TE OGH 1983/11/8 2Ob200/83

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Veröffentlicht am 08.11.1983
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piegler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Melber, Dr. Huber und Dr. Egermann als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Hermine M*****, vertreten durch Dr. Gerhard Hoyer, Rechtsanwalt in Wels, wider die beklagten Parteien 1.) Manfred S*****, 2.) C***** Versicherungs-Aktiengesellschaft, *****, beide vertreten durch Dr. Otto Holter, Rechtsanwalt in Grieskirchen,

3.) Johann N*****, vertreten durch Dr. Günther Kraus, Rechtsanwalt in Linz, 4.) W***** Versicherungs-Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Dr. Hermannfried Eiselsberg, Rechtsanwalt in Wels, wegen Schadenersatzes und Feststellung, infolge Revision der klagenden Partei sowie der erst- und zweibeklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 22. Juni 1983, GZ 2 R 97/83-73, womit infolge Berufung der klagenden sowie der erst- und zweitbeklagten Partei das Teilurteil des Kreisgerichtes Wels vom 18. März 1983, GZ 4 Cg 80/81-59, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision der erst- und zweitbeklagten Partei wird nicht Folge gegeben.

Der Revision der Klägerin wird teilweise Folge gegeben und das Urteil des Berufungsgerichtes, das in seinem Ausspruch über das Feststellungsbegehren sowie bezüglich der dritt- und viertbeklagten Partei bestätigt wird, hinsichtlich des Leistungsbegehrens, soweit es die erst- und zweitbeklagte Partei betrifft, dahin abgeändert, dass es zu lauten hat:

"Der Erstbeklagte und die Zweitbeklagte haben zur ungeteilten Hand der Klägerin einen Betrag von S 345.000 samt 4 % Zinsen aus S 525.000 vom 1. 2. 1979 bis 28. 2. 1979, aus S 475.000 vom 1. 3. 1979 bis 5. 4. 1979, aus S 375.000 vom 6. 4. 1979 bis 29. 8. 1979 und aus S 345.000 seit 30. 8. 1979 binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen. Das Schmerzengeldmehrbegehren von S 375.000 samt stufenweisen Zinsen gegenüber der erst- und zweitbeklagten Partei wird abgewiesen."

Die Klägerin hat dem Drittbeklagten die mit S 15.230 (darin enthalten S 1.200 Barauslagen und S 1.040 Umsatzsteuer) und der Viertbeklagten die mit S 16.430 (darin enthalten S 2.400 Barauslagen und S 1.040 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Hinsichtlich der erst- und zweitbeklagten Partei wird die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens dem Endurteil vorbehalten.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 15. November 1978 um ca. 18 Uhr 30 kam es auf der Grieskirchner Landesstraße im Ortsgebiet von Wallern an der Trattnach zunächst zu einer Streifung zwischen dem von Johann M*****, dem Ehegatten der Klägerin, gelenkten Tankwagen und dem entgegenkommenden in Richtung Schallerbach fahrenden, vom Drittbeklagten gelenkten, bei der Viertbeklagten haftpflichtversicherten PKW. Als in der Folge die Klägerin, die im Tankwagen mitgefahren war, sowie der Drittbeklagte und Johann M***** neben dem Tankwagen auf der Fahrbahn standen, kam der Richtung Schallerbach fahrende Erstbeklagte mit seinem bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherten PKW heran und stieß die Klägerin und Johann M***** nieder. Hiebei erlitt die Klägerin schwere Verletzungen. Halter des Tankwagens war die Firma Johann M***** Transport- und Handelsgesellschaft mbH, deren Gesellschafter Johann M***** und die Klägerin sind. Der Erstbeklagte wurde vom Strafgericht schuldig erkannt, infolge mangelnder Beobachtung der Fahrbahn Johann und Hermine M***** niedergestoßen zu haben.

