Norm
ABGB §1299Kopf
SZ 57/105
Spruch
Der im Zwangsversteigerungsverfahren zur Schätzung der Liegenschaft beigezogene Sachverständige haftet dem Ersteher nicht für die Richtigkeit des ermittelten Schätzwertes, wohl aber für die vollständige Beschreibung, wenn die gemäß § 144 Abs. 1 EO dem Vollstreckungsorgan obliegende Beschreibung durch den Befund des Sachverständigen ersetzt wurde
OGH 7. 6. 1984, 6 Ob 601/82 (OLG Innsbruck 5 R 2/82; LG Innsbruck 5 Cg 168/80)
Text
Eine Tir. Liegenschaft mit Wohnhaus war in Zwangsversteigerung gezogen worden. Der Beklagte war als einziger Sachverständiger zur Schätzung beigezogen worden. Der von ihm ermittelte Schätzwert von 1 394 000 S wurde - ohne Einwendungen - in die gerichtlich festgestellten Versteigerungsbedingungen aufgenommen, nach denen demgemäß das geringste Gebot mit 697 000 S bestimmt war. Der Kläger ersteigerte die Liegenschaft um das Meistbot von 1.2 Mio S.
Zum Gutsbestand der in Exekution gezogenen Liegenschaft gehörte nur ein einziges Grundstück. Die späteren Verpflichteten hatten die Baubewilligung vom 27. 8. 1965 zur Errichtung eines Wohnhauses auf dem Grundstück erhalten, die Baulichkeit in der sogenannten Fertigteilbauweise mit Unterkellerung errichten zu lassen, und das Haus noch im Jahre 1965 bezogen. In den folgenden Jahren ließen die späteren Verpflichteten eine Ölfeuerungsanlage einbauen. Mit dem baubehördlichen Bescheid vom 17. 11. 1971 erteilte der Bürgermeister die Baugenehmigung zur Errichtung eines Anbaues mit Geschäftsraum und Garage. Dieser Anbau wurde auch errichtet, aber nicht zur Gänze ausgebaut. Die späteren Verpflichteten bewohnten das 1965 errichtete Haus bis in den Spätfrühling 1978. Ab dem Jahre 1972 benützten sie den Keller und später auch den Anbau mit gewerberechtlicher Genehmigung für betriebliche Zwecke. Die späteren Verpflichteten hatten weder für das Wohnhaus noch für den Anbau um die baubehördliche Benützungsbewilligung (Kollaudierung) angesucht. Eine solche lag auch im Jahre 1978 noch nicht vor.
In dem am 12. 1. 1978 eingeleiteten Zwangsversteigerungsverfahren fand am 26. 4. 1978 im Beisein eines der beiden Verpflichteten die Besichtigung der Liegenschaft durch den Gerichtsabgeordneten und den zum Sachverständigen bestellten Beklagten statt. Der Beklagte erstattete ein schriftliches Schätzungsgutachten. Zur Beschreibung des Kellergeschoßes findet sich im Befund des Beklagten folgender Absatz: "Das Kellergeschoß enthält außer der bereits erwähnten Treppe gegen die Gartenseite hin einen großen Kellerraum, der früher als Betriebsraum gedient hat (derzeit nur mehr Kellerraum), sowie gegen die Straßenseite hin einen weiteren Kellerraum, wobei in einem kleineren abgeteilten Raum auch die Zentralheizungsanlage und der Warmwasserboiler (1 200 l) untergebracht sind. Für den Plattentank (Inhalt 4 000 l) wurde die - bereits erwähnte - Trennwand errichtet." Tatsächlich hatte der Warmwasserboiler nur ein Fassungsvermögen von 120 l. Bei der Angabe im Befund (1 200 l) handelte es sich offensichtlich um einen Schreibfehler. Der Plattentank, der keine Angabe über das Fassungsvermögen trug, hat einen Fassungsraum von 3 375 l. Bei der Angabe eines Fassungsraumes von 4 000 l verließ sich der Beklagte auf eine entsprechende Auskunft des bei der Befundaufnahme anwesend gewesenen Verpflichteten. Der Öltank war nicht vorschriftsgemäß in einer öldichten Wanne aufgestellt und auch nicht öldicht abgemauert, an zwei Seiten bestand lediglich eine 77 cm hohe unverputzte Ziegelmauer. Im Befund des Sachverständigen fehlte ein Hinweis auf die vorschriftswidrige Aufstellung des Öltanks, zufolge der er nicht in Verwendung hätte genommen werden dürfen.
