Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 15.Dezember 1983 unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Harbich, in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Müller, Dr. Schneider, Dr. Felzmann und Dr. Brustbauer als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Puschnig als Schriftführerin in der Strafsache gegen Maximilian A und andere wegen des Finanzvergehens des gewerbs- und bandenmäßigen Schmuggels nach §§ 35 Abs. 1 lit. b, 38 lit. a und b FinStrG. a.F. und einer anderen strafbaren Handlung über die von der Generalprokuratur zur Wahrung des Gesetzes gegen die Verfügungen des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 14. Jänner 1982, GZ. 6
c Vr 742/69-593, und vom 22.Februar 1983, GZ. 6 c Vr 742/69-656, ferner gegen den Beschluß dieses Gerichts vom 20.Mai 1983, GZ. 6 c Vr 742/69-673, und gegen den Beschluß des Oberlandesgerichts Wien vom 27.Juli 1983, AZ. 22 Bs 330, 331/83, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrags des Berichterstatters, Hofrats des Obersten Gerichtshofs Dr. Müller, und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalts Dr. Tschulik, zu Recht erkannt:
Spruch
In der Strafsache 6 c Vr 742/69 des Landesgerichts für Strafsachen Wien verletzen 1. die Verfügung vom 14.Jänner 1982, ON. 593 (Bd. VIII), über die Einhebung von Geldstrafen und Wertersätzen bei Leopoldine B, Peter L***, Norbert C, Karl D, Arduino E, Leo F und Erwin G sowie eines Wertersatzes bei Heinrich H, 2. die Verfügung vom 22.Februar 1983, ON. 656 (Bd.IX), über den Vollzug von Ersatzfreiheitsstrafen an Peter B, Karl D, Arduino E und Leo F sowie über die Ausschreibung des Erwin G zur Aufenthaltsermittlung zum Vollzug einer Ersatzfreiheitsstrafe, 3. der Beschluß des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 20.Mai 1983, ON. 673 (Bd. IX), mit dem der Antrag des Peter B auf Rückziehung der Aufforderung zum Antritt der Ersatzfreiheitsstrafe abgewiesen wurde, 4. der Beschluß des Oberlandesgerichts Wien vom 27.Juli 1983, AZ. 22 Bs 330, 331/83, ON. 689 (Bd. IX), insoweit, als im Zusammenhang mit dem Vollzug von Ersatzfreiheitsstrafen eine Maßnahme gemäß § 15 StPO. unterlassen worden ist, die Bestimmungen des § 32 Abs. 1 bis 3 FinStrG.
Die angeführten sowie alle weiteren, darauf beruhenden Verfügungen und Beschlüsse werden aufgehoben. Dem Landesgericht für Strafsachen Wien wird die neuerliche Entscheidung über die Vollstreckbarkeit der der Leopoldine B, dem Peter B, dem Norbert C, dem Karl D, dem Arduino E, dem Leo F und dem Erwin G auferlegten Geldstrafen und Wertersätze sowie des dem Heinrich H auferlegten Wertersatzes aufgetragen.
Text
Gründe:
Mit dem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 18. November 1974, GZ. 6 c Vr 742/69-388, wurden u.a. die Angestellte Leopoldine B, der Tankstellenwärter Peter B, der Kraftfahrer Norbert C, der Kraftfahrer Heinrich H, der Kraftfahrer Karl D, der Schausteller Arduino E, der Geschäftsführer Leo F und der Kfz-Mechaniker Erwin G des Finanzvergehens des gewerbs- und bandenmäßigen Schmuggels nach §§ 35 Abs. 1 lit. b, 38 lit. a und b FinStrG. (a.F.) sowie des damit in Tateinheit begangenen Finanzvergehens des vorsätzlichen Eingriffs in die Rechte des Branntweinmonopols nach § 44 Abs. 1 lit. c FinStrG. schuldig erkannt und hiefür (unter Anrechnung der jeweiligen Vorhaftzeiten) zu Freiheitsstrafen, Geldstrafen und Wertersätzen verurteilt. Die Vollziehung der über Peter B, Norbert C, Heinrich H, Karl D, Leo F und Erwin G verhängten Freiheitsstrafen wurde unter Bestimmung einer Probezeit von je drei Jahren vorläufig aufgeschoben (Bd. VII S. 1 ff.).
