Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 27.September 1984 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.Harbich als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr.Müller (Berichterstatter), Dr.Horak, Dr.Schneider und Dr.Felzmann als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr.Gurschler als Schriftführers in der Strafsache gegen Günter A wegen des Verbrechens des Mords nach § 75 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschwornengerichts beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 14.März 1984, GZ 20 j Vr 2310/83-128, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalts Dr.Strasser, und des Verteidigers Dr.Gahleithner, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Auf Grund des Wahrspruchs der Geschwornen wurde der am 29.August 1964
geborene Günter A des Verbrechens des Mords nach § 75 StGB (A) und des Vergehens der Störung der Totenruhe nach § 190 Abs 1 StGB (B) schuldig erkannt. Darnach hat er durch Schüsse aus einem Karabiner am oder um den 9. Februar 1983 Peter B (insgesamt drei Schüsse in die Bauchgegend und in den Oberkörper - I), am 15.Februar 1983 Ursula C (ein Schuß in die linke Rückenseite - II 1) und Sieglinde C (ein Schuß in den Kopf - II 2) vorsätzlich getötet sowie am 10. Februar 1983 der Leiche des Peter B (A I) den Kopf abgetrennt
(B).
Dieses Urteil bekämpft der Angeklagte aus den Gründen des § 345 Abs 1 Z.5 und 6 StPO mit Nichtigkeitsbeschwerde.
Rechtliche Beurteilung
Die Verfahrensrüge wendet sich gegen die Abweisung des in der Hauptverhandlung zum Beweis für Zurechnungsunfähigkeit (§ 11 StGB - 'Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis') gestellten Antrags auf Durchführung einer echoenzephalographischen Untersuchung insbesondere der dritten Gehirnkammer des Angeklagten sowie auf 'Untersuchungen im Sinne der biochemischen Schizophrenieforschung' (Band IV S.483 f.).
Das abweisende Zwischenerkenntnis des Schwurgerichtshofs wurde auf die Erwägung gestützt, die beantragten Untersuchungen würden 'nichts über den Istzustand aussagen, sondern nur über die Ursache und würden keine Aussagen hinsichtlich bestehender oder nicht bestehender Zurechnungsfähigkeit zu den Tatzeitpunkten ermöglichen' (Band IV S.485). Damit wurden Verteidigungsrechte nicht verletzt. Die Untersuchungen wären nämlich - ungeachtet der Frage, ob sie zum Teil überhaupt dem derzeitigen Stand der medizinischen Wissenschaft entsprächen (Band IV S.468) - für sich allein nicht zielführend, weil es zu ihrer Auswertung besonderer medizinischer Fachkenntnisse bedürfte. Eine entsprechende Expertise (durch Ergänzung der im Verfahren eingeholten Gutachten der beiden psychiatrischen Sachverständigen) wurde vom Beschwerdeführer nicht beantragt. Indes ergibt sich aus den beiden psychiatrischen wie auch aus dem psychologischen Gutachten, daß die vom Verteidiger begehrten Untersuchungen nichts an den bisherigen Schlußfolgerungen aller drei Sachverständigen zu ändern vermöchten; denn, bezogen auf die Tatzeiten, fehlen die Symptome ('Symptomenbündel') einer akuten Geisteskrankheit des Angeklagten, die dessen Diskretions- oder Dispositionsfähigkeit oder beide ausgeschlossen haben könnten (Band
IV S.437 ff.; 453 bis 457, 459 bis 461; 466 bis 475, 477 bis 481). Mit dem substanzlosen und der Aktenlage nach durch nichts begründeten Vorwurf 'vor allem' der psychiatrische Sachverständige Dr.Pfolz sei über 'Art und Erfolge der biochemischen Schizophrenieforschung bzw. der Untersuchungsmethoden nach Krüger' nicht informiert (Band IV Seite 13 oben), versucht der Beschwerdeführer in unzulässiger Weise die der alleinigen Beurteilung durch die Geschwornen unterliegende Beweiskraft der Aussagen der zur Frage der Zurechnungsfähigkeit vernommenen Gutachter in Zweifel zu ziehen.
Geht deshalb die Verfahrensrüge fehl, so erweist sich auch die Rüge der Fragestellung als nicht berechtigt. Mit der Behauptung, er hätte sich in Ansehung der Tötung sowohl Peter BS als auch Ursula und Sieglinde CS auf einen vorangegangenen Streit bzw. eine 'panische ihn befallende Angst' berufen, wodurch er veranlaßt worden wäre, die tödlichen Schüsse abzugeben, vermißt der Beschwerdeführer Eventualfragen nach dem Verbrechen des Totschlags zu den anklagegemäß auf Mord lautenden und von den Geschwornen einhellig bejahten Hauptfragen 1, 9 und 15.
