TE OGH 1983/10/25 9Os147/83

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Veröffentlicht am 25.10.1983
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Der Oberste Gerichtshof hat am 25. Oktober 1983 unter dem Vorsitz des Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Obauer und in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Steininger, Dr. Horak, Dr. Reisenleitner und Dr. Felzmann als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Hirnschall als Schriftführerin in der Strafsache gegen Werner Josef A wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB über die vom Angeklagten gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 19. Mai 1983, GZ 20 d Vr 13153/82-65, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Felzmann, der Ausführungen des Verteidigers Dr. Rifaat und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Tschulik, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 20. Juli 1944 geborene Hilfsarbeiter Werner A auf Grund des Wahrspruchs der Geschwornen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB schuldig erkannt. Darnach hat er am 4. Dezember 1982 in Wien seine Ehegattin Brigitte A durch Versetzen von Messerstichen in den Außenwinkel der rechten Augenbraue mit Verletzung der Augenhöhlenwand und Eröffnung des Nasenraumes, sowie in den Rücken mit Läsionen der Lunge, Eröffnung des rechten Herzvorhofes, Durchsetzung des Zwerchfelles und Verletzung von Magen und Leber vorsätzlich getötet. Die Geschwornen haben die im Sinne der Anklage gestellte Hauptfrage 1 (mit 6 : 2 Stimmen) bejaht und die auf Begehung des Mordes im Zustand der Unzurechnungsfähigkeit im Sinne des § 11 StGB lautende Zusatzfrage 5 (stimmeneinhellig) verneint. Die weiteren (Eventualund Zusatz-)Fragen blieben demgemäß unbeantwortet.

Rechtliche Beurteilung

Diesen Schuldspruch bekämpft der Angeklagte mit einer auf die Nichtigkeitsgründe der Z 4, 6 und 9 des § 345 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, die jedoch zur Gänze unbegründet ist.

Als Verletzung des unter ausdrücklicher Nichtigkeitssanktion stehenden § 250 StPO rügt der Beschwerdeführer das Unterbleiben einer Mitteilung des Gerichtes darüber, daß sich seine Stieftochter Claudia B, die mit seinem Einverständnis in seiner Abwesenheit als Zeugin hätte vernommen werden sollen, der Zeugenaussage entschlagen hat. Hiebei verkennt der Beschwerdeführer, daß die Vorschrift des § 250 StPO ausschließlich bezweckt, daß ein Angeklagter durch das Vorenthalten entscheidungswesentlicher, während seiner Abwesenheit vorgeführter Verhandlungsergebnisse in seiner Verteidigung nicht behindert werden soll (arg: '...

in seiner Abwesenheit verhandelter Gegenstände ...' 'Aussagen, die inzwischen gemacht worden sind'). Auch die zur Stützung dieses Beschwerdevorbringens zitierte Entscheidung SSt 38/71 stellt ausdrücklich klar, daß eine derartige Beeinträchtigung der Verteidiungsrechte nur dann vorliegen kann, wenn es dadurch dem Angeklagten unmöglich wäre, ihn belastende - in seiner Abwesenheit hervorgekommene - Beweisergebnisse zu erfahren und zu widerlegen. Von einer den Wahrspruch der Geschwornen zum Nachteil des Angeklagten beeinflussenden Verletzung dieser Verfahrensvorschrift (§ 345 Abs. 3 StPO) kann demgemäß überhaupt nur dann gesprochen werden, wenn der Angeklagte von der Hauptverhandlung zeitweise ausgeschlossen war und von dem Ergebnis der in seiner Abwesenheit durchgeführten Beweisaufnahme, insbesondere vom Inhalt der in seiner Abwesenheit abgelegten Zeugenaussagen nicht in Kenntnis gesetzt wurde. Selbst wenn daher der Angeklagte von der (in Anwesenheit seines Verteidigers abgegebenen) Erklärung der Claudia B, nicht aussagen zu wollen (S 442), nicht in Kenntnis gesetzt worden sein sollte (vgl die dagegen sprechende Mitteilung des Vorsitzenden - S 489), konnte dadurch eine Nichtigkeit im Sinne der Z 4 des § 345 Abs. 1 StPO nicht verwirklicht werden.

