TE OGH 1983/8/9 9Os123/83 (9Os124/83)

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Veröffentlicht am 09.08.1983
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 9. August 1983 unter dem Vorsitz des Hofrates des Obersten Gerichtshofes Hon.

Prof. Dr. Steininger und in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Walenta, Dr. Friedrich, Dr. Reisenleitner und Dr. Felzmann als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Vogel als Schriftführer in der Strafsache gegen Franz A wegen des Vergehens der versuchten Täuschung nach §§ 15, 108 Abs. 1 StGB über die von der Generalprokuratur gegen die Urteile des Kreisgerichtes Korneuburg vom 13. Jänner 1983, GZ 12 d E Vr 560/82-12, und des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 21. März 1983, AZ 21 Bs 83/83, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Reisenleitner, und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr.Tschulik, zu Recht erkannt:

Spruch

In der Strafsache gegen Franz A, AZ 12 d E Vr 560/82 des Kreisgerichtes Korneuburg, verletzen das Urteil des Kreisgerichtes Korneuburg vom 13. Jänner 1983, GZ 12 d E Vr 560/82-12, und das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien vom 21. März 1983, AZ 21 Bs 83/83, das Gesetz in der Bestimmung des § 42 StGB.

Diese Urteile sowie alle darauf beruhenden Beschlüsse und Verfügungen werden aufgehoben und es wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem Urteil des Kreisgerichtes Korneuburg vom 13. Jänner 1983, GZ 12 d E Vr 560/82-12, wurde der am 25. Februar 1938 geborene Geschäftsführer Franz A des Vergehens der versuchten Täuschung nach §§ 15, 108 Abs. 1

StGB schuldig erkannt und hiefür zu einer (bedingt nachgesehenen) Freiheitsstrafe verurteilt. Ihm wurde angelastet, Ende März 1982 in Korneuburg dadurch, daß er auf seinem infolge schadhafter Reifen nicht zum Verkehr zugelassenen PKW Marke Citroen nach Abnahme der amtlichen Kennzeichentafeln N 469.417 eine (nach den Urteilsgründen: zwei) selbstverfertigte Pappendeckel-Kennzeichentafel(n) mit dem vorangeführten Kennzeichen befestigte, den PKW sodann ca eine Woche lang auf öffentlichem Grund parkte und solcherart bemüht war, im Verkehrsdienst stehende Gendarmeriebeamte in Beziehung auf ihr Amtsgeschäft durch Täuschung über die Tatsache der Nichtzulassung des von ihm auf öffentlichem Grund geparkten PKWs zum öffentlichen Verkehr zur Duldung der Abstellung des Fahrzeugs auf öffentlichen Verkehrsflächen zu verleiten, versucht zu haben, dem Staat in seinem konkreten Recht auf Ausschluß nicht zum Verkehr zugelassener Kraftfahrzeuge und Kontrolle des Kraftfahrverkehrs auf öffentlichen Verkehrsflächen absichtlich einen Schaden zuzufügen. Nach den Feststellungen in den Urteilsgründen wollte der Angeklagte durch das Anbringen der von ihm unberechtigt verfertigten behelfsmäßigen 'Ersatzkennzeichen' die 'aufrechte' Zulassung seines Fahrzeuges vortäuschen, um zu verhindern, daß der auf einer öffentlichen Verkehrsfläche geparkte PKW auf Veranlassung von Straßenaufsichtsorganen abgeschleppt werde, wobei das Fahrzeug ca eine Woche lang mit den 'Ersatzkennzeichen' auf der Straße abgestellt war (S 50 d.A).

Eine mangelnde Strafwürdigkeit der Tat im Sinn des § 42 StGB verneinte das Kreisgericht Korneuburg unter Hinweis auf das getrübte Vorleben des Angeklagten - er weise eine 'massive' Vorstrafe wegen eines in bezug auf Amtsgeschäfte verübten Delikts auf - und aus generalpräventiven Erwägungen, weil 'potentiellen Tätern die oftmals gravierenden Folgen des Verwendens von nicht zum Verkehr zugelassenen Fahrzeugen im öffentlichen Verkehr mit resultierenden schweren Konsequenzen bei allfälligen Unfällen für die Geschädigten, welche mangels Versicherungsschutz nur auf Schadenersatz von den oftmals mittellosen Schädigern angewiesen sind, vor Augen geführt' werden sollten (S 51 d.A). Das Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht gab mit dem Urteil vom 21. März 1983, AZ 21 Bs 83/83 (= ON 16

d. A), der vom Angeklagten Franz A gegen das bezeichnete Urteil des Kreisgerichtes Korneuburg erhobenen Berufung wegen Nichtigkeit und wegen Schuld nicht Folge; seiner Berufung wegen Strafe wurde dagegen stattgegeben und über den Angeklagten unter Anwendung des § 37 Abs. 1 StGB eine (unbedingte) Geldstrafe verhängt.

