Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 3. Dezember 1982 in einem verstärkten Senat unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Breycha und in Gegenwart des Präsidenten des Obersten Gerichtshofes Prof. Dr. Hartmann, des Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Obauer sowie der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Keller, Dr. Faseth, Dr. Bernardini, Dr. Müller, Dr. Kral, Dr. Kießwetter, Hon. Prof. Dr. Steininger und Dr. Lachner als Richter und des Richteramtsanwärters Dr. Hankiewicz als Schriftführer in der Strafsache gegen Gerhard A und Georg B wegen des Verbrechens des Mißbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs. 1 StGB über die vom Angeklagten Gerhard A gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 23. Juni 1982, GZ 5 c Vr 1062/82-14, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung der Vorträge der Berichterstatter, Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Steininger und Dr. Lachner, der Ausführungen des Verteidigers Rechtsanwalt Dr. Pirker und der Ausführungen des Generalprokurators Dr. Schmied zu Recht erkannt:
Spruch
Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil in Ansehung des Angeklagten Gerhard A sowie gemäß § 290 Abs. 1 StPO auch in Ansehung des Angeklagten Georg B aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurden der 20-jährige Gerhard A und der 32-jährige Georg B des Verbrechens des Mißbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs. 1 StGB schuldig erkannt und hiefür zu (bedingt nachgesehenen) Freiheitsstrafen verurteilt.
Nach dem Inhalt des Schuldspruchs haben die beiden Angeklagten in Wien als Beamte, nämlich als Paketverlader beim Postamt 1103 (Wien-Südbahnhof) mit dem Vorsatz, Absender und Empfänger von Paketen an ihren Rechten auf deren ordnungsgemäße postalische Beförderung zu schädigen, ihre Befugnis, im Namen des Bundes als dessen Organe in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, wissentlich dadurch mißbraucht, daß sie aus zur Beförderung bestimmten Paketen, die Gerhard A aufgerissen hatte, Gegenstände an sich nahmen, und zwar 1. Georg B am 18. Dezember 1981 eine Videokassette und 36 Stück S***-AKKU (letztere im Wert von je 32,50 S);
2. Gerhard A in wiederholten Angriffen zwischen dem 1. und dem 18. Dezember 1981 ein Kameragehäuse Yashica FX-D Quartz, Seriennummer 090289, einen Kameratragriemen in einem Plastiksäckchen, 54 Monozellen Rechargeable S***-Voltzabloc in 6 Plastiksäckchen, ein Plastiksäckchen mit Elektronik-Bauteilen, Bezeichnung 500 BC 237 b, ein Plastiksäckchen mit Elektronik-Bauteilen, Bezeichnung 500 BC 307 b, einen BIC-Kugelschreiber, ein Paket Kaugummi, 1 Paket Schokolade, einen Nylonsack mit Kondensatoren, drei Originalsäcke mit Kondensatoren, einen Originalsack mit Mikroprozessoren, vier Originalsäcke mit Transistoren, eine Bedienungsanleitung für Yashica FX-D Quartz, zwei Streifen mit Dioden, einen Streifen Widerstände, einen Fotoapparat Marke Canon AD-1
Nr 1247707 mit Tragriemen, einen Fotoapparat Marke Canon A-1 Nr 919602, ein Blitzlicht Marke Philips Flash-P 28 Computer, einen Taschenradio Marke Sony, zwei Taschenrechner Marke Canon Card LC 20, vier Stück bespielte Musikkassetten, vier Stück Gasfeuerzeuge (Wegwerffeuerzeuge) Marke 'BIC', ein schwarzes Brillenetui Marke Polaroid, drei Stück Filzschreiber Marke Paper-Mate, einen Kugelschreiber mit Etui, Marke Ballograf, eine Filmkamera Marke Eumig 860 und einen Fotoapparat Marke Canon Type A-V-1, Gehäusenummer 862048, Objektivnummer 263561 samt Betriebsanleitung. Das Schöffengericht stellte hiezu fest, daß die Angeklagten Gerhard A und Georg B im Dezember 1981 als Vertragsbedienstete der Post im Verladedienst des Postamts Wien-Südbahnhof tätig waren, wobei ihre Aufgabe darin bestand, zur Postbeförderung bestimmte Pakete in Transportmittel zu verladen. Der Angeklagte A riß in der Zeit zwischen 1. und 18. Dezember 1981 wiederholt derartige Pakete auf und eignete sich daraus Gegenstände an. Am 18. Dezember 1981 unternahm er eine derartige Spoliierung in Gegenwart des Angeklagten B, der aus dem betreffenden Paket eine Videokassette und 36 Akkumulatoren an sich brachte.
