Norm
ABGB §364Kopf
SZ 56/94
Spruch
Bestehen zwischen Nachbarn vertragliche oder öffentlichrechtliche Beziehungen, sind nur diese für daraus entstehende Ersatzansprüche für Schäden maßgebend; nachbarrechtliche Ausgleichsansprüche bestehen dann nicht
OGH 15. 6. 1983, 1 Ob 16/83 (OLG Innsbruck 1 R 337/82; LG Innsbruck 5 Cg 158/82)
Text
Die klagende Partei ist Eigentümerin des Grundstückes 1600/4 der EZ 646 II KG H., auf dem sie eine Wohnhausanlage errichtet. Die beklagte Stadtgemeinde Innsbruck übernahm vertraglich die Herstellung einer Hausanschlußleitung zu der Hauptwasserleitung, die auf dem an das Grundstück der klagenden Partei angrenzenden, im Eigentum der beklagten Partei stehenden Grundstück 1678/16 verläuft. Die Durchführung der für die Herstellung der Anschlußleitung erforderlichen Grabungsarbeiten übertrug die beklagte Partei der Nebenintervenientin. Diese legte um den 23. 10. 1980 die Hauptwasserleitung frei und hob einen Anschlußgraben zur Wohnhausanlage aus. Am 25. 10. 1980 brach die Hauptwasserleitung, sodaß in die in Bau befindliche Wohnhausanlage Wasser eindrang und an den Installationsanlagen Schäden verursachte. Nach dem Vorbringen der klagenden Partei entstand der Rohrbruch an jener Stelle der Hauptwasserleitung, an der der Anschluß zu ihrem Objekt hergestellt werden sollte.
Die Hauptwasserleitung der beklagten Partei war im Jahre 1965 errichtet worden. Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Tirol vom 16. 3. 1976 war ihr die Wassernutzung der Venus- und der Ölbergquelle sowie die Errichtung und Erhaltung verschiedener Gravitationsleitungen von den Hochbehältern Armenhaus und Almtal und verschiedener Versorgungsleitungen zu im Bescheid angeführten Grundstücken, darunter auch das Grundstück 1678/16, bewilligt worden.
Die klagende Partei behauptet einen Schaden von 64 211.60 S, dessen Ersatz sie, allein gestützt auf die nachbarrechtlichen Bestimmungen der §§ 364 ff. ABGB, begehrt.
Die beklagte Partei bestreitet unter Berufung auf § 26 WRG eine Haftung nach nachbarrechtlichen Bestimmungen. Bei der von ihr betriebenen Wasserversorgungsanlage handle es sich um eine öffentlich-rechtlich genehmigte Wasserbenutzungsanlage. Diese diene der Trinkwasserversorgung, die die beklagte Partei im Rahmen der Hoheitsverwaltung durchführe. Sofern der klagenden Partei überhaupt ein Schadenersatzanspruch zustehe, sei dieser nach dem Amtshaftungsgesetz geltend zu machen.
Das Erstgericht schränkte das Verfahren auf den Grund des Anspruchs ein. Es wies das Klagebegehren ab. Da es sich bei der Hauptwasserleitung um eine genehmigte Wasserbenutzungsanlage handle, komme die Bestimmung des § 26 Abs. 1 WRG zur Anwendung. Danach sei die Verpflichtung des Wasserberechtigten zum Ersatz von Schäden, die aus dem Bestand oder dem Betrieb einer Wasserbenutzungsanlage entstunden, nach den Vorschriften des 30. Hauptstückes des ABGB zu beurteilen. Die nachbarrechtlichen Bestimmungen, auf die die klagende Partei ihren Anspruch ausschließlich stütze, könnten daher nicht herangezogen werden.
Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil dahin ab, daß es mit Zwischenurteil die Klagsforderung als dem Gründe nach zu Recht bestehend erkannte. Die nachbarrechtlichen Bestimmungen nach den §§ 364 ff. ABGB und die Bestimmungen des § 26 WRG stunden miteinander in Konkurrenz. Die Ersatzansprüche seien jeweils gegen verschiedene Anspruchsgegner gerichtet, nach § 26 Abs. 1 WRG gegen den Wasserberechtigten, nach § 364 ABGB gegen den Gründeigentümer, den dinglich Berechtigten oder den Bestandnehmer. Der Wasserberechtigte müsse mit dem Gründeigentümer iS des § 364 ABGB nicht ident sein. Der Gründeigentümer sei für die von einem Dritten verursachten Immissionen verantwortlich, wenn er sie dulde, obwohl er sie zu hindern imstande wäre. Im vorliegenden Fall sei die Nebenintervenientin im Auftrag der beklagten Partei tätig geworden. Die beklagte Partei habe als Besteller des Werkes die Möglichkeit der Einflußnahme auf eine den Erfordernissen des Schutzes fremden Eigentums Rechnung tragende Vorgangsweise bei Herstellung des Werkes gehabt. Eine vom Verschulden unabhängige Haftung sei nach Nachbarrecht jedenfalls immer dann gegeben, wenn eine analoge Anwendung des § 364 a ABGB gerechtfertigt sei. Dies sei hier der Fall. Grabungsarbeiten, wie sie von der beklagten Partei bestellt worden seien, stellten eine gewisse Gefahrenlage dar. Die Schadensfolgen auf dem Nachbargrundstück seien objektiv kalkulierbar gewesen. Die Haftung der beklagten Partei sei daher nach § 364 a ABGB gegeben, ohne daß es auf die Stellung der beklagten Partei als Wasserberechtigte ankäme. Die Errichtung, der Betrieb und die Erhaltung einer öffentlichen Wasserversorgungsanlage gehörten zwar zu den hoheitsrechtlichen Aufgaben der Gemeinde auf dem Gebiet der öffentlichen Wasserversorgung; die Vorsorge und die Verantwortung dafür, daß im Falle von notwendigen Grabungsarbeiten keine Beeinträchtigung benachbarter Grundstücke erfolge, diene aber nicht der Erfüllung von Aufgaben der Hoheitsverwaltung, sondern dem privatrechtlichen Schutz des einzelnen vor Eingriffen in seine Rechtssphäre. Das Amtshaftungsgesetz bilde daher kein Hindernis für die Verfolgung der geltend gemachten, dem § 364 a ABGB zuzuordnenden Ansprüche der klagenden Partei.
Der Oberste Gerichtshof änderte über die Revisionen der beklagten Partei und der Nebenintervenientin auf ihrer Seite das Urteil des Berufungsgerichtes dahin ab, daß er das Urteil des Erstgerichtes wiederherstellte.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Gemäß § 364 Abs. 1 ABGB darf die Ausübung des Eigentumsrechtes nicht so stattfinden, daß dadurch in die Rechte eines Dritten eingegriffen wird. Nach § 364 Abs. 2 ABGB hat der Eigentümer eines Grundstückes ua. dafür Sorge zu tragen, daß den Nachbarn die von seinem Grund ausgehenden Einwirkungen durch Abwässer und ähnliches nicht wesentlich beeinträchtigen; unmittelbare Zuleitung ohne besonderen Rechtstitel ist unter allen Umständen unzulässig. Auch ein Eigentümer, der auf seinem Grund eine behördlich genehmigte Anlage errichtet hat, darf es nicht in Kauf nehmen, daß von seiner Anlage erhebliche Wassermassen auf den Grund des Nachbarn gelangen. Auch eine Gemeinde, die mit der Errichtung einer Hauptwasserleitung auf ihrem Grund eine Aufgabe der öffentlichen Daseinsvorsorge erfüllt, wird nicht von den Verpflichtungen befreit, die jedem Eigentümer obliegen (vgl. SZ 51/184).
