Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 28. Juni 1983 unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska, in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, Dr. Walenta, Dr. Schneider und Dr. Reisenleitner als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Eier als Schriftführers in der Strafsache gegen Ljubomir A wegen des Vergehens der Kurpfuscherei nach dem § 184
StGB über die von der Generalprokuratur gegen die Urteile des Bezirksgerichtes Enns vom 3. September 1982, GZ 2 U 304/82-6, und des Kreisgerichtes Steyr als Berufungsgerichtes vom 4. März 1983, AZ 10 Bl 12/83, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrates des Obersten Gerichtshofes Dr. Walenta, und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Ersten Generalanwaltes Dr. Nurscher, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Urteile 1./ des Bezirksgerichtes Enns vom 3. September 1982, GZ 2 U 304/82-6, mit dem Ljubomir A von der Anklage, er habe ohne die zur Ausübung des ärztlichen Berufes erforderliche Ausbildung erhalten zu haben, eine Tätigkeit, die den örzten vorbehalten ist, und zwar die Diagnose und Therapie von Krankheiten, in bezug auf eine größere Zahl von Menschen gewerbsmäßig ausgeübt und habe hiedurch das Vergehen der Kurpfuscherei nach dem § 184 StGB begangen, gemäß dem § 259 Z 3 StPO freigesprochen wurde, und 2./ das Urteil des Kreisgerichtes Steyr als Berufungsgerichtes vom 4. März 1983, AZ 10 Bl 12/83, mit dem die Berufung des öffentlichen Anklägers wegen Nichtigkeit zurückgewiesen wurde, verletzen das Gesetz in der Bestimmung des § 184 StGB
Diese Gesetzesverletzungen werden festgestellt.
Text
Gründe:
Mit dem Urteil des Bezirksgerichtes Enns vom 3. September 1982, GZ 2 U 304/82-6, wurde der jugoslawische Staatsangehörige Ljubomir A von der wider ihn erhobenen Anklage, er habe das Vergehen der Kurpfuscherei nach dem § 184 StGB begangen, gemäß dem § 259 Z 3 StPO freigesprochen.
Das Bezirksgericht stellte fest, daß Ljubomir A, der seit 1972 als Gastarbeiter in Österreich lebt, keine medizinische Ausbildung genossen hat und in seinem Heimatland Jugoslawien auch nicht als Heilpraktiker tätig war, seit etwa September 1980 in Enns mindestens 21 Personen, vorwiegend Jugoslawen, wegen Kopf-, Magen-, Ohren-, Fuß-, Herz- und Nervenbeschwerden behandelte und hiefür insgesamt etwa 16.500 S bezahlt erhielt.
Die 'Behandlung', die der Beschuldigte den Menschen, die ihn aufsuchten, zuteil werden ließ, bestand nach den Feststellungen des Bezirksgerichtes u.a. darin, daß er beim ersten Besuch seinem jeweiligen Kunden neun einzelne Schilling-Münzen abverlangte, die er zusammen mit einem Wollfaden (aus der Kleidung des Ratsuchenden) in einen mit Wasser gefüllten Teller warf. Nach einem Gebet und einem Blick in den Teller erstellte der Beschuldigte eine 'Diagnose' und verlangte von seinen Besuchern Geld für Tee, den er beschaffen müßte. Er trug ihnen auf, nach einer Woche wieder zu kommen, und hieß sie beim zweiten Besuch, sich bis auf die Unterhose zu entkleiden; er legte ihnen unter Gebeten seine mit Tee befeuchteten Hände auf die (angeblich) kranken Körperstellen, wiederholte diese Behandlung bis zu dreimal und führte auch 'rituelle Bewegungen' mit einem Messer aus.
Das Erstgericht erblickte hierin keine Tätigkeit des Beschuldigten im Sinn des § 184 StGB, die den örzten vorbehalten wäre, weil hierunter nach dem § 1 Abs 2 örzteG (BGBl 92/1949), in der derzeit geltenden Fassung (insbesondere BGBl 460/1974), nur Tätigkeiten zu verstehen seien, die auf medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen gründen. Die vom Beschuldigten entwickelten Aktivitäten gehörten aber eher in den Bereich des Okkultismus, der Wahrsagerei und der Scharlatanerie und könnten einer ärztlichen Behandlung nicht gleichgesetzt werden, sodaß es sowohl am objektiven wie am subjektiven Tatbestand der Kurpfuscherei fehle. Gegen den Freispruch richtete sich die auf den § 468 Abs 1 Z 4 (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a) StPO gestützte Berufung der Staatsanwaltschaft wegen Nichtigkeit. Sie wurde vom Kreisgericht Steyr als Berufungsgericht mit Urteil vom 4. März 1983 zurückgewiesen (AZ 10 Bl 12/83 = GZ 2 U 304/
82-13 des Bezirksgerichtes Enns). Das Berufungsgericht kam gleichfalls zur überzeugung, daß die Tätigkeit des Angeklagten nicht als den örzten vorbehalten zu qualifizieren sei, weil sie nicht auf medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhe.
Rechtliche Beurteilung
Die Urteile des Bezirksgerichtes Enns und des Kreisgerichtes Steyr stehen mit dem Gesetz nicht im Einklang.