Die Klägerin begehrte von allen vier Beklagten zur ungeteilten Hand ein restliches Schmerzengeld von S 720.000 (S 900.000 abzüglich einer Teilzahlung von S 180.000) sowie einen Betrag von S 76.425,04 für Heilbehandlung und Sachaufwendungen. Weiteres begehrte sie die Feststellung der Haftung der vier Beklagten zur ungeteilten Hand für alle künftigen Schäden aus dem Unfall, wobei die Haftung der Zweit- und der Viertbeklagten durch die mit den Versicherungsnehmern abgeschlossenen Haftpflichtversicherungsverträge begrenzt sei. Die Klägerin führte aus, der Erstbeklagte sei von der rechten Fahrbahnhälfte abgekommen und habe die Klägerin und ihren Ehegatten übersehen. Der Drittbeklagte hafte, weil er den ersten Unfall verschuldet habe und auf Grund eines adäquaten Kausalzusammenhanges auch für die Folgen des zweiten Unfalles verantwortlich sei. Die erst- und zweitbeklagten Parteien wendeten ein, die Klägerin treffe zumindest ein 50 %iges Mitverschulden im Verhältnis zum Erstbeklagten. Sie müsse sich aber auch ein Mitverschulden ihres Ehemannes anrechnen lassen, der ebenso wie die Klägerin Gesellschafter des Fahrzeughalters sei. Den Drittbeklagten treffe das Hauptverschulden am ersten Unfall aber auch ein Mitverschulden am Zustandekommen des zweiten Unfalles, weil er sich auf der Fahrbahn aufgehalten, nicht auf den Verkehr geachtet und ebenso wie die Klägerin und ihr Gatte nicht für Absicherung der Unfallstelle gesorgt habe. Das Verschulden des Erstbeklagten wiege dem gegenüber relativ gering.

Der Drittbeklagte führte aus, das Alleinverschulden treffe die Klägerin, die ohne Veranlassung den Tankwagen verlassen und sich auf die Fahrbahn gestellt habe. Ein Mitverschulden treffe auch den Ehegatten der Klägerin.

Die Viertbeklagte wendete ein, sie hafte nicht, weil die Verletzung der Klägerin nicht durch die Verwendung des Kraftfahrzeuges des Drittbeklagten entstanden sei. Das überwiegende Verschulden treffe den Erstbeklagten, doch sei auch dem Ehegatten der Klägerin ein Mitverschulden anzulasten. Als Gesellschafterin der Fahrzeughalterin sei die Klägerin als Mithalterin anzusehen.

Das Erstgericht erkannte mit Teilurteil (eine Entscheidung über die Forderung von S 76.425,04 hinsichtlich der erst- und zweitbeklagten Partei erfolgte noch nicht) die erst- und zweitbeklagte Partei zur ungeteilten Hand schuldig, der Klägerin S 520.000 samt Zinsen zu bezahlen. Außerdem erkannte es im Sinne des Feststellungsbegehrens. Das Klagebegehren gegen die dritt- und viertbeklagte Partei wurde abgewiesen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge, wohl aber teilweise jener der Erst- und Zweitbeklagten und änderte hinsichtlich dieser beklagten Parteien den Ausspruch über das Leistungsbegehren dahin ab, dass ein Betrag von S 270.000 zugesprochen, das Mehrbegehren von S 450.000 aber abgewiesen wurde. Die Entscheidung über das Feststellungsbegehren wurde dahin abgeändert, dass die erst- und zweitbeklagten Parteien für drei Viertel der Unfallsfolgen der Klägerin haften. Das Feststellungsmehrbegehren wurde abgewiesen.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes richten sich die Revisionen der Klägerin sowie der erst- und zweitbeklagten Parteien. Die Klägerin bekämpft die Abweisung des Klagebegehrens hinsichtlich der dritt- und viertbeklagten Partei sowie die Abweisung ihres Leistungs- und Feststellungsmehrbegehrens gegenüber der erst- und der zweitbeklagten Partei, macht die Revisionsgründe der Aktenwidrigkeit sowie der unrichtigen rechtlichen Beurteilung geltend und beantragt, das Urteil des Berufungsgerichtes dahin abzuändern, dass alle vier Beklagten zur ungeteilten Hand schuldig erkannt werden, der Klägerin einen Betrag von S 520.000 zu bezahlen und die Haftung aller vier Beklagten für sämtliche Unfallsfolgen ausgesprochen werde. Hinsichtlich des gegenüber der dritt- und viertbeklagten Partei abgewiesenen Teilbetrages von S 76.425,04 beantragte die Klägerin die Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen.

