Irrtum über den Preis der Anlage befunden.

Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil iS des Klagebegehrens ab. Es vertrat die Rechtsansicht, daß ein Rücktrittsrecht des Beklagten nach § 3 KSchG nicht in Betracht komme, weil der Beklagte bei dem strittigen Geschäft nicht als Konsument tätig geworden sei. Den Rechtsgrund des Irrtums habe der Beklagte nicht geltend gemacht.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Das Berufungsgericht hat zutreffend erkannt, daß nach § 1 Abs. 1 und 2 KSchG derjenige nicht als Verbraucher iS des Konsumentenschutzgesetzes angesehen werden kann, der das betreffende Rechtsgeschäft im Rahmen des Betriebes einer auf Dauer angelegten Organisation selbständiger wirtschaftlicher Tätigkeit geschlossen hat. Der Unternehmensbegriff des Konsumentenschutzgesetzes deckt sich entgegen der Meinung des Erstrichters nicht mit jenem des HGB oder ABGB und ist vor allem nicht mit dem Kaufmannsbegriff identisch (744 BlgNR, XIV GP 16; Welser, Die Beschränkung der Vertragsfreiheit beim Konsumentengeschäft, JBl. 1980, 1 f.; Krejci in Krejci, Handbuch zum KSchG 211 f.). Sowohl nach dem Wortsinn der Bestimmung als auch nach der erklärten Absicht des Gesetzgebers (aaO) fallen unter den weiten Unternehmerbegriff des Konsumentenschutzgesetzes besonders auch die freien Berufe und die Land- und Forstwirtschaft. Letzteres wird von der Lehre einhellig übernommen (Schilcher in Krejci - Schilcher - Steininger, Konsumentenschutzgesetz, ABGB und Verfahrensrecht 58; Kosesnik - Wehrle, KSchG 22 ua.). Obwohl es dem Gesetzgeber darum ging, die Unterlegenheit des Verbrauchers gegenüber dem Unternehmer an wirtschaftlicher Macht und Wissen auszugleichen, hat er bewußt nicht auf die wirtschaftlichen Gegebenheiten oder Fähigkeiten im Einzelfall abgestellt, sondern auf objektive, einigermaßen genau zu beschreibende und festzustellende Umstände, bei denen die das Motiv der Regelung bildende Lage typischerweise gegeben ist (RV aaO 15 f.; Welser aaO; EvBl. 1981/5;

EvBl. 1981/189 ua.). Dabei wird auch eine bestimmte Betriebsgröße der Unternehmen des § 1 KSchG, ein Mindestkapital oder eine sonstige Mindestorganisation nicht gefordert (Krejci, Handbuch 213 f.);

maßgeblich ist nur, ob sich eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit in bezug auf das konkrete Rechtsgeschäft als unternehmerisch darstellt, weil die Beurteilung als Verbrauchergeschäft nur vom funktionellen Verhältnis zwischen den Streitteilen abhängt (EvBl. 1981/5; EvBl. 1981/189 ua.). Im vorliegenden Fall ist in diesem Sinne nicht strittig, daß der Beklagte das Rechtsgeschäft als selbständiger Landwirt im Rahmen und für die Bedürfnisse seines Betriebes geschlossen hat.

Die Erläuterungen zur Regierungsvorlage des Konsumentenschutzgesetzes haben allerdings auch zum Ausdruck gebracht (aaO 16), daß es der Rechtsprechung überlassen werden müsse, für einen bestimmten Fall nicht einfach den Umkehrschluß zu ziehen, wenn auf ihn die Merkmale der gesetzlichen Umschreibung nicht ganz zutreffen, sondern die im Gesetz für den typischen Fall zum Ausdruck kommenden Wertungen auch auf andere Fälle anzuwenden, auf die sie passen; möglicherweise könne sich umgekehrt eine teleologische Reduktion des Geltungsbereiches ergeben, wenn ein Fall, in dem die gesetzlichen Geltungsmerkmale verwirklicht sind, gänzlich von dem Typ verschieden ist, der dem Gesetzgeber bei seiner Regelung vorschwebte. Der Rechtsprechung solle diese Vermeidung des Umkehrschlusses durch den mehr lehrhaften als normativen § 2 Abs. 1 KSchG erleichtert werden, wonach das Hauptstück über die besonderen Bestimmungen für Verträge zwischen Unternehmern und Verbrauchern Regelungen unberührt läßt, nach denen die hier vorgesehenen Rechtsfolgen in anderen Fällen eintreten. Nach herrschender Ansicht kann dieser Hinweis des Gesetzgebers aber, wenn nicht der Grundtatbestand überhaupt unbrauchbar werden und die Einzelfallgerechtigkeit über die Rechtssicherheit siegen soll, nur zu einer analogen Anwendung konkreter, aber zweifelhafter Einzelvorschriften auf atypische Situationen führen (Welser aaO 2; vgl. JBl. 1981, 482), während es unzulässig bleiben muß, das vom Gesetzgeber angesichts der schwer faßlichen Ungleichgewichtslage angemessene Korsett mit Hilfe von Analogie oder teleologischer Reduktion wieder verschwinden zu lassen (Krejci, Handbuch 226 ff.; besonders 234, 240 mit überzeugender Begründung gegen Schilcher aaO 36 f.). Entgegen der Meinung des Revisionswerbers kann es deshalb bei der Anwendung der unzweifelhaft nur auf das Verhältnis zwischen Unternehmer und Verbraucher abgestellten Bestimmung des § 3 KSchG nicht darauf ankommen, ob der beklagte Landwirt der im Rahmen des Betriebes seines Unternehmens tätig geworden ist, bei der strittigen Bestellung einem auf die Branche spezialisierten Unternehmer (hier dem Verkäufer einer Flüssigfütterungsanlage) gegenübergestanden ist und ob er selbst mehr oder weniger von der bestellten Ware verstanden hat (die im konkreten Fall übrigens erst nach Besichtigung ähnlicher Anlagen bei Nachbarn gewählt wurde).

Auf die Frage eines Irrtums des Beklagten ist das Berufungsgericht mangels Geltendmachung dieses Rechtsgrundes mit Recht nicht eingegangen.

Anmerkung

Z55157

Schlagworte

Konsumentenschutz, vertragliche Ungleichgewichtslage allein, rechtfertigt nicht sinngemäße Anwendung des KSchG, Landwirt Unternehmer im Sinne des KSchG, Unternehmer (KSchG), Landwirt als -, Verbraucher (KSchG), Landwirt als Unternehmer, Vertrag, Ungleichgewichtslage allein rechtfertigt nicht sinngemäße, Anwendung des KSchG

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1982:0070OB00515.82.1021.000

Dokumentnummer

JJT_19821021_OGH0002_0070OB00515_8200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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