Über den Anbau führte der Beklagte in seinem Befund aus: "In den Jahren 1971/72 wurde ein Anbau getätigt, der einerseits aus einem ehemaligen Betriebsraum für eine chemische Reinigung besteht und andererseits aus einer Garage, in welcher hintereinander zwei PKWs eingestellt werden können. Der ehemalige Betriebsraum ist nunmehr leer und kann also - wenn möglich - einer neuen Nutzung zugeführt werden. Der Zugang hiefür ist von der Straßenseite aus, wobei der gesamte Vorplatz von der Straße her bis zu den beiden Anbauteilen voll asphaltiert ist. Dieser Zubau sowie der Garagenbau ist ebenerdig und ebenfalls mit einem Satteldach abgedeckt. Die Räume sind zum Teil noch im nicht ganz fertigen Zustand, so daß hier noch entsprechende Arbeiten getätigt werden müssen." Tatsächlich befand sich der Anbau fast noch im Rohbauzustand und war ohne behördliche Bewilligung benützt worden. Ein Hinweis darauf war im Befund des Beklagten unterblieben. Entgegen dem Befund des Sachverständigen war der Anbau nicht mit einem Satteldach, sondern mit einem Flachdach abgedeckt; dieses war zum Teil schadhaft.
Der Beklagte gelangte zu einem Grund- und Bauwert von 1 437 077 S und einem Ertragswert von 1 422 933 S. Daraus ergab sich ein Durchschnittswert der unbelasteten Liegenschaft von abgerundet 1 430 000 S und bei Berücksichtigung einer Reallast mit 36 000 S ein Schätzwert der belasteten Liegenschaft von 1 394 000 S. Ein von den späteren Verpflichteten zur Beurteilung der Sicherungstauglichkeit für eine Kreditaufnahme beigezogener Sachverständiger hatte am 31. 10. 1975 folgende Schätzwerte ermittelt: Einen Grund- und Bauwert von 1 651 640 S, einen Ertragswert von 1 384 520 S und daher einen Mittelwert von 1 518 000 S. Knapp ein Vierteljahr nach der Schätzung durch den Beklagten schätzte ein von den Verpflichteten beigezogener Sachverständiger den Wert der Liegenschaft auf 1 506 930 S. Ein vom Kläger vor der Klagserhebung beauftragter Sachverständiger gelangte am 29. 1. 1980 zu folgenden Schätzungen: zu einem Sachwert von 847 480 S, einem Ertragswert von 756 000 S und daher zu einem Mittelwert von 801 740 S, wobei die Reallast der Zaunerhaltung mit 43 600 S bewertet wurde.
Der dem Rechtsstreit beigezogene Sachverständige ermittelte für April 1978 einen Grund- und Bauwert von 1 269 258 S und einen Ertragswert von 896 947 S. Daraus ergab sich ein Durchschnittswert für die unbelastete Liegenschaft von 1 083 102 S und bei einer Bewertung der Reallast mit 36 080 S ein Schätzwert der belasteten Liegenschaft von 1 047 022 S.