Dieses Urteil wurde u.a. von Norbert C, Karl D und Leo F mit Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung angefochten. Mit Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom 18.Dezember 1975, GZ. 13 Os 76/75-13, wurden die Nichtigkeitsbeschwerden der Genannten verworfen. Aus Anlaß der erhobenen Nichtigkeitsbeschwerden wurden jedoch gemäß § 290 Abs. 1 StPO. neben anderen die Angeklagten Norbert C, Arduino E und Leo F in Abänderung des erstinstanzlichen Urteils der Finanzvergehen des gewerbs- und bandenmäßigen Schmuggels und des vorsätzlichen Eingriffs in Monopolrechte nur als Mitschuldige gemäß § 11 FinStrG. (statt als Mittäter) schuldig erkannt. Demgemäß wurden bei den Angeklagten C, E und F die Strafen vom Obersten Gerichtshof neu bemessen; hiebei wurde jeweils das Ausmaß der Geldstrafen und der für den Fall ihrer Uneinbringlichkeit ausgesprochenen Ersatzfreiheitsstrafen gegenüber dem Ersturteil reduziert und bei Arduino E überdies von der Verhängung einer Freiheitsstrafe abgesehen. Ferner wurden die Geldstrafen und die für den Fall ihrer Uneinbringlichkeit ausgesprochenen Ersatzfreiheitsstrafen bei Karl D in Stattgebung seiner Berufung, sowie bei den Angeklagten Leopoldine B, Peter B, Heinrich H und Erwin G gemäß § 295 Abs. 1 StPO. von Amts wegen herabgesetzt (Bd. VII S. 375 ff.).
Dem Angeklagten Arduino E, der in der Hauptverhandlung auf Rechtsmittel verzichtet hatte, ist ein Strafaufschub in der Dauer von sechs Monaten gewährt worden (Bd. VI S. 521 und Bd. VII S. 208). Mit Beschluß des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 5.Februar 1980
wurde die über Erwin G verhängte Freiheitsstrafe endgültig nachgesehen (Bd. VIII ON. 547). Mit (jeweils gleichlautenden) Beschlüssen dieses Gerichts vom 6.Februar 1981 sind die über Peter B, Norbert C, Heinrich H, Karl D und Leo F verhängten Freiheitsstrafen endgültig nachgesehen worden (Bd. VIII, ON. 574, 576, 579 und 580, S. 299 bis S. 311).
Am 14.Jänner 1982 verfügte das Landesgericht für Strafsachen Wien die Einhebung der restlichen Geldstrafen und Wertersätze u.a. bei Leopoldine B, Peter B, Norbert C, Karl D, Arduino E, Leo F und Erwin
G sowie der noch ausständigen restlichen Wertersatzstrafe bei Heinrich H (ON. 593, Bd. VIII, S. 341). Die laut dem Urteil des Obersten Gerichtshofs (§ 290 Abs. 1 StPO.) angerechneten Vorhaftzeiten bzw. die darauf entfallenden Beträge wurden berücksichtigt. Am 22.Februar 1983 wurde der Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafen an Peter B, Karl D, Arduino E und Leo F, die bis dahin noch nicht um Aufschub der Geldstrafe angesucht hatten, angeordnet und die Ausschreibung des inzwischen ins Ausland verzogenen Erwin G (siehe Bd.
