TE OGH 1984/1/26 7Ob513/84

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Veröffentlicht am 26.01.1984
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Petrasch, Dr. Wurz, Dr. Warta und Dr. Egermann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S***** Gesellschaft mbH & Co KG, *****, vertreten durch Dr. Fritz Czerwenka, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei ***** Karl B*****, Gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Dr. Alois Pavich, Rechtsanwalt in Wien, wegen 60.720,25 S sA infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 22. September 1983, GZ 2 R 134/83-15, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 16. Mai 1983, GZ 20 Cg 449/82-10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur Verfahrensergänzung und neuen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die beklagte Partei errichtete in Wien ***** als Generalunternehmer ein Bauwerk für die Gemeinde Wien. Zur Durchführung der Tischlerarbeiten am Bauteil Süd-West bediente sie sich der klagenden Partei. Auf den dieser noch zustehenden Entgeltanspruch von 76.340,10 S bezahlte die beklagte Partei 15.619,85 S. Gegen das auf Bezahlung des Restbetrags samt Anhang gerichtete Klagebegehren wendet die beklagte Partei ein, mit einer ihr zustehenden Schadenersatzforderung von 60.720,25 S aufgerechnet zu haben. Die klagende Partei sei mit der Vorlage der von den Mietern bestätigten Mängellisten in Verzug geraten, sodass vom Bauherrn der Haftrücklass von 3.431.600 S erst später freigegeben worden sei. Dadurch seien der beklagten Partei Bankzinsen für 49 Tage in der angeführten Höhe entstanden.

Die klagende Partei behauptet, dass ihr Verhalten für die verspätete Auszahlung des Haftrücklasses nicht ursächlich gewesen sei.

Das Erstgericht sprach der klagenden Partei 12 % Zinsen aus 60.720,25 S vom 14. 7. 1982 bis 5. 8. 1982 zuzüglich 18 % Umsatzsteuer zu und wies das Mehrbegehren von 60.720,25 S samt 12 % Zinsen seit 6. 8. 1982 zuzüglich 18 % Umsatzsteuer ab. Nach seinen Feststellungen wurden zur Durchführung der Mängelbehebung von der MA 52 Listen angefertigt. Diese wurden über die MA 27 an die MA 24 und von dieser über die beklagte Partei an die Subunternehmer weitergeleitet. Die Subunternehmer hatten nach Behebung der Mängel und deren Bestätigung durch die Mieter die Listen an die beklagte Partei zu schicken. Der klagenden Partei war bekannt, dass die beklagte Partei an der rechtzeitigen Mängelbehebung und Rücksendung der Mängellisten ein Interesse hatte, weil der Bauherr den Haftrücklass erst nach Vorlage der bestätigten Mängellisten ausbezahlt. Die Mängellisten wurden Anfang April 1982 von der zuständigen Magistratsabteilung an die beklagte Partei geschickt. Bei der klagenden Partei langte die sie betreffende Liste am 13. 5. 1982 ein. Im Begleitschreiben teilte die beklagte Partei mit, dass die Haftzeit am 15. 6. 1982 endet. Sie ersuchte um umgehende Mängelbehebung und Rückleitung der von den Mietern unterfertigten Mängellisten. Die klagende Partei behob die Mängel am 24., 25. und 29. 6. 1982 und ließ sich die Mängelbehebung von den Mietern bestätigen. Durch ein Versehen in ihrem Büro wurde es verabsäumt, die Listen an die beklagte Partei zurückzuschicken. Als der Geschäftsführer der beklagten Partei Mitte Juni 1982 das Fehlen der Mängelliste feststellte, ließ er sie mehrfach urgieren. Der Einforderung eines von der beklagten Partei zurückbehaltenen Pönalebetrags, der nach der zwischen den Parteien getroffenen Abrede der klagenden Partei zukommen sollte, hielt der Geschäftsführer der beklagten Partei entgegen, dass dieser Betrag erst nach Behebung der Mängel ausbezahlt würde, weil der beklagten Partei durch die verspätete Mängelbehebung ein Schaden entstehe. In einem Schreiben vom 22. 7. 1982 wies die beklagte Partei darauf hin, dass durch das Verhalten der klagenden Partei die Auszahlung des Haftrücklasses von 3,5 Mio S verzögert werde. Am 4. 8. 1982 übermittelte die klagende Partei die bestätigte Mängelliste. Mit Schreiben vom 5. 8. 1982 teilte ihr die beklagte Partei mit, dass erst jetzt die Schlussabnahme veranlasst werden könne. Durch die Säumigkeit der klagenden Partei sei die Auszahlung des Haftrücklasses um 49 Tage verzögert worden, weshalb die beklagte Partei der klagenden Partei 13 % Zinsen aus dem Haftrücklass für 49 Tage in Höhe von 60.720,25 S anlaste. Als die beklagte Partei die Mängellisten an die Gemeinde Wien weiterleitete, stellte ein Werkmeister der MA 27 fest, dass die Mängellisten über die Gas-, Wasser- und Elektroinstallationen fehlten. Diese Mängellisten wurden dann erst von der zuständigen Magistratsabteilung aufgelegt und am 6. 10. 1982 an die beklagte Partei weitergeleitet. Nach Behebung der Mängel an den Installationen wurde die Schlussabnahme am 15. 11. 1982 durchgeführt und der Haftrücklass an die beklagte Partei ausbezahlt.