Zweck der Bestimmung der §§ 364 ff. ABGB ist es, im Interesse eines friedlichen Zusammenlebens der Nachbarn die Kollision zwischen gleichrangigen Eigentumsrechten zu regeln und die Befugnisse benachbarter Gründeigentümer abzugrenzen (Koziol - Welser, Grundriß[6] II 34; Spielbüchler in Rummel, ABGB Rdz. 1 zu § 364). Eine nachbarrechtliche Haftung kommt insbesondere in Betracht, wo Schäden aus der Existenz einer Anlage, die der Nachbar auf Grund ihrer behördlichen Genehmigung hinnehmen mußte, entstanden (§ 364 a ABGB). Besteht hingegen zwischen den Nachbarn eine vertragliche Vereinbarung oder öffentlich-rechtliche Beziehung, ist nur diese maßgebend (SZ 52/79; SZ 48/131; SZ 44/22).
Im vorliegenden Fall hatte es die beklagte Gemeinde vertraglich übernommen, eine Hausanschlußleitung zu der auf ihrem Grund verlaufenden Hauptwasserleitung herzustellen. Nach dem Vorbringen der klagenden Partei brach diese nach Aushebung des Anschlußgrabens und Freilegung der Hauptwasserleitung gerade an der vorgesehenen Anschlußstelle, sodaß das Wasser durch den zur Herstellung des Anschlusses ausgehobenen Graben auf die Liegenschaft der klagenden Partei floß. Die Zuleitung des Wassers war somit nicht eine bloße Folge der Existenz der Hauptwasserleitung auf dem Nachbargrund, die die klagende Partei trotz der damit geschaffenen Gefahrenlage auf Grund der behördlichen Bewilligung hinnehmen mußte. Nur auf Grund der vertraglichen Beziehungen zwischen den Streitteilen wurde vielmehr jene Einflußmöglichkeit auf das Grundstück der klagenden Partei geschaffen, die erst den Eintritt des Schadens der klagenden Partei ermöglichte. Wer auf Grund einer vertraglichen Beziehung zum Nachbarn seine Liegenschaft einer zusätzlichen Einflußmöglichkeit durch den Nachbarn aussetzt, kann sich auf den Schutz der nachbarrechtlichen Bestimmungen nicht berufen, wenn ihm bei Vertragserfüllung durch seinen Vertragspartner ein Nachteil zugefügt wird. Zur Anwendung des Nachbarrechtes besteht auch kein Anlaß. Handelt der Nachbar auf Grund eines Vertrages mit dem Gründeigentümer, wird er in dessen Interesse, jedenfalls aber mit dessen Zustimmung, tätig. Der Gründeigentümer muß dann nicht gleichsam unfreiwillig die Existenz und die Tätigkeiten des Nachbarn hinnehmen und dafür bei Eintritt eines Schadens als Ausgleich vom Nachbarn auch ohne Verschulden entschädigt werden. Bei Eintritt von Schäden in Zusammenhang mit dem bestehenden Vertragsverhältnis kann der Geschädigte daher nur vom Verschulden abhängige Ersatzansprüche aus einer Verletzung des Vertrages oder von sich aus ihm ergebenden Schutz- und Sorgfaltspflichten geltend machen, wenn der Vertragspartner seine Erfüllungshandlungen nicht so setzt, daß der andere Teil weder an seiner Person noch an seinen Gütern geschädigt wird (EvBl. 1979/1; SZ 51/26; SZ 49/37 ua.; Koziol - Welser, Grundriß[6] I 156).
Die klagende Partei stützte ihre Ersatzansprüche nur auf die Bestimmungen der §§ 364 ff. ABGB und ausdrücklich nicht auf Schadenersatz. Wird ein bestimmter Rechtsgrund von der klagenden Partei ausdrücklich geltend gemacht, ist auch das Gericht an diesen gebunden (SZ 44/21; SZ 23/74 ua.). Es ist daher die Frage der Haftung der beklagten Partei aus der Verletzung einer vertraglichen Nebenverpflichtung nicht zu prüfen.
Anmerkung
Z56094Schlagworte
Ausgleichsanspruch, nachbarrechtlicher, s. a. Nachbarrecht, Nachbarrecht, keine Ausgleichsansprüche bei vertraglichen oder, öffentlich-rechtlichen BeziehungenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1983:0010OB00016.83.0615.000Dokumentnummer
JJT_19830615_OGH0002_0010OB00016_8300000_000