IX S. 2) zur Aufenthaltsermittlung zwecks Vollzugs der Ersatzfreiheitsstrafen verfügt (ON. 656, Bd. IX S. 79 f.). An Karl D ist in der Folge eine Ersatzfreiheitsstrafe von sechs Wochen (wobei die erlittene Vorhaft irrig - siehe § 23 Abs. 4 Ende FinStrG. - zunächst auf den Wertersatz statt auf die Geldstrafe angerechnet wurje) vollzogen worden (Bd. IX S. 109, 145). Einen Antrag des Peter
B auf Rücknahme der Aufforderung zum Strafantritt wies das Gericht mit Beschluß vom 20.Mai 1983 aus dem Grund ab, daß die Vollstreckungsverjährungsfrist von zehn Jahren im Hinblick auf die Bestimmung des § 59 Abs. 4 StGB. noch nicht abgelaufen sei (Bd. IX S. 121). Die dagegen erhobene Beschwerde des Peter B wurde vom Oberlandesgericht Wien mit Entscheidung vom 27.Juli 1983, AZ. 22 Bs 330, 331/83, zurückgewiesen, dabeh l unter Hinweis auf § 59 Abs. 4 StGB. eine Maßnahme gemäß § 15 StPO.
abgelehnt (Bd. IX S. 185 ff.).
Rechtliche Beurteilung
Weder die Vorgangsweise des Landesgerichts für Strafsachen Wien bei der Einhebung der in Rede stehenden Geld- und Wertersatzstrafen sowie bei der Anordnung des Vollzugs der Ersatzfreiheitsstrafen noch die in den zuletzt zitierten Beschlüssen des Landesgerichts für Strafsachen Wien und des Oberlandesgerichts Wien vertretene Rechtsansicht entsprechen dem Gesetz.
Von beiden Gerichten wurde übersehen, daß die Verjährung der Vollstreckbarkeit für Finanzvergehen im Finanzstrafgesetz gesondert geregelt ist und die §§ 59 und 60 StGB. auf die hier ausgesprochenen Strafen gar nicht zur Anwendung kommen; das Finanzstrafgesetz ist das speziellere und Par 32 FinStrG. i.d.F.d. Nov. ` 75 auch das spätere Gesetz (lex specialis et posterior). Gemäß § 32 Abs. 1 FinStrG. in der Fassung der FinStrG-Novelle 1975, BGBl. Nr. 335 - ebenso wie laut der bis zum Ablauf des 31.Dezember 1975 geltenden, im übrigen für die Angeklagten in ihrer Gesamtauswirkung nicht günstigeren Bestimmung des § 55 Abs. 9 FinStrG. a.F. (Art. VII § 2 Abs. 1
FinStrG-Nov. 1975) - beträgt die Frist für die Verjährung der Vollstreckbarkeit bei Finanzvergehen fünf Jahre. Sie beginnt mit der Rechtskraft der Entscheidung, in der auf die zu vollstreckende Strafe erkannt worden ist. Wird gegen den Bestraften in der Verjährungsfrist auf eine neue Strafe wegen eines Finanzvergehens erkannt, so tritt Verjährung der Vollstreckbarkeit nicht ein, bevor nicht auch die Vollstreckbarkeit dieser Strafe erloschen ist (§ 32 Abs. 2 FinStrG.). In die Verjährungfrist nicht eingerechnet werden gemäß § 32 Abs. 3 FinStrG. die Probezeit im Fall einer bedingten Nachsicht der Strafe oder im Fall einer bedingten Entlassung (lit. a), Zeiten, für die dem Bestraften ein Aufschub des Vollzugs einer Freiheitsstrafe, es sei denn wegen Vollzugsuntauglichkeit, oder der Zahlung einer Geldstrafe oder eines Wertersatzes gewährt worden ist (lit. b), Zeiten, in denen der Bestrafte auf behördliche Anordnung angehalten worden ist (lit. c) und Zeiten, in denen sich der Bestrafte im Ausland aufgehalten
hat (lit. d).
