Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 27. Jänner 1983 unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Keller, in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kral, Hon. Prof. Dr. Steininger, Dr. Hörburger und Dr. Lachner als Richter sowie des Richteramtsanswärters Dr. Hankiewicz als Schriftführer in der Strafsache gegen Erwin A wegen des Verbrechens nach § 6 Abs 1 SuchtgiftG (aF) und des Vergehens nach § 9 Abs 1 Z 2 SuchtgiftG (aF) über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 25. April 1980, GZ 6 a Vr 8799/76-124, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Kral und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Hauptmann, zu Recht erkannt:
Spruch
In der Strafsache gegen Erwin A wegen Verbrechens nach § 6 Abs 1 SuchtgiftG (aF) und Vergehens nach § 9 Abs 1 Z 2 SuchtgiftG (aF), AZ 6 a Vr 8799/76 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, ist durch das von diesem Gericht eingeleitete und im Sinne des § 180 StVG durchgeführte Verfahren nach gnadenweiser bedingter Entlassung des genannten Verurteilten aus einer Freiheitsstrafe, insbesondere durch den Beschluß dieses Gerichtes vom 25. April 1980
(ON 124), mit dem unter Absehen vom Widerruf der bedingten Nachsicht des Strafrestes die bereits bestimmte Probezeit auf insgesamt 5 Jahre verlängert wurde, das Gesetz in den Bestimmungen des § 411 Abs 1 StPO sowie des § 16 Abs 1 und Abs 2 Z 12 StVG verletzt. Dieser Beschluß sowie die darauf beruhenden Anordnungen und Verfügungen werden aufgehoben.
Text
Gründe:
Mit Entschließung des Bundespräsidenten vom 11.12.1978 (Weihnachtsbegnadigung 1978) wurde der am 2. Juli 1954 geborene Schriftenmaler Erwin A, der zu diesem Zeitpunkt zum Vollzug der über ihn im Verfahren AZ 6 a Vr 8799/76 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien wegen Verbrechens nach § 6 Abs 1 SuchtgiftG (aF) und Vergehens nach § 9 Abs 1 Z 2 SuchtgiftG (aF) verhängten Freiheitsstrafe von 15 Monaten in der Strafvollzugsanstalt Garsten angehalten wurde, mit Wirkung vom 14. Dezember 1978 unter Bestimmung einer Probezeit von 3 Jahren bedingt begnadigt.
Seitens der Strafvollzugsanstalt wurden sowohl das (mit der Prüfung der Voraussetzungen der bedingten Entlassung nach § 46 Abs 1 StGB befaßt gewesene) Kreisgericht Steyr (vgl ON 23, 25 und 26 in dessen Akt 11 b Ns 597/78, nunmehr 11 b Ns 292/82) als auch das Landesgericht für Strafsachen Wien (ON 103, 104 dessen Aktes 6 a Vr 8799/76) vom Gnadenakt mit dem Hinweis verständigt, daß dieser dem Verurteilten mit den Wirkungen der bedingten Entlassung zuteilgeworden war. Letzteres Gericht ließ allerdings am 4. Jänner 1979 dem Verurteilten eine schriftliche Belehrung (ON 105) zukommen, in welcher der Begnadigung die Wirkungen der bedingten Strafnachsicht zugeschrieben wurden. Zur Bestellung eines Bewährungshelfers oder zur Erteilung von Weisungen für die Probezeit wurde kein Anlaß gefunden.
Am 22. August 1979 wurde Erwin A zu AZ 1 U 2537/79
des Strafbezirksgerichtes Wien wegen des (lt ON 123, 124 des Aktes 6 a Vr 8799/76 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien innerhalb der dreijährigen Probezeit, nämlich am 14. Juli 1979, begangenen) Vergehens nach §§ 12, 83 Abs 1
StGB zu einer Geldstrafe verurteilt. Mit Rücksicht auf diese neue Straftat wurde auf Antrag der Staatsanwaltschaft vom 18. März 1980 nach Einvernahme des Verurteilten am 25. April 1980 (der Aktenlage nach) vom Vorsitzenden des Schöffensenates des Landesgerichtes für Strafsachen Wien der Beschluß gefaßt, vom Widerruf der bedingten Strafnachsicht (hinsichtlich des Strafrestes) abzusehen und die bereits bestimmte Probezeit für Erwin A auf 5 Jahre zu verlängern (ON 124 des letzterwähnten Aktes); dieser Beschluß ist in Rechtskraft erwachsen.
Ungeachtet der neuen Straftat (von der das Vollzugsgericht erst durch Beischaffung einer Strafregisterauskunft nach Ablauf der - ursprünglich - dreijährigen Probezeit Kenntnis erlangt hatte), erklärte hingegen das Kreisgericht Steyr in einer Versammlung von drei Richtern mit (gleichfalls in Rechtskraft erwachsenem) Beschluß vom 27. Mai 1982, 11 b Ns 292/82-29, die bedingte Entlassung des Erwin A für endgültig.
