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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 1997 §7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Nowakowski, Dr. Pelant und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerde des A in W, vertreten durch Dr. Karl Schön, Rechtsanwalt in 1080 Wien, Wickenburggasse 3, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 23. September 2003, Zl. 238.722/0-III/12/03, betreffend Zurückweisung der Berufung in einer Angelegenheit des Asylgesetzes 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 14. Mai 2003 wurde der Asylantrag des Beschwerdeführers vom 26. Februar 2003 gemäß § 7 AsylG abgewiesen und seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Gambia gemäß § 8 AsylG für zulässig erklärt.
Gegen diesen Bescheid hat der Beschwerdeführer am 11. Juni 2003 Berufung erhoben.
Die belangte Behörde hat mit Schreiben vom 9. Juli 2003 dem Beschwerdeführer die verspätete Erhebung seines Rechtsmittels vorgehalten und ihm die Möglichkeit eingeräumt, dazu innerhalb von zwei Wochen Stellung zu nehmen; der Beschwerdeführer hat dieses Schreiben am 31. Juli 2003 bei der belangten Behörde persönlich übernommen. In weiterer Folge hat er von der eingeräumten Möglichkeit der Erstattung einer Stellungnahme keinen Gebrauch gemacht.
Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid vom 23. September 2003 hat die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 14. Mai 2003 gemäß § 63 Abs. 5 AVG als verspätet zurückgewiesen.
In der Begründung ihrer Entscheidung führte die belangte Behörde nach Darstellung des Verfahrensverlaufes und Wiedergabe des Wortlautes der Bestimmungen der §§ 63 Abs. 5 AVG und 17 Zustellgesetz aus, vor dem Hintergrund dieser wiedergegebenen Bestimmungen über die Zustellung durch Hinterlegung sei angesichts des unbedenklichen und vollständig ausgefüllten Rückscheines und "mangels Hinweises auf eine Ortsabwesenheit des Berufungswerbers während des Zustellvorganges" davon auszugehen, dass der - nach zwei erfolglosen Zustellversuchen an der Adresse Zollergasse 15, 1070 Wien - am 20. Mai 2003 am Postamt 1070 Wien hinterlegte und ab diesem Tag zur Abholung bereitgehaltene angefochtene (erstinstanzliche) Bescheid an diesem Tag rechtswirksam zugestellt worden sei. Die zweiwöchige Berufungsfrist habe am 20. Mai 2003 begonnen und am 3. Juni 2003 geendet. Die am 11. Juni 2003 zur Post gegebene Berufung sei daher als verspätet zurückzuweisen.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Der Beschwerdeführer macht geltend, aus dem Akt ergebe sich, dass er an der Anschrift 1070 Wien, Zollergasse 15, niemals aufhältig gewesen sei und dort auch nie gewohnt habe. Es sei nicht geprüft worden, ob diese Anschrift für ihn eine "Zustelladresse" dargestellt habe.
§ 19a Meldegesetz 1991 (BGBl. Nr. 9/1992 in der Fassung BGBl. I Nr. 28/2001) lautet:
"Hauptwohnsitzbestätigung
§ 19a. (1) Die Meldebehörde hat einem Obdachlosen auf Antrag nach dem Muster der Anlage D in zwei Ausfertigungen zu bestätigen, dass er den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen in dieser Gemeinde hat (Hauptwohnsitzbestätigung), wenn er
1. glaubhaft macht, dass er seit mindestens einem Monat den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen ausschließlich im Gebiet dieser Gemeinde hat, und
2. im Gebiet dieser Gemeinde eine Stelle bezeichnen kann, die er regelmäßig aufsucht (Kontaktstelle).
(2) Die Kontaktstelle gilt als Abgabestelle im Sinne des Zustellgesetzes, BGBl. Nr. 200/1982, sofern der Obdachlose hiezu die Zustimmung des für diese Stelle Verfügungsberechtigten nachweist.
(3) Die Hauptwohnsitzbestätigung wird ungültig, wenn der Betroffene gemäß §§ 3 oder 5 bei einer Meldebehörde angemeldet wird oder wenn von einer anderen Meldebehörde eine Bestätigung gemäß Abs. 1 ausgestellt wird. § 4 Abs. 4 gilt mit der Maßgabe, dass anstelle der Abmeldung die Ungültigkeit zu bestätigen ist.
(4) Für Zwecke des 2. Abschnittes sind Bestätigungen gemäß Abs. 1 Anmeldungen und die Ungültigkeitserklärung gemäß Abs. 3 Abmeldungen gleichzuhalten.
(5) § 9 gilt für Hauptwohnsitzbestätigungen entsprechend."
