Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 10.Juli 1984 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Faseth als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Friedrich, Dr. Lachner, Dr. Felzmann sowie Hon.Prof. Dr. Brustbauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Wittmann als Schriftführer in der Strafsache gegen Cornelius Christoph A und Doris B wegen des Verbrechens der schweren Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen nach §§ 83 Abs. 2, 84 Abs. 1, 85
Z. 1 und Z. 3 StGB. sowie anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und Berufungen des Angeklagten A sowie der Staatsanwaltschaft hinsichtlich der Angeklagten B gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Schöffengericht vom 28.März 1984, GZ. 22 Vr 1.290/83-23, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Cornelius Christoph A wird teilweise Folge gegeben, das angefochtene Urteil, welches im übrigen unberührt bleibt, hinsichtlich dieses Angeklagten im Schuldspruch laut Punkt I.2. sowie I.3. und im Strafausspruch, nach § 290 Abs. 1 StPO. aber auch in Ansehung der Angeklagten Doris B (zur Gänze) aufgehoben sowie die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Im übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten A zurückgewiesen.
Die Staatsanwaltschaft mit ihrer Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung sowie der Angeklagte A mit seiner Berufung werden auf diese Entscheidung verwiesen.
Gemäß § 390 a StPO. fallen dem Angeklagten A auch die den erfolglos gebliebenen Teil seiner Rechtsmittel betreffenden Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem (auch einen unbekämpft gebliebenen Teilfreispruch enthaltenden) angefochtenen Urteil wurden (I.) Cornelius Christoph A - der Verbrechen (1.) der schweren Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen nach §§ 83 Abs. 2, 84 Abs. 1, 85
Z. 1 und Z. 3 StGB. sowie (2. und 3.) der Vernachlässigung (zu ergänzen: und des Quälens) eines Unmündigen nach § 92 Abs. 2 und Abs. 3 dritter Fall sowie Abs. 1 StGB.; und (II.) Doris B - des Vergehens der Vernachlässigung (gemeint: des Quälens) eines Unmündigen nach § 92 Abs. 1 StGB schuldig erkannt. Darnach haben in Absam (zu I.) A -
(zu 1.) am 13.Juni 1981 das damals etwa drei Monate alte Kind Thomas B durch Schläge sowie dadurch, daß er es aus etwa einem Meter Entfernung in ein Gitterbett warf, wobei es mit dem Kopf gegen dessen Stäbe prallte, am Körper mißhandelt und dadurch fahrlässig verletzt, wobei die Tat ein schweres Schädel-Hirn-Trauma mit Schädelbruch und daraus resultierender Blutung unter der harten Hirnhaut sowie massiver bleibender Hirnschädigung und damit (für immer) verbundener schwerer Schädigung der Sprachentwicklung, des Sehvermögens und des Gehörs sowie zudem für immer ein schweres Leiden, und zwar epileptische Anfälle, nach sich zog; (zu 2.) am 10.Februar 1983 seine Verpflichtung zur Fürsorge und Obhut gegenüber dem zu dieser Zeit etwa 23 Monate alten zuvor genannten Kind, welches seiner Fürsorge und Obhut unterstand, gröblich vernachlässigt und dadurch, wenn auch nur fahrlässig, dessen Gesundheit beträchtlich geschädigt, wobei die Tat dessen Tod zur Folge hatte, indem er es mit dem Bauch auf eine von ihm mit siedend heißem Wasser gefüllte Wärmeflasche legte, nur ein nasses Handtuch dazwischen breitete und es ca. zehn Minuten lang darauf liegen ließ, wodurch es ausgedehnte Verbrennungen an der Rumpfvorderseite sowie im Bereich der Oberschenkel erlitt und am 11. März 1983 an einer daraus entstandenen massiven Lungenfunktionsstörung verstarb; sowie (zu I.3. und II.) beide Angeklagten -
in der Zeit vom 10.Februar bis zum 2.März 1983
dem damals etwa 23 Monate alten Thomas B, der ihrer Fürsorge und Obhut unterstand, körperliche Qualen zugefügt, indem sie es unterließen, ihn zur Behandlung der unter I.2. bezeichneten Verletzungen, die ihm A zugefügt hatte, eine ärztliche Versorgung zukommen zu lassen.