Die erst- und zweitbeklagten Parteien bekämpfen den Zuspruch des Betrages von S 270.000 sowie den Ausspruch über das Feststellungsbegehren insoweit, als ihre Haftung zu mehr als 50 % festgestellt wurde. Sie machen den Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung geltend und beantragen das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass das Leistungsbegehren abgewiesen werde, ebenso das Begehren auf Feststellung der Haftung für mehr als 50 %. Die Klägerin beantragt, der Revision der erst- und zweitbeklagten Parteien nicht Folge zu geben. Die dritt- und viertbeklagten Parteien beantragen, der Revision der Klägerin einen Erfolg zu versagen. Die erst- und zweitbeklagten Parteien haben keine Revisionsbeantwortung erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Beklagten ist nicht berechtigt, jene der Klägerin teilweise hinsichtlich der erst- und zweitbeklagten Partei.

A) Zum Verschulden:

Zu dieser Frage ist von folgenden, vom Erstgericht getroffenen und vom Berufungsgericht teilweise ergänzten wesentlichen Feststellungen auszugehen:

Die Fahrbahn an der Unfallstelle ist 6,8 m breit. Es herrschte starker Nebel, die Sicht war auf 30 m eingeschränkt. Der mit einer Geschwindigkeit von mindestens 40 km/h fahrende Drittbeklagte geriet mit dem PKW 55 bis 65 cm über die Fahrbahnmitte, weshalb es zu einer Streifung mit dem von Johann M***** gelenkten Tankwagen kam, der einen Seitenabstand zum rechten Fahrbahnrand von 30 - 40 cm und eine Geschwindigkeit von ca. 35 km/h einhielt. In der Folge hielten beide Lenker ihre Fahrzeuge in einer Entfernung von etwa 50 m voneinander an. Der Drittbeklagte stieg aus und ging in Richtung des Tankwagens. Johann M*****, der den Tankwagen so angehalten hatte, dass der Abstand zum rechten Fahrbahnrand vorne 30 cm betrug und hinten geringer war, öffnete das Fenster neben dem Lenkersitz und wartete, bis der Drittbeklagte auf der anderen Straßenseite herankam. Er ersuchte die neben ihm sitzende Klägerin, ihm beim Aufstellen der Warndreiecke behilflich zu sein, ohne sie anzuweisen, den im Führerhaus befindlichen Schlüssel zum Werkzeugkasten, der sich links hinten am Tankwagen befand und in dem sich die Warndreiecke und Warnlampen befanden, zu nehmen und den Werkzeugkasten aufzusperren. Nach dem ersten Wortwechsel mit dem herangekommenen Drittbeklagten stieg Johann M***** aus, überquerte die Fahrbahn und betätigte an dem dort befindlichen Haus die Glocke. Da niemand öffnete, rief Johann M***** jemandem zu, er möge die Gendarmerie verständigen. Inzwischen war auch die Klägerin ausgestiegen, um den Tankwagen herumgegangen und debattierte über die Straße mit dem Drittbeklagten. Johann M***** kehrte zum Tankwagen zurück, stand neben der Klägerin und suchte gemeinsam mit dieser die linke Seite des LKWs nach Beschädigungen ab. Zur selben Zeit näherte sich der Richtung Schallerbach fahrende Erstbeklagte mit seinem PKW mit einer Geschwindigkeit von ca. 50 km/h. Er bemerkte den Drittbeklagten, der in einer Entfernung von 0,8 bis 1 m vom (in Fahrtrichtung des Erstbeklagten gesehen) rechten Fahrbahnrand auf der Fahrbahn stand und sah außerdem das Abblendlicht des Tankwagens, nicht jedoch die Ehegatten M*****, die mit ihrer dunklen Kleidung im Dunkelraum des Abblendlichtes standen. Der Erstbeklagte "verlenkte" als er den Drittbeklagten sah nach links, ohne seine Geschwindigkeit zu vermindern. Er geriet ca. 60 cm über die Fahrbahnmitte, stieß zunächst gegen das linke Vorderrad des Tankwagens und in der Folge gegen die Ehegatten M*****. Diese hätten die Möglichkeit gehabt, den PKW des Erstbeklagten auf eine Entfernung von 70 m bis 80 m zu hören. Auf eine Entfernung von etwa 43 m (ca. 3 Sekunden vor dem Unfall) hätten sie dessen Abblendlicht sehen können und hätten noch Zeit gehabt, sich in Sicherheit zu bringen. Allerdings konnten sie erst 1 bis 1,5 Sekunden vor dem Unfall erkennen, dass der PKW nach links fuhr. Zwischen den beiden Unfällen lag ein Zeitraum von mindestens 1 1/2 bis 2 1/2 Minuten. Das Erstgericht führte in rechtlicher Hinsicht aus, das Verschulden am ersten Unfall treffe zwar den Drittbeklagten, das Alleinverschulden am zweiten Unfall jedoch den Erstbeklagten, ein Mitverschulden der Klägerin oder ihres Ehegatten liege nicht vor. Das Berufungsgericht führte zur Rechtsfrage aus, zwischen beiden Unfällen bestehe zwar ein natürlicher Kausalzusammenhang, es fehle aber an der zur Begründung einer zivilrechtlichen Haftung nötigen Adäquanz. Es könne weder von einem zeitlich noch von einem örtlich nahen Zusammenhang der Phasen des Unfallsgeschehens in seiner Gesamtheit gesprochen werden, weshalb der Umstand, dass der Drittbeklagte den ersten Unfall verursachte, nicht zu einer Haftung der dritt- und viertbeklagten Parteien führen. Eine Haftung des Drittbeklagten deshalb, weil er als Fußgänger auf der Fahrbahn gestanden sei, habe die Klägerin nicht geltend gemacht. Die Abweisung des Klagebegehrens gegenüber der dritt- und der viertbeklagten Partei sei daher zu bestätigen.