Der Kläger nahm durch die Zeitungseinschaltung des Ediktes von der Versteigerung Kenntnis. Auf sein Ersuchen (er ist Rechtsanwalt) übermittelte ihm das Exekutionsgericht das Schätzungsgutachten. Am 15. 11. 1978 besichtigte der Kläger die Liegenschaft. Der Kläger entschloß sich, im Versteigerungstermin mitzubieten. Außer dem Kläger wurden noch zwei weitere Interessenten zum Bieten zugelassen. Anbote machten nur der Kläger und ein weiterer Bieter. Dessen letztes Gebot von 1 160 000 S überbot der Kläger mit 1.2 Mio. S. Um dieses Gebot erhielt der Kläger den Zuschlag. Anfang Feber 1979 erfuhr der Kläger anläßlich einer Vorsprache auf dem Gemeindeamt, daß hinsichtlich der Baulichkeiten noch keine Benützungsbewilligung erteilt worden war. Für die Ölfeuerungsanlage lagen weder Planungsunterlagen noch eine Bewilligung vor. Zu dieser Zeit stellte der Kläger auch erstmals fest, daß der Anbau nicht mit einem Satteldach, sondern hinter der Attika mit einem Flachdach gedeckt war. Nachdem der Kläger etwa 300 000 S zur Sanierung der Bausubstanz und weitere 600 000 S für verschiedene Innen- und Außenadaptierungen des Hauses aufgewendet hatte, beantragte er im August 1979 die baubehördliche Benützungsbewilligung. Mit dem Bescheid vom 31. 10. 1979 erteilte die Gemeinde die baubehördliche Benützungsbewilligung unter der Bedingung, daß näher beschriebene Ergänzungsarbeiten durchgeführt würden. Dazu wurde ausdrücklich festgestellt, daß das Kellergeschoß entgegen den Einreichplänen ausgeführt sei und der eingebaute Heizraum sowie die Aufstellung des Öltanks, der Kellerabgang vom Wohnteil, die Verbindung zum Anbau sowie die Elektro-, Wasser- und Sanitärinstallationen "ausgesprochen mangelhaft" seien; im festgestellten Zustand wäre der Betrieb einer Ölfeuerungsanlage nicht genehmigt worden. Dem Bauwerber wurde angeraten, das Kellergeschoß durch befugte Unternehmer zu sanieren. Außerdem wurde festgehalten, daß sich der Geschäftsraum und die Garage (im Anbau) noch im Rohzustand befänden, nur die Außenfassade sei verputzt; entgegen den Einreichplänen sei anstelle einer Satteldachkonstruktion ein Flachdach mit hochgezogener Attika errichtet worden; die Dachhaut sei "ausgesprochen mangelhaft" ausgeführt. Im festgestellten Zustand könne die Benützungsbewilligung nicht erteilt werden. Hätte der Kläger die erforderlichen Sanierungsarbeiten im Keller und an der Ölfeuerungsanlage vorgenommen, wäre einer baubehördlichen Benützungsbewilligung nichts im Wege gestanden. Ein neuerliches Ansuchen des Klägers vom 23. 7. 1981 erledigte die Baubehörde mit dem Bescheid vom 18. 8. 1981. Darin wurde festgestellt, daß in Ansehung des Kellergeschoßes keinerlei Sanierungsarbeiten durchgeführt worden seien und für diesen Teil des Wohnhauses bis zur Ausführung der Sanierung die Benützungsbewilligung nicht erteilt werde. In Ansehung des Anbaues wurden nunmehr außer der planwidrigen Ausführung der Decke (Flachdach anstelle eines flachen Satteldaches) auch eine Planabweichung hinsichtlich der Bauhöhe (3.50 m anstatt 2.65 m) und eine unzureichende Ausführung der Fundamente (nur 0 bis 60 cm anstatt mindestens 1 m) festgehalten. Daraus folgerte die Baubehörde nicht nur eine Versagung der Benützungsbewilligung, sondern fügte bei: "Da eine Sanierung des Anbaues laut genehmigten Einreichplan der derzeit geltenden Tiroler Bauordnung in bezug auf die Bauhöhe an der Grundgrenze (2.80 m bis 3.10 m) widerspricht, wird der Bauwerber bis spätestens 1982 ein neues Bauansuchen über die geplante Sanierung des Anbaues einbringen." Der Kläger ließ diesen baubehördlichen Bescheid in Rechtskraft erwachsen. Mit seiner Klage begehrte er vom Beklagten 869 102.84 S samt 13.5 vH Zinsen seit 20. 10. 1981 als Schadenersatz wegen grob fahrlässiger Fehler in der Beschreibung und Schätzung der Liegenschaft, insbesondere wegen Nichterwähnung des Ausstehens der baubehördlichen Benützungsbewilligung und des bauordnungswidrigen Zustandes der Ölfeuerungsanlage, wegen tatsachenwidriger Beschreibung der Eindeckung des Zubaues als eines Satteldaches, obwohl die Eindeckung bauordnungswidrig als Flachdach ausgeführt gewesen sei, sowie wegen einer gegen allgemein anerkannte Regeln verstoßenden wesentlich überhöhten Bewertung.
