Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 17.Februar 1983
unter dem Vorsitz des Hofrats des Obersten Gerichtshofs Dr. Schneider, in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Müller, Dr. Kießwetter, Dr. Felzmann und Dr. Brustbauer als Richter sowie des Richteramtsanwärters Mag. Hammer als Schriftführers in der Strafsache gegen Thomas A wegen des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 StGB. und anderer strafbarer Handlungen über die vom Angeklagten gegen das Urteil des Kreisgerichts Krems an der Donau als Schöffengerichts vom 10.Februar 1982, GZ. 9 Vr 391/81-38, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde, soweit sie nicht schon in nichtöffentlicher Beratung zurückgewiesen worden ist, und die Berufung nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrags des Berichterstatters, Hofrats des Obersten Gerichtshofs Dr. Müller, der Ausführungen des Verteidigers Dr. Lehner und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalts Dr. Strasser, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird, soweit sie nicht schon in nichtöffentlicher Beratung zurückgewiesen worden ist, verworfen. Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Gemäß § 390 a StPO. fallen dem Angeklagten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Der am 26.Februar 1953 geborene, ehemalige Volksschullehrer und nunmehr als Rezeptionist tätige Thomas A wurde des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs. 1 StGB. (1), des Verbrechens der gleichgeschlechtlichen Unzucht mit Jugendlichen nach § 209 StGB.
(2) und des Vergehens des Mißbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs. 1 StGB. (3) schuldig erkannt.
Der den Schuldsprüchen zu Grunde liegende Sachverhalt ist dem Beschluß des Obersten Gerichtshofs vom 27.Jänner 1983, GZ. 13 Os 161/82-6, zu entnehmen, mit dem die gegen sie erhobene Nichtigkeitsbeschwerde, soweit diese auf die Gründe des § 281 Abs. 1 Z. 1, 3, 4 und 5 StPO. gestützt ist, zurückgewiesen wurde. Gegenstand des Gerichtstags war die Nichtigkeitsbeschwerde, soweit sie den Grund des § 281 Abs. 1 Z. 9 lit. a StPO. geltend macht, und die Berufung des Angeklagten.
Auch die Rechtsrüge versagt. Zum Teil erweist sie sich als nicht der Prozeßordnung gemäß ausgeführt, weil sie nicht von den Tatsachenfeststellungen ausgeht.
Dies gilt für alle jene Beschwerdeeinwände gegen die Schuldsprüche wegen der Verbrechen der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs. 1 (erster und zweiter Fall) StGB. (1) und der gleichgeschlechtlichen Unzucht mit Unmündigen nach § 209 StGB. (2), wonach es zu bloß flüchtigen Berührungen (Betastungen) der Geschlechtsteile einiger Knaben gekommen sei und Konstatierungen, daß der Beschwerdeführer 'nie die Sexualbezogenheit der Handlung wollte' (§ 207 StGB.) und sein Vorsatz auf seine 'eigene sexuelle Erregung' gerichtet gewesen sei, ebenso fehlten wie die Feststellung der 'partnerschaftlichen Sexualbezogenheit' (§ 209 StGB.).
Von einem bloß flüchtigen Berühren oder Betasten der Geschlechtsteile kann jedoch bei sämtlichen vom Erstgericht zum Schuldspruch nach § 207 Abs. 1 StGB. festgestellten Tathandlungen keine Rede sein. Die Manipulationen des Beschwerdeführers an den entblößten Geschlechtsteilen der Knaben haben nämlich zumindest teilweise zur Erektion, aber auch bis zum Samenerguß geführt; überdies liegen dem Beschwerdeführer auch Fälle von manueller, oraler und analer geschlechtlicher Befriedigung zur Last. Im Schuldspruch nach § 209 StGB. (2) hat der Angeklagte ungeachtet der Feststellung auch des Handverkehrs gleichgeschlechtliche Unzucht durch wiederholten Analverkehr, also unzweifelhaft eine partnerschaftliche Geschlechtsbeziehung, mit dem Jugendlichen Günter B getrieben (S. 360). Vom Vorsatz umfaßt waren daher nicht nur die dem § 207 Abs. 1
StGB. unterstellten Unzuchtsakte, sondern auch die nach § 209 StGB. beurteilten, bei welchen, wie sich wohl von selbst versteht, der Vorsatz (§ 5 Abs. 1 StGB.) des Angeklagten auf die eigene (homo-) sexuelle Erregung und Befriedigung oder auf die seines Partners (WK., Rz. 8 zu § 209 StGB.) gerichtet war. So hat denn auch das Erstgericht der Beschwerde zuwider, ausdrücklich als erwiesen angenommen, daß der Angeklagte die festgestellten homosexuellen (masturbatorischen und beischlafsähnlichen) Handlungen beging bzw. veranlaßte, 'um sich selbst geschlechtlich zu erregen und zu befriedigen' (S. 362). Eine Urteilsnichtigkeit nach § 281 Abs. 1 Z. 9
lit. a StPO. macht die Beschwerde, zum Teil mit der Behauptung von Feststellungsmängeln, ferner in Ansehung des Schuldspruchs wegen des (mit den vorgenannten Delikten /zu § 209 StGB. siehe bei Leukauf-Steininger2, RN. 15
und Foregger-Serini, Anm. IV zu § 212 StGB.; a.A. dagegen WK., Rz. 17 zu § 212 StGB. / idealkonkurrierenden) Vergehens des Mißbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs. 1 (erster Fall, zweite Alternative) StGB. (3) geltend.