Das Verschulden des Erstbeklagten liege darin, dass er für die schlechten Sichtverhältnisse zu schnell gefahren sei und bei Erkennung der Gefahr nur nach links gelenkt habe, mit der objektiv richtigen Reaktion des Abbremsens aber in Verzug geraten sei. Überdies habe ihm das Strafgericht eine mangelnde Beobachtung der Fahrbahn vorgeworfen, woran das Zivilgericht gemäß § 268 ZPO gebunden sei. Aber auch der Klägerin sei ein Mitverschulden anzulasten, weil sie die Bestimmungen für Fußgänger hätte beachten müssen und daher zu besonderer Vorsicht und Aufmerksamkeit verpflichtet gewesen wäre. Sie kümmerte sich jedoch trotz der schlechten Sichtverhältnisse nicht um den Fahrzeugverkehr. Bei zumutbarer Aufmerksamkeit hätte sie sich auf die Annäherung des PKWs rechtzeitig einstellen können und müssen. Das Verschulden sei im Verhältnis von 3 : 1 zugunsten der Klägerin zu teilen. Ein allfälliges Mitverschulden ihres Gatten brauche sich die Klägerin nicht anrechnen zu lassen, weil sie als Fußgängerin und nicht als "allfällige Mithalterin des Tankwagens" in den zweiten Unfall verwickelt gewesen sei.

1.) Zur Revision der Klägerin:

Die gerügte Aktenwidrigkeit liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO). In ihrer Rechtsrüge vertritt die Klägerin die Ansicht, zwischen beiden Unfällen habe ein adäquater Kausalzusammenhang bestanden. Es sei nicht außergewöhnlich, dass durch den ersten Unfall auf der noch nicht abgesicherten Unfallstelle eine gefährliche Situation geschaffen werde, die zu einem weiteren Unfall führen könne. Die zeitliche Differenz zwischen den beiden Unfällen habe diesen Zusammenhang nicht aufheben können.

