TE OGH 1983/2/17 7Ob46/82

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Veröffentlicht am 17.02.1983
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Norm

AKHB Art6 Abs2 litb
VersVG §6 Abs2
VersVG §12 Abs3

Kopf

SZ 56/23

Spruch

Die Obliegenheit des Fahrens mit gültiger Lenkerberechtigung ist auch dann verletzt, wenn die Fahrprüfung bereits abgelegt, die Lenkerberechtigung aber noch nicht erteilt wurde. Der Kausalitätsgegenbeweis kann dann jedoch schon durch den Nachweis erbracht werden, daß sich die Erteilung der Lenkerberechtigung nur aus verfahrenstechnischen Gründen verzögert hatte

Auf die Leistungsfreiheit nach § 12 Abs. 3 VersVG kann der Versicherer verzichten; sie ist nicht von Amts wegen zu prüfen

OGH 17. 2. 1983, 7 Ob 46/82 (OLG Innsbruck 6 R 58/82, LG Feldkirch 2 Cg 301/80)

Text

Der klagende Haftpflichtversicherer begehrt von seinem Versicherungsnehmer im Regreßweg die Bezahlung der an geschädigte Dritte erbrachten Leistungen aus einem Verkehrsunfall, den der Bruder des Beklagten, Miriam G, am 27. 10. 1978 nach Ablegung der Fahrprüfung verschuldete, ohne aber noch im Besitz des Führerscheines zu sein.

Der Erstrichter gab dem Leistungsbegehren statt. Nach seinen Feststellungen hatte der Bruder des Beklagten am 13. und 20. 10. 1978 die zur Erteilung der Lenkerberechtigung für die Gruppen A und B erforderlichen Prüfungen absolviert, sodaß die Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkerberechtigung am 20. 10. 1978 gegeben waren. Die Lenkerberechtigung wurde jedoch erst am 20. 1. 1979 erteilt, ohne daß der Grund der Verzögerung feststellbar wäre. Der Beklagte wußte, daß sein Bruder die Fahrprüfung erfolgreich abgelegt hatte, ebenso aber auch, daß er noch über keine Lenkerberechtigung verfügte. Der Erstrichter konnte nicht feststellen, daß der Bruder des Beklagten das Fahrzeug ohne dessen Willen vor dem Unfall in Besitz genommen und gelenkt habe, und ebensowenig, daß der Unfall auch eingetreten wäre, wenn der Bruder des Beklagten über die Lenkerberechtigung verfügt hätte. Die weiteren Feststellungen des Erstrichters betreffen den Unfallshergang, die geleisteten Zahlungen und eine Klagsaufforderung durch die klagende Partei an den Beklagten vom 16. 7. 1979 iS des § 12 Abs. 3 VersVG, die eingeschrieben aufgegeben und nicht an den Absender zurückgekommen sei.

Nach der Rechtsansicht des Erstrichters habe der Bruder des Beklagten den Unfall allein verschuldet. Die Obliegenheitsverletzung nach Art. 6 Abs. 2 lit. b AKHB liege ungeachtet der abgelegten Fahrprüfung vor, weil die Lenkerberechtigung im Unfallszeitpunkt noch nicht erteilt gewesen sei. Der Beklagte habe nicht bewiesen, daß sein Bruder das Fahrzeug ohne sein Wissen und seinen Willen benützt habe; er habe auch den Kausalitätsgegenbeweis nicht erbracht.

Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil iS der Abweisung des Klagebegehrens ab. Es übernahm zwar die Feststellungen des Erstrichters als unbedenkliches Ergebnis eines mängelfreien Verfahrens, vertrat aber die Rechtsansicht, daß dem Beklagten mit dem Nachweis, daß sein Bruder im Unfallszeitpunkt die Fahrprüfung bereits bestanden hatte und die Voraussetzungen zur Erteilung der Lenkerberechtigung demnach bereits vorgelegen hätten, der Kausalitätsgegenbeweis gelungen sei. Auf das Ablehnungsschreiben nach § 12 Abs. 3 VersVG und die noch nicht hinreichend geklärten Voraussetzungen einer solchen Leistungsfreiheit sei schon mangels Geltendmachung dieses Rechtsgrundes nicht einzugehen.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der klagenden Partei nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Bei der rechtlichen Beurteilung sind die Vorinstanzen zutreffend davon ausgegangen, daß die zum Lenken eines Kraftfahrzeuges auf Straßen mit öffentlichem Verkehr erforderliche Lenkerberechtigung zum Unfallszeitpunkt noch nicht erteilt war, sodaß die Obliegenheit des Art. 6 Abs. 2 lit. b AKHB vom Beklagten, der diese Umstände kannte, verletzt wurde (Prölss - Martin, VVG[22] 962 mwN). Mit Recht hat aber das Berufungsgericht in einem Fall wie dem vorliegenden den Kausalitätsgegenbeweis nach § 6 Abs. 2 VersVG als möglich und hier auch als erbracht angesehen, weil der Lenker im Zeitpunkt des Unfalls die Fahrprüfung bereits bestanden hatte, auch sonst alle Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkerberechtigung vorlagen und damit der Nachweis erbracht wurde, daß die erforderlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und persönlichen Eigenschaften des Lenkers schon auf die im Gesetz vorgeschriebene Weise überprüft waren und bloß die Formalität der Ausstellung der Lenkerberechtigung noch nicht erfüllt war. In einem solchen Fall der Verzögerung der Erteilung der Lenkerberechtigung nicht aus sachlichen, sondern lediglich aus verfahrenstechnischen Gründen kann der Nichtbesitz der Lenkerberechtigung nicht mehr als unfallskausal angesehen werden, weil die Fahrt vor Ausstellung des Führerscheines keine größere Gefahr mit sich brachte als nach Ausstellung desselben (Prölss - Martin aaO 966; SZ 17/82; ebenso RGZ 160, 220, 224 und BGH VersR 1976, 531).