Auch dies nicht zu Recht.
Wenn der Beschwerdeführer das Bestehen eines Autoritätsverhältnisses und bewußte Ausnützung eines solchen bestreitet, so übersieht er zum einen, daß die Opfer seiner Unzuchtsakte größtenteils Schüler der von ihm unterrichteten Schulklasse waren und daß auch partielle, durch Erziehung, Ausbildung oder Aufsicht außerhalb des eigentlichen Schulunterrichts begründete Autoritätsverhältnisse, wie sie etwa im Rahmen der vom Angeklagten veranstalteten Bäderbesuche oder des von ihm erteilten Nachhilfe- oder Musikunterrichts wirksam waren, für die Tatbildlichkeit nach § 212 Abs. 1, erster Fall, zweite Alternative, StGB.
genügen, dies also auch dann, wenn die betroffenen Knaben nicht von ihm an der Schule unterrichtet wurden (WK., Rz. 9; Leukauf-Steininger2 RN. 5, 6 zu § 212 StGB.). Zum anderen setzt die Ausnützung eines Autoritätsverhältnisses zwar ihrem Wesen nach ein gezieltes, für den Erfolg kausales Täterverhalten im Sinn eines Einsatzes dieser Autorität voraus, sodaß bloße Ausnützung einer sich lediglich im Zusammenhang mit der Stellung des Täters bietenden Gelegenheit nicht ausreichen würde (WK., Rz. 5 bis 7 zu § 212 StGB.), doch hat das Gericht in den vorliegenden Fällen ausdrücklich festgestellt, daß es dem Angeklagten geradezu darauf ankam, das Vertrauen der Kinder zu gewinnen, sich ihnen unter harmlosen Vorwänden und anläßlich begrüßter Aktivitäten, wie Badeausflügen und Privatunterricht, zwanglos körperlich zu nähern und die jeweils heranreifenden Knaben auszusuchen, um sie dann (selbst) näher in homoerotische Praktiken, bis zum Gruppensex, einzuführen (S. 356 ff., 367). Bei einem solchen planmäßig auf die Herbeiführung sexueller Perversionen mit den Knaben ausgerichteten Verhalten eines Lehrers kann aber unter Berücksichtigung der Anschauungen und Erfahrungen des täglichen Lebens (SSt. 50/27) kein Zweifel an einem sowohl dem Angeklagten als auch seinen Opfern bewußten, zumindest schlüssigen (WK., Rz. 6 zu § 212 StGB.) Einsatz des jeweiligen rechtlichen und faktischen, durch die Lehrer-Schüler-Beziehung sei es während der (Schul-) Unterrichtszeit, sei es während des Privatunterrichts oder der vom Angeklagten organisierten Badeausflüge begründeten Abhängigkeitsverhältnisses bestehen. Daher bedurfte es keiner näher spezifizierenden Feststellung etwa von überredungen, Verlockungen, Forderungen oder gar der Anwendung besonderer Druckmittel, welche Verhaltensweisen ja nur beispielsweise als Ausnützung eines Autoritätsverhältnisses im Sinn der zweiten Alternative des ersten Deliktsfalls des § 212 Abs. 1 StGB. gelten (Leukauf-Steininger2, RN. 18 zu § 212 StGB.; Foregger-Serini2, S. 363). Der Einwand, schließlich, es sei keine für den Angeklagten erkennbare Aufsichtspflicht in sittlicher Beziehung vorgelegen, kann sich angesichts des vom Gesetz festgelegten Aufgabenkreises der österreichischen Schule (§ 2 SchulorganisationsG.) und der jahrelangen Ausübung des Lehramts durch den Angeklagten vernünftigerweise überhaupt nur auf die Frage des Autoritätsverhältnisses außerhalb der Lehr- (nicht notwendigerweise Unterrichts-) Zeit beziehen. Indes verkennt der Beschwerdeführer, daß in den Fällen, in denen die minderjährigen, mit einer Ausnahme (2 des Schuldspruchs) sogar unmündigen Schüler auch außerhalb der Schule beim Privatunterricht oder bei Badeausflügen jedenfalls in seiner Obhut standen (§ 212 StGB.