Dem ist folgendes zu erwidern:

Der Schädiger hat für alle zufälligen Folgen seines schuldhaften Verhaltens, mit deren Möglichkeit in abstracto gerechnet werden musste, zu haften, sofern es sich nicht um einen atypischen Erfolg handelt (ZVR 1977/238, S 299 mwN). Aus diesem Grund wurde ein adäquater Zusammenhang zwischen einem Unfall, nach welchem Fahrzeuge die Fahrbahn blockierten und einem Folgeunfall, bei dem andere Fahrzeuge gegen die blockierenden Fahrzeuge stießen, bejaht (ZVR 1977/238, S 299; 8 Ob 291/81; 8 Ob 249/82; 8 Ob 100/83). Der vorliegende Fall war jedoch anders gelagert. Die am ersten Unfall beteiligten Fahrzeuge blockierten nicht die Fahrbahn, sondern wurden in einer Entfernung von 50 m voneinander jeweils am rechten Fahrbahnrand abgestellt. Ein Halten der Fahrzeuge auf der 6,8 m breiten Fahrbahn im Ortsgebiet war auch bei Dunkelheit und Nebel zulässig, als Folge des ersten Unfalles entstand daher keine ungewöhnliche oder gefährliche Situation. Ursache des zweiten Unfalles waren auch nicht die nach dem ersten Unfall zum Stillstand gebrachten Fahrzeuge, sondern die auf der Fahrbahn befindlichen Personen. Zwischen dieser Tatsache und dem ersten Unfall bestand zwar eine natürliche Kausalität, weil ohne diesen Unfall die Fahrzeuge nicht zum Stillstand gebracht worden und die Personen nicht ausgestiegen wären. Ein adäquater Zusammenhang zwischen den beiden Unfällen muss jedoch verneint werden. Es ist keinesfalls eine typische Unfallsfolge, dass nach einem Unfall lediglich mit Sachschäden Insassen der Fahrzeuge, nachdem sie aus den am rechten Fahrbahnrand abgestellten Fahrzeugen ausstiegen, sich auf der Fahrbahn aufhalten, ohne auf den Fahrzeugverkehr zu achten. Zutreffend haben daher die Vorinstanzen das gegen die dritt- und die viertbeklagte Partei gerichtete Klagebegehren, das auf das Verschulden des Drittbeklagten am ersten Unfall gestützt worden war, abgewiesen.

Die Klägerin wendet sich weiters gegen die Ansicht des Berufungsgerichtes, es sei ihr ein Mitverschulden anzulasten, vermag dagegen jedoch nichts stichhältiges vorzubringen. Die Ausführungen darüber, sie sei Betriebsgehilfin des Fahrzeuglenkers gewesen, weil sie in dessen Auftrag beim Aufstellen der Warndreiecke befindlich sein sollte, sind verfehlt, weil die Klägerin vor dem Unfall nicht mit der Absicherung des Tankwagens beschäftigt war, sondern mit dem Drittbeklagten debattierte und den Tankwagen nach Schäden absuchte. Auch wenn man berücksichtigt, dass die Klägerin zu dem Zeitpunkt, als sie das Abkommen des PKWs des Erstbeklagten nach links hätte bemerken können, keine Zeit mehr gehabt hätte, sich in Sicherheit zu bringen und dass ein Anpressen an die linke Seite des Tankwagens nichts genützt hätte, weil der PKW so weit nach links geraten war, dass er zunächst gegen das linke Vorderrad des Tankwagens stieß, kann ein Mitverschulden der Klägerin nicht verneint werden. Nach den Feststellungen bestand zwischen den auf der Fahrbahn stehenden Personen nicht genügend Platz, um das Durchfahren eines PKWs zu ermöglichen. Da die Fahrbahn in erster Linie für den Fahrzeugverkehr bestimmt ist, war dies unzulässig. Die Klägerin hätte zumindest in dem Zeitpunkt, zu welchem sie das Herannahen eines Fahrzeuges wahrnehmen konnte, die Fahrbahn verlassen müssen, auch wenn sie sich in Fahrtrichtung des Erstbeklagten gesehen auf der linken Fahrbahnhälfte befand. Dies insbesondere auch im Hinblick auf die ungünstigen Sichtverhältnisse.

