TE OGH 1984/4/16 2Ob12/85

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Veröffentlicht am 16.04.1984
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch, Dr. Melber, Dr. Huber, Dr. Egermann als Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1.) Helmut A, Angestellter, 2.) mj. Helmut B, Schüler, beide Wiesing 11, 5760 Saalfelden, beide vertreten durch Dr. Rudolf Hanifle, Rechtsanwalt in Zell am See, wider die beklagten Parteien 1.) Alfred C, Kraftfahrer, Markt 99, 5660 Taxenbach, 2.) D Versicherungs-Aktiengesellschaft, Linzergasse 17-19, 5020 Salzburg, vertreten durch Dr. Ernst Pallauf, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen S 10.199,45, S 105.000 und Feststellung, infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 30. November 1984, GZ 4 R 111/84-15, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 25. Jänner 1984, GZ 14 Cg 264/83-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluß

gefaßt:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die Beklagten haben den Klägern die mit S 7.183,80 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 960 Barauslagen und S 565,80

Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Begründung:

Am 7.6.1980 ereignete sich auf der Kreuzung der Pinzgauer-Bundesstraße mit einer Gemeindestraße in Mayerhofen, Gemeinde Saalfelden, ein Verkehrsunfall.

Auf der Gemeindestraße befand sich vor der Kreuzung das Zeichen 'Achtung Vorrang geben'. Auf der Bundesstraße ist einige 100 m vor der Kreuzung das Gefahrenzeichen 'Andere Gefahren' mit einer Zusatztafel 'Achtung Viehtrieb' aufgestellt. Der am 11.5.1973 geborene Zweitkläger fuhr mit einem Kinderfahrrad von der Gemeindestraße in die Bundesstraße ein, ohne auf den Verkehr zu achten. Er kollidierte dort mit dem sich auf der Bundesstraße von rechts mit einer Geschwindigkeit von etwa 109 km/h nähernden, vom Erstbeklagten gelenkten und gehaltenen, bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherten PKW. Der Erstbeklagte reagierte (je nach der nicht genau feststellbaren Geschwindigkeit des Zweitklägers) um 0,23 bis 1,6 Sekunden verspätet. Im Moment der Kollision hatte der PKW eine Geschwindigkeit von etwa 98 km/h. Hätte die Bremsausgangsgeschwindigkeit 100 km/h betragen, hätte der Erstbeklagte die Kollisionsstelle mit etwa 85,53 km/h erreicht. Dadurch wäre es nicht zu einer Verhinderung der Kollision, sondern zu einer etwas vermehrten frontalen überdeckung gekommen. Wird die kinetische Energie bei 85,53 km/h mit 100 % festgesetzt, beträgt sie bei 98 km/h rund 131 %.

Der bei dem Unfall schwer verletzte Zweitkläger sowie dessen Vater, der Erstkläger, machen - ausgehend von einer Verschuldensteilung im Verhältnis von 1 : 1 - Schadenersatzansprüche geltend und stellen ein Feststellungsbegehren.

Das Erstgericht legte seiner Entscheidung über das Leistungs- und das Feststellungsbegehren eine Schadensteilung im Verhältnis von 1 :

1 zugrunde.

Es vertrat die Ansicht, dem Erstbeklagten sei auf Grund der überhöhten Geschwindigkeit die übertretung einer Schutznorm anzulasten, weiters eine verspätete Reaktion von zumindest 0,23 Sekunden. Diese Umstände seien ihm als Verschulden anzulasten, das im Verhältnis zu dem gleichartigen Verschulden eines erwachsenen Radfahrers nur mit etwa einem Viertel bis einem Fünftel ins Gewicht fallen würde. Da das Verschulden unmündiger Minderjähriger aber milder zu beurteilen sei, sei die Schadensteilung im Verhältnis von 1 : 1 gerechtfertigt.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Es führte aus, die nur Sekundenbruchteile betragende Reaktionsverspätung habe nach ständiger Rechtsprechung außer Betracht zu bleiben. Dem Erstbeklagten sei jedoch eine überhöhte Geschwindigkeit und damit die übertretung einer Schutznorm anzulasten. Darin, daß er die zulässige Höchstgeschwindigkeit um 9 % überschritten habe, liege sein Verschulden. Die Beklagten hätten beweisen müssen, daß der Schaden ohne übertretung der Schutznorm in gleicher Weise eingetreten wäre. Dieser Beweis sei ihnen nicht gelungen, zumal bei einer Bremsausgangsgeschwindigkeit von 100 km/h die kinetische Energie geringer gewesen wäre. Daß es bei erlaubter Höchstgeschwindigkeit zu einer etwas vermehrten frontalen überdeckung gekommen wäre, ergebe noch keinen Beweis, daß der Schaden in gleicher Weise und im gleichen Umfang eingetreten wäre. Die Geschwindigkeitsüberschreitung könne nach ständiger Rechtsprechung nicht außer Betracht bleiben. Auch dem zur Unfallszeit erst 7 Jahre alten Zweitkläger sei zwar ein Verschulden anzulasten, weil er sich entgegen der von ihm zu fordernden Einsicht grob fahrlässig verhalten habe, doch sei sein Verschulden milder zu beurteilen als das Verschulden von Erwachsenen unter gleichen Umständen. Die Schadensteilung im Verhältnis von 1 : 1 sei daher gerechtfertigt.