Der Beklagte bestritt eine für die Bewertung erhebliche Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit seines Befundes und wendete insbesondere ein, daß nach der allgemeinen Übung bei gerichtlichen Schätzungen im Zwangsversteigerungsverfahren eine Einsichtnahme in die Bauakten vom Sachverständigen nur bei Vorliegen konkreter Verdachtsmomente vorgenommen werde. Überdies macht der Beklagte geltend, daß die vom Kläger vermißten Hinweise in der Liegenschaftsbeschreibung Umstände beträfen, die als offene Mängel zu bezeichnen wären. Der Kläger habe Mitbieter zu überbieten gehabt und wäre bereit gewesen, bis zu 1.5 Mio. S zu bieten. Die vom Kläger behaupteten Mängel des Schätzungsgutachtens seien für das Bietverhalten des Klägers nicht als kausal anzusehen. Den Kläger träfe zumindest ein erhebliches Mitverschulden.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Der Beklagte habe bei der Abgabe seines Gutachtens im Liegenschaftszwangsversteigerungsverfahren zu beachten gehabt, daß sein Gutachten nicht nur für den Verpflichteten und für die betreibenden Gläubiger, sondern auch für die künftigen Bietinteressenten von Bedeutung sein werde. Deshalb habe er auch für einen dem Ersteher schuldhaft zugefügten Schaden einzustehen. Der Beklagte hätte unter Anwendung des Sorgfaltsmaßstabes nach § 1299 ABGB die unrichtigen Angaben über den Fassungsraum des Öltanks, über den Boilerinhalt und über die Ausführungsart der Eindeckung des Anbaues vermeiden müssen. Diese Abweichungen des Befundes von der tatsächlichen Beschaffenheit des Versteigerungsgegenstandes seien aber "in der Gesamtbeurteilung ... von nicht ausschlaggebender Bedeutung"; diesen Mängeln im Gutachten des Beklagten sprach das Erstgericht deshalb die Ursächlichkeit für einen ersetzbaren Schaden des Klägers ab. Soweit ein Augenschein für die Errichtungsweise und den Zustand eines Bauwerkes erhebliche Umstände nicht erkennen lasse, habe sie ein zur Schätzung beigezogener Sachverständiger keineswegs durch unwirtschaftliche Methoden zu erheben; der Beklagte habe also beispielsweise zur Feststellung der Fundamenttiefe keine Grabungen vorzunehmen gehabt. Bei der Bestimmung eines voraussichtlich erzielbaren Preises lägen aber auch bei Beobachtung aller nach dem Fachwissen zu berücksichtigenden Umstände Abweichungen innerhalb gewisser Toleranzgrenzen im Wesen einer Schätzung. Entscheidend sei die Nichterwähnung der noch ausstehenden baubehördlichen Benützungsbewilligung der in die Schätzung einbezogenen Baulichkeiten. Das Erstgericht lastete die Nichterwähnung der noch ausstehenden Benützungsbewilligung dem Beklagten als Mangel seines Gutachtens an, sah aber den Nachweis eines dem Kläger daraus entstandenen Schadens nicht als erbracht an.