TE OGH 1984/9/6 6Ob16/84

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Veröffentlicht am 06.09.1984
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Resch, Dr. Riedler, Dr. Schlosser und Mag. Engelmaier als weitere Richter in der Außerstreitsache der Antragstellerin prot Firma C*****, vertreten durch Dr. Erich Urbantschitsch, Rechtsanwalt in Wien, wider die Antragsgegnerin M***** Gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Dr. Hermann Gaigg, Rechtsanwalt in Wien, wegen abschriftlicher Mitteilung der Bilanzen für die Geschäftsjahre 1981 und 1982 der „T*****“ *****, gemäß § 166 HGB, infolge Rekurses der Antragstellerin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 28. Juni 1984, GZ 5 R 51/84-167, womit der Beschluss des Handelgerichts Wien vom 20. Februar 1984, GZ 7 HRA 22.514-164, als nichtig aufgehoben und der Antrag zurückgewiesen wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Im Handelsregister des Handelsgerichts Wien ist die Firma „T*****“ ***** als Kommanditgesellschaft (im Folgenden kurz KG) mit dem Sitz in W***** seit 15. 2. 1954 eingetragen. Persönlich haftende Gesellschafterin ist die Antragsgegnerin, deren alleiniger Geschäftsführer Martin M***** ist. Kommanditisten sind dieser mit einer Einlage von 711.000 S und die Antragstellerin mit einer solchen von 257.000 S. Punkt 10. des Gesellschaftsvertrags vom 17. 9. 1973 bestimmt wie folgt:

„Bei Meinungsverschiedenheiten zwischen den Gesellschaftern bestellt jeder Gesellschafter einen Schiedsrichter, die ihrerseits einen Obmann bestellen. Einigen sich die Schiedsrichter über den Obmann nicht, so ist wegen Bestellung desselben an den Präsidenten des Handelsgerichts Wien heranzutreten. An die Entscheidung dieses Schiedsgerichts sind die Gesellschafter unter Ausschluss des Rechtsweges gebunden.“

Das Erstgericht verwarf die Einrede der Unzuständigkeit „in eventu Unzulässigkeit des Rechtswegs“ und führte hiezu aus, über Anträge eines Gesellschafters einer Kommanditgesellschaft iSd § 166 HGB sei im Verfahren außer Streitsachen zu entscheiden. Die Übertragung von Entscheidungen streitiger Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit an Schiedsrichter werde von der herrschenden Lehre abgelehnt, weshalb - ungeachtet der erwähnten gesellschaftsvertraglichen Bestimmung - im außerstreitigen Verfahren zu entscheiden sei.