Verfehlt ist ferner die Ansicht des Beschwerdeführers, das Fehlen des Tatbestandsmerkmals der Vorsätzlichkeit in der den Tatbestand des Totschlags betreffenden Eventualfrage 2 stelle einen Verstoß gegen die Bestimmungen über die Fragestellung im Sinne der Z 6 des § 345 Abs. 1 StPO dar.

Wie der Beschwerdeführer selbst einräumt, muß in der Frage nach Totschlag - ebenso wie in jener nach Mord - das Wort 'vorsätzlich' nicht ausdrücklich enthalten sein, weil nach Strafbarkeitsvoraussetzungen, die vom Gesetz subintellegiert werden (§ 7 Abs. 1 StGB), grundsätzlich nicht zu fragen ist (SSt 46/49). Das Unterbleiben der Erwähnung dieses die innere Tatseite betreffenden Merkmals in der Eventualfrage 2

war - den Beschwerdeausführungen zuwider - auch in concreto nicht geeignet, bei den Geschwornen zu Unklarheiten über die (subjektiven) Tatbestandserfordernisse des § 76 StGB zu führen. In der Rechtsbelehrung wird nämlich in einer für Laien durchaus verständlichen Form ausdrücklich darauf hingewiesen, daß dieses, einen privilegierten Fall der vorsätzlichen Tötung darstellende Delikt ebenso nur mit Vorsatz (erläutert zur Hauptfrage 1) begangen werden kann wie das Verbrechen des Mordes (vgl S 5, 2 der Rechtsbelehrung, Beilage B zum Hauptverhandlungsprotokoll ON 64). Den Vorschriften über die Fragestellung (§§ 312 bis 314 StPO) war daher Genüge getan, wenn sich der Schwurgerichtshof - wenn auch im Hinblick auf die Textierung der Hauptfrage 1

inkonsequent - bei der Formulierung der Eventualfrage 2 nur an den Gesetzeswortlaut des § 76 StGB angeschlossen hat.

Es trifft aber auch der auf die Z 9 des § 345 Abs. 1 StPO gestützte Einwand nicht zu, daß die Antwort der Geschwornen auf die Zusatzfrage 5 undeutlich oder unvollständig sei, weil sie sich hiebei auf ein unbedenkliches psychiatrisches und psychologisches Gutachten berufen haben, in welchem ihm jedoch ein im Tatzeitpunkt noch nicht abgeklungener hochgradiger Erregungszustand attestiert worden sei, der rechtlich als eine andere, einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung gleichwertige seelische Störung (§ 11 StGB) zu werten gewesen wäre, und sie im übrigen nur auf die 'Lebenserfahrung' hingewiesen haben. Hiebei übersieht der Beschwerdeführer, daß dieser Nichtigkeitsgrund nur vorliegt, wenn die Antwort der Geschwornen auf die gestellten Fragen undeutlich, unvollständig oder in sich widersprechend ist. Da die Niederschrift gemäß § 331 Abs. 3 StPO nicht zum Wahrspruch der Geschwornen gehört, können die darin niedergelegten Erwägungen, von denen sich die Geschwornen leiten ließen, weder als Antwort auf die an sie gestellten Fragen gewertet werden, noch stellen sie einen Ersatz für die im geschwornengerichtlichen Verfahren nicht vorgesehene (§ 335 StPO) Urteilsbegründung dar. Nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs kann daher aus dem Inhalt dieser Niederschrift weder der Nichtigkeitsgrund der Z 9 des § 345 Abs. 1 StPO noch ein anderer Nichtigkeitsgrund abgeleitet werden (SSt 33/25). Letztlich kann dem Einwand, beim Angeklagten sei eine Zurechnungsunfähigkeit im Sinne des § 11