Das Berufungsgericht erachtete die Berufung wegen Nichtigkeit (§ 281 Abs. 1 Z 9 lit a StPO) als nicht gesetzmäßig ausgeführt, weil sie nicht von dem vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt ausgehe (S 61 d.A); zur Berufung wegen Schuld führte es - zusammengefaßt - aus, daß gegen die erstgerichtliche Beweiswürdigung und die darauf gegründeten Urteilsfeststellungen keine Bedenken bestünden (S 63 d. A). In rechtlicher Beziehung erörterte es darüber hinaus auch die Möglichkeit des Vorliegens einer vom Angeklagten nicht geltend gemachten, aber allenfalls zu seinen Gunsten von Amts wegen wahrzunehmenden Nichtigkeit gemäß § 281 Abs. 1 Z 9

lit b StPO (aus dem Grunde des § 42 StGB), verneinte aber eine mangelnde Strafwürdigkeit der Tat deshalb, weil der Angeklagte den PKW etwa drei Wochen lang, somit während eines ausgedehnten Zeitraumes, mit den nachgemachten Kennzeichen auf einer öffentlichen Verkehrsfläche abstellte, sodaß die Tat weder in Ansehung ihres Schuldgehaltes noch hinsichtlich ihrer Sozialschädlichkeit oder ihres Störwertes für die Umwelt deutlich unter der Norm gleichgelagerter Fälle bleibe (S 62/63 d.A).

Die Generalprokuratur bekämpft beide genannten Urteile mit Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes. Sie erblickt in der Nichtanwendung des § 42 StGB durch die Untergerichte eine Gesetzesverletzung, wobei sie beantragt, diese festzustellen und darüber hinaus sogleich gemäß §§ 288 Abs.2

Z 3, 292 StPO in der Sache selbst dahin zu erkennen, daß Franz A von der wider ihn erhobenen Anklage gemäß § 259 Z 4 StPO freigesprochen werde.

Rechtliche Beurteilung

Die Beschwerde ist berechtigt. Die bisherigen Verfahrensergebnisse reichen allerdings nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes nicht aus, um sogleich mit einem Freispruch gemäß der zitierten Gesetzesstelle vorgehen zu können.

Den Untergerichten ist zunächst - übereinstimmend mit der Generalprokuratur - darin beizupflichten, daß das festgestellte Tatverhalten des Angeklagten an sich den Tatbestand des Vergehens der versuchten Täuschung nach §§ 15, 108 Abs. 1 StGB verwirklicht; nach ständiger Rechtsprechung, von der abzugehen sich der Oberste Gerichtshof nicht veranlaßt sieht, stellt das unbefugte Anbringen einer behelfsmäßigen Ersatztafel an einem nicht (oder nicht mehr) zum Verkehr zugelassenen Kraftfahrzeug, um dessen Beanstandung wegen unbefugten Abstellens auf Straßen mit öffentlichem Verkehr hintanzuhalten, eine Täuschungshandlung dar (SSt 46/54), durch welche ein konkretes staatliches Recht verletzt wird (ZVR 1978/97). Nicht beigepflichtet werden kann ihnen jedoch, soweit sie auf der Basis der bisherigen Verfahrensergebnisse das Vorliegen der Voraussetzungen mangelnder Strafwürdigkeit der Tat des Angeklagten im Sinn des § 42 StGB verneinten.

Nach § 42 StGB ist eine von Amts wegen zu verfolgende Tat, die nur mit Geldstrafe, mit nicht mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe oder mit einer solchen Freiheitsstrafe und Geldstrafe bedroht ist, nicht strafbar, wenn die Schuld des Täters gering ist (Z 1), die Tat keine oder nur unbedeutende Folgen nach sich gezogen hat (Z 2) und überdies eine Bestrafung nicht geboten ist, um den Täter von strafbaren Handlungen abzuhalten oder der Begehung strafbarer Handlungen durch andere entgegenzuwirken (Z 3). Geringe Schuld im Sinn der Z 1 der zitierten Gesetzesstelle setzt voraus, daß das tatbildmäßige Verhalten des Täters hinsichtlich des Schuldgrades (und auch hinsichtlich der Sozialschädlichkeit und des Störwertes für die Umwelt) hinter dem in der betreffenden Strafdrohung typisierten Schuld- und Unrechtsgehalt erheblich zurückbleibt (vgl SSt 47/55; SSt 51/21 = ZVR 1980/

243; JBl 1983, 437; RZ 1983/25 uva); die Schuld des Täters muß im Vergleich zu den typischen Fällen des betreffenden Deliktes, aber auch absolut geringfügig sein. Ob dies vorliegend der Fall ist, kann nach dem derzeitigen Verfahrensstand weder bejaht noch verneint werden, worauf die Untergerichte nicht entsprechend Bedacht genommen haben.