Gegen dieses Urteil haben der Angeklagte A sowie die Staatsanwaltschaft hinsichtlich der Angeklagten B Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung ergriffen.
Rechtliche Beurteilung
Der auf § 281 Abs. 1 Z. 5, 8, 9 lit. a und 10 StPO. gestützten Nichtigkeitsbeschwerde des erstgenannten Angeklagten kommt teilweise Berechtigung zu.
Offenbar unbegründet ist seine Mängelrüge (Z. 5), soweit sie sich gegen die Feststellung richtet, daß ihn das längerdauernde Schreien des Kindes in jener Nacht, in der er es (dann) schwer verletzte (Faktum I.1.), 'gewaltig geärgert' und daß er es schon vor diesem Vorfall 'deshalb schon öfters geschlagen' hatte (US. 7). Denn zum einen betreffen die darauf bezogenen Einwände, selbst wenn sie - mit dem primären Beschwerdeantrag vereinbar - (arg. 'insbesondere') nicht bloß auf die (innerhalb des gesetzlichen Rahmens nur mit Berufung anfechtbare) Strafzumessung gemünzt sein sollten, auch im übrigen keine entscheidenden Tatsachen im Sinn des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes, weil die Annahme seines Mißhandlungsvorsatzes bei jener Tat im Hinblick auf Art und Intensität seiner inkriminierten Tätlichkeiten nach den Urteilsfeststellungen augenscheinlich auch dann nicht in Frage stünde, wenn er (seinem Vorbringen entsprechend) durch das nächtliche Schreien des Kindes bloß 'übermüdet und gereizt' gewesen wäre sowie letzteres bis dahin erst 'ein- oder zweimal' geschlagen hätte, und zum anderen finden die bekämpften Konstatierungen, davon ganz abgesehen, ohnehin in seinen eigenen Angaben vor der Gendarmerie (S. 85, 99, 103) durchaus Deckung.
In diesem Umfang war daher die Beschwerde nach Anhörung der Generalprokuratur schon bei einer nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285 d Abs. 1 Z. 2 StPO.).
Mit Recht dagegen reklamiert der Beschwerdeführer Begründungsmängel (Z. 5) zu den für die subjektive Tatseite des ihm angelasteten Vernachlässigens und Quälens eines Unmündigen (Fakten I.2. und 3.) maßgebenden Feststellungen.
Denn jene Konstatierung zum Faktum I.2., wonach er das Kind liegen ließ, obwohl er 'sehen mußte', daß es Verbrennungen erleide (US. 11), ist deswegen, weil sie lediglich eine Fahrlässigkeit aufzuzeigen vermag (vgl. Leukauf-Steininger 2 , RN. 18 zu § 5), von vornherein nur für die Zurechnung der daraus (vorerst) entstandenen Gesundheitsschädigung beim Opfer (als zum Grundtatbestand des Vergehens nach § 92 Abs. 2 StGB. gehöriger Deliktserfolg) tragfähig, nicht aber auch für die Annahme des zur Verwirklichung dieses Delikts auf der subjektiven Tatseite (in erster Linie) erforderlichen Vorsatzes, der sich sowohl auf die tatbestandsmäßige Pflichtwidrigkeit als auch auf jene Umstände erstrecken muß, die - im Hinblick darauf, daß sie ein krasses, geradezu auf einen Charaktermangel beim Täter hinweisendes Mißverhältnis zwischen seinem Verhalten und dem im konkreten Fall von ihm erwarteten