Das Erstgericht vertrat den Standpunkt, dass der klagenden Partei eine Vertragsverletzung zur Last falle. Sie sei verpflichtet gewesen, in angemessener Zeit die ihr bekanntgegebenen Mängel zu beheben und aufgrund der ihr bekannten Modalitäten der Abwicklung derartiger Bauten mit der Gemeinde Wien die bestätigten Mängellisten der beklagten Partei zurückzustellen. Hiefür hätte die der klagenden Partei zugestandene Frist bis 15. 6. 1982 ausgereicht. Die klagende Partei habe ihre Verpflichtungen aus Versehen nicht eingehalten und daher auch schuldhaft gehandelt. Das Verhalten der klagenden Partei sei auch ursächlich für den Schaden der beklagten Partei. Hätte sich die klagende Partei pflichtgemäß verhalten, wäre die beklagte Partei in der Lage gewesen, 49 Tage früher beim Bauherrn die Schlussabnahme zu beantragen. Daran ändere auch nichts der Umstand, dass die Gemeinde Wien die Übersendung von Mängellisten für die Installationsarbeiten übersehen habe. Die Auszahlung des Haftrücklasses sei zwar auch durch das Verhalten der Gemeinde Wien verzögert worden. Die Verzögerung bis zum 4. 8. 1982 könne die beklagte Partei aber nicht gegen die Gemeinde Wien geltend machen, weil sie dieser gegenüber bis zu diesem Zeitpunkt selbst als säumig anzusehen sei.

Das Berufungsgericht bestätigte das nur in seinem abweisenden Teil angefochtene Urteil des Erstgerichts aus dessen Gründen. Das Berufungsgericht sprach aus, dass die Revision nach § 502 Abs 4 Z 1 ZPO nicht zulässig sei. Es entspreche herrschender Lehre und Rechtsprechung, dass die Verletzung von vertraglichen Nebenleistungspflichten als positive Vertragsverletzung zum Ersatz des dadurch verursachten Vermögensschadens verpflichte. Bei der Zurechnung des Verzögerungsschadens seien keine Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung zu lösen.

Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts richtet sich die außerordentliche Revision der klagenden Partei. Als Rechtsfrage, von deren Lösung die Entscheidung abhängt, ergibt sich aus der Begründung der Zulässigkeit der Revision die Frage nach der Haftung für einen Schaden, der auch durch ein gleichzeitiges Verhalten eines Dritten (hier der Gemeinde Wien) verursacht wurde, dass auch für sich allein den Schaden herbeigeführt hätte. Das Berufungsgericht habe die Kausalitätsfrage im Widerspruch zur ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs gelöst.

Bei der aufgeworfenen Rechtsfrage handelt es sich um die Frage der Haftung bei kumulativer oder konkurrierender Kausalität, die dann vorliegt, wenn zwei reale Ursachen gleichzeitig wirksam werden und jede der beiden auch allein den Schaden herbeigeführt hätte (Koziol, Haftpflichtrecht2 I 73). Fälle kumulativer Kausalität waren zwar bereits Gegenstand oberstgerichtlicher Entscheidungen (GlUNF 4285; EvBl 1959/244), ohne dass hiebei aber die in der neueren Lehre entwickelten dogmatischen Grundlagen berücksichtigt werden konnten. Schon unter dem Gesichtspunkt der Rechtsentwicklung ist daher die Erheblichkeit der von der Revisionswerberin aufgeworfenen Rechtsfrage zu bejahen. Nach der Begründung des Berufungsurteils erscheint es aber auch fraglich, ob das Berufungsgericht die Kausalitätsfrage überhaupt im Sinne der bisherigen Rechtsprechung löste. Die Revision der klagenden Partei ist daher entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts und dem Standpunkt der beklagten Partei zulässig.

Rechtliche Beurteilung

Sie ist im Ergebnis auch berechtigt.