kann selbst nur faktische Autoritätsverhältnisse ohne Anvertrauen erfassen; SSt. 50/27), nach gewöhnlicher, natürlicher Lebensauffassung für ihn ebenfalls die Pflicht zu deren Beaufsichtigung in sittlicher Hinsicht bestand.
Rechtliche Beurteilung
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher, insoweit sie nicht bereits in nichtöffentlicher Beratung zurückgewiesen wurde, zu verwerfen. Das Schöffengericht verhängte über den Angeklagten nach den §§ 207 Abs. 1 und 28 StGB. eine Freiheitsstrafe von drei Jahren. Dabei wertete es erschwerend die Tatbegehung durch lange Zeit in oftmaliger Wiederholung an einer Vielzahl von Unmündigen und das Zusammentreffen zweier Verbrechen mit einem Vergehen, als mildernd nur den bis zu seinen Verfehlungen ordentlichen Lebenswandel des Angeklagten.
Mit seiner Berufung strebt dieser eine Herabsetzung des Ausmaßes der Strafe und ihre bedingte Nachsicht an.
Auch der Berufung bleibt ein Erfolg versagt.
Der darin vertretenen Auffassung von der Wirksamkeit des bisher ordentlichen Lebenswandels 'in doppelter Weise' kann, wenn er bei der Strafausmessung 'mehr als ein bloßer Milderungsgrund' gewertet werden soll, nicht beigetreten werden.
Die Bezugnahme auf die in einem angeblich ähnlichen Straffall verhängte geringere Sanktion versagt, weil die Strafe jeweils individuell nach den besonderen Umständen des Einzelfalls, die einen Vergleich mit anderen Einzelfällen nur bedingt gestatten, zu schöpfen ist. Dem Berufungswerber ist einzuräumen, daß das öffentliche Aufsehen, das die Aufdeckung eines Delikts und die prozessuale Abwicklung eines Straffalls erregt, kein bestimmendes Kriterium für die letztlich dem Täter auferlegte Sanktion sein darf. Wohl aber ist die Strafe in Abwägung der zutreffenden Erschwerungs- und Milderungsgründe zu bemessen und dabei vor allem zu berücksichtigen, inwieweit die Tat auf eine gegenüber rechtlich geschützten Werten ablehnende oder gleichgültige Einstellung des Täters und inwieweit sie auf äußere Umstände oder Beweggründe zurückzuführen ist, durch die sie auch einem mit den rechtlich geschützten Werten verbundenen Menschen naheliegen könnte (§ 32 Abs. 2 StGB.). Da es schlechterdings undenkbar ist, daß das dem Angeklagten zur Last gelegte kriminelle Verhalten auf Motive zurückgeführt werden könnte, die bei einem redlichen Menschen ähnlich wirksam sein könnten, scheidet schon darnach eine milde Tatbeurteilung aus.
Die Vielzahl der Opfer und der deliktischen Angriffe, in der das große Ausmaß der Pflichtverletzung erkennbar wird, ferner die reifliche überlegung, die sorgfältige Vorbereitung und die rücksichtslose Ausführung der Taten, gegen die bei der Heimlichkeit des Geschehens vor den erwachsenen, dem Lehrer vertrauenden Angehörigen der Knaben, wie sich erwies, noch dazu wenig Vorsicht gebraucht werden konnte, erheischen schlechthin eine strenge Bestrafung (§ 32 Abs. 3 StGB.). Bedenkt man dazu die besondere Intensität einzelner Unzuchtsakte, so erscheint die vom Erstgericht geschöpfte Strafe keineswegs überhöht.
Bleibt es aber bei dem Strafausmaß von drei Jahren, dann ist die des weiteren angestrebte bedingte Strafnachsicht unzulässig (§ 43 Abs. 2 StGB.).
Anmerkung
E04048European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1983:0130OS00161.82.0217.000Dokumentnummer
JJT_19830217_OGH0002_0130OS00161_8200000_000