Maß an Fürsorge oder Obhut offenbaren - deren Gröblichkeit ausmachen (vgl. ÖJZ-LSK. 1984/21, EvBl. 1979/179 u.a.). Bei der demnach in diese Richtung hin allein aktuellen (und insoweit ohnedies äußerst dürftigen) Feststellung jedoch, der Beschwerdeführer habe sich 'damit abgefunden', daß er das Kind 'zunächst einmal auf eine viel zu heiße Wärmeflasche legte' (US. 11), hat das Schöffengericht in der Tat jene Teile seiner darauf bezogenen Verantwortung ohne jede Erwähnung übergangen, mit denen er - unbeschadet seines Zugeständnisses, gewußt zu haben, daß das Wasser in der Wärmeflasche 'sehr heiß' oder doch jedenfalls 'heiß' gewesen sei - von Anfang an beteuerte, erst nachträglich erkannt zu haben, daß es sogar 'zu heiß' gewesen war, wogegen er vorher geglaubt habe, das Kind schreie nur deshalb, weil es keinen Stuhlgang habe und an Blähungen leide (S. 85, 87, 107, 109, 242). Damit hätte es sich aber schon deshalb jedenfalls auseinandersetzen müssen, weil es ihm doch ausdrücklich zubilligte, dem Kind die Wärmeflasche zur Linderung der angenommenen Verdauungsstörungen aufgelegt zu haben: warum er es trotz dieser subjektiv zu dessen Gunsten entfalteten Fürsorge nichtsdestoweniger ernstlich für möglich gehalten, also als naheliegend angesehen, und sich damit abgefunden haben sollte, daß die Wärmeflasche 'viel zu heiß' sein und das Kind dementsprechend durch ihr Auflegen Verbrennungen erleiden könnte - oder mit anderen Worten: warum er einerseits gezielt fürsorglich tätig geworden sein, anderseits aber gerade dabei seine Fürsorgepflicht nicht bloß fahrlässig, sondern sogar mit (sei es auch nur bedingtem) Vorsatz gröblich vernachlässigt haben sollte -, hätte, um mit den Grundsätzen der Logik und allgemeiner Lebenserfahrung vereinbar zu sein, zumindest einer besonderen Begründung bedurft; eine solche wäre umso notwendiger gewesen, als die Unterstellung eines Vorsatzes in die zuletzt relevierte Richtung hin in Verbindung mit der Art des ihm angelasteten Tatverhaltens doch weit eher die - mit einem Vorhaben, Schmerzen zu lindern, gewiß nicht mehr in Einklang zu bringende - Annahme eines vorsätzlichen Quälens (§ 92 Abs. 1 StGB.) nahelegen würde.
Die Feststellung des Schöffengerichts, daß der Angeklagte das heftig schreiende Kind etwa zehn Minuten lang auf der Wärmeflasche liegen ließ, daneben stand und nichts tat, obgleich es sich vor Schmerzen krümmte, sowie der damit verbundene Hinweis auf die Unglaubwürdigkeit seiner dies teilweise bestreitenden Darstellung (S. 242), wonach er es ohnehin anfangs einmal von der Wärmeflasche weggehoben, aber keine Verletzungen wahrgenommen und es deswegen wieder daraufgelegt habe (US. 10), vermögen die aufgezeigte eklatante Ungereimtheit der Urteilsbegründung in Ansehung seiner Motivation bei seinem gesamten hier inkriminierten Tatverhalten nicht zu beheben und sind zudem ihrerseits zum Teil nur offenbar unzureichend begründet.