Der Klägerin ist daher ein Mitverschulden anzulasten, das nicht vernachlässigt werden kann, weshalb in der Annahme eines Mitverschuldens im Ausmaß von einem Viertel keine unrichtige rechtliche Beurteilung erblickt werden kann.

2.) Zur Revision der erst- und zweitbeklagten Parteien:

Der Meinung, die Klägerin müsse sich als Mithalterin des Fahrzeuges ein Mitverschulden des Johann M***** am ersten und am zweiten Unfall anrechnen lassen, ist entgegenzuhalten, dass - wie oben dargelegt - zwischen dem ersten und dem zweiten Unfall kein adäquater Zusammenhang besteht und dass der zweite Unfall nicht beim Betrieb des Tankwagens erfolgte, weil Johann und Hermine M***** ausgestiegen waren und sich der Unfall ereignete, als sie auf der Fahrbahn standen, mit dem Unfallsgegner debattierten und den Tankwagen nach Schäden absuchten. Der Umstand, dass Johann und Hermine M***** vom PKW des Erstbeklagten niedergestoßen wurden, stand daher in keinem adäquaten ursächlichen Zusammenhang mit einem Betriebsvorgang des Tankwagens (vgl JBl 1979, 149). Die Frage, ob die Klägerin überhaupt Mithalterin des Tankwagens ist (zur Beantwortung dieser Frage sind nicht die rechtlichen, sondern die tatsächlichen Verhältnisse entscheidend, über die weder ein Vorbringen erstattet noch Feststellungen getroffen wurden) muss daher nicht erörtert werden. Verfehlt sind die Revisionsausführungen, es müsste ein Verschulden des Drittbeklagten berücksichtigt werden. Die Klägerin belangte mit ihrer Klage zwar die Lenker und Versicherer zweier verschiedener Fahrzeuge, doch vermochte (wie zur Revision der Klägerin ausgeführt) ihr Vorbringen eine Haftung des Drittbeklagten und der Viertbeklagten nicht zu rechtfertigen. Daher ist im vorliegenden Fall eine Verschuldensabwägung nur im Verhältnis zwischen der Klägerin und dem Erstbeklagten vorzunehmen. Ebenso wie die Haftung einer von der Klägerin nicht belangten Person nicht zu berücksichtigen wäre (ZVR 1978/207, S 241; 2 Ob 97/83), kann auch bei einer Person, die mit der Klage belangt wurde, ein haftungsbegründender Umstand, auf den die Klägerin ihr Begehren nicht stützte, nicht berücksichtigt werden, wenn die Klage gegen diese Person abgewiesen wurde. Auf die Frage, ob den Drittbeklagten ein Verschulden trifft, weil er auf der Fahrbahn gestanden ist, braucht daher nicht eingegangen zu werden, denn dieses Verschulden könnte mangels eines entsprechenden Vorbringens der Klägerin in diesem Verfahren nicht berücksichtigt werden. Es bleibt daher nur das Verschulden zwischen der Klägerin und dem Erstbeklagten abzuwägen. Die Umstände, die ein Mitverschulden der Klägerin begründen, wurden bereits bei Behandlung der Revision der Klägerin angeführt. Wenn dieses Verschulden auch nicht vernachlässigt werden kann, so ist doch zu berücksichtigen, dass die Klägerin nicht grundlos auf der Fahrbahn stand, sondern wegen des ersten Unfalles, bei dem der Tankwagen beschädigt worden sein konnte. Ihr Fehlverhalten ist daher in einem milderen Licht zu betrachten, als wenn sie sich ohne Grund auf der Fahrbahn aufgehalten hätte. Dem steht das Verhalten des Erstbeklagten gegenüber, der eine für die ungünstigen Sichtverhältnisse zu hohe Geschwindigkeit einhielt und der auch nach Wahrnehmung des Drittbeklagten auf der Fahrbahn seine Geschwindigkeit nicht herabsetzte, sondern in einen für ihn nicht einsehbarem Raum lenkte. Überdies ist dem Erstbeklagten die ihm vom Strafgericht vorgeworfene mangelnde Beobachtung der Fahrbahn anzulasten. Dieses schwerwiegende Verschulden des Beklagten rechtfertigt die Verschuldensaufteilung im Verhältnis 3 : 1 zum Vorteil der Klägerin.