Die Rechtskraft des Straferkenntnisses ist bei H, G, Peter B, Leopoldine B, C, E, D und F mit 18.Dezember 1975 eingetreten. Am folgenden Tag begann die fünfjährige Verjährungsfrist für die Vollstreckbarkeit der über die Angeklagten Peter B, C, H, D, E, F und G verhängten Geldstrafen und Wertersätze zu laufen (vgl. LSK. 1975/51). Die bedingte Nachsicht der Freiheitsstrafen hat die Verjährungsfrist für die Geldstrafen und Wertersätze nicht verlängert; denn im Gegensatz zu § 59 Abs. 4 StGB., wonach sich, wenn gleichzeitig auf mehrere Strafen oder vorbeugende Maßnahmen erkannt worden ist, die Verjährung der Vollstreckbarkeit aller dieser Strafen und Maßnahmen nach jener von ihnen richtet, für welche die längste Verjährungsfrist vorgesehen ist, enthält das die Vollstreckungsverjährung (gleich allen anderen, in ihm normierten Einrichtungen des materiellen Rechts) eigenständig regelnde Finanzstrafgesetz keine Bestimmung, wonach bei Verurteilungen wegen Finanzvergehen die Vollstreckbarkeit mehrerer zugleich verhängter Strafen nur gemeinsam verjähren könnte. Es kann daher für jede der nebeneinander verhängten Strafen die Vollstreckungsverjährung gesondert laufen und die Unvollziehbarkeit der einen Strafe früher eintreten als die der anderen (in diesem Sinn Dorazil-Harbich-Reichel-Kropfitsch, Komm. zum FinStrG., Anm. 4 zu § 32).
Bei Prüfung der Vollstreckbarkeit der ausgesprochenen Geldstrafen und Wertersätze hätten daher die für die bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafen festgesetzten Probezeiten in die Verjährungsfrist eingerechnet werden müssen;
eine Hemmung des Fristablaufs ist durch diese Probezeiten, wie oben dargetan, nicht eingetreten (Leopoldine B war zu einer unbedingten Freiheitsstrafe verurteilt worden). Ein Aufschub des Vollzugs der Geldstrafe und des Wertersatzes ist innerhalb der fünfjährigen Verjährungsfrist lediglich dem Arduino E gewährt worden. Vor der Entscheidung über die Einhebung der Geldstrafen und Wertersätze hätte das Gericht prüfen müssen, ob und inwieweit bei den einzelnen Verurteilten das Ende der Verjährungsfrist etwa (wie bei Maximilian A) durch eine behördliche Anhaltung oder (wie bei dem nach der Aktenlage dauernd in Deutschland ansässigen Hans Henryk I und allenfalls bei dem angeblich in Saudiarabien weilenden Erwin G) durch einen Aufenthalt im Ausland oder aber durch eine neuerliche Verurteilung wegen eines Finanzvergehens (§ 32 Abs. 2 FinStrG.) hinausgeschoben worden ist.
Die ohne eine solche Prüfung am 14.Jänner 1982 verfügte Einhebung der noch ausständigen restlichen Geldstrafen und Wertersätze bei den Verurteilten Leopoldine B, Peter B, Norbert C, Karl D, Arduino E, Leo F und Erwin G sowie des Wertersatzes bei Heinrich H, der sodann am 22.Februar 1983 angeordnete Vollzug von Ersatzfreiheitsstrafen an Peter B, Karl D, Arduino E und Leo F, die Ausschreibung des Erwin G zum Vollzug einer solchen Ersatzfreiheitsstrafe und der darauffolgende tatsächliche Vollzug einer Ersatzfreiheitsstrafe an Karl D, ferner der den Antrag des Peter B auf Rücknahme der Strafantrittsaufforderung abweisende Beschluß des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 20.Mai 1983 und die Entscheidung des Oberlandesgerichts Wien vom 27.Juli 1983, soweit darin eine Maßnahme gemäß Par 15 StPO. unter Hinweis auf § 59 Abs. 4 StGB. abgelehnt worden ist, stehen daher mit dem Gesetz nicht in Einklang. Es war daher in Stattgebung der von der Generalprokuratur nach § 33 Abs. 2 StPO. erhobenen Beschwerde gemäß § 292 StPO. spruchgemäß zu erkennen.
Anmerkung
E04707European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1983:0130OS00187.83.1215.000Dokumentnummer
JJT_19831215_OGH0002_0130OS00187_8300000_000