TE OGH 1983/11/22 9Os136/83

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Veröffentlicht am 22.11.1983
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 22. November 1983 unter dem Vorsitz des Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Obauer und in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Steininger, Dr. Horak, Dr. Reisenleitner und Dr. Felzmann als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Spies als Schriftführer in der Strafsache gegen Markus A wegen des Vergehens des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach § 269 Abs. 1

StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die vom Angeklagten gegen das Urteil des Kreisgerichtes Korneuburg als Jugendschöffengericht vom 31. Mai 1983, GZ 11 c Vr 18/83-20, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Felzmann, der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Scheibenpflug, und der Ausführungen des Verteidigers Dr. Stenitzer zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird Folge gegeben und die ausgesprochene Freiheitsstrafe gemäß § 43 Abs. 1 StGB unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 19. März 1966 geborene Rauchfangkehrerlehrling Markus A des Vergehens des Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach Par 269 Abs. 1, dritter Fall StGB sowie des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 2 Z 4 StGB schuldig erkannt, weil er am 1. Jänner 1983 in Lanzendorf dadurch, daß er mit dem PKW Marke Volvo 244 DL, Kennzeichen N 143.126, mit Vollgas auf den ihm auf der Fahrbahn mit einer roten Signallampe entgegenkommenden Gendarmeriebeamten Revierinspektor Josef B losfuhr und ihn dadurch auf den in seiner Fahrtrichtung gesehen linken Gehsteig schleuderte, wodurch dieser Prellungen der Halswirbelsäule und des linken Handgelenkes sowie Ringfingers erlitt, einen Beamten 1.) mit Gewalt an einer Amtshandlung, nämlich seiner Anhaltung, Feststellung seiner Personalien und Einvernahme nach einem von ihm unmittelbar vorher verursachten Verkehrsunfall mit Sachschaden und anschließender Fahrerflucht, gehindert und 2.) vorsätzlich während und wegen der Vollziehung seiner Aufgaben verletzt hat.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen wendet sich der Angeklagte mit einer auf die Nichtigkeitsgründe der Z 5 und 10 des § 281 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, der Berechtigung nicht zukommt. Wenn der Beschwerdeführer, der sich in keiner Phase des vorliegenden Strafverfahrens mit einer Tatbegehung im Zustand voller Berauschung verantwortet hat, nunmehr im Rahmen der Mängelrüge (der Sache nach aber auch Feststellungsmängel im Sinne des materiellrechtlichen Nichtigkeitsgrundes der Z 10 des § 281 Abs. 1 StPO relevierend) moniert, daß das Ersturteil Feststellungen über den 'genauen Grad' seiner Alkoholisierung und das Ausmaß der Herabsetzung seiner Wahrnehmungs- und Reaktionsmöglichkeiten durch den Alkoholgenuß zur Tatzeit vermissen lasse, will er damit ganz offensichtlich gar nicht die vom Erstgericht auf ausreichender Beweisgrundlage getroffene, der Annahme des Tatbestandes des § 287 Abs. 1 StGB zuwiderlaufende Feststellung, seine Alkohlisierung habe nicht einen solchen Grad erreicht, daß hiedurch seine Zurechnungsfähigkeit ausgeschlossen gewesen wäre (S 151), bekämpfen. Aus den Beschwerdeausführungen (S 159 oben) im Zusammenhalt mit dem Antrag, das Ersturteil in Richtung eines Schuldspruches nach § 88 Abs. 3 StGB (und §§ 15, 269 Abs. 1, dritter Fall StGB) abzuändern (S 164), ergibt sich vielmehr das Bestreben aufzuzeigen, daß sein gewalttätiges Vorgehen gegen den Gendarmeriebeamten Josef B nicht (auch) vom Verletzungsvorsatz getragen war, sondern die Verletzung bloß die fahrlässig herbeigeführte Folge seines durch eine Art alkohlisierungsbedingter Panikreaktion ausgelösten Losfahrens sei.

Die Annahme eines auf die Verletzung des Gendarmeriebeamten Josef B gerichteten Vorsatzes hat das Erstgericht den Denkgesetzen und der Lebenserfahrung entsprechend mit der Tathandlung als solcher begründet, da ein abruptes Losfahren mit Vollgas aus dem Stand auf einen unmittelbar vor dem PKW stehenden, zufolge ausreichender Straßenbeleuchtung, des am PKW eingeschalteten Abblendlichtes und des Vorhaltens einer roten Signallampe deutlich erkennbaren Gendarmeriebeamten nur diese Deutung des Tatverhaltens zulasse (S 150, 152), welche Urteilsfeststellung aber denknotwendig ausschließt, daß der Angeklagte nur fahrlässig gehandelt hat. Die Feststellung ist daher entgegen dem Beschwerdevorbringen weder unvollständig noch undeutlich.