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Der Beklagte habe als ein vom Gericht bestellter Sachverständiger für die Richtigkeit seines Gutachtens allen Personen gegenüber einzustehen, deren Interessen durch die Gutachtenerstellung erkennbar hätten mitverfolgt werden sollen, daher auch die Interessen des Klägers als des späteren Erstehers der zwangsversteigerten Liegenschaft. Ein Verstoß gegen zwingend vorgeschriebene Bewertungsgrundsätze liege dem Beklagten nach dem festgestellten Sachverhalt nicht zur Last. Seine objektiv unrichtigen Angaben über den Inhalt des Boilers und den Fassungsraum des Öltanks beträfen Nebensächlichkeiten, die ohne Einfluß auf die Schätzwertermittlung geblieben seien. Gleiches gelte im Hinblick auf den tolerierbaren Schwankungsbereich des Liegenschaftsgesamtschätzwertes auch für die tatsachenwidrige Beschreibung der Dachkonstruktion des Anbaues. Das Unterbleiben eines Hinweises auf das Fehlen der baubehördlichen Benützungsbewilligung, das sowohl für den Schätzwert als auch für den Ertragswert eines Gebäudes von Einfluß sein könne, sei für den zu beurteilenden Schadenersatzanspruch des Klägers mangels Kausalität unerheblich, weil der Kläger nach seinem eigenen Standpunkt immer der Auffassung gewesen sei, als essentielles Merkmal eines Baues müsse das Vorliegen oder Nichtvorliegen der Benützungsbewilligung in einem Schätzungsgutachten festgehalten werden, folglich habe er bei einem Schweigen des ihm vor dem Versteigerungstermin bekanntgewordenen Schätzungsgutachtens zu dieser Frage auch nicht von der Erteilung der Benützungsbewilligung als gesichert ausgehen dürfen. Für die Ausmittlung des Gesamtschätzwertes sei der vom Beklagten vernachlässigte Umstand, daß die baubehördliche Benützungsbewilligung noch ausstehe, wie der Vergleich mit den Bewertungen durch den im Rechtsstreit beigezogenen Sachverständigen aufzeige, unerheblich geblieben. Keine vom Kläger nunmehr als unrichtig oder mangelhaft gerügte Grundlage des vom Beklagten erstatteten Schätzungsgutachtens vermöchte eine objektive Unrichtigkeit des Schätzungsergebnisses aufzuzeigen. Nur das aber sei wesentlich. Unrichtigkeiten bzw. Unvollständigkeiten bei der Darstellung der Ergebnisse der Befundaufnahme und der für die Schätzung maßgeblichen Tatsachengrundlage könnten nur dann zu einer Haftung des Sachverständigen führen, wenn sie das ziffernmäßige Ergebnis des Schätzungsgutachtens objektiv unrichtig gemacht hätten. Der Schätzwert, den der im Rechtsstreit bestellte Sachverständige ermittelt habe, liege nur etwa 112/3 vH unter dem Betrag des vom Beklagten angegebenen Schätzwertes. Eine derartige Abweichung der Werte liege in der Natur einer Schätzung und vermöge keine Unrichtigkeit darzutun. Sei aber der vom Beklagten ermittelte Schätzwert nicht als objektiv unrichtig zu erkennen, erübrige sich, ein Verschulden des Beklagten an den Mängeln des Befundes sowie den Eintritt eines Schadens des Klägers zu prüfen. Der Beklagte habe auch bei Anwendung des Sorgfaltsmaßstabes nach § 1299 ABGB keinen Grund gehabt, am Vorliegen der baubehördlichen Benützungsbewilligung für das bereits etwa 13 Jahre in einem Wohn-Siedlungs-Gebiet stehende und tatsächlich benützte Wohngebäude zu zweifeln und diesbezügliche Erhebungen zu pflegen.