Der Angeklagte Gerhard A bekämpft den Schuldspruch, gestützt auf die Z 10 des § 281 Abs. 1 StPO, mit Nichtigkeitsbeschwerde; hinsichtlich des Angeklagten Georg B ist das Urteil in Rechtskraft erwachsen. Der Beschwerdeführer macht geltend, daß die ihm angelastete Tat nicht als Mißbrauch der Amtsgewalt, sondern als Diebstahl unter Ausnützung einer Amtsstellung zu beurteilen sei, weil es sich bei der von ihm anläßlich des deliktischen Verhaltens ausgeübten Tätigkeit um kein von ihm als Organ des Bundes in Vollziehung der Gesetze vorgenommenes Amtsgeschäft gehandelt habe, sodaß in diesem Zusammenhang ein Mißbrauch amtlicher Befugnisse im Sinne des § 302 Abs. 1 StGB nicht angenommen werden könne.
Rechtliche Beurteilung
Der Nichtigkeitsbeschwerde kommt im Ergebnis Berechtigung zu. Die in der Beschwerde aufgeworfene Subsumtionsfrage ist seinerzeit in einem ähnlich gelagerten Fall vom Obersten Gerichtshof mit der Entscheidung eines verstärkten Senats vom 18. Mai 1978, 10 Os 117/77
(SSt 49/32 = EvBl 1978/
136 = JBl 1979, 43 = RZ 1978/63 = ÖJZ-LSK 1978/234-238), dahin
entschieden worden, daß ein als Elektrokarrenfahrer im Verladedienst tätiger Postbediensteter, der bei der Paketumleitung ein Paket mit einem Rollwagen wegführt, um die im Paket enthaltenen Werte zu stehlen, und den Wagen an einer ihm für dieses Vorhaben als geeignet erscheinenden Örtlichkeit abstellt, an der er sodann die Sendung an sich brachte, wegen Mißbrauchs der Amtsgewalt haftet, weil 1. derjenige, der bei der Post mit der Paketbeförderung befaßt ist, mit Aufgaben der Bundesverwaltung betraut und daher Beamter ist, 2. die Paketbeförderung durch die Post in Vollziehung der Gesetze erfolgt,
3. Befugnis nicht mehr als Erlaubnis bedeutet, worunter auch die Berechtigung zu bloß tatsächlichen Verrichtungen zu verstehen ist, und auch Beamte mit genau determinierten Agenden zu deren Erledigung befugt sind, 4. Amtsgeschäfte alle Verrichtungen sind, die zur unmittelbaren Erfüllung der Vollziehungsaufgaben eines Rechtsträgers dienen, also zum eigentlichen Gegenstand des jeweiligen Amtsbetriebs gehören und für die Erreichung der amtsspezifischen Vollziehungsziele sachbezogen relevant sind, sohin auch Verrichtungen rein tatsächlicher Art, wie sie die manuellen Tätigkeiten bei der Paketbeförderung durch die Post darstellen, und
5. Mißbrauch der Amtsgewalt auch durch ein Verhalten begangen werden kann, das den Tatbestand einer allgemein strafbaren Handlung erfüllt, sofern es sich wenigstens phasenweise als Ausübung der (damit mißbrauchten) Befugnis zur Vornahme von Amtsgeschäften darstellt; dies treffe auf die (dort) inkriminierten Tathandlungen zu, da die dem diebischen Zugriff vorangegangenen, das zu befördernde Paket betreffenden manipulativen Verrichtungen des Täters objektiv ein in seine funktionelle Kompetenz fallendes Amtsgeschäft dargestellt haben und subjektiv bereits (auch) auf eine Beförderungsvereitelung und damit auf Schädigung des Absenders an seinem Recht auf ordnungsgemäße postalische Behandlung des Pakets abgestellt gewesen sind.
Der aus diesen Rechtssätzen abgeleiteten Auffassung, das gesamte, letztlich im widerrechtlichen Aufreißen von zur Postbeförderung bestimmten Paketen und in der anschliessenden Zueignung von Gegenständen daraus gipfelnde Verhalten eines mit manuellen Verrichtungen bei der Paketbeförderung befaßten Postbediensteten sei wenigstens in der Anfangsphase als Ausübung der dem Beamten zustehenden Befugnis zur Vornahme von Amtsgeschäften und damit in jedem Fall als Befugnismißbrauch im Sinne des § 302 Abs. 1 StGB zu beurteilen, kann nicht beigetreten werden.