Das Berufungsgericht sprach aus, daß der von der Bestätigung betroffene Wert des Streitgegenstandes hinsichtlich jedes Klägers S 60.000, nicht aber S 300.000 übersteige und die Revision hinsichtlich jedes Klägers zulässig sei.

Dies deshalb, weil zum Verschulden eines PKW-Lenkers, der auf einer Freilandstraße anstatt der vorgeschriebenen Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h mit etwa 109 km/h fahre und zur Verschuldensaufteilung zwischen einem knapp über 7 Jahre alten Schüler, der mit dem Kinderfahrrad in die Bundesstraße hineinfahre und damit den Vorrang verletze und einem mit etwa 109 km/h fahrenden PKW-Lenker noch keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes bestehe. Im gegenständlichen Fall hänge die Entscheidung aber auch von den besonderen konkreten Umständen des Einzelfalles ab, die für eine größere Anzahl von Rechtsstreitigkeiten von Bedeutung sein könnten. Die Beklagten bekämpfen das Urteil des Berufungsgerichtes mit einer auf den Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützten Revision, in der sie die Abweisung des Klagebegehrens, hilfsweise eine von einer Schadensteilung im Verhältnis von 3 : 1 zu Lasten des Klägers ausgehenden Entscheidung begehren. Die Kläger beantragen, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht zulässig.

Soweit die Revisionswerber ausführen, bei der Geschwindigkeit von 109 km/h sei von einer Fehlerquelle von +-5 % auszugehen, setzen sie sich - worauf schon das Berufungsgericht hingewiesen hat - über die Feststellungen hinweg, nach welchen die Geschwindigkeit etwa 109 km/h betrug.

Die Ansicht des Berufungsgerichtes, die Beweispflicht dafür, daß der Schaden auch ohne übertretung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit in gleicher Weise eingetreten wäre, treffe die Beklagten, entspricht der ständigen Rechtsprechung (ZVR 1983/26, S. 41 u.v.a.). Ob dieser Beweis gelungen ist, ist eine unter Bedachtnahme auf die Umstände des jeweiligen Einzelfalles zu beantwortende Frage, deren Bedeutung nicht über den konkreten Rechtsstreit hinausgeht.

Schließlich wenden sich die Revisionswerber gegen die Verschuldensteilung und vertreten die Ansicht, das Mitverschulden des Erstbeklagten könne höchstens mit 25 % bewertet werden. Im Hinblick darauf, daß nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes das Verschulden Unmündiger milder zu beurteilen ist als das von Erwachsenen (ZVR 1984/130, S. 141 u.v.a.), wich das Berufungsgericht bei der Verschuldensteilung im Verhältnis von 1 : 1 von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes aber nicht ab. Zu den Ausführungen des Berufungsgerichtes zur Frage der Zulässigkeit der Revision ist folgendes zu bemerken:

In zahlreichen Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes wurde dem Lenker eines Kraftfahrzeuges wegen überhöhter Geschwindigkeit ein Verschulden angelastet, obwohl das Ausmaß der Geschwindigkeitsüberschreitung nicht sehr groß war (ZVR 1978/277, S.338, ZVR 1979/38, S. 50, ZVR 1981/8, S.9, ZVR 1983/53, S.80, ZVR 1984/73, S.76 u.a.). Mit dieser Rechtsprechung steht die Entscheidung des Berufungsgerichtes in keinerlei Widerspruch. Die Fragen, welches Gewicht dem Verschulden zukommt, wenn statt 100 km/h mit 109 km/h gefahren wird und wie das Verschulden zwischen einem PKW-Lenker, der mit 109 km/h fährt und einem 7 Jahre alten Kind, das mit einem Kinderfahrrad eine Vorrangverletzung begeht, zu teilen ist, betreffen den Einzelfall und schließen eine beispielgebende Entscheidung aus. Durch die Vorschrift des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO sollte der Oberste Gerichtshof, von grundsätzlichen Fragen abgesehen, unter anderem auch nicht Entscheidungen über die Art der Verschuldensabwägung und die Schwere eines Verschuldens zu treffen haben (vgl. Petrasch, Das neue Revisions-(Rekurs)Recht, ÖJZ.1983, 177; 3 Ob 625/83 u.a.).

Aus diesen Gründen hängt die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO ab, weshalb die Revision gemäß § 508 a Abs 1 ZPO zurückzuweisen war. Bei der Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens war zu berücksichtigen, daß die Kläger, auch wenn sie die Zurückweisung der Revision nicht ausdrücklich beantragten, doch auf deren Unzulässigkeit hinwiesen, so daß sie gemäß den §§ 41, 50 ZPO Anspruch auf Ersatz der Kosten ihrer Revisionsbeantwortung haben.

Anmerkung

E05445

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1984:0020OB00012.85.0416.000

Dokumentnummer

JJT_19840416_OGH0002_0020OB00012_8500000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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