Der klagenden Partei ist darin beizupflichten, dass der Schaden der beklagten Partei, dessen Ersatz diese begehrt, auch dann eingetreten wäre, wenn die klagende Partei die Mängelliste rechtzeitig zurückgeschickt hätte. Auch bei rechtzeitiger Rücksendung der Mängelliste wäre der Haftrücklass nicht früher freigegeben worden, weil ein Teil der Mängellisten vom Bauherrn erst im Oktober 1982 zur Versendung gelangte. Auch das Verhalten des Bauherrn war für sich allein geeignet, den der beklagten Partei in Form der Belastung mit Bankzinsen vom 16. 6. 1982 bis 5. 8. 1982 entstandenen Schaden herbeizuführen. Entgegen der Meinung der klagenden Partei lässt sich damit aber noch nicht ihre Haftungsfreiheit rechtfertigen. Es handelt sich auch nicht um eine Frage der natürlichen Kausalität, deren Lösung dem Tatsachenbereich angehört und der Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof entzogen ist (vgl SZ 51/66 mwN), sondern um eine Frage der kumulativen (konkurrierenden, doppelten) Kausalität. Die Haftung bei kumulativer Kausalität ist in Lehre und Rechtsprechung unbestritten (Koziol aaO 74; Bydlinski, Probleme der Schadensverursachung 16 f und 67 f mwN, EvBl 1959/244). Ihre rechtliche Grundlage ist nach der Lehre in der analogen Anwendung des § 1302 ABGB zu suchen (Koziol aaO 75). Bei vorsätzlicher gemeinschaftlicher Schadenszufügung oder wenn die Anteile nicht bestimmbar sind, tritt nach § 1302 ABGB solidarische Haftung ein. Der Oberste Gerichtshof folgte der Lehre und hat bereits mehrfach die analoge Anwendung des § 1302 ABGB für jene Fälle anerkannt, in denen als Ursache für einen eingetretenen Schaden die schuldhaften oder sonst einen Haftungsgrund bildenden Handlungen mehrerer Personen in Frage kommen, jedoch nicht festgestellt werden kann, welcher der in Betracht kommenden Schädiger den Schaden wirklich verursachte (sogenannte alternative Kausalität). Das Unaufklärbarkeitsrisiko soll nicht der Geschädigte tragen (EvBl 1982/188; 7 Ob 825/82; 1 Ob 26/80). Eine Analogie zu § 1302 ABGB wird in der Lehre auch für den Fall der kumulativen Kausalität vertreten (Koziol aaO). Dem ist zu folgen. Der § 1302 ABGB ordnet eine Haftung für Schäden an, ohne dass ein Bedingungszusammenhang zwischen der Tat und dem Erfolg nachgewiesen werden muss. Diese Wertung des Kausalitätserfordernisses durch das Gesetz rechtfertigt die analoge Anwendung des § 1302 ABGB auch bei kumulativer Kausalität, bei der jeder der in Betracht kommenden Schädiger – wie auch bei der alternativen Kausalität – ein zur Schadensherbeiführung geeignetes und somit potentiell kausales Verhalten setzte, dass nur jedem der Schädiger wegen des Verhaltens des anderen nach der Lehre von der conditio sine qua non nicht als ursächlich zugerechnet werden kann. Dies kann ebenso wie die Unaufklärbarkeit bei bloßem Kausalitätsverdacht auch nicht zu Lasten des Geschädigten gehen. Eine Interessenabwägung spricht, wie Koziol (aaO) zutreffend hervorhebt, für eine analoge Anwendung des § 1302 ABGB bei kumulativer Kausalität. Eine Analogie hat jedoch zur Grundlage, dass der gesetzlich nicht geregelte Fall mit dem gesetzlich geregelten in den maßgeblichen Voraussetzungen übereinstimmt (Koziol-Welser, Grundriss6 I 22). Eine Solidarhaftung bei bloß kumulativer Kausalität erfordert demnach ein einen Haftungsgrund bildendes Verhalten beider Schädiger. Fehlt ein Haftungsgrund auf Seiten eines der Schädiger, kommt auch dessen Heranziehung zur Schadenstragung im Rahmen der kumulativen Kausalität nicht in Betracht. Dann kann sich aber der andere auf den fehlenden Kausalzusammenhang berufen, weil die dargelegten Gründe für die Heranziehung beider zur solidarischen Schadenstragung nicht gegeben sind.

Im vorliegenden Fall ist im Revisionsverfahren nicht mehr strittig, dass der klagenden Partei eine schuldhafte Verletzung vertraglicher Nebenpflichten zur Last fällt. Aus den Feststellungen der Vorinstanzen ergibt sich aber nicht, ob auch die Gemeinde Wien ein solches haftungsbegründendes Verhalten zu vertreten hat. Nur bei Zutreffen dieser Voraussetzung könnte aber nach den obigen Darlegungen eine Solidarhaftung bejaht werden. Hätte sich dagegen die Gemeinde Wien der beklagten Partei gegenüber vertragsgemäß verhalten, könnte sich die klagende Partei darauf berufen, dass sie für den auch ohne ihr Verhalten eingetretenen Schaden der beklagten Partei nicht einzustehen hat. Zur Beurteilung der Frage, ob die Versendung eines Teils der Mängellisten erst im Oktober 1982 durch die Gemeinde Wien eine schuldhafte Vertragsverletzung darstellt, ist jedoch die Kenntnis der zwischen der Gemeinde Wien und der beklagten Partei allenfalls getroffenen Vereinbarungen über den bei der Mängelbehebung einzuhaltenden Vorgang und insbesondere über die von der Gemeinde Wien bei der Versendung der Mängellisten wahrzunehmenden Fristen erforderlich. In dieser Richtung ist der Sachverhalt daher ergänzungsbedürftig (§ 182 ZPO).

Demgemäß ist der Revision Folge zu geben.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

Textnummer

E116935

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1984:0070OB00513.840.0126.000

Im RIS seit

02.02.2017

Zuletzt aktualisiert am

02.02.2017
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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