Denn bei der Annahme, der Beschwerdeführer habe den zuletzt wiedergegebenen angeblichen Vorgang erstmals in der Hauptverhandlung erwähnt, hat das Schöffengericht übersehen, daß er sich schon bei seiner ersten Vernehmung darauf berief (S. 85), und bei der (aus seinem konstatierten Verhalten gezogenen) Schlußfolgerung auf eine Vorsätzlichkeit seiner Pflichtverletzung hat es - wie schon gesagt - jenen Teil seiner Verantwortung mit Stillschweigen übergangen, wonach er das Schreien des Kindes nicht auf die Temperatur der Wärmeflasche zurückgeführt habe, sondern auf die Blähungen, derentwegen er es ja auf die Flasche daraufgelegt habe. Im wesentlichen Gleiches gilt zu den Fakten I.3. und II. für die Annahme, beide Angeklagten hätten dem Kind, nachdem es die schweren Verbrennungen erlitten hatte, durch die Unterlassung der Beiziehung eines Arztes vorsätzlich unnötige Qualen, also lang andauernde oder immer wiederkehrende heftige Schmerzen, zugefügt (§ 92 Abs. 1 StGB.); ist doch auch damit die andere Feststellung, daß sie sich immerhin entschlossen hatten, es selbst - obgleich mit objektiv völlig unzulänglichen Mitteln - 'zu behandeln', sohin positive Handlungen zu setzen, die (möglicherweise mit gegenteiligem Erfolg; siehe dazu S. 246) auf seine Heilung hinzielten, indem sie die Brandblasen aufstachen, abtupften und mit einer (wiewohl objektiv ungeeigneten) Salbe bestrichen (US. 11, 13), nicht ohne weiteres in Einklang zu bringen. Das Schöffengericht hätte sich daher, um mängelfrei davon ausgehen zu können, daß den Angeklagten bewußt war, das Kind werde trotz seiner Behandlung durch sie infolge der Nichtbeiziehung eines Arztes an heftigen, durch ärztliche Versorgung vermeidbaren Schmerzen leiden (US. 12, 13), jedenfalls mit ihrer nach dem Gutachten des gerichtsmedizinischen Sachverständigen (S. 245 f.) nicht von vornherein von der Hand zu weisenden Verantwortung auseinandersetzen müssen, wonach es sich auch während dieses Tatzeitraums normal verhielt und wonach sie dementsprechend nicht bemerkten, daß es Schmerzen hatte (S. 109, 242, 243; anders dagegen S. 139).
Der durch die Nichterörterung ihrer dahingehenden - für die Frage, ob sie das Kind vorsätzlich gequält (Abs. 1) haben, essentiellen - Behauptungen unterlaufene Begründungsfehler stünde zwar nicht, wie der Vollständigkeit halber bemerkt sei, auch der anderen Annahme entgegen, daß sie durch die Unterlassung der Beiziehung eines Arztes vorsätzlich immerhin ihre (naturgemäß bei weitem nicht auf das Hintanhalten von Schmerzen beschränkte) Fürsorgepflicht gröblich vernachlässigt (Abs. 2) haben; eine solche Beurteilung wäre in der Tat durch die Urteilsfeststellung, daß sie die als zumindest zweckmäßig erkannte ärztliche Versorgung des von schweren Verbrennungen betroffenen knapp zweijährigen Kindes aus eigennützigen Motiven unterließen - woraus unzweifelhaft ein geradezu einen Charaktermangel offenbarendes krasses Mißverhältnis zwischen dem von ihnen allgemein zu erwartenden Maß an Fürsorge und ihrem inkriminierten wirklichen Verhalten erhellt - vollauf gerechtfertigt.
Nichtsdestoweniger kommt aber auch eine (dem insoweit erhobenen Anklagevorwurf entsprechende) Unterstellung des hier in Rede stehenden Tatverhaltens beider Angeklagten unter § 92 Abs. 2 StGB. nach den Entscheidungsgründen deswegen nicht in Betracht, weil das Erstgericht in tatsächlicher Hinsicht in seinen (diesbezüglich allerdings unvollständigen) Ausführungen eine Kausalität dieses Verhaltens für den Tod des Thomas B anscheinend ausgeschlossen, jedenfalls aber - von der (wie dargestellt nur mangelhaft begründeten) Annahme eines dadurch begangenen Quälens (Abs. 1) ausgehend - keine Feststellungen darüber getroffen hat, ob das Kind hiedurch nicht immerhin (vor seinem Tod) zumindest einen (solcherart fahrlässig herbeigeführten und) damit kausal zusammenhängenden beträchtlichen Schaden an seiner Gesundheit erlitten hatte. Die vom Angeklagten A zutreffend gerügten Begründungsmängel (Z. 5) zur subjektiven Tatseite des § 92 Abs. 2 (Faktum I.2.) sowie Abs. 1 StGB.