B) Zum Schmerzengeld:

Die Klägerin erlitt bei einem Unfall einen schweren Unfallsschock, eine Gehirnerschütterung oder leichte Gehirnprellung, Rißquetschwunden am Hinterkopf, am linken Kniegelenk mit Eröffnung des Schleimbeutels vor der Kniescheibe und am linken Unterschenkel, einen Verrenkungsbruch des zwölften Brustwirbels gegenüber dem ersten Lendenwirbel mit teilweiser, aber weitgehender Querschnittlähmung, einen Bruch des linken Oberschenkelschaftes, Serienrippenbrüche in der linken Brustkorbhälfte mit anschließender Ergußbildung und eine Prellung und Quetschung des linken Armes sowie der linken Hand. Nach der ersten operativen Versorgung in der Unfallabteilung musste die Klägerin bis zum 8. Jänner 1979 auf der Intensivpflegestation bleiben. Dort mussten unter anderem eine Beatmung mit der Sauerstoffmaske durchgeführt sowie ein Venen- und Blasenkatheter und in einer späteren Phase eine Saugdränge angelegt werden; die Klägerin erhielt Infusionen und Transfusionen; es trat eine Fettembolie auf. Das Gipsmieder zur Ruhigstellung des Wirbelbruches musste wegen des Auftretens von Druckstellen vorübergehend entfernt werden. Am 14. Februar 1979 wurde die Klägerin in das Rehabilitationszentrum Bad Häring verlegt und blieb dort bis 23. August 1979, wobei eine Mobilisierung mit Stützapparaten und Angewöhnung der Klägerin an eine selbständige Lebensführung im Rollstuhl versucht wurden. Es folgten stationäre Aufenthalte der Klägerin vom 2. Jänner bis 26. Jänner 1980 in der Unfallabteilung des Krankenhauses zur Nachoperation am verplatteten linken Oberschenkel sowie vom 29. Jänner bis 22. April 1980, vom 2. Juni bis 30. Juni 1981 und vom 15. April bis 25. Mai 1982 in verschiedenen Rehabilitationszentren zur Verbesserung der Mobilisierung. Die schwerste Dauerfolge ist eine eher höhergradige Querschnittlähmung unterhalb des 12. Brustwirbels, verbunden mit einer kompletten Störung der Mastdarmfunktion und einer weitgehenden Lähmung der Blase. Der Klägerin fehlt die Kontrolle über die Blase und den Mastdarm; sie muss eine Windelhose tragen. Es besteht ein Mangel der Gehfähigkeit, bedingt durch eine hochgradige Lähmung beider Beine mit Spitzfußstellung, mangelnder Kraft in den Beinen und mangelnder Muskelspannung. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt beträgt 100 %. Die Klägerin ist nunmehr 47 Jahre alt und seit dem Unfall weitgehend an den Rollstuhl gebunden. Sie ist nur in der Lage, kurze Strecken mit Stützkrücken und Stützapparaten zurückzulegen. Die Stützapparate der Beine dienen dazu, die kraftlosen und nicht kontrollierbaren Gelenke durch die Stützapparate soweit zu versteifen, dass die Beine belastbar sind. Dazu wäre es erforderlich, dass die Klägerin relativ große Kraft in den Armen und auch im Brustkorb hat. Das ist aber nicht Fall. Die Fortbewegung mit den Stützkrücken ist derzeit maximal nur 100 bis 150 m weit möglich; für weitere Strecken reicht die Armkraft nicht aus. Die Klägerin ist sowohl psychisch als auch körperlich an ihren Unfallsfolgen relativ gut angepasst, leidet jedoch an der Beeinträchtigung ihres Ehelebens. Ihre Geschlechtsorgane sind an sich voll funktionsfähig, durch die Lähmung der Bauchdecken, des Stammes und der Beine ergibt sich jedoch eine so schwerwiegende Behinderung, dass das Geschlechtsleben, wenn überhaupt, nur unter extremen Schwierigkeiten ausgeübt werden kann. An körperlichen Schmerzen litt die Klägerin nach dem Unfall gerafft 5 bis 7 Tage lang sehr starke Schmerzen, 3 bis 4 Wochen lang starke Schmerzen, 8 bis 10 Wochen lang mittelstarke Schmerzen und 6 bis 7 Monate lang leichte Schmerzen einschließlich der überschaubaren Restbeschwerden bis September 1983. Darüber hinaus können die Restbeschwerden noch nicht eingeschätzt werde, da bei Querschnittgelähmten häufig Komplikationen im Heilungsverlauf auftreten. Im Vordergrund stehen jedoch nicht die körperlichen Schmerzen, sondern die schweren und schwersten psychischen Beeinträchtigungen durch die weitgehende, jedoch nicht komplette Querschnittlähmung.