Das Rekursgericht hob den angefochtenen Beschluss einschließlich des vorangegangenen Verfahrens als nichtig auf und wies den Antrag auf abschriftliche Mitteilung der Bilanzen 1981 und 1982 der KG zurück. Es führte aus, es sei richtig, dass über derartige Anträge im Verfahren außer Streitsachen zu befinden sei. Zur Frage, ob Außerstreitsachen schiedsfähig seien, folge das Rekursgericht der differenzierenden Auffassung Faschings, dass hiebei vom § 577 Abs 1 ZPO auszugehen sei. Diese Bestimmung schränke die Schiedsgerichtsbarkeit keineswegs auf den Prozessbereich ein, sondern begrenze diesen Sachbereich durch die Vergleichsfähigkeit des Streitgegenstands, demnach durch die Parteiendisposition über den Verfahrensgegenstand. Daher müssten die Parteien in jenen außerstreitigen Rechtssachen, die sie durch Vereinbarung über den Anspruch in das streitige Verfahren verlagern könnten, sowie überhaupt in den Fällen der „streitigen Sachen der außerstreitigen Gerichtsbarkeit“ wirksame Schiedsvereinbarungen treffen können. Das gelte somit auch für die Bucheinsicht des offenen und stillen Gesellschafters und des Handelsvertreters. Unzulässig seien Schiedsklauseln nur in jenen vom öffentlichen Interesse derart beherrschten außerstreitigen Verfahren, dass die amtswegige Einleitung oder die amtswegige Beteiligung von Vertretern des öffentlichen Interesses geboten oder möglich seien oder die Schiedsrichter eine Entscheidung oder Verfügung treffen müssten, die nur von einem staatlichen Gericht (zB in Registersachen) ausgehen könne, oder der besondere Schutz minderjähriger oder pflegebefohlener Personen in Frage stehe, oder schließlich die vom Gesetz verfügte Verweisung ins Verfahren außer Streitsachen der Ausnützung des Übergewichts eines Teils (zB in Pachtschutzsachen) entgegenwirken solle. In den Fällen der Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - zu welchen auch die Meinungsverschiedenheiten im Rahmen des § 166 HGB gehörten - sei das Verfahren außer Streitsachen nicht etwa erforderlich, um ein amtswegiges Verfahren zu sichern, sondern weil das Verfahren der Förmlichkeiten der Zivilprozessordnung entkleidet werden solle. Das Recht des Kommanditisten auf Bucheinsicht und auf Mitteilung der jährlichen Bilanz müsste nicht notwendig im Verfahren außer Streitsachen durchgesetzt werden; das zeige schon die Verweisung des ausgeschiedenen Kommanditisten in das streitige Verfahren. Das Gesetz über das Gerichtsverfahren in Rechtsangelegenheiten außerstreitige Sachen enthalte keine Bestimmung über das schiedsgerichtliche Verfahren. Auf verfahrensrechtlichem Gebiet bestehe zwar nicht Vertragsfreiheit, sondern die Parteiposition sei nur möglich, wenn sie das Gesetz zulasse. Daher könne ein Schiedsvertrag nur dann rechtliche Wirksamkeit äußern, wenn die Bestimmungen der §§ 577 ff ZPO analoge Geltung beanspruchen dürften; nur dann komme dem Schiedsspruch auch Rechtskraft und Vollstreckbarkeit zu. Eine analoge Einführung von Rechtsinstituten der Zivilprozessordnung ins Verfahren außer Streitsachen sei zwar nicht vorgesehen, doch erzwängen in dem maßgeblichen Streitbereich teleologische Erwägungen die umfassende Anwendung allgemeiner zivilprozessualer Verfahrensregeln. Die somit unrichtigerweise im Verfahren außer Streitsachen statt im Schiedsverfahren ergangenen Entscheidung sei in sinngemäßer Anwendung des § 477 Abs 1 Z 6 ZPO nichtig, weil sich die negative Wirkung des Schiedsvertrags im Verfahren vor den staatlichen Gerichten als Prozesshindernis offenbare.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diesen Beschluss erhobene Rekurs der Antragstellerin ist nicht berechtigt.

Da bei Prüfung der Frage, ob ein über einen Antrag im Rechtsstreit oder im Verfahren außer Streitsachen zu befinden ist, vom Antragsinhalt auszugehen (§ 40a JN; SZ 50/90 uva; Fasching, Komm I 62 f) und über Anträge des Kommanditisten auf abschriftliche Mitteilung der Bilanz nach § 166 Abs 1 HGB - wie noch zu zeigen sein wird - im außerstreitigen Verfahren zu befinden ist, ist das Rechtsmittel grundsätzlich nicht zweiseitig und daher dem Gegner zur Erstattung einer Rekursbeantwortung auch nicht zuzustellen. Die Ausnahmen von diesem Grundsatz (etwa § 30 Abs 4 und 5 EisbEG; § 16 Abs 3 und 5 NotwG; §§ 227 Abs 2 und 231 Abs 2 AußStrG) sind nämlich ausdrücklich angeordnet (MGA Verfahren außer Streitsachen2 Anm 4 zu § 9 AußStrG).

Zutreffend hat das Rekursgericht erkannt, dass auch über Anträge des Kommanditisten nach § 166 Abs 1 HGB - und somit nicht nur über solche nach Abs 3 dieser Gesetzesstelle, für welche sich im § 145 FGG eine ausdrückliche Anordnung findet - im Gegensatz zur deutschen Lehre und Rechtsprechung (etwa Schilling im Großkomm HGB3 § 166 Anm 6 und Schlegelberger-Geßler, HGB4, § 166 Rdz 7 jeweils mwN) im Verfahren außer Streitsachen zu entscheiden ist (SZ 54/54; SZ 50/90 ua; Fasching, Komm I 147; Hämmerle-Wünsch, Handelsrecht3 2 164). Punkt 10. des in seiner Fassung unbestritten gebliebenen Gesellschaftsvertrags verweist jedoch „Meinungsverschiedenheiten der Gesellschafter“ in die Zuständigkeit eines Schiedsgerichts und bindet sie unter Ausschluss des Rechtswegs an dessen Entscheidung. Nach dem unzweifelhaften Wortlaut erstreckt sich der Wirkungsbereich der Schiedsklausel auf alle „Meinungsverschiedenheiten“ aus dem Gesellschaftsverhältnis, weil die Vertragsbestimmung keinerlei Differenzierung (etwa nach vertraglichen und gesetzlichen Rechten) enthält.