Dies aus folgenden Erwägungen:
Nicht in Zweifel zu ziehen ist, daß derjenige, der bei der Post mit der Paketbeförderung befaßt ist, mit Aufgaben der Bundesverwaltung betraut, mithin Beamter im Sinne des § 74 Z 4 zweiter Fall StGB ist und als solcher Deliktssubjekt eines Mißbrauchs der Amtsgewalt sein kann, daß weiters die postspezifischen Tätigkeiten (§ 9 PostG) in Vollziehung der Gesetze, somit im Bereich der Hoheitsverwaltung erfolgen (Art 23 Abs. 5 B-VG), und daß schließlich der Begriff 'Amtsgeschäfte' in § 302 Abs. 1 StGB nicht auf Rechtshandlungen beschränkt ist. Entscheidendes Kriterium für den Mißbrauch der Amtsgewalt ist aber, daß der Beamte das inkriminierte Tatverhalten in Ausübung (und als Ausfluß) einer ihm zustehenden Befugnis, namens des Rechtsträgers als dessen Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte in der Bedeutung des § 302 Abs. 1 StGB vorzunehmen, gesetzt hat, sein Verhalten demnach in einem engen (äußeren und inneren) Zusammenhang mit den von ihm (als Organ des betreffenden Rechtsträgers) zu besorgenden Aufgaben steht, was gerade bei bloß manuellen Verrichtungen (wie sie die Tätigkeit eines Paketverladers darstellt, die der Erbringung bloß faktischer Leistungen im Rahmen des Postbetriebs /der Betriebsverwaltung der Post/ dient /vgl § 4 PostG und Schaginger/Trpin, Postgesetz und Postordnung, 10, 18, 19/) strikt einzelfallbezogen zu prüfen ist. Denn ob ein Beamter 'in Vollziehung der Gesetze' oder in Erfüllung sonstiger Verwaltungsaufgaben (also in seiner Eigenschaft als Organ einer Körperschaft) tätig wird oder aber eigenverantwortlich als Privatperson handelt (vgl Loebenstein/Kaniak, Kommentar zum Amtshaftungsgesetz, 36), kann nur von Fall zu Fall unter Berücksichtigung des gesamten (konkreten) Verhaltens beurteilt werden, das der Beamte gesetzt hat. Tatsächliche Verhaltensweisen eines Beamten im Amt, die ihrer Art nach nicht Ausübung der dem Beamten im Rahmen der Hoheitsverwaltung eingeräumten Befugnis zur Vornahme faktischer Organhandlungen sind, weil sich diese auf derartige Verrichtungen nicht erstreckt, können demnach nicht Befugnismißbrauch sein, mögen sie auch unter Ausnützung einer (sich auf andere manipulative Tätigkeiten beziehenden) Befugnis geschehen, die aber als Beurteilungskriterium außer Betracht zu bleiben hat. Im vorliegenden Fall waren der Beschwerdeführer und der Mitangeklagte Georg B als Paketverlader am Postamt Wien-Südbahnhof kraft Amts (nur) befugt, die zur Postbeförderung bestimmten Pakete in Transportmittel zu verladen; eine darüber hinausgehende Erlaubnis zur Vornahme postbehördlicher Akte hatten sie indessen nicht. Das ihnen vorgeworfene Tatverhalten (Aufreißen von Paketen, Ansichbringen von Gegenständen daraus) steht in keiner Phase in dem nach dem oben Gesagten erforderlichen Zusammenhang mit einer ihnen zustehenden hoheitlichen Verwaltungsbefugnis; es stellt sich vielmehr als eine dem ihnen zugewiesenen Vollziehungsbereich fremde Handlungsweise dar, sodaß es nicht als Befugnismißbrauch im Sinne des § 302 Abs. 1 StGB beurteilt werden kann. Daß die Angeklagten zur Tatbegehung die ihnen durch ihr Amt eingeräumten tatsächlichen Möglichkeiten ausgenützt haben, ändert nichts daran, sondern hat nur zur Folge, daß hiedurch die Voraussetzungen des § 313 StGB erfüllt wurden.
Das inkriminierte Tatverhalten kann somit nicht dem Tatbestand des § 302 Abs. 1 StGB unterstellt werden, sondern ist vielmehr als unter Ausnützung einer Amtsstellung begangener Diebstahl zu beurteilen, der vorliegend (unbeschadet der Möglichkeit einer fakultativen Strafschärfung nach § 313 StGB) nach § 127 Abs. 2 Z 3 StGB (vgl hiezu Bertel in WK § 127 Rz 73; Leukauf/Steininger Kommentar2 § 127 RN 89;
abw Kienapfel BT II § 127 RN 296), aber auch nach § 127 Abs. 2 Z 2 StGB (Leukauf/Steininger aaO § 127 RN 82 ff) und gegebenenfalls nach § 127 Abs. 2 Z 1 StGB sowie - in Ansehung des Beschwerdeführers - auch nach § 128 Abs. 1 Z 4 StGB qualifiziert ist.
Das angefochtene Urteil ist daher, wie der Beschwerdeführer im Ergebnis zutreffend rügt, mit Nichtigkeit nach Z 10 des § 281 Abs. 1 StPO behaftet, welcher Nichtigkeitsgrund auch in Ansehung des Mitangeklagten Georg B, der das Urteil nicht bekämpft hat, gegeben ist, was gemäß § 290 Abs. 1 StPO von Amts wegen wahrzunehmen ist.
Eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs in der Sache selbst kann allerdings noch nicht erfolgen, weil die nach Lage des Falls gebotenen Feststellungen über jene tatsächlichen Umstände, von denen die Qualifikation des Diebstahls nach § 127 Abs. 2 Z 1 StGB und beim Angeklagten Gerhard A auch nach § 128 Abs. 1 Z 4 StGB abhängig ist, vom Erstgericht nicht getroffen worden sind (§ 288 Abs. 2 Z 3 zweiter Satz StPO).
Es war daher spruchgemäß zu erkennen.
Anmerkung
E03975European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1982:0120OS00133.82.1203.000Dokumentnummer
JJT_19821203_OGH0002_0120OS00133_8200000_000