§ 17 Zustellgesetz (BGBl. Nr. 200/1982) hat folgenden Wortlaut:
"Hinterlegung
§ 17. (1) Kann die Sendung an der Abgabestelle nicht zugestellt werden und hat der Zusteller Grund zur Annahme, dass sich der Empfänger oder ein Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 regelmäßig an der Abgabestelle aufhält, so ist das Schriftstück im Falle der Zustellung durch die Post beim zuständigen Postamt, in allen anderen Fällen aber beim zuständigen Gemeindeamt oder bei der Behörde, wenn sie sich in derselben Gemeinde befindet, zu hinterlegen.
(2) Von der Hinterlegung ist der Empfänger schriftlich zu verständigen. Die Verständigung ist in den für die Abgabestelle bestimmten Briefkasten (Briefeinwurf, Hausbrieffach) einzulegen, an der Abgabestelle zurückzulassen oder, wenn dies nicht möglich ist, an der Eingangstüre (Wohnungs-, Haus-, Gartentüre) anzubringen. Sie hat den Ort der Hinterlegung zu bezeichnen, den Beginn und die Dauer der Abholfrist anzugeben sowie auf die Wirkung der Hinterlegung hinzuweisen.
(3) Die hinterlegte Sendung ist mindestens zwei Wochen zur Abholung bereitzuhalten. Der Lauf dieser Frist beginnt mit dem Tag, an dem die Sendung erstmals zur Abholung bereitgehalten wird. Hinterlegte Sendungen gelten mit dem ersten Tag dieser Frist als zugestellt. Sie gelten nicht als zugestellt, wenn sich ergibt, dass der Empfänger oder dessen Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird die Zustellung an dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag innerhalb der Abholfrist wirksam, an dem die hinterlegte Sendung behoben werden könnte.
(4) Die im Wege der Hinterlegung vorgenommene Zustellung ist auch dann gültig, wenn die im Abs. 2 oder die im § 21 Abs. 2 genannte Verständigung beschädigt oder entfernt wurde."
Zustellungen im gegenständlichen Verwaltungsverfahren an den Beschwerdeführer wurden (ausnahmslos) an der Anschrift 1070 Wien, Zollergasse 15, vorgenommen. Zustellungen sind ortsgebundene Vorgänge, die - von hier nicht maßgeblichen Ausnahmen abgesehen - nur an einer Abgabestelle vorgenommen werden dürfen. Die belangte Behörde hat sich allerdings damit, ob die Anschrift 1070 Wien, Zollergasse 15, im Zeitpunkt der Zustellungen eine Abgabestelle war und damit für Zustellungen an den Beschwerdeführer zur Verfügung stand, nicht auseinandergesetzt.
Im Beschwerdefall ist in sachverhaltsmäßiger Hinsicht nicht zweifelhaft, dass der Beschwerdeführer an dieser Anschrift keine Wohnung, sonstige Unterkunft, Betriebsstätte, Sitz, Geschäftsraum, Kanzlei oder Arbeitsplatz besaß. Vielmehr hat die belangte Behörde (am 31. Juli 2003) eine Anfrage aus dem zentralen Melderegister eingeholt, der zu entnehmen ist, dass der Beschwerdeführer unter der Anschrift 1070 Wien, Zollergasse 15, seit 13. März 2003 mit der "Wohnsitzqualität obdachlos" gemeldet war. Die Begründung im angefochtenen Bescheid, es gebe keine Hinweise auf eine Ortsabwesenheit des Beschwerdeführers während des Zustellvorganges, ist von daher nicht nachvollziehbar bzw. offenkundig unrichtig.
Ausgehend davon, dass der Beschwerdeführer an der Zustellanschrift als Obdachloser gemeldet war, wird die belangte Behörde zu prüfen und festzustellen haben, ob der Beschwerdeführer im Sinne von § 19a Abs. 1 Meldegesetz 1991 an der Zustellanschrift tatsächlich eine Kontaktstelle hatte und für diese die Voraussetzungen des § 19a Abs. 2 leg. cit. erfüllt waren.
Sollte eine dieser Fragen zu verneinen sein, so war die Hinterlegung des erstinstanzlichen Bescheides am 20. Mai 2003 wirkungslos. Bei Bejahung beider Fragen wird sich im fortgesetzten Verfahren die Notwendigkeit einer - in den Überlegungen der belangten Behörde bisher fehlenden - Auseinandersetzung mit dem Zusammenspiel zwischen den Voraussetzungen einer wirksamen (oder durch eine "Rückkehr" des Empfängers an die Abgabestelle wirksam werdenden) Hinterlegung nach § 17 Zustellgesetz einerseits und der gesetzlichen Fiktion einer Abgabestelle in § 19a Meldegesetz 1991 andererseits ergeben.
Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil es in diesen Vorschriften keine Deckung findet.
Wien, am 24. Mai 2005
Schlagworte
Besondere Rechtsgebiete Verfahrensbestimmungen BerufungsbehördeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2005:2003010621.X00Im RIS seit
23.06.2005