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Zwangsversteigerung von Liegenschaften ist ein gerichtlicher Verwertungsakt zur Befriedigung titelmäßig belegter Geldforderungen. Ziel ist die Gläubigerbefriedigung. Mittel zu diesem Zweck ist die Verwertung des Eigentumsrechtes des Schuldners an unbeweglichen Gütern durch Austausch dieses Eigentumsrechtes an der Liegenschaft gegen das Meistbot des Erstehers. Ausgestaltet ist diese der wirtschaftlichen Funktion des bürgerlich-rechtlichen Kaufes entsprechende Vermögensversilberung als behördlicher Akt. Hoheitliche Zwangsgewalt wird dabei vornehmlich gegen den Schuldner als den Verpflichteten ausgeübt. Betroffen werden in gewissem Umfang auch die Interessen bücherlich Berechtigter. Die am Erwerb gegen das von ihnen zu leistende Meistbot Interessierten werden ähnlich wie Kaufinteressenten im Falle eines bürgerlich-rechtlichen Verkaufes umworben, ihre Beteiligung samt behördlichen Verwertungsakt liegt in ihrem freien Belieben. Das Gesetz gebraucht für sie - ohne daß daraus dogmatische Folgerungen gezogen werden dürften - in § 176 Abs. 1 EO den beschreibenden Ausdruck "Kauflustige". Der spätere Ersteher tritt erst durch die in seinem Ermessen gelegene Beteiligung am Bietvorgang in einer verpflichtenden Weise in den Verfahrensgang ein. Für ihn sind die Versteigerungsbedingungen (samt den gesetzlichen Regelungen über Überbot, bücherlichen Erwerb, Besitzeinweisung, Wiederversteigerung usw.) eine dem Anbot des Verkäufers beim bürgerlich-rechtlichen Kauf (samt den gesetzlichen Bestimmungen über entgeltliche Rechtsgeschäfte im allgemeinen und Kaufverträge im besonderen) vergleichbare Grundlage für die von ihm für seine Leistung zu erwartende Gegenleistung.
Auf das Zustandekommen und den Inhalt der Versteigerungsbedingungen hat der Bietinteressent vergleichsweise ebensowenig Einfluß wie der Kaufinteressent auf den Inhalt des Kaufanbotes. Ihm ist lediglich ein schutzwürdiges Interesse an einer klaren Umschreibung der in das Austauschverhältnis zu setzenden gegenseitigen Leistungen zuzubilligen. Der spätere Ersteher hat als "Kauflustiger" und Bieter in Ansehung der unmittelbar für das geringste Gebot und mittelbar für die Zulässigkeit des Überbotes maßgebenden Schätzwertbestimmung eine wesentlich andere Rechtsstellung als der Verpflichtete, dem ein schutzwürdiges Interesse gegen Vermögensverschleuderung zukommt, und als der betreibende Gläubiger, dem der Zugriff auf verwertbares Vermögen zur Befriedigung seiner titelmäßigen Geldforderung nicht verwehrt werden soll. Dementsprechend sind auch die vom gerichtlich bestellten Schätzungsgutachter zu wahrenden Sorgfaltspflichten gegenüber dem Verpflichteten, dem betreibenden Gläubiger und den Buchberechtigten anders einzuschätzen als die gegenüber einem späteren Ersteher. Dieser hat keinen Anspruch auf einen Zuschlag zu einem objektiv gerechtfertigten Meistbot. Das Gesetz kennt ein geringstes Gebot, aber kein höchstes Gebot.