Die Privilegierung einer vorsätzlichen Tötung als Totschlag (§ 76 StGB) setzt voraus, daß sich der Täter durch eine allgemein begreifliche heftige Gemütsbewegung zur Tat hat hinreißen lassen. Kein einziges Verfahrensergebnis, auch nicht die Verantwortung des Angeklagten selbst, weist auf Umstände hin, die eine allgemeine Begreiflichkeit einer heftigen Gemütsbewegung des Beschwerdeführers in den Bereich des Möglichen gerückt hätten. Die im § 76 StGB gemeinte Gemütsbewegung ist in zwei Richtungen abzugrenzen:
Einerseits dahin, daß dieser Zustand im Verhältnis zu seinem Anlaß jedermann verständlich ist, d.h. daß der Durchschnittsmensch sich vorstellen kann, auch er wäre in der Lage des Täters, genauer: in der psychischen Spannung, welcher der Täter ausgesetzt war, in eine solche Gemütsverfassung geraten. Andererseits dahin, daß es darnach jedermann verständlich ist, daß diese Gemütsbewegung, ein dynamischer Vorgang, schließlich (sei dies auch innerhalb kürzester Zeit) in eine Endphase mündete, in der sich der Täter zu einer vorsätzlichen Tötung hinreißen ließ. Damit ist nicht die vorsätzliche Tötung als solche, noch weniger deren im Einzelfall abstoßende oder grausame Ausführung, in die allgemeine Begreiflichkeit (in die Verständlichkeit für den Durchschnittsmenschen) einbezogen (EvBl.1982 Nr.80). Aus der Verantwortung des Angeklagten in der Hauptverhandlung (§ 258, 314 StPO) geht gar nicht hervor, daß Streitigkeiten mit B bzw. mit Ursula und Sieglinde C bei ihm zu einem Affekt geführt hätten. Darüber hinaus wäre eine affektive Erregung des Nichtigkeitswerbers, wie er sie im Vorverfahren unter Hinweis auf einen Wortstreit mit Ursula C behauptete (Band I S.129, 197, 234, 254 f.), ausschließlich auf seine abnorme Persönlichkeitsstruktur zurückzuführen und schon deshalb nicht als 'allgemein' begreiflich entsprechend der obigen Begriffsbestimmung anzusehen.
Die Verantwortung des Angeklagten ging in der Hauptverhandlung dahin, daß er auf seine drei Opfer aus Angst, weil sie ihm nach dem Leben getrachtet hätten, geschossen habe: beim Versuch, B die geladene Waffe zu entringen, ferner, als ihm Ursula C das Gewehr zu entreißen getrachtet hätte sowie Sieglinde C ihm nachgelaufen wäre und auf ihn eingeschlagen hätte (Band IV S.320 bis 322, 325 bis 328, 335, 345). Dem wurde mittels (jeweils einstimmig verneinter) Zusatzfragen (2 bis 4, 10 bis 12, 16 bis 18) nach Notwehr (§ 3 Abs 1 StGB), Notwehrüberschreitung aus asthenischem Affekt (§ 3 Abs 2 StGB) und Putativnotwehr (§ 8 StGB) sowie Eventualfragen (5, 13 und 19) nach fahrlässiger Tötung (§ 80 StGB) teils in fahrlässiger Notwehrüberschreitung, teils in Putativnotwehr Rechnung getragen. Umstände, die einen - bei doloser Notwehrüberschreitung denkbaren - allgemein begreiflichen sthenischen Affekt des Angeklagten indiziert haben könnten, sind dessen Verantwortung nicht zu entnehmen. Die reklamierte Eventualfragestellung ist folglich zu Recht unterblieben.
Die Nichtigkeitsbeschwerde aber war zu verwerfen.
Das Geschwornengericht verhängte über Günter A gemäß § 75, 28 und 36 StGB eine Freiheitsstrafe von zwanzig Jahren. Dabei waren erschwerend die zweifache Wiederholung beim Mord, das Zusammentreffen eines Verbrechens mit einem Vergehen, die Kaltblütigkeit der Vorgangsweise, diese insbesonders beim Abtrennen des Kopfs der Leiche des Peter B; mildernd waren hingegen die Tatbegehung vor Vollendung des 21.Lebensjahrs, der bis zu den Taten ordentliche Lebenswandel des Angeklagten und der auffallende Widerspruch der Taten zu seinem sonstigen Verhalten. Mit seiner Berufung strebt der Angeklagte eine Herabsetzung der verhängten Freiheitsstrafe an, weil er angesichts seines abnormen Geisteszustands und einer vernachlässigten Erziehung nicht die Höchststrafe verdiene.
Auch der Berufung bleibt ein Erfolg versagt.
Der Angeklagte hat drei Menschen ermordet. Die erschreckende Gemütskälte des Berufungswerbers, die diese, auch von der Art der Ausführung her gesehen, abscheulichen Taten gefördert hat, wird so nicht nur in der nachfolgenden abstoßenden Mißhandlung der Leiche eines Mordopfers (B) in beklemmender Weise sichtbar, sondern ist auch in der Einstellung des Angeklagten zu den Tatfolgen (siehe unter anderem: Band II Seite 107: '...Ich habe keine Gewissensbisse .... und bin nie traurig über das Geschehene ..'; Band IV Seite 187:
'.....Was jetzt ist, ist mir Wurscht, wenn ich's ehrlich sage ....') bedrückend erkennbar. Von einer vernachlässigten Erziehung kann bei der selbst vom Rechtsmittelwerber wiederholt anerkannten, weiterhin ungebrochenen Zuwendung seiner Pflegemutter (siehe unter anderem ON30) und bei dem ihm eröffneten und erfolgreich beschrittenen, gehobenen Bildungsweg keine Rede sein.
Angesichts der von den Sachverständigen aufgedeckten Wurzeln der abnormen Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten, die in den konkurrierenden Straftaten aktuell hervorgetreten ist, versagen alle auch noch so weit hergeholten Milderungsgründe, um eine Herabsetzung der verhängten Höchststrafe (§ 36 StGB) zu bewirken. Wollte man die Schöpfung des Strafmaximums einem kaum denkbaren Fall gravierenderer Kriminalität vorbehalten, wäre die vom Gesetzgeber vorgesehene Strafobergrenze so gut wie unanwendbar, was gewiß nicht der Sinn des Gesetzes sein kann (13 0s 41/80).
Anmerkung
E04929European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1984:0130OS00115.84.0927.000Dokumentnummer
JJT_19840927_OGH0002_0130OS00115_8400000_000