Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrasch, Dr. Wurz, Dr. Warta und Dr. Egermann als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mirko M*****, vertreten durch Dr. Hartmut Mayer, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei I*****- und *****versicherung Aktiengesellschaft, ***** vertreten durch Dr. Manfred Lampelmayer, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung (Streitwert S 61.000), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 28. Oktober 1982, GZ 2 R 179/82-11, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Handelsgerichtes Wien vom 22. Juni 1982, GZ 39 Cg 1/82-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 3.499,80 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 600,-- Barauslagen und S 214,80 USt) binnen 14 Tagen zu bezahlen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger begehrt die Gewährung des Rechtsschutzes aus der bei der beklagten Partei abgeschlossenen Rechtsschutzversicherung für den Verkehrsunfall vom 24. 6. 1980. Dem Versicherungsverhältnis liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB 1965) und die Sonderbedingungen für die Rechtsschutzversicherung zugrunde. Der Kläger hatte den Unfall zunächst nicht bei der beklagten Partei gemeldet und seine Ansprüche an den Verein zur Vorsorge und Hilfe in Schadensfällen (im folgenden nur Verein) abgetreten. Vor Klagseinbringung erfolgte jedoch eine Rückzession. Weil die außergerichtlichen Bemühungen zu keinem den Kläger zufriedenstellenden Ergebnis führten, beauftragte er den Klagevertreter, seine Schadenersatzansprüche aus dem Unfall gerichtlich geltend zu machen. Der Klagevertreter teilte dies mit Schreiben vom 7. 10. 1981 (Beilage C) der beklagten Partei unter gleichzeitiger Übermittlung von Unterlagen, darunter einer Fotokopie der vorbereiteten Klage, mit. Er ersuchte um Zusage der rechtsschutzmäßigen Deckung. Die beklagte Partei lehnte mit Schreiben vom 21. 10. 1981 (Beilage D) eine Übernahme der Kosten der Vertretung des Klägers durch den Klagevertreter ab. Sie wies darauf hin, daß der Kläger die Firma O***** mit der Geltendmachung der Schadenersatzansprüche betraut habe. Diese habe den Klagevertreter beauftragt, die Klage einzubringen. Dieses Vorgehen stelle eine Obliegenheitsverletzung dar. Solange der Kläger vom Verein, der Firma O***** oder dem Klagevertreter vertreten werde, lehne es die beklagte Partei ab, in diesem Versicherungsfall Versicherungsschutz zu gewähren. In seinem Antwortschreiben vom 3. 11. 1981 (Beilage F) bestritt der Klagevertreter eine Obliegenheitsverletzung des Klägers. Mit Rücksicht auf die der beklagten Partei zur Verfügung gestellten Unterlagen, sei diese in der Lage, die geltend gemachten Ansprüche auf ihre Durchsetzbarkeit zu prüfen und ein Vergleichsanbot der gegnerischen Versicherung einzuholen. Über die Annahme des Anbotes habe der Klagevertreter mit seinem Mandanten zu entscheiden. Mit Schreiben vom 24. 11. 1981 (Beilage G) lehnte die beklagte Partei endgültig Versicherungsschutz unter Hinweis auf die mit der Versäumung der Klagefrist nach § 12 Abs 3 VersVG verbundenen Rechtsfolgen ab.
Die beklagte Partei macht Leistungsfreiheit geltend. Der Kläger habe sich zur Verfolgung seiner Ansprüche nicht eines von ihr beauftragten Rechtsanwaltes bedient (Art 4 lit g ARB 1965). Der Kläger habe der beklagten Partei das ihr nach Art 7 Abs 3 lit a ARB 1965 zustehende Recht, bei Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen Erhebungen über den mutmaßlichen Erfolg der von ihm beabsichtigten Rechtsverfolgung anzustellen und zunächst auf einen Vergleich mit der Gegenseite hinzuwirken, dadurch genommen, daß er seine Ansprüche an den Verein abgetreten und diesen mit der Geltendmachung seiner Ansprüche beim Haftpflichtversicherer des Unfallsgegners beauftragt habe. Erst nach dem Scheitern der Vergleichsverhandlungen habe sich der Kläger an die beklagte Partei gewandt.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es vertrat die Auffassung, daß der Kläger durch sein Verhalten seine Obliegenheit nach Art 4 lit g ARB 1965 verletzt habe, sich zur Verfolgung seiner Ansprüche eines vom Versicherer beauftragten Rechtsanwaltes zu bedienen. Der Kläger habe vorsätzlich gehandelt. Er habe die beklagte Partei erst nach der Auftragserteilung an den Klagevertreter und nach dem Scheitern der außergerichtlichen Bemühungen verständigt. Er habe trotz des Hinweises auf seine vertraglichen Verpflichtungen den Auftrag an den Klagevertreter nicht widerrufen. Der vom Kläger erteilte Auftrag habe der beklagten Partei die ihr nach Art 7 Abs 3 lit a ARB 1965 zustehende Möglichkeit genommen. Der Verlust dieser Möglichkeit könne für die beklagte Partei von Nachteil sein. Die für einen derartigen Verstoß vereinbarte Leistungsfreiheit sei durch den Präventions- und Garantiezweck der Verwirkungsabrede gedeckt.
Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Es teilte die Auffassung des Erstgerichtes, der Kläger habe eine Obliegenheitsverletzung nach Art 4 lit g ARB 1965 begangen, nicht. Der Kläger habe sich vor der Ablehnung seines Ansuchens um Deckung durch die beklagte Partei am 21. 10. 1981 nicht eines nur von ihm beauftragten Rechtsanwaltes zur Verfolgung seiner Ansprüche bedient. Die beklagte Partei habe auch nicht behauptet, der Klagevertreter hätte schon vorher Vergleichsverhandlungen geführt. Dieser habe nur Informationen aufgenommen und die Klage vorbereitet. Mit dem Schreiben vom 7. 10. 1981 sei nur in der Person des Klagevertreters ein Rechtsanwalt im Sinne des Art 6 Abs 2 ARB 1965 vorgeschlagen worden. Ein Verstoß nach Art 4 lit g ARB 1965 liege nur dann vor, wenn sich der Versicherungsnehmer nach außen hin eines nicht vom Versicherer beauftragten Rechtsanwaltes bediene. Der Versicherungsnehmer müsse jedoch vor Beginn der Verfolgung seiner Ansprüche entscheiden, ob er des Versicherungsschutzes teilhaftig werden oder seinen Anspruch auf andere Weise verfolgen wolle. Entscheide er sich für die Rechtsschutzversicherung, so habe er unverzüglich nach Eintritt des Versicherungsfalles diesen dem Versicherer anzuzeigen. Nur bei unverzüglicher Unterrichtung des Versicherers könne dieser mit Aussicht auf Erfolg nach Art 7 Abs 3 lit a ARB 1965 vorgehen. Der Kläger habe aber nach Eintritt des Versicherungsfalles die beklagte Partei nicht unverzüglich eingeschaltet. Inzwischen hätten Vergleichsgespräche - offenbar durch den Verein - stattgefunden. Solche Vergleichsverhandlungen könnten die Interessen des Versicherers gefährden, weil er außerstandgesetzt werde, die Sache nach seinen Vorstellungen zu führen. Dem Kläger falle daher die Verletzung seiner nach Eintritt des Versicherungsfalles zu erfüllenden Obliegenheit nach Art 6 Abs 1 ARB 1965 zur Last. Mangels einer gegenteiligen Behauptung sei davon auszugehen, daß der Kläger die Obliegenheitsverletzung vorsätzlich begangen habe.
Gegen das Urteil der zweiten Instanz richtet sich die Revision des Klägers aus dem Anfechtungsgrund des § 503 Z 4 ZPO mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise stellt der Kläger einen Aufhebungsantrag. Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Nach Art 4 lit g ARB 1965 entfällt der Versicherungsschutz, wenn sich der Versicherte zur Verfolgung seiner Ansprüche ....... nicht eines vom Versicherer beauftragten Rechtsanwaltes bedient. Es handelt sich bei dieser Bestimmung entgegen ihrer Überschrift "Ausschlüsse" um eine (versteckte) Obliegenheit des Versicherungsnehmers (SZ 47/116;
VersR 1973, 979). Obliegenheiten schreiben dem Versicherungsnehmer
bestimmte Verhaltensweisen zur Erhaltung seines
Versicherungsanspruchs vor. Er muß bestimmte Handlungs- oder
Unterlassungspflichten beachten, wenn er seinen Versicherungsschutz
nicht verlieren will. Ob eine Obliegenheit oder eine
Risikobeschränkung anzunehmen ist, richtet sich nach dem materiellen
Inhalt der Versicherungsbedingung. Diese ist in ihrem Zusammenhang
mit anderen Bedingungen und dem damit verfolgten Zweck zu beurteilen
(VersR 1967, 774). Nach Art 3 ARB 1965 umfaßt der Versicherungsschutz
in den unter Art 1 genannten Fällen - zu denen der gegen den
Unfallsgegner erhobene Anspruch unbestrittenermaßen gehört - die zur
Wahrung der rechtlichen Interessen notwendigen außergerichtlichen und
gerichtlichen Maßnahmen. Aus Art 7 Abs 3 ARB 1965 geht hervor, daß
die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen auch die Durchführung
von Vergleichsverhandlungen mitumfaßt. Das Recht zur Führung solcher
Vergleichsverhandlungen steht dem Versicherer zu, sobald er dem
Grunde nach in den Versicherungsfall eintritt. Aus diesen
Bestimmungen ergibt sich, daß dem Versicherungsnehmer, will er
Versicherungsschutz beanspruchen, die Art der Anspruchsverfolgung
nicht freigestellt ist. Er muß sich vor Beginn der Verfolgung seiner
Ansprüche entscheiden, ob er des Versicherungsschutzes teilhaftig
werden will (SZ 47/116). Will er dies, hat er den Versicherungsfall