Aber auch die bekämpfte Urteilskonstatierung, daß an dem vom Angeklagten gelenkten PKW zur Tatzeit das Abblendlicht eingeschaltet war, ist entgegen der Meinung des Beschwerdeführers durch die in der Hauptverhandlung verlesenen Gendarmerieerhebungen insbesondere durch die Aussage des Zeugen Manfred C vor der Gendarmerie (vgl S 57, 67, 143) voll gedeckt. Die der Rüge zu Grunde liegende Aussage des Zeugen B in der Hauptverhandlung, er glaube, die Fahrzeugbeleuchtung sei nicht eingeschaltet gewesen, wird in der Beschwerde nur unvollständig zitiert, da dieser Zeuge sogleich beifügte, er wisse dies nicht mehr genau (S 142, 143). Es ist aber auch vorliegend gar nicht entscheidungswesentlich, ob am PKW das Licht eingeschaltet war, da der Angeklagte den Gendarmeriebeamten allein durch die gute Straßenbeleuchtung und die von diesem in der Hand gehaltene rote Signallampe auf die kurze Distanz jedenfalls gesehen hat. Der Vorwurf einer Tatsachenfeststellung zu Lasten des Angeklagten ohne Vorliegen entsprechender Beweisergebnisse geht daher an der Aktenlage vorbei.

Schließlich geht aber auch der weitere, auf den Nichtigkeitsgrund der Z 5 des § 281 Abs. 1 StPO fußende Einwand fehl, die Annahme des Standortes des Zeugen B mit ca 2 bis 3 m vor der Front des PKWs sei unzureichend begründet und technisch unhaltbar. Der Vorwurf, diese Feststellung halte einer Zeit-Weg-Berechnung unter Berücksichtigung der festgestellten, 'aus einschlägigen Tabellen ablesbaren' Gehgeschwindigkeit des Beamten und des Zeitbedarfes für den Anstartvorgang sowie unter Berücksichtigung der Anfahrbeschleunigung des PKWs unter Auswertung der Beschleunigungsspur nicht stand, entbehrt einer der überprüfung fähigen Konkretisierung. Eine technische Nachprüfung dieser (ohnehin nicht exakten) Entfernungsfeststellung erübrigt sich aber deshalb, weil der Umstand, ob der Zeuge B sich zum Zeitpunkt des Losfahrens ein paar Schritte mehr oder weniger nahe am PKW befand, weder - wie bereits ausgeführt - für die Sichtverhältnisse von entscheidender Bedeutung noch für die rechtliche Beurteilung von Belang ist. Mit seiner die Z 10 des § 281 Abs. 1 StPO geltend machenden Rechtsrüge will der Beschwerdeführer sein Losfahren auf den Gendarmeriebeamten nur als Versuch des Vergehens nach § 269 Abs. 1, dritter Fall StGB beurteilt wissen, da die Amtshandlung (seine Anhaltung und die Feststellung seiner Personalien) nicht endgültig verhindert, sondern ohnedies durchgeführt wurde, nachdem er kurz darnach mit seinem PKW gegen einen Baum geprallt war. Auch dieser rechtliche Einwand besteht nicht zu Recht. Wie das Erstgericht zutreffend ausführt (S 151, 152), gelang dem Angeklagten zufolge seines Widerstandes gegen den Gendarmeriebeamten zunächst die Flucht und somit auch die Vereitelung der beabsichtigten Amtshandlung, zumal sich die beiden anderen am Tatort befindlichen Gendarmeriebeamten vorerst, wie es nach den Urteilsfeststellungen der Angeklagte auch erwartet hatte, um ihren verletzten Kollegen kümmerten und seine Verfolgung nicht fortsetzten (S 151). Daß der Angeklagte kurz darnach die Herrschaft über sein Fahrzeug verlor, gegen einen Baum fuhr und bewußtlos wurde, stellt sich als ein dem Tatgeschehen nachfolgendes, weder vom Tatplan des Angeklagten umfaßtes, noch durch die Amtshandlung der Gendarmeriebeamten verursachtes, daher sowohl geschehensablaufmäßig als auch räumlich und zeitlich abgegrenztes Ereignis dar, das allerdings den noch in der Nähe befindlichen Gendarmeriebeamten die Gelegenheit bot, des Täters habhaft zu werden. An dem in der Zwischenzeit aber bereits eingetreten gewesenen Erfolg seiner Tathandlung (nämlich der Verhinderung seiner Perlustrierung) konnte dieses Ereignis nichts mehr ändern.