Das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien weist in der für die Beurteilung geringer Schuld bedeutsamen Frage der Dauer des deliktischen Verhaltens einen gravierenden Widerspruch auf: Im Rahmen der Behandlung der Nichtigkeits- und der Schuldberufung des Angeklagten übernimmt das Berufungsgericht die erstgerichtlichen Feststellungen, gegen die es 'keine Bedenken' hegt; darnach betrug aber die Deliktsdauer 'ca eine Woche' (S 48 und 50 d.A). Im Rahmen der amtswegigen Prüfung der Voraussetzungen des § 42 StGB legt es hingegen - ohne die Beweise wiederholt oder ergänzt zu haben - eine Abstelldauer von ca drei Wochen zugrunde und mißt gerade diesem 'ausgedehnten Zeitraum' entscheidende Bedeutung für die Negierung mangelnder Strafwürdigkeit der Tat zu (S 62 d.A). Daß das Berufungsgericht die betreffende Annahme seinem Urteil - in prozessual unzulässiger Weise - ohne Beweiswiederholung oder Beweisergänzung unterlegt hat, macht diese Urteilsannahme - entgegen der Meinung der Generalprokuratur - nicht unbeachtlich; sie ist vielmehr rechtlich beachtlich, womit das Berufungsurteil im Ausspruch über eine für die rechtliche Beurteilung (nämlich nach den Voraussetzungen des § 42 StGB) entscheidende Tatsache im Ergebnis in sich widersprüchliche Konstatierungen enthält, was allein schon die Kassierung des berufungsgerichtlichen Urteils unumgänglich macht. Aber auch die erstgerichtlichen Urteilskonstatierungen könnten zu einer abschließenden Beurteilung der Frage mangelnder Strafwürdigkeit der Tat nicht hinreichen. Das Erstgericht stellt nämlich über den Beweggrund für die Tat (Verhinderung des Abschleppens des Fahrzeuges) und über die Zeitdauer des deliktischen Verhaltens (ca eine Woche) hinaus keine weiteren Umstände fest, die fallbezogen im Rahmen des in der Strafdrohung des § 108 StGB typisierten Schuld- und Unrechtsgehaltes die inkriminierte Tat deliktsspezifisch als unter der Norm liegend erscheinen ließen, wiewohl nach der Aktenlage solche weiteren Umstände vorliegen könnten. In diesem Zusammenhang könnte für die Beurteilung des Grades der Schuld des Angeklagten von Bedeutung sein, ob er, so wie er es behauptet, tatsächlich verschiedentlich versucht hat, das Fahrzeug wieder verkehrstauglich machen zu lassen und ob er bestrebt war, von sich aus sein deliktisches Verhalten auf eine möglichst kurze Zeit zu beschränken. Erst wenn auch insoweit entsprechende Feststellungen getroffen sein werden, wird letztlich insgesamt beurteilt werden können, ob die Schuld des Täters als gering (im Sinne obiger Ausführungen) zu werten ist (vgl hiezu Mayerhofer-Rieder, StGB2, E Nr 16

und 25a zu § 108).

Die vom Erstgericht angestellten generalpräventiven Erwägungen gegen eine Anwendung des § 42 StGB treffen vorliegend - worauf auch die Generalprokuratur zu Recht hinweist - deshalb nicht zu, weil der Angeklagte nach den bisherigen Tatsachenfeststellungen das Fahrzeug nicht im fließenden Verkehr verwendete (und nach der Aktenlage auch nicht verkehrsbehindernd abstellte) und damit nicht - was das Kreisgericht Korneuburg in den Vordergrund seiner Erwägungen stellte - die Möglichkeit 'schwerer Konsequenzen' für bei allfälligen Unfällen Geschädigte heraufbeschwor (vgl hiezu abermals Mayerhofer-Rieder, aaO, E Nr 25 und 25a zu § 108).

Aus spezialpräventiver Sicht hinwieder ist zu berücksichtigen, daß die Vorstrafe (wegen Amtsveruntreuung) immerhin mehr als 15 Jahre zurückliegt und sich der Angeklagte seit Verbüßung der Strafe rund 13 Jahre wohlverhalten hat.

Das Erstgericht wird daher im Sinne der obigen Darlegungen in einem erneuerten Verfahren die entsprechenden Feststellungen zu treffen und darnach zu beurteilen haben, ob die Voraussetzungen des § 42 StGB vorliegen, sofern es erneut die Absicht (§ 5 Abs. 2 StGB) des Angeklagten bejaht, durch Vortäuschen von - in ihrer Form den von der Behörde ausgegebenen Kennzeichentafeln möglichst gleichkommenden

-

behelfsmäßigen Ersatztafeln im Sinn des § 51 Abs. 3 KFG den Staat in seinem Recht auf Ausschluß nicht (mehr) zum Verkehr zugelassener Kraftfahrzeuge von der (Weiter-)Verwendung auf Straßen mit öffentlichem Verkehr zu schädigen.

über die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes war sohin spruchgemäß zu erkennen.

Anmerkung

E04289

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1983:0090OS00123.83.0809.000

Dokumentnummer

JJT_19830809_OGH0002_0090OS00123_8300000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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