TE OGH 1982/11/9 4Ob554/82

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Veröffentlicht am 09.11.1982
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Norm

StGB §83 Abs2
StGB §84 Abs1
StGB §287
G über die Gewährung von Hilfeleistungen an Opfer von Verbrechern (BGBl) 1972/288, §1 Abs2 Z1

Kopf

SZ 55/169

Spruch

Wer im Zustand voller Berauschung (§ 287 StGB) eine schwere Körperverletzung nach § 83 Abs. 2, § 84 Abs. 1 StGB begeht, handelt "vorsätzlich" iS des § 1 Abs. 2 Z 1 des BG 9. 7. 1972, BGBl. 288, über die Gewährung von Hilfeleistungen an Opfer von Verbrechern; Ersatzansprüche gegen ihn gehen daher unter den Voraussetzungen des § 12 dieses Gesetzes auf die Republik Österreich über

OGH 9. November 1982, 4 Ob 554/82 (OLG Wien 13 R 104/82; LGZ Wien 7 Cg 250/80)

Text

Die klagende Republik Österreich begehrt vom Beklagten die Zahlung eines Betrages von 75 266 S samt Anhang sowie die Feststellung des Rechtes auf Ersatz aller Aufwendungen, welche die klagende Partei nach dem BG 9. 7. 1972, BGBl. 288 (VOG), aus Anlaß der am 25. 11. 1977 vom Beklagten an Erika B verübten Körperverletzung zu erbringen hat, soweit diese Leistungen in den Schadenersatzansprüchen der Erika B gegen den Beklagten ohne den gesetzlichen Forderungsübergang Deckung finden. Der Beklagte habe Erika B am 25. 11. 1977 niedergestoßen; die Genannte habe dadurch einen Bruch des Oberschenkels erlitten. Der Beklagte sei wegen dieser Tat zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten rechtskräftig verurteilt worden. Die klagende Partei habe an Erika B Leistungen nach dem VOG erbringen müssen.

Der Beklagte beantragte Klageabweisung ua. mit der Begründung, die Voraussetzungen des gesetzlichen Forderungsüberganges lägen nicht vor, weil er nur nach § 287 StGB und somit nicht wegen einer vorsätzlichen Handlung verurteilt worden sei. Der Anspruch der Erika B gegen die klagende Partei beruhe daher auf § 1 Abs. 3 VOG; der gesetzliche Forderungsübergang auf die klagende Partei setze aber eine - hier nicht gegebene - Handlung iS des § 1 Abs. 2 VOG voraus.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Es traf folgende wesentliche Feststellungen: Der Beklagte wurde rechtskräftig schuldig erkannt, am 25. 11. 1977 sich durch den Genuß von Alkohol in einen die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Rauschzustand versetzt zu haben und im Rausch Erika B durch versetzen eines Stoßes am Körper mißhandelt und dadurch fahrlässig eine schwere Verletzung mit einer länger als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung und Berufsunfähigkeit, nämlich eine Oberschenkelfraktur links, herbeigeführt zu haben, mithin eine Handlung begangen zu haben, die ihm außer diesem Zustand als Vergehen der schweren Körperverletzung nach § 83 Abs. 2, § 84 Abs. 1 StGB zugerechnet würde. Der Beklagte wurde nach § 287 Abs. 1 (§ 83 Abs. 2, § 84 Abs. 1) StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von fünf Monaten verurteilt.

In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht die Auffassung, daß ein Forderungsübergang gemäß § 12 VOG nur hinsichtlich solcher Schäden eintrete, die aus Handlungen iS des § 1 Abs. 2 VOG, also vor allem auf Grund einer vorsätzlichen Handlung, entstunden. Die gegenständliche Körperverletzung sei aber nicht vorsätzlich, sondern in einem die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Rauschzustand begangen worden. Eine solche Handlung berechtigte wohl zur Inanspruchnahme der Hilfe nach § 1 Abs. 3 VOG, die jedoch gemäß § 12 VOG keinen Forderungsübergang auf die klagende Partei zur Folge habe.

Das Berufungsgericht hob das erstgerichtliche Urteil auf und verwies die Rechtssache unter Rechtskraftvorbehalt zur Verfahrensergänzung und Fällung einer neuen Entscheidung an das Erstgericht zurück. Die, wenn auch fahrlässig, herbeigeführte Körperverletzung der Erika B sei durch ein vorsätzliches Handeln des Beklagten, nämlich durch Versetzen eines in Mißhandlungsabsicht geführten Stoßes gegen ihren Körper, verursacht worden. Auch die sogenannte Rauschtat setze einen Willensakt des Täters voraus und werde daher ebenfalls vorsätzlich begangen. Die Hilfeleistungspflicht der klagenden Partei beruhe daher auf § 1 Abs. 2 Z 1 und nicht auf § 1 Abs. 3 VOG. Der Schadenersatzanspruch der Erika B könne daher gemäß § 12 VOG auf die klagende Partei übergegangen sein. Die für die Beurteilung der von der klagenden Partei behaupteten Regreßansprüche rechtserheblichen Tatsachen seien jedoch vom Erstgericht infolge seiner gegenteiligen Rechtsansicht weder erörtert noch festgestellt worden.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs des Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Der Beklagte vertritt in seinen Rechtsmittelausführungen die Auffassung, der Gesetzgeber habe bewußt den Fall vorgesehen, daß zwar ein Anspruch des Opfers einer strafbaren Handlung auf Hilfeleistung des Bundes bestehe, nicht aber ein Regreßanspruch des Bundes dem Täter gegenüber. Es gehe nicht an, die Straftat des Beklagten in eine vorsätzliche Handlung und in einen fahrlässig herbeigeführten Erfolg zu zerlegen. Der Erfolg einer strafbaren Handlung könne vom Willensentschluß des Täters nicht getrennt werden.