Da über das von der Kommanditistin geltend gemachte Recht auf Mitteilung zweier Jahresbilanzen somit im Verfahren außer Streitsachen zu befinden ist, stellt sich die Frage, ob und inwieweit auch die ins außerstreitige Verfahren verwiesenen Rechtssachen schiedsfähig sind. Im österreichischen Schrifttum wird die Schiedsfähigkeit von Außerstreitsachen ganz allgemein nur von Holzhammer (Zivilprozessrecht2 363) ausdrücklich, jedoch ohne weitere Begründung abgelehnt, während Neumann (Kommentar zu den Zivilprozessgesetzen4 1473), Pollak (Zivilprozessrecht2 771) und Wolff (im Grundriss des Zivilprozessrechts2 252) für das Schiedsverfahren eine (vergleichsfähige) Streitsache forderten, ohne die ins Verfahren außer Streitsachen verwiesenen Angelegenheiten zu erwähnen. Auch Sperl (bürgerliche Rechtspflege 777) nahm zu diesem Problem nicht Stellung. Dagegen vertrat Weinmann (ZBl 1933, 508) und vertreten vor allem Fasching (Komm IV 723; Schiedsgericht und Schiedsverfahren im österreichischen und internationalen Recht, 21; Lehrbuch des Zivilprozessrechts Rdz 2178), dem Matscher (JBl 1975, 416 und FN 24) in dieser Hinsicht zustimmt - ebenso wie die deutsche Lehre und Rechtsprechung (Habscheid in ZPP 66 188 ff; Stein-Jonas-Schlosser, ZPO19, vor § 1025 IV 2; Rosenberg-Schwab, Zivilprozessrecht13, 1090; Jansen, FGG2 115; Keidel-Kuntze-Winkler, freiwillige Gerichtsbarkeit11, 119; Schwab, Schiedsgerichtsbarkeit3, 1; BGHZ 6 248 ff, 254) - eine differenzierende Auffassung. Danach seien Schiedsklauseln über Gegenstände des Verfahrens außer Streitsachen unzulässig, wenn das öffentliche Interesse eine amtswegige Verfahrenseinleitung oder die amtswegige Beteiligung eines Vertreters dieses öffentlichen Interesses fordere, die Entscheidung eine qualifizierte Form staatlichen Rechtsschutzes darstelle (alle Grundbuchs- und Registerverfahren), der besondere Schutz der Minderjährigen, Abwesenden oder Pflegebefohlenen es verlange oder der Gesetzgeber die Verweisung ins Außerstreitverfahren zur Regelung von Gemeinschaftsverhältnissen zwischen mehreren beteiligten Gruppen verfügt habe (außerstreitige Mietensachen, Wohnungseigentumssachen) oder der Ausnützung des Übergewichts eines Teiles entgegentreten wolle (zB in Pachtschutzsachen). Dagegen seien Außerstreitsachen dann objektiv schiedsfähig, wenn sie die Parteien durch Vereinbarung über den Anspruch in das Streitverfahren verlagern könnten, oder überhaupt die „streitigen Sachen der außerstreitigen Gerichtsbarkeit“.

