Norm
ASVG §58Kopf
SZ 57/112
Spruch
Durch das Insolvenzentgelt-Sicherungsgesetz ist keine Änderung der Sozialversicherungsbeitragspflicht eingetreten
OGH 20. 6. 1984, 6 Ob 603/83 (OLG Wien 15 R 4/83; LGZ Wien 40 c Cg 7/82)
Text
Über das Vermögen der Firma St. GesmbH wurde mit Beschluß des Handelsgerichtes Wien vom 18. 5. 1981 der Konkurs eröffnet.
Die Klägerin begehrte von den beiden Beklagten als Bürgen und Zahlern die Bezahlung von Sozialversicherungsbeiträgen, die sich auf die Beschäftigung von Dienstnehmern der Firma St. GesmbH in den Monaten September und Oktober 1981 grunden. Die Firma St. GesmbH schulde der Klägerin rückständige Sozialversicherungsbeiträge. Am 13. 3. 1975 seien die beiden Beklagten der Beitragsschuld an rückständigen Sozialversicherungsbeiträgen einschließlich Feber 1975 auf den jeweiligen Beitragskonten in der Höhe von 218 138.07 S zuzüglich der noch zu berechnenden Nebengebühren sowie der Nachtragsvorschreibungen und der Beitragszuschläge als Bürgen und Zahler vorbehaltslos und unwiderruflich beigetreten. Gleichzeitig seien sie den ab März 1975 auf den Beitragskonten neu auflaufenden Sozialversicherungsbeiträgen, Nebengebühren, Nachtragsvorschreibungen und Beitragszuschlägen als Bürgen und Zahler vorbehaltslos und unwiderruflich beigetreten. Die rückständigen Sozialversicherungsbeiträge betrügen 434 983.17 S.
Die Beklagten beantragten Abweisung des Klagebegehrens und wendeten ein: Der Beitragspflicht unterworfene Beträge seien vom Arbeitsamt nach den Bestimmungen des Insolvenz-Entgeltsicherungsgesetzes bezahlt worden. Die Bürgschaftserklärung umfasse diese Beträge nicht, weil die Bürgen auf deren Auszahlung keinen Einfluß hätten nehmen können. Das erwähnte Gesetz sei zum Zeitpunkt der Abgabe der Erklärung noch nicht erlassen gewesen, die Forderung sei daher unbestimmt.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Beklagten haften als Bürgen und Zahler nur für Schulden der St. GesmbH, die gegenständliche Beitragsforderung sei aber erst nach Eröffnung des Konkurses über die Gesellschaft entstanden und damit eine Masseforderung, für die nur die Masse hafte. Die Gemeinschuldnerin sei daher nicht Schuldnerin. Daraus folge, daß die Klägerin als Massegläubigerin die Bezahlung ihrer als Masseforderung zu qualifizierenden Klagsforderung nur vom Masseverwalter, nicht aber von den beiden Beklagten verlangen könne, weil sich diese nur für die Firma St. GesmbH, nicht aber für den Masseverwalter verbürgt hätten.