Das Erstgericht erachtete ein Schmerzengeld von S 700.000 als angemessen, das Berufungsgericht ein solches von S 600.000. Gegen die Schmerzengeldbemessung wenden sich beide Revisionen, und zwar strebt die Klägerin eine Bemessung mit rechnungsmäßig S 700.000 und die Erst- und Zweitbeklagten eine solche mit S 360.000 an. Dazu ist folgendes zu bemerken:

Bei der Schmerzengeldbemessung sind nach ständiger Rechtsprechung die Art und Schwere der Körperverletzung, die Art, Intensität und Dauer der Schmerzen sowie die Dauer der Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes des Verletzten überhaupt und ferner die damit verbundenen Unlustgefühle zu berücksichtigen (Jarosch-Müller-Piegler, das Schmerzengeld4, 157). Die am wesentlichsten ins Gewicht fallende Unfallsfolge ist im vorliegenden Fall die Querschnittlähmung. Auch wenn es sich nicht um eine komplette Querschnittlähmung handelt, ist doch zu berücksichtigen, dass die Klägerin weitgehend an den Rollstuhl gebunden ist und nur kurze Strecken mit Stützapparaten und Stützkrücken zurücklegen kann. Weiters, dass durch die Querschnittlähmung der Klägerin die Kontrolle über Blase und Mastdarm fehlt. Wenn auch in dem der in der Revision der Klägerin zitierten Entscheidung Jarosch-Müller-Piegler das Schmerzengeld4 Nr. 1559 zugrundeliegenden Fall, bei dem ein Schmerzengeld von S 900.000 zugesprochen worden war, noch ungleich schwerere Dauerfolgen bestanden (dem Verletzten war weder eine Bewegung der Gliedmaßen noch eine Nahrungsaufnahme möglich) hat der Oberste Gerichtshof auch in einem anderen Fall einer Querschnittlähmung bereits S 900.000 zugesprochen (8 Ob 245/82) und bei einer Amputation beider Beine S 700.000 (2 Ob 117/82). Im vorliegenden Fall blieben der Klägerin die Beine zwar erhalten, doch sind diese weitgehend nicht gebrauchsfähig. Nimmt man überdies auf die Blasen- und Mastdarmlähmung Bedacht und darauf, dass die Klägerin neben dem zur Querschnittlähmung führenden Wirbelbruch noch weitere Verletzungen erlitt - so etwa Serienrippenbrüche und einen Bruch des linken Oberschenkels - und berücksichtigt man die festgestellten Schmerzperioden sowie die langen Aufenthalte im Krankenhaus und in Rehabilitationszentren, dann entspricht ein Schmerzengeldzuspruch von S 700.000 durchaus der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes.

Der Revision der Klägerin war daher insofern Folge zu geben, als von einem Schmerzengeld in dieser Höhe auszugehen war. Unter Berücksichtigung ihres Mitverschuldens und der erhaltenen Teilzahlung von S 180.000 steht der Klägerin daher ein restliches Schmerzengeld von S 345.000 zu.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens hinsichtlich der dritt- und der viertbeklagten Partei gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO, der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 2 ZPO.

Anmerkung

E74008 2Ob200.83

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1983:0020OB00200.83.1108.000

Dokumentnummer

JJT_19831108_OGH0002_0020OB00200_8300000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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