nach Art 6 dem Versicherer anzuzeigen. Er kann hiebei einen
Rechtsanwalt vorschlagen. Er hat jedoch in der Regel die
Eintrittserklärung des Versicherers abzuwarten und bei Eintritt des
Versicherers in den Versicherungsfall dem Grunde nach dem Versicherer
auch die Führung von Vergleichsgesprächen zu überlassen. Die
Obliegenheit nach Art 4 lit g ARB 1965 verbietet dem
Versicherungsnehmer daher nicht nur, sich keines anderen als des vom
Versicherer beauftragten Rechtsanwaltes zu bedienen. Der
Versicherungsnehmer darf sich zur Verfolgung seiner Ansprüche auch
keines anderen berufsmäßigen Parteienvertreters bedienen. Dies ergibt
sich auch schon aus dem Wortlaut des Art 4 lit g "wenn sich der
Versicherte zur Verfolgung seiner Ansprüche ....... nicht eines vom
Versicherer beauftragten Rechtsanwaltes bedient", statt "wenn sich
der Versicherte .... eines nicht vom Versicherer beauftragten
Rechtsanwaltes bedient". Es kommt daher im vorliegenden Fall dem Umstand keine Bedeutung zu, daß der Klagevertreter nach außen hin für den Kläger noch nicht tätig geworden war. Dem Kläger fällt somit eine Verletzung der Obliegenheit nach Art 4 lit g ARB 1965 zur Last, weil er vor Geltendmachung des Rechtsschutzes durch einen anderen Bevollmächtigten als einen durch die beklagte Partei beauftragten Rechtsanwalt eine Bereinigung der Sache mit dem Unfallsgegner versuchte. Derartige unmittelbare Verhandlungen können tatsächlich die Interessen des Versicherers gefährden, weil er außerstandgesetzt wird, die Sache nach seinen Vorstellungen zu führen. Der Rechtsschutzversicherte muß sich an die Obliegenheit des Art 4 lit g ARB 1965 halten und darf dem Versicherer die Verhandlungsführung nicht aus der Hand nehmen, wenn er auf den Versicherungsschutz nicht verzichten will (SZ 47/116). Der Meinung Pfersmanns (ÖJZ 1982, 94) kann nicht beigetreten werden. Der § 9 VAG richtet sich an die Aufsichtsbehörde; eine Änderung der Versicherungsbedingungen wurde durch ihn nicht bewirkt.
Nach Art 10 ARB 1965 in Übereinstimmung mit § 6 VersVG ist der Versicherer von der Verpflichtung zur Leistung frei, wenn die Verletzung einer Obliegenheit, die vom Versicherungsnehmer nach Eintritt des Versicherungsfalles zu erfüllen ist, auf Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit beruht. Nur bei grob fahrlässiger Verletzung bleibt der Versicherer zur Leistung insoweit verpflichtet, als die Verletzung weder auf die Feststellung des Versicherungsfalles noch auf die Feststellung oder den Umfang der dem Versicherer obliegenden Leistung Einfluß gehabt hat. Bei Vorsatz, d.i. bei bewußter und gewollter Verletzung der Obliegenheit, ist hingegen die Kausalität der Obliegenheitsverletzung in bezug auf die Feststellung oder den Umfang der dem Versicherer obliegenden Leistung nicht zu prüfen. Die Leistungsfreiheit tritt in diesem Fall bedingungslos ein. Es ist ferner ständige Rechtsprechung, daß der Versicherer bloß den objektiven Tatbestand der Obliegenheitsverletzung zu beweisen hat, während die Beweislast für mangelndes Verschulden den Versicherten trifft (SZ 47/116 mwN). Der Kläger hätte daher ein entsprechendes Sachvorbringen in erster Instanz erstatten müssen. Er hätte insbesondere darlegen müssen, wieso die Inanspruchnahme eines selbst gewählten Vertreters für die außergerichtlichen Vergleichsgespräche vor der Anzeige des Versicherungsfalles an den Versicherer ohne das Bewußtsein des Vorhandenseins der Verhaltensnorm erfolgt sein soll. Der Hinweis des Revisionswerbers darauf, daß das Verfahren keine Anhaltspunkte für "eine überschießende Innentendenz" ergeben habe, ist daher nicht zielführend. Zu Unrecht beruft sich der Kläger auch auf Art 6 Abs 1 VersVG, weil sich diese Bestimmung nur auf die Verletzung von vor dem Eintritt des Versicherungsfalles zu erfüllenden Obliegenheiten bezieht.
Demgemäß ist der Revision ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 41, 50 ZPO.
Anmerkung
E74017 7Ob1.83European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1983:0070OB00001.83.0414.000Dokumentnummer
JJT_19830414_OGH0002_0070OB00001_8300000_000