Soweit anerkannt wird, daß der Schätzwert auch für den späteren Ersteher einen Anhaltspunkt für seine Beteiligung am Bieten gewähre (vgl. Heller-Berger-Stix, Komm. zur EO[4], II, 1128 unter Zitierung der Materialen), wäre ein rechtlich zu schützendes Interesse des Bieters an der Richtigkeit des Schätzwertes in dem Augenblick überholt, in dem sich der Bietvorgang zu einer Lizitation mehrerer Bieter entwickelt, weil dann die Bestimmung des Meistbotes nicht mehr vom geringsten Gebot, sondern von dem in ihrer wirtschaftlichen Eigenverantwortlichkeit gelegenen Bietverhalten der konkurrierenden Bieter, mit anderen Worten von ihrer "Kauflust" abhängt. Der spätere Ersteher hat als Kauflustiger keinen Anspruch auf die in Zwangsversteigerung gezogene Liegenschaft, er hat nur einen im Verfahrensrecht begrundeten Anspruch, nicht ungünstiger behandelt zu werden als andere Kauflustige. Von dem - im anhängigen Rechtsstreit nicht aktuellen - Fall betrügerischer Handlungsweise abgesehen, trifft den im Liegenschaftszwangsversteigerungsverfahren gerichtlich gestellten Schätzungsgutachter gegenüber dem späteren Ersteher in Ansehung der gutächtlichen Äußerung zur Schätzwertermittlung keine besondere Sorgfaltspflicht. Die Stellung des Bieters und späteren Erstehers ist nach seiner rechtlich geschützten Lage (nach der er auch einen objektiv überhöhten Schätzwert als für ihn nicht beeinflußbares Faktum der Versteigerungsbedingungen bei seiner Beteiligung am Bietvorgang hinzunehmen hat) von der der Prozeßparteien gegenüber dem im Rechtsstreit in deren Interesse bestellten Sachverständigen (SZ 11/225; SZ 50/98), von der eines Pflegebefohlenen gegenüber dem im Pflegschaftsverfahren in dessen Interesse beigezogenen Sachverständigen (SZ 16/143), aber auch von der der Verpflichteten (SZ 39/222), des Betreibenden und des Buchberechtigten gegenüber dem im Zwangsversteigerungsverfahren in deren Interessen bestellten Schätzungsgutachter zu unterscheiden. Selbst auf Fahrlässigkeit beruhende Abweichungen des vom Sachverständigen im Liegenschaftszwangsversteigerungsverfahren ermittelten Schätzwertes von dem unter Beachtung der Schätzungsgrundsätze und dem Wissen und den Erfahrungen der Branchenkundigen zu erwartenden Näherungswert einschließlich einer Toleranzgrenze begrundeten mangels Rechtswidrigkeitszusammenhanges keinen Schadenersatzanspruch des späteren Erstehers für Nachteile, die diesem im Vertrauen auf eine weitgehende Annäherung des Schätzwertes an den Verkehrswert der versteigerten Liegenschaft erwachsen sein mögen (vgl. Bydlinski in der Glosse zur Entscheidung des OGH vom 2. 12. 1964, 6 Ob 313, 314/64, JBl. 1965, 320 f.; Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht[2] II 190).
Trifft das Gericht als dem behördlichen Veräußerer im Liegenschaftszwangsversteigerungsverfahren gegenüber dem späteren Ersteher keine Rechtspflicht zur Festsetzung eines objektiv gerechtfertigten geringsten Gebotes, können auch diesbezüglich keine Sorgfaltspflichten des vom Gericht zur Schätzwertermittlung beigezogenen Sachverständigen gegenüber dem späteren Ersteher anerkannt werden.
Anders dagegen ist die in erster Linie zur Information der Kauflustigen durch Angabe des Umfanges und der wesentlichen Eigenschaften des Veräußerungsgegenstandes bestimmte Beschreibung der zu versteigernden Liegenschaft zu beurteilen. Gemäß § 189 Abs. 2 EO kann der Ersteher wegen Unrichtigkeit der Angaben, die in den Versteigerungsbedingungen oder in den vor der Versteigerung mitgeteilten Akten über die versteigerte Liegenschaft oder über deren Zubehör enthalten waren, keinen Anspruch auf Gewährleistung erheben. Die entsprechende Regelung der Regierungsvorlage (§ 195 Abs. 2) lautete: "Der Ersteher kann nicht die gänzliche oder teilweise Befreiung von seinen Verbindlichkeiten oder Ersatz begehren, weil sich die Angaben über das versteigerte Objekt oder dessen Zubehör, welche in den vor der Versteigerung verlesenen Akten enthalten waren, nachträglich als unrichtig erweisen." Die Materialien bieten keinen Anhaltspunkt für die mit der Änderung verfolgten Absichten.