Gemäß dem § 1 a ÄrzteG ist die selbständige Ausübung des ärztlichen Berufes ausschließlich den praktischen Ärzten und den Fachärzten vorbehalten (Abs 1). Sie besteht in der eigenverantwortlichen Ausführung der im § 1 Abs 2 und 3 leg cit umschriebenen Tätigkeiten (Abs 2). Anderen Personen ist jede Ausübung des ärztlichen Berufes verboten (Abs 4).
Die Ausübung des ärztlichen Berufes umfaßt nach dem § 1 Abs 2 leg cit unter anderem die Untersuchung auf das Vorliegen oder Nichtvorliegen von körperlichen Krankheiten, Geistes- und Gemütskrankheiten, von Gebrechen oder Mißbildungen und Anomalien, die krankhafter Natur sind (lit a) und deren Behandlung (lit c). Eben solche Tätigkeiten entfaltete aber Ljubomir A, wenn er in den verfahrensgegenständlichen Fällen eine Diagnose stellte und eine Behandlung zur Linderung oder Beseitigung der von ihm beurteilten krankhaften Zustände vornahm. Daß er dabei - entgegen dem Wortlaut des § 1 Abs 2 leg cit - nicht nach 'medizinischwissenschaftlichen Erkenntnissen' vorging, vermag daran nichts zu ändern. Denn dieses Kriterium trägt bei der allgemeinen Definition ärztlicher Tätigkeit nur einem Gebot der ärztlichen Standespflicht (vgl § 7 Abs 1 leg cit) Rechnung, ist aber nicht als Voraussetzung für die Zurechenbarkeit der unter den lit a bis h des § 1 Abs 2 leg cit besonders bezeichneten diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen zur ärztlichen Berufsausübung aufzufassen. Diese Auslegung findet auch in der Fassung des Tatbestandes des § 184 StGB eine Stütze, weil von medizinisch nicht entsprechend ausgebildeten Personen von vornherein keine 'auf medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen begründete' (quasi-)ärztliche Tätigkeit (hier: Diagnosestellung und Therapie) erwartet werden kann.
Die Auffassung des Berufungsgerichtes, die Strafbestimmung des § 184 StGB sei gegenüber jener des § 343 StG 1945 'wesentlich restriktiver gefaßt' (S 157), findet im Gesetz, im Motivenbericht oder in der Fachliteratur gleichfalls keine Stütze. Während § 343 StG 1945 nur ein Verbot der gewerbsmäßigen Behandlung durch Nichtärzte statuierte und im übrigen Beispiele einer solchen verbotenen Behandlung anführte, untersagt § 184 StGB jede (gewerbsmäßig an einer größeren Zahl von Personen vorgenommene) Ausübung einer Tätigkeit, die den örzten vorbehalten ist, somit auch schon die Untersuchung kranker Menschen durch Personen, welche die zur Ausübung des ärztlichen Berufes erforderliche Ausbildung nicht erhalten haben, schlechthin. Im übrigen war auch nach der Rechtslage des § 343 StG 1945 das Handauflegen als unkörperliches (mystisches) Heilverfahren anzusehen, das den Vorwurf der Kurpfuscherei begründete, weil es die Erteilung eines Rates bedeutet und den Patienten zu seinem gesundheitlichen Nachteil davon abhalten kann, sachverständige ärztliche Hilfe einzuholen (Kaniak6, E 5 zu § 343 StG). Auch wenn es außerhalb der örzteschaft Personen geben mag, die diagnostisch befähigt sind und einen Bereich von Heilmitteln oder Heilverfahren erfolgreich anwenden können, ändert dies nichts daran, daß nach Auffassung des Gesetzgebers grundsätzlich nur die ärztliche Ausbildung jene Kenntnisse gewährleistet, die erforderlich sind, um (gefährliche) Krankheiten rechtzeitig und in ihren Gesamtauswirkungen zu erkennen und mit der besten Aussicht auf Erfolg zu behandeln. Die Ausübung der Heilkunde durch nicht auf diese Weise geschulte Personen zieht erfahrungsgemäß häufig Kranke an und verhindert es oft, daß sie sich einem Arzt anvertrauen. Dadurch ist die Kurpfuscherei in ihrer Auswirkung typischerweise für die Gesundheit der Allgemeinheit (abstrakt) gefährlich. Diese Gefährlichkeit wird durch die unter die gemeingefährlichen strafbaren Handlungen des siebenten Abschnittes eingereihte Bestimmung des § 184 StGB erfaßt (vgl Dokumentation zum StGB, S 183). übertriebener Kriminalisierung beugte der Gesetzgeber dadurch vor, daß die Tätigkeit an einer größeren Zahl von Personen und gewerbsmäßig durchgeführt werden muß, um strafbar zu sein. Das Bezirksgericht Enns und das Kreisgericht Steyr als Berufungsgericht haben sohin die Frage, ob der einer ärztlichen Ausbildung entbehrende Ljubomir A in den verfahrensgegenständlichen Fällen eine Tätigkeit ausübte, die den örzten vorbehalten ist, unrichtig gelöst.
Diese Gesetzesverletzungen führten zum Freispruch des Angeklagten und wirkten sich nicht zu seinem Nachteil aus.
Es mußte daher mit der Feststellung der unterlaufenen Fehler das Bewenden haben.
Anmerkung
E04251European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1983:0110OS00099.83.0628.000Dokumentnummer
JJT_19830628_OGH0002_0110OS00099_8300000_000