Das Berufungsgericht hob infolge Berufung der Klägerin das Urteil des Erstgerichtes unter Rechtskraftvorbehalt auf. Schuldner der Masseforderung sei der Gemeinschuldner, niemals der Masseverwalter. Der Umstand, daß im Konkurs durch den Masseverwalter Vertretungshandlungen vorgenommen würden, ändere daran nichts. Ebensowenig könne grundsätzlich angenommen werden, daß Bürgschaftserklärungen für den Fall des Konkurses allein deshalb nicht gelten sollten, weil der Hauptschuldner in diesem Fall durch einen Masseverwalter vertreten werde. Gerade bei einer Bürgschaft für eine Hauptschuld, der ein Dauerschuldverhältnis zugrunde liege, sei es sogar der Regelfall, daß deren Höhe der unmittelbaren Einflußnahme des Bürgen entzogen sei. Dies treffe umsomehr dann zu, wenn die Bürgschaftserklärung einen Konkurs abwenden solle, der nicht mit der schlagartigen Beendigung aller Schuldverhältnisse des Gemeinschuldners enden könne, und der Verzicht auf den Konkurseröffnungsantrag ein wirtschaftliches Risiko für den Gläubiger mit sich bringe. Sicherlich sei es denkbar, daß im vorliegenden Fall eine anderslautende Parteienvereinbarung vorliege, doch könne eine solche weder dem in diesem Verfahrensstadium allein maßgeblichen Klagsvorbringen noch dem Wortlaut der vorliegenden Bürgschaftserklärung entnommen werden, sodaß die Klage als schlüssig anzusehen sei. Darüber hinaus sei die Übernahme einer Bürgschaft für die in Zukunft fällig werdenden Sozialversicherungsbeiträge eines Unternehmens grundsätzlich wirksam. Allerdings handle es sich hiebei um ein Dauerschuldverhältnis, das auch bei unwiderruflicher Übernahme der Bürgschaft aus wichtigem Grund aufgelöst werden könnte. Ob die Eröffnung des Konkurses über den Hauptschuldner als ein solcher angesehen werden könne, müsse allerdings vom Geschäftszweck des Bürgschaftsvertrages abhängen. Im übrigen habe die Konkurseröffnung nicht die Befreiung von der Beitragspflicht nach dem Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz zur Folge. Das Erstgericht werde somit Beweisaufnahmen durchzuführen haben. Das Insolvenz-Entgeltsicherungsgesetz sehe die Übernahme der Sozialversicherungsbeiträge durch Bescheid der Arbeitsämter nicht vor. Es wäre daher Sache der Beklagten darzutun, inwiefern sie ungeachtet des Inhaltes der Rückstandsausweise der Klägerin dennoch von ihrer Leistungspflicht befreit worden seien.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der Beklagten nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Die Beklagten sehen die "Bürgschaftserklärung im Jahre 1975" als unwirksam an, weil es sich nach ihrer Auffassung um eine unbestimmmte gegen die guten Sitten verstoßende Zukunftsbürgschaft gehandelt habe. Sie leiten die Unbestimmtheit und damit die Unwirksamkeit der Bürgschaftserklärung daraus ab, daß die der gegenständlichen Forderung zugrunde liegende Hauptschuld auf Grund des Insolvenz-Entgeltsicherungsgesetzes entstanden, dieses Gesetz aber im Zeitpunkt der Bürgschaftserklärung noch nicht wirksam gewesen sei.
Diesen Ausführungen kann nicht zugestimmt werden. Abgesehen davon, daß für die Beurteilung der Frage, ob die künftigen Sozialversicherungsbeiträge, für die sich die Beklagten verbürgten, genügend bestimmt oder bestimmbar waren, der Zeitpunkt der Erklärung bzw. der Zeitpunkt ihres Zuganges maßgebend und daher das Insolvenz-Entgeltsicherungsgesetz bei dieser Beurteilung außer acht zu lassen ist, hat dieses Gesetz bezüglich der Verpflichtung zur Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge keine Änderung gebracht, weshalb es für die Frage der Bestimmtheit der künftigen Hauptschuld (Sozialversicherungsbeiträge) ohne jegliche Bedeutung ist. Die Frage der Wirksamkeit der Bürgschaftserklärung aus dem Gesichtspunkt der Bestimmtheit (Bestimmbarkeit) der Bürgschaftserklärung ist daher nicht anders zu beurteilen als im Falle der Entscheidung SZ 42/36 (vgl. zur Frage der Wirksamkeit der Bürgschaft für künftige Verbindlichkeiten außer der in dieser Entscheidung zitierten Lehre und Rechtsprechung noch Ehrenzweig, System[2], II/1, 110; Esser-Weyer, Schuldrecht[6] II 303; Münchener Kommentar RdNr. 12 zu § 765;
BGB; Palandt, BGB[43] Anm. 2 zu § 765; JBl. 1971, 521; 8 Ob 209/79;
3 Ob 540/81). Von einer Unwirksamkeit der Bürgschaftserklärung wegen Unbestimmtheit oder Unbestimmbarkeit der künftigen Verbindlichkeit kann daher keine Rede sein.