(Faktum I.3.), die nach § 290 Abs. 1 (zweiter Fall) StPO. von Amts wegen auch zugunsten der Angeklagten B (Faktum II.) wahrzunehmen waren, die keine Nichtigkeitsbeschwerde ergriffen hat, machen im davon betroffenen Umfang eine Verfahrenserneuerung in erster Instanz unumgänglich, sodaß insoweit, gleichfalls nach Anhörung der Generalprokuratur, schon in nichtöffentlicher Sitzung wie im Spruch zu erkennen war (§ 285 e StPO.), ohne daß es dazu erforderlich wäre, auf das weitere Beschwerdevorbringen des Angeklagten A sowie auf jenes der Staatsanwaltschaft einzugehen, die eine Verurteilung der Angeklagten B nach § 92 'Abs. 1 bzw. 2' sowie jedenfalls auch nach Abs. 3
dritter Fall StGB. anstrebt.
Im zweiten Rechtsgang wird das Schöffengericht - im Hinblick auf die Beschwerde der Anklagebehörde auch ohne Bindung an das Verbot der reformatio in peius - zu beachten haben:
1. Die Herbeiführung der Verbrennungen des Kindes durch den Angeklagten A einerseits und die folgende Nichtbeiziehung eines Arztes durch beide Angeklagten anderseits werden - von der bisher nicht indizierten Annahme eines auf einem einheitlichen Vorsatz beruhenden Gesamtverhaltens des Angeklagten A abgesehen - jedenfalls gesondert zu beurteilen sein (bei Verwirklichung beider Tatbestände: echte Realkonkurrenz). Eine überschreitung der unmißverständlich beide Geschehensphasen erfassenden Anklage durch eine (im einen oder im anderen Fall) von der darin vorgenommenen rechtlichen Beurteilung (nach § 92 Abs. 2 StGB.) abweichende Subsumtion kommt - einer in der Beschwerde des Angeklagten A vertretenen Auffassung zuwider - nicht in Betracht (§§ 262, 267 StPO.).
2. Soferne das Gericht nach Wiederholung und allfälliger Ergänzung der Beweisaufnahme nicht ohnedies zur Erkenntnis gelangt, daß beide Angeklagte durch die ohne Sachkenntnis übernommene Heilbehandlung, mit der sie unter Vernachlässigung der von Verbrennungen primär ausgehenden Gefahren (siehe dazu insbes. S. 246) nur - und auch dies bloß unzulänglich - die sichtbaren Folgen derselben bekämpften, sohin durch ein fehlerhaftes Handeln (und nicht durch ein bloßes Unterlassen) einen für den Eintritt des Todes bedeutsamen Beitrag geleistet haben (siehe abermals S. 246), wird ihr Verhalten nach dem Vorfall vom 10.Februar 1983 (Fakten I.3. und II.) unter dem Gesichtspunkt einer (pflichtwidrigen) Unterlassung (der Beiziehung eines Arztes) zu beurteilen sein.
Diese kann (nur) entweder den Tatbestand nach Abs. 2 oder - bei (im gegebenen Fall anzunehmendem) Vorliegen der weiteren Voraussetzungen des § 2
StGB. (vgl. Leukauf-Steininger 2 , RN. 5 zu § 92) - jenen nach Abs. 1 des § 92 StGB., nicht aber, wie die Staatsanwaltschaft (S. 279 oben: 'nicht nur ... Abs. 1 ..., sondern auch ... Abs. 2'; unklar dagegen S. 279 unten und S.