Der nach der geltenden Gesetzeslage normierte Gewährleistungsausschluß des § 189 Abs. 2 EO berührt die auf Verschulden gegrundeten Schadenersatzansprüche nicht. Ein im Liegenschaftszwangsversteigerungsverfahren zur Schätzung beigezogener Gutachter, dem aus der Aktenlage bekannt ist, daß die gemäß § 144 Abs. 1 EO dem Vollstreckungsorgan obliegende Beschreibung durch den Befund im Schätzungsgutachten ersetzt werden soll, hat nicht nur seine gutächtliche Bewertung zu erläutern, sondern auch die für eine vollständige Beschreibung wesentlichen Umstände festzuhalten. § 28 Abs. 2 Z 1 RealSchO nennt unter den bei Gebäuden anzuführenden Momenten zwar den Bauzustand und die auf Feuergefahr Einfluß nehmenden Momente, nicht aber ausdrücklich und bedingungslos das Vorliegen baubehördlicher Benützungsbewilligungen. Die Aufzählung in der genannten Gesetzesstelle ist nur demonstrativ. Die Ansicht, mangels ausdrücklicher Erwähnung der baubehördlichen Genehmigungen für Bestand und Benützung eines Gebäudes in der Realschätzordnung seien solche Genehmigungen nur in Zweifelsfällen zu erheben und festzuhalten, ist vertretbar.
Die bei der Besichtigung der vom Beklagten geschätzten Liegenschaft festzustellenden Umstände mußten in einem Sachverständigen nicht den Verdacht erwecken, die Benützungsbewilligung sei - so sie nicht ohnedies bereits erteilt worden wäre - nicht erlangbar. In Ansehung des Wohnhauses mochte das Verhalten der Baubehörde die Annahme bestärken, es bestunden gegen die Benützung des Gebäudes als Wohnhaus keine baubehördlichen Bedenken, in Ansehung des Anbaues aber war der Hinweis des Beklagten auf den noch nicht vollständig erreichten Ausbau der Räume für einen Kauflustigen Warnung genug, die baurechtlichen Grundlagen unmittelbar bei der Behörde oder im Wege des Gerichtes zu klären oder mangels hinreichender Aufklärung vom Bieten abzustehen.
Das Revisionsgericht teilt daher im Ergebnis die Beurteilung der Vorinstanz, daß es an den Voraussetzungen für den geltend gemachten Schadenersatzanspruch des Erstehers gegen den zur Schätzung beigezogenen Sachverständigen gebricht, weil dem Beklagten die Unterlassung der Einsichtnahme in die Bauakten nach den festgestellten Umständen nicht als Pflichtwidrigkeit anzulasten ist und die sonstigen Unrichtigkeiten in Detailangaben keinen wesentlichen Einfluß auf die mit der Beschreibung der Liegenschaft zu bewirkende Information der Kauflustigen hatten.
Anmerkung
Z57105Schlagworte
Exekution, s. a. Realexekution, Liegenschaftsexekution, s. a. Realexekution, Realexekution, Haftung des zur Schätzung beigezogenen Sachverständigen, Sachverständiger, Haftung bei Realexekution, Schätzwert (Realexekution), Haftung des Sachverständigen, Zwangsversteigerungsverfahren, Haftung des zur Schätzung der, Liegenschaft beigezogenen SachverständigenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1984:0060OB00601.82.0607.000Dokumentnummer
JJT_19840607_OGH0002_0060OB00601_8200000_000