Richtig ist allerdings, daß der dem Versicherungsnehmer obliegende Kausalitätsgegenbeweis in diesem Fall erst als erbracht angesehen werden kann, wenn über die Ablegung der erforderlichen Prüfungen hinaus feststeht, daß auch alle sonstigen Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkerberechtigung bereits im Unfallszeitpunkt vorlagen. Auch daran bestehen aber entgegen der Meinung der Revisionswerberin hier keine Zweifel. Der Erstrichter hat zwar nur festgestellt, daß die Verspätung der Ausstellung der Lenkerberechtigung unerklärlich sei, zumal eine informative telefonische Rücksprache bei der zuständigen Verwaltungsbehörde keine Aufklärung bringen konnte. Aber abgesehen davon, daß dem Bruder des Beklagten die Lenkerberechtigung nach dem streitgegenständlichen schweren, im Zustand der Alkoholisierung verschuldeten Unfall wohl umso weniger erteilt worden wäre, wenn er nicht im Zeitpunkt der Fahrprüfung als verkehrszuverlässig betrachtet wurde, und abgesehen von der als gerichtsbekannt anzusehenden Tatsache, daß die sonstigen Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkerberechtigung, die im Regelfall sogleich nach Ablegung der Fahrprüfung ausgehändigt wird, schon vorher überprüft werden, ergibt sich hier aus dem vom Erstgericht eingesehenen Akt der BH Dornbirn, daß tatsächlich sowohl die körperliche und geistige Eignung des Bruders des Beklagten durch ein ärztliches Gutachten als auch seine Verkehrszuverlässigkeit durch Erhebungen bei der Bundespolizeidirektion Wien (Zentralnachweis gemäß § 78 Abs. 2 KFG), beim Strafregisteramt und bei der örtlichen Sicherheitswache schon rund einen Monat vor dem Unfall dem Gesetz gemäß geprüft wurden. Da die Verwaltungsakten andererseits keinen Hinweis darauf enthalten, daß die Verzögerung der Ausstellung der Lenkerberechtigung nicht bloß einen formellen, sondern einen sachlichen Grund hatte, ist der Beklagte seiner Beweispflicht nachgekommen; es wäre Sache der Revisionswerberin gewesen, allfällige besondere Hindernisse darzutun, die sich auf die Person des Bruders des Beklagten bezogen und deretwegen sich die Ausstellung des Führerscheins (den der Bruder des Beklagten nach dem Unfall wegen seiner eigenen schweren Verletzung offenbar nicht mehr abholen konnte) verzögert haben sollte.

Entgegen der weiteren Meinung der Revisionswerberin ist das Berufungsgericht mit Recht auf die Frage einer allfälligen Leistungsfreiheit der klagenden Partei aus dem Gründe des § 12 Abs. 3 VersVG schon deshalb nicht eingegangen, weil sich die Revisionswerberin im Verfahren erster Instanz auf einen solchen Grund der Leistungsfreiheit nicht berufen hat. Von Amts wegen war ungeachtet der vom Erstrichter hiezu getroffenen Tatsachenfeststellungen auf diesem möglichen Grund der Leistungsfreiheit schon deshalb nicht einzugehen, weil der Versicherer auf die Geltendmachung der Rechtsfolgen des § 12 Abs. 3 VersVG verzichten kann (Prölss - Martin aaO 131 mwN). Darüber hinaus sind sogenannte überschießende Tatsachenfeststellungen des Erstgerichtes auch sonst nicht zu berücksichtigen, wenn sie über den geltend gemachten Klagsgrund hinausgehen (5 Ob 217/75 ua.); es wäre auch eine Urteilsaufhebung zwecks Ergänzung mangelhafter überschießender Feststellungen nicht zulässig (7 Ob 12/77 ua.).

Anmerkung

Z56023

Schlagworte

Fahrprüfung, Obliegenheitsverletzung bei Fahren ohne gültige, Lenkerberechtigung trotz -, Führerschein, s. a. Lenkerberechtigung, Leistungsfreiheit (§ 12 Abs. 3 VersVG), keine Prüfung von Amts wegen, Leistungsfreiheit, Verzicht durch Versicherer, Lenkerberechtigung, gültige, Obliegenheitsverletzung bei Fahren ohne -, trotz Fahrprüfung, Versicherer, Verzicht auf Leistungsfreiheit (§ 12 Abs. 3 VersVG), Versicherungsnehmer, s. a. Versicherer

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1983:0070OB00046.82.0217.000

Dokumentnummer

JJT_19830217_OGH0002_0070OB00046_8200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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