280: 'Abs. 1 bzw. 2') zu vermeinen scheint, beide Tatbestände in Idealkonkurrenz verwirklichen; Abs. 1 stellt sich nämlich im Verhältnis zu Abs. 2 als lex specialis dar, bei der dem schon im Tatverhalten ('Quälen') gelegenen besonders hohen Schuldgehalt das Fehlen des Erfordernisses besonderer (über das mit der Tathandlung begrifflich verbundene Zufügen von Qualen hinausgehender) Tatfolgen (im Sinn des Abs. 2) entspricht.
In Ansehung sowohl der nach Abs. 2 tatbestandsmäßigen als auch der nach Abs. 3 qualifizierenden Folgen dieses Verhaltens ist somit dessen Kausalität nach den für eine Erfolgszurechnung bei Unterlassungen geltenden Grundsätzen zu prüfen; die weiteren Kriterien einer Risikoerhöhung gegenüber rechtmäßigem Alternativerhalten dagegen werden - entgegen der dies verkennenden Ansicht der Anklagebehörde - bei einer Tatbegehung durch Unterlassung infolge des schon bei eben jener Kausalitätsprüfung anzulegenden strengen Maßstabs gar nicht mehr aktuell (vgl. Leukauf-Steininger 2 , RN. 29 zu § 80).
3. Darnach kommt es insoweit (im Sinn der herrschenden Äquivalenztheorie) darauf an, ob der betreffende Erfolg - im gegebenen Fall mithin der Tod des Kindes oder, bei einer Beurteilung des maßgebenden Täterverhaltens nur nach dem Grundtatbestand des § 92 Abs. 2 StGB., zumindest eine (im Anschluß an die Herbeiführung der Verbrennungen und vor dem Eintritt des Todes in Form eines immerhin vergleichsweise schlechteren Krankheitsverlaufs entstandene) beträchtliche Gesundheitsschädigung - mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit weggedacht werden muß, wenn man die vom Täter pflichtwidrig unterlassene Handlung, hier also die rechtzeitige Beiziehung eines Arztes, hinzudenkt (vgl. Nowakowski im WK., Vorbem. zu § 2, Rz. 28; Burgstaller, Fahrlässigkeitsdelikt, 86; Leukauf-Steininger 2 , Vorbem. zu § 1, RN. 23).
Hiebei ist allerdings zum einen ausschließlich auf den nach Erfahrungen der medizinischen Wissenschaft zu erwarten gewesenen Normalverlauf im Krankheitsgeschehen (unter Ausschluß rein theoretisch in Betracht kommender, jedoch konkret nicht indizierter Möglichkeiten) und zum anderen auf den Erfolg in seiner ganz konkreten Gestalt abzustellen, sodaß schon eine bei pflichtgemäßem Verhalten des Täters mit praktischer Gewißheit vorauszusehen gewesene, nicht bloß ganz unerhebliche Verzögerung des Eintritts der jeweiligen Tatfolge zur Annahme einer Kausalität genügt (vgl. RZ. 1977/23, ÖJZ-LSK. 1977/326; Nowakowski, a.a.O., Rz. 24; Burgstaller, a. a.O., 86 30 ;
Kienapfel in RZ. 1978, 5; Leukauf-Steininger 2 , a.a.O., RN. 21).
4. Für den Fall, daß dem Angeklagten A der Tod des Thomas B mangels eines hiefür kausalen Tatverhaltens im Sinne des § 92 (Abs. 1 oder Abs. 2) StGB. nicht nach § 92 Abs. 3 (dritter Fall) StGB. zurechenbar sein sollte - und nur für diesen Fall -, wird mit Bezug auf die Herbeiführung der Verbrennungen die Annahme einer fahrlässigen Tötung (§ 80 StGB.), allenfalls in Realkonkurrenz mit einem im Hinblick auf sein Folgeverhalten anzunehmenden (und mangels Annahme eines Kausalzusammenhangs nicht nach Abs. 3 dritter Fall qualifizierten) Vergehen nach § 92 (Abs. 1 oder Abs. 2) StGB., in Betracht kommen.
Anmerkung
E04676European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1984:0100OS00106.84.0710.000Dokumentnummer
JJT_19840710_OGH0002_0100OS00106_8400000_000