Dieser nach der Materie des Verfahrens außer Streitsachen differenzierenden Ansicht - Rechtsprechung hiezu fehlt (die von Fasching im Komm auf Seite 723 zitierte Entscheidung SZ 18/22 setzte sich mit dieser Frage gleichfalls nicht ausdrücklich auseinander) - tritt auch der erkennende Senat bei. Es kann keine Frage sein, dass die von Fasching (Zivilprozessrecht, Rdz 2178) genannten Angelegenheiten bei welchen das öffentliche Interesse oder der Schutz bestimmter Personengruppen im Vordergrund stehen - der Schiedsgerichtsbarkeit entrückt sind. Anders liegt der Fall indessen bei jenen Rechtssachen, die ihrer materiellrechtlichen Natur nach einwandfrei in den Rahmen der streitigen Zivilgerichtsbarkeit gehören würden und vom Gesetzgeber, dessen Tendenz zur Erweiterung der außerstreitigen Gerichtsbarkeit unverkennbar ist, deshalb in dieses Verfahren verwiesen worden sind, weil ihm die Formlosigkeit dieser Verfahrensart und deren Amtswegigkeit für die Erledigung solcher Ansprüche geeigneter erschien (SZ 44/161; Fasching I 128; Habscheid aaO 199). Solche Sachen liegen immer dann vor, wenn das Gericht über subjektive Rechte mit Rechtskraftwirkung abspielt, gleichgültig ob die Parteien das Gericht im Einvernehmen angerufen haben oder nicht (Habscheid aaO 193). In derartigen Verfahren stehen einander die Parteien in gleicher Streitposition gegenüber wie im Prozess. Das Verfahren wird stets über Antrag einer Partei eingeleitet, über den die Entscheidung allerdings im Form des Außerstreitbeschlusses ergebt (Dolinar, Außerstreitverfahrensrecht, Allgemeiner Teil, 9, 15 f; vgl auch Konecny in JBl 1983, 20 ff, 26). Soweit die Parteien berechtigt sind, über den Streitgegenstand zu verfügen und Vergleiche abzuschließen, sollen sie auch befugt sein, sich dem Spruch eines Schiedsgerichts zu unterwerfen, dessen Ergebnis sie ohnedies auch durch Abschluss eines Vertrags hätten vorwegnehmen können (Habscheid aaO 196). Zu Recht verweist Fasching (im Komm IV 723 und in Schiedsgericht und Schiedsvertrag 21) auf die Fassung des § 577 Abs 1 ZPO, der die Wirksamkeit der Schiedsklausel nicht auf den Bereich des Prozesses einschränkt, sondern den Sachbereich durch das Kriterium der „Vergleichsfähigkeit“ des Gegenstands abgrenzt, also die Parteiendisposition über den Gegenstand verlangt.

Soweit demnach eine „eigentliche Streitsache der außerstreitigen Gerichtsbarkeit“ vorliegt, die nur aus besonderen rechtspolitischen Erwägungen in das Verfahren außer Streitsachen überwiesen ist (Matscher aaO), muss es den Parteien unbenommen bleiben, diese der Zuständigkeit eines Schiedsgerichts zu unterwerfen. Es mag mitunter nicht leicht sein, jene Streitsachen von den außerstreitigen Angelegenheiten, die nicht schiedsfähig sind, einwandfrei abzugrenzen; allein der Umfang der Kontrollrechte des Kommanditisten nach § 166 Abs 1 HGB ist jedenfalls als eine solche eigentliche Streitsache der freiwilligen Gerichtsbarkeit anzusehen und deshalb auch schiedsfähig (Wünsch, Schiedsgerichtsbarkeit in Handelssachen, 124 ff; Kastner - der die Schiedsfähigkeit echter Streitsachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit noch in JBl 1950, 567 ff, de lege lata verneint hatte - in Gesellschaftsrecht4 123; vgl auch Habscheid aaO 199). Der Hinweis im Rekurs, das im § 166 HGB statuierte Recht des Kommanditisten sei ein verbrieftes Recht, das ihm auch im Klageweg nicht entzogen werden könne, geht am Kern der Sache vorbei; das ordentliche Einsichtsrecht des Kommanditisten kann nämlich durch Vertrag oder Gesetz erweitert oder eingeschränkt werden (Hämmerle-Wünsch aaO 165; Kastner aaO).

Bejaht man die Schiedsfähigkeit solcher Streitsachen der außerstreitigen Gerichtsbarkeit, so muss es unzweifelhaft sein, dass die Bestimmungen der §§ 577 ff ZPO auch auf die in solchen Bereichen getroffenen Schiedsvereinbarungen (und die sich daran knüpfenden Schiedsverfahren) entsprechend anzuwenden sind. Werden solche Außerstreitsachen den Prozesssachen in diesem Belange gleichgehalten, sind auch die hiefür maßgeblichen, der staatlichen Überwachung der Schiedsgerichte dienenden Vorschriften der Zivilprozessordnung anzuwenden.

Das Vorliegen einer Schiedsvereinbarung wirkt vor den ordentlichen Gerichten als Verfahrenshindernis (Fasching, Lehrbuch des Zivilprozessrechts Rdz 2184). Zutreffend hat das Rekursgericht daher den Antrag der Kommanditistin unter Aufhebung des erstinstanzlichen Beschlusses, mit welchem - der Sache nach - die Einrede des Schiedsvertrags verworfen worden war, zurückgewiesen.

Dem Rekurs war daher ein Erfolg zu versagen.

Textnummer

E100133

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1984:0060OB00016.84.0906.000

Im RIS seit

19.03.2012

Zuletzt aktualisiert am

19.03.2012
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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