Es war daher die zur Gänze unbegründete Nichtigkeitsbeschwerde zu verwerfen.

Das Jugendschöffengericht verhängte über den Angeklagten nach dem ersten Strafsatz des § 269 Abs. 1

StGB unter Anwendung der §§ 28 StGB und 11 JGG eine Freiheitsstrafe in der Dauer von 7 Monaten und wertete neben dem Zusammentreffen zweier verschiedener strafbarer Handlungen die besonders brutale Tatbegehung als erschwerend, während als mildernd der bisherige ordentliche Lebenswandel und in gewissem Maße das 'formale' Geständnis in Betracht gezogen wurden.

Mit seiner Berufung strebt der Angeklagte an, 'daß anstatt der unbedingten Freiheitsstrafe eine bedingte Freiheitsstrafe verhängt werde, inÖeventu die Dauer der verhängten Freiheitsstrafe wesentlich herabgesetzt werde'.

Der Berufung kommt Berechtigung zu.

Das Erstgericht hat bei der Würdigung der Verantwortung des Angeklagten unberücksichtigt gelassen, daß dieser bei dem unmittelbar der Tat nachfolgenden Unfall schwere, mit stundenlanger Bewußtlosigkeit verbundene Verletzungen erlitten hat, so daß sein Schuldbekenntnis, 'was er wisse' (S 141), nicht im Sinne mangelnder Reue (§ 34 Z 17 StGB) ausgelegt werden darf, sondern durchaus dem subjektiven Wissensstand entsprochen haben kann. Bei längerer Bewußtlosigkeit erscheint eine retrograde Amnesie - wie sie der Angeklagte sofort nach dem Unfall behauptete (S 83) - durchaus glaubhaft. Neben diesem, nicht abzuwertenden Geständnis ist aber bei der Strafzumessung auch dem Umstand Bedeutung zuzuerkennen, daß dem Angeklagten die verhängnisvollen Folgen seiner im alkoholisierten Zustand und in jugendlicher Unbekümmertheit begangenen Tat (schwere Verletzung, hohe Schadenersatzforderungen) und damit auch der Unwert seines Verhaltens sinnfällig vor Augen geführt wurden. Dem Berufungsvorbringen ist aber auch insoweit zu folgen, als das Erstgericht den die Zurechnungsfähigkeit zwar nicht ausschließenden, jedoch nicht unerheblichen Rauschzustand des Angeklagten keiner Wertung unterzogen hat, wiewohl es feststellt, daß die unbefugte Inbetriebnahme des PKWs erst unter der enthemmenden Wirkung des Alkohols erfolgt(S 150). Da der Vorwurf des Berauschens in einer Silvesternacht für sich allein nicht ausreicht, dem Angeklagten den Milderungsumstand des § 35 StGB abzusprechen, wäre das Erstgericht verhalten gewesen, Feststellungen darüber zu treffen, ob der jugendliche (angeblich dem Alkohol nicht übermäßig zusprechende) Angeklagte zum Trinkzeitpunkt damit rechnen mußte, daß er im berauschten Zustand strafbare Handlungen begehen werde und dieser Vorwurf die Enthemmung wieder aufwiegen könnte (LSK 1977/93). Mangels derartiger konkreter Feststellungen ist dem bisher unbescholtenen, nach dem Inhalt der Jugenderhebungen auch nicht nachteilig in Erscheinung getretenen und eher streng erzogenen jugendlichen Berufungswerber die Berauschung als mildernd anzurechnen.

Bei dieser Fallkonstellation ist aber den vom Erstgericht besonders hervorgestrichenen generalpräventiven Erfordernissen bereits durch die Verhängung einer relativ strengen (im Hinblick auf den hohen Unrechtsgehalt der Tat nicht reduzierungsbedürftigen) Freiheitsstrafe voll Rechnung getragen. Die Verweigerung der bedingten Strafnachsicht ginge aber an den konkreten, sich von den vergleichbaren Delikten betrunkener Fahrzeuglenker doch wesentlich unterscheidenden Besonderheiten dieses Straffalles vorbei. Bei lebensnaher Beurteilung der zur Tat führenden Ereignisse und der Person des Angeklagten sind die Voraussetzungen des § 43 Abs. 1 StGB zu bejahen, weshalb die begehrte Rechtswohltat auch gewährt werden konnte.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die bezogene Gesetzesstelle.

Anmerkung

E04454

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1983:0090OS00136.83.1122.000

Dokumentnummer

JJT_19831122_OGH0002_0090OS00136_8300000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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