Sollten die Beklagten mit ihren Ausführungen aber meinen, die geltend gemachten Sozialversicherungsbeiträge seien von der Bürgschaftserklärung nicht umfaßt, weil es sich um Beiträge gehandelt habe, die erst auf Grund des Insolvenz-Entgeltsicherungsgesetzes, das erst später geschaffen worden sei, entstanden seien, kann ihnen ebenfalls nicht gefolgt werden. Schon oben wurde darauf verwiesen, daß durch dieses Gesetz keine Änderung der Sozialversicherungsbeitragspflicht eingetreten ist. Mangels einer Änderung der Hauptschuld erübrigen sich alle Fragen, ob im Falle einer solchen Änderung die Beklagten auf Grund ihrer Bürgschaftserklärung auch dafür hafteten. Kein Zweifel kann daran bestehen, daß die festgestellte Erklärung dahin zu verstehen ist, daß die Beklagten für alle auf den Beitragskonten der Firma St. GesmbH auflaufenden Sozialversicherungsbeiträge als Bürge und Zahler haften sollten, und zwar auch im Falle der Zahlungsunfähigkeit der Hauptschuldnerin. Es ist ja gerade der Hauptzweck der Bürgschaft, den Gläubigern gegen die Zahlungsunfähigkeit des Hauptschuldners zu sichern (vgl. Ehrenzweig aaO 112; 3 Ob 540/81).
Die weiteren Rekursausführungen, die Zahlungen durch den Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds seien nicht Entgeltzahlungen aus einem Dienstverhältnis, sondern Zahlungen durch einen Drittten, dem die Ansprüche gegen den Arbeitgeber bzw. die Konkursmasse übertragen worden seien, dieser Fonds stehe in Ansehung der Rangordnung dem Arbeitnehmer gleich, was zur Folge habe, daß erst durch die Zahlung der Masse an den Fonds ein sozialversicherungsbeitragspflichtiges Entgelt geleistet werde, weshalb die Beklagten allein aus diesem Grund von ihrer Leistungspflicht befreit seien, setzen sich neuerlich über den Umstand hinweg, daß das Insolvenz-Entgeltsicherungsgesetz keine Änderung der Beitragspflicht des Dienstgebers gebracht hat. Das Gesetz geht - wie sich aus den Materialien (464 BlgNR XIV. GP 9) ergibt - davon aus, daß die Sozialversicherungsbeiträge im Insolvenzverfahren von den zuständigen Stellen geltend gemacht werden. Hauptschuldnerin der Beitragsverbindlichkeiten blieb daher auch nach der Konkurseröffnung, mit der die Gesellschaft nicht endete (Kastner, Grundriß des österreichischen Gesellschaftsrechts[4], 330 f.;
Gellis, Kommentar zum GmbHG[2], 444; Reich-Rohrwig, GmbH-Recht, 656;
EvBl. 1960/108; 3 Ob 540/81), die St. GesmbH. Ob und wann die Hauptschuldnerin Entgelt an die Arbeitnehmer oder an den Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds bezahlt, ist entgegen der Auffassung der Beklagten für die Entstehung und Fälligkeit der Beitragsschuld der Hauptschuldnerin ohne Bedeutung (§ 58 Abs. 1 und 2 ASVG), weshalb daher selbst in erster Instanz eine diesbezügliche Einrede der Beklagten als Bürgen und Zahler nicht mit Erfolg erhoben werden könnte.
Damit erweist sich das Verfahren insofern als ergänzungsbedürftig, als Feststellungen über die Höhe und Fälligkeit der (verbürgten) Hauptschuld zu treffen sein werden.
Anmerkung
Z57112Schlagworte
Insolvenzentgeltsicherung, keine Änderung der, Sozialversicherungsbeitragspflicht, Sozialversicherungsbeitragspflicht, keine Änderung durch IESGEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1984:0060OB00603.83.0620.000Dokumentnummer
JJT_19840620_OGH0002_0060OB00603_8300000_000