Die Einleitung und Durchführung des Verfahrens zur Prüfung eines Widerrufsgrundes bezüglich Erwin A durch das Landesgericht für Strafsachen Wien verletzt das Gesetz in den Bestimmungen des § 411 Abs 1 StPO sowie des § 16 Abs 1, Abs 2 Z 12 StVG:
Rechtliche Beurteilung
Ob das Verfahren nach bedingter Begnadigung dem nach § 495 Abs 1 StPO für den Widerruf der bedingten Strafnachsicht zuständigen Gericht, das in erster Instanz erkannt hat, oder dem nach § 16 Abs 2 Z 12 StVG für den Widerruf und die Endgültigerklärung der bedingten Entlassung zuständigen Vollzugsgericht, dh dem in Strafsachen tätigen Gerichtshof erster Instanz, in dessen Sprengel die Strafe vollzogen wird (§ 16 Abs 1 StVG), allenfalls dem unter den Voraussetzungen des § 179 StVG an die Stelle des letzteren tretenden Gerichtshof, obliegt, hängt von den Wirkungen ab, mit welchen der bedingte Gnadenakt dem Verurteilten zuteilgeworden ist. In dieser Hinsicht wird in den Entschliessungen des Bundespräsidenten regelmäßig auf eines der beiden in Betracht kommenden Rechtsinstitute, nämlich entweder auf die bedingte Strafnachsicht (§ 43 StGB) oder auf die bedingte Entlassung aus einer Freiheitsstrafe (§ 46 StGB), verwiesen. Damit bringt das Staatsoberhaupt in Ausübung der ihm gemäß Art 65 Abs 2 lit c B-VG für Einzelfälle zustehenden Befugnis zur Milderung und Umwandlung der von den Gerichten ausgesprochenen Strafen seinen Willen zum Ausdruck, dem Gnadenakt die Wirkungen des jeweils bezeichneten Rechtsinstitutes sowohl in materiellrechtlicher als auch in formellrechtlicher Hinsicht zu verleihen (vgl JABl 1979/7). Weicht ein Gericht beim Vollzug des Gnadenaktes von der solcherart den Gnadenerweis inhaltlich determinierenden Willenserklärung des Bundespräsidenten ab, so stellt dies einen gesetzwidrigen Eingriff in das gemäß § 411 Abs 1 StPO dem Bundespräsidenten allein zustehende Recht auf eine im Gesetz nicht vorgesehene Nachsicht oder Milderung der Strafe dar.
Dem Wortlaut der (in Ablichtung vorliegenden) Entschließung des Bundespräsidenten über die Weihnachtsbegnadigung 1978 ist zwar kein ausdrücklicher Hinweis auf § 43
oder § 46 StGB zu entnehmen. Der uneingeschränkten Genehmigung des auf (bedingte) Strafrestnachsicht hinsichtlich Erwin A lautenden Vorschlags des Bundesministers für Justiz ist jedoch der Wille des Staatsoberhauptes zu entnehmen, dem Gnadenerweis - auch insoweit vorschlagsgemäß -
die Wirkungen der bedingten Entlassung zu verleihen; denn die Nachsicht eines Strafrestes ist nur in der Vorschrift des § 46 StGB über die bedingte Entlassung aus einer Freiheitsstrafe, nicht aber in der Bestimmung des § 43 StGB über die bedingte Strafnachsicht (vgl hiezu ÖJZ-LSK 1977/22) vorgesehen. In diesem Sinne wurde die Maßnahme auch - übereinstimmend mit der Auffassung des Bundesministeriums für Justiz - von der Strafvollzugsanstalt und vom Vollzugsgericht verstanden.
Für das weitere Verfahren nach der gnadenweisen bedingten Entlassung des Erwin A, insbesondere für die Entscheidung, ob mit Widerruf der bedingten Maßnahme vorzugehen oder hievon abzusehen und allenfalls die Probezeit zu verlängern sei, wäre demnach gemäß § 16 Abs 1 und Abs 2 Z 12 StVG das Kreisgericht Steyr, in dessen Sprengel die Freiheitsstrafe vollzogen wurde, zuständig gewesen. Da es sich nicht ausschließlich um den Vollzug einer Freiheitsstrafe aus einer Strafsache handelte, in der in erster Instanz ein Einzelrichter erkannt hatte, wäre im übrigen die im Falle des § 16 Abs 2 Z 12 StVG ergehende Entscheidung nach § 16 Abs 1 StVG einer Versammlung von drei Richtern zugestanden. Das - nach dem Gesagten schon an sich zu dieser Entscheidung nicht zuständige - Landesgericht für Strafsachen Wien hat jedoch nicht in dieser Zusammensetzung, welche übrigens im Hinblick auf die Vorschriften der §§ 495 Abs 1, 13 Abs 3 StPO auch im Fall einer Entscheidung über den Widerruf einer bedingten Strafnachsicht geboten gewesen wäre, sondern lediglich durch den Vorsitzenden des Schöffensenates allein den Beschluß auf Absehen vom Widerruf und Verlängerung der Probezeit (6 a Vr 8799/76 - ON 124) gefaßt.
Um den Verurteilten vor ungerechtfertigten Nachteilen zu schützen, welche ihm insbesondere aus einem Widerruf der gnadenweisen bedingten Strafrestnachsicht durch das (unzuständige) erkennende Gericht innerhalb der von diesem verlängerten Probezeit oder - selbst nach deren Ablauf - innerhalb der im § 56 StGB bezeichneten Fristen erwachsen könnten (§ 292 letzter Satz StPO) war auf Grund der von der Generalprokuratur erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nicht nur die Gesetzesverletzung festzustellen, sondern auch der gesamte Beschluß und die auf diesem Beschluß beruhenden Anordnungen und Verfügungen aufzuheben.
Anmerkung
E04034European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1983:0120OS00195.82.0127.000Dokumentnummer
JJT_19830127_OGH0002_0120OS00195_8200000_000