Diese Auffassungen stehen mit dem Gesetz nicht im Einklang. Der Beklagte wurde vom Strafgericht einer Handlung schuldig erkannt, die ihm außer dem seine Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Rauschzustand (§ 287 StGB) als Vergehen der schweren Körperverletzung nach § 83 Abs. 2, § 84 Abs. 1 StGB zugerechnet würde. Der Tatbestand des § 83 Abs. 2 StGB setzt eine körperliche Mißhandlung und eine dadurch fahrlässig herbeigeführte Verletzung oder Gesundheitsschädigung voraus. Für die innere Tatseite des Tatbestandes ist der Vorsatz, am Körper zu mißhandeln (das ist eine physische Einwirkung auf den Körper, durch die das körperliche Wohlbefinden des Betroffenen nicht ganz unerheblich beeinträchtigt wird), und Fahrlässigkeit hinsichtlich der Verletzung oder Gesundheitsschädigung erforderlich. Es wird daher kein Verletzungsvorsatz, sondern ein Mißhandlungsvorsatz gefordert. Dieser liegt vor, wenn der Täter das Opfer zwar nicht verletzen, ihm aber doch ein körperliches Übel - und seien es auch nur (erhebliche) körperliche Schmerzen - zufügen will; hiebei genügt bedingter Vorsatz. Die bloße Mißhandlung, ohne Verletzung oder Gesundheitsschädigung des Betroffenen, reicht für diesen Tatbestand nicht aus; insoweit käme lediglich der Tatbestand des § 115 StGB (Beleidigung) in Betracht (Leukauf - Steininger[2], 568 f.).

Im vorliegenden Fall hat der Beklagte auf der Grundlage des für das Zivilgericht bindenden strafgerichtlichen Urteils eine Rauschtat zu verantworten, die in einer vorsätzlichen Handlung (Mißhandlung der Erika B) und einen hiedurch fahrlässig herbeigeführten Verletzungserfolg besteht. Wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, muß die sogenannte Rauschtat nicht vom Verschulden des Täters erfaßt bleiben; dieses muß sich nur auf die zumindest fahrlässige Herbeiführung der vollen Berauschung beziehen. Die Rauschtat selbst muß aber nicht nur alle objektiven Tatbestandsmerkmale verwirklichen; sie muß darüber hinaus auch als Betätigung eines auf die Herbeiführung des strafgesetzwidrigen Erfolges gerichteten Willens erscheinen. Dem Volltrunkenen fehlt somit nicht die Willensreaktion, sondern nur die Diskretions- und Dispositionsfähigkeit. Die Rauschtat wird also vorsätzlich begangen (EvBl. 1980/183; RZ. 1976/120; SSt. 49/19; SSt. 47/35 ua.).

Gemäß § 1 Abs. 2 Z 1 des BG 9. 7. 1972, BGBl. 288, über die Gewährung von Hilfeleistungen an Opfer von Verbrechern (VOG) idF des BG 17. 11. 1977, BGBl. Nr. 620, ist vom Bund die Hilfe österreichischen Staatsbürgern zu leisten, wenn mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, daß sie durch eine mit einer mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedrohte rechtswidrige und vorsätzliche Handlung eine Körperverletzung oder eine Gesundheitsschädigung erlitten haben und ihnen dadurch Heilungskosten erwachsen oder ihre Erwerbsfähigkeit gemindert ist.

Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die vom Beklagten zu verantwortende Rauschtat beruht nach den oben angestellten Erwägungen auf Vorsatz, weil der Beklagte die Mißhandlung der Erika B mit seinem Willen begangen hat. Daß die Folgen dieser Mißhandlung, die körperliche Verletzung, fahrlässig herbeigeführt wurde, ändert nichts an der vorsätzlich im oben dargelegten Sinn begangenen Mißhandlung. Ein Fall des § 1 Abs. 3 Z 1 VOG setzt, wie sich aus dem Zusammenhang dieser Gesetzesbestimmungen ergibt, eine das Verschulden überhaupt ausschließende Zurechnungsunfähigkeit voraus. Diese Voraussetzung trifft auf den Beklagten nicht zu, weil er wegen des Vergehens nach § 287 StGB verurteilt wurde. Dem Berufungsgericht ist daher darin beizustimmen, daß ein Fall des § 1 Abs. 2 Z 1 VOG und nicht ein solcher des § 1 Abs. 3 Z 1 dieses Gesetzes hier vorliegt. Damit ist aber eine der Voraussetzungen des von der klagenden Partei behaupteten Forderungsüberganges von Ersatzansprüchen auf den Bund (§ 12 VOG) gegeben. Da das Erstgericht diese Frage verneint hat, hat es das Vorliegen der übrigen Voraussetzungen eines Anspruches nach dieser Gesetzesstelle nicht geprüft, so daß das Berufungsgericht mit Recht das erstgerichtliche Urteil aufgehoben und die Rechtssache an das Erstgericht zurückverwiesen hat.

Anmerkung

Z55169

Schlagworte

Berauschung, volle (§ 287 StGB), schwere Körperverletzung im Zustand -: Vorsatz iS § 1 Abs. 2 Z 1 des G über die Gewährung von Hilfeleistungen an Opfer von Verbrechen Verbrechensopfer, Gewährung von Hilfeleistungen: Übergang der Ersatzansprüche bei schwerer Körperverletzung im Zustand voller Berauschung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1982:0040OB00554.82.1109.000

Dokumentnummer

JJT_19821109_OGH0002_0040OB00554_8200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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