StGB zur Tatzeit vorgelegen, nur erwidert werden, daß ein Wahrspruch, mit dem die Geschwornen das Vorliegen eines Schuldausschließungsgrundes verneint haben, mangels einer dem § 281 Abs. 1 Z 9 lit b StPO analogen Bestimmung für das geschwornengerichtliche Verfahren aus einem materiellrechtlichen Nichtigkeitsgrund nicht angefochten werden kann (SSt 42/34); diese die subjektive Tatseite betreffende Strafbarkeitsvoraussetzung ist ausschließlich der Entscheidung der Geschwornen anheimgestellt (§ 313 StPO). Der Begriff der 'anderen schweren seelischen Störung' wurde den Geschwornen in der Rechtsbelehrung zu der in diese Richtung gestellten Zusatzfrage 5 zutreffend und hinreichend erläutert. Gegenteiliges wird auch vom Beschwerdeführer nicht behauptet.

Die unbegründete Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen. Der Geschwornensenat verhängte über den Angeklagten nach § 75 StGB eine zwanzigjährige Freiheitsstrafe und wertete bei der Strafbemessung die einschlägigen Vorstrafen als erschwerend und die Erregung zur Tatzeit sowie die psychische Besonderheit des Angeklagten als mildernd.

Mit seiner Berufung strebt der Angeklagte die Herabsetzung der Freiheitsstrafe (auf unter 15 Jahre) an; dies jedoch zu Unrecht. Wenn der Berufungswerber den Versuch unternimmt, die Tat als menschlich verständliche Reaktion auf ein beleidigendes und provokantes Verhalten des Opfers zu charakterisieren, so wurde der psychologischen Situation des Angeklagten im allgemeinen und seiner Erregung zur Tatzeit im besonderen und damit dem ihm vom Sachverständigen attestierten zur Tat führenden, primitiven Affektausbruch (S 249) ausdrücklich Rechnung getragen. Darüberhinaus können aber schuldmildernde, aus der Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten ableitbare Tatsachen nicht gesehen werden, zumal der Angeklagte jahrelang immer wieder durch aggressive Handlungen gegen andere (auch fremde) Menschen auffällig wurde, wobei ihm auch der Gebrauch eines Messers nicht fremd war (vgl Strafakt 7 a E Vr 10.181/71 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien). Die gegenständliche ebenfalls gegen das Rechtsgut der körperlichen Integrität gerichtete schwere Bluttat scheint daher im mangelhaften Charakter des Angeklagten geradezu vorgezeichnet zu sein (§ 71 StGB). Wenn die dem Vorstrafverfahren jeweils zugrundeliegenden Taten nur leichte Körperverletzungen nach sich gezogen haben, kann dies das Gewicht der zahlreichen einschlägigen Vorstrafen nicht entscheidend mildern.

Die späte Reue und der Versuch, unmittelbar nach der Bluttat Hilfe herbeizurufen, kann ebensowenig mildernd wirken wie das Tatsachengeständnis, weil die Hilfeleistungspflicht für einen (rechtstreuen) Menschen eine Selbstverständlichkeit sein müßte (ansonsten würde er sich zumindest subsidiär nach § 94 StGB strafbar machen) und ein Zugestehen des (in diesem Fall kaum zu leugnenden) objektiven Tatgeschehens ohne Eingeständnis der subjektiven Merkmale der Straftat nicht mildernd ist (Leukauf-Steininger2, RN 25 zu § 34 StGB). Geradezu unverständlich ist aber der Versuch, die Schuld des Angeklagten mit dem Hinweis relevieren oder gar quantifizieren zu wollen, daß der Wahrspruch der Geschwornen nicht einstimmig gefällt wurde.

Der Berufungswerber vermag somit nichts vorzubringen, was geeignet wäre, seine Forderung die - trotz der alternativ angedrohten lebenslänglichen Freiheitsstrafe - ohnehin nur verhängte zeitliche Freiheitsstrafe unter das vom Gesetzgeber normierte Höchstausmaß herabzusetzen.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung begründet sich auf die bezogene Gesetzesstelle.

Anmerkung

E04426

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1983:0090OS00147.83.1025.000

Dokumentnummer

JJT_19831025_OGH0002_0090OS00147_8300000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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