Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 25.Oktober 1984 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr.Müller als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr.Schneider (Berichterstatter), Dr.Lachner, Dr.Felzmann und Dr.Brustbauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr.Radosztics als Schriftführerin in der Strafsache gegen Ewald A und Oliver B wegen des Verbrechens des teils versuchten, teils vollendeten schweren Raubs nach §§ 142 Abs.1, 143 und 15 StGB. und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Ewald A und die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft in Ansehung des Angeklagten Oliver B gegen das Urteil des Jugendgerichtshofs Wien als Schöffengerichts vom 9.April 1984, GZ. 2 b Vr 97/84-52, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalts Dr.Gehart, des Angeklagten Ewald A, seiner gesetzlicher Vertreter Heinrich A und Amalie A und der Verteidiger Dr.Stern (für Ewald A) und Dr.Tarnai (für Oliver B), jedoch in Abwesenheit des Angeklagten Oliver B und dessen gesetzlichen Vertreters, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Ewald A wird verworfen.
Seiner Berufung wird nicht Folge gegeben.
Der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird teilweise Folge gegeben und das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, in dem den Angeklagten Oliver B betreffenden Strafausspruch aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht verwiesen.
Im übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft verworfen.
Gemäß § 390 a StPO fallen den Angeklagten Ewald A und Oliver B die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Der am 12.März 1967 geborene beschäftigungslos gewesene Ewald A und der am 13.Jänner 1967 geborene Kochlehrling Oliver B wurden des Verbrechens des teils vollendeten und teils versuchten schweren Raubs nach §§ 142 Abs.1, 143, erster Fall, und § 15 StGB. (A), des Verbrechens des (laut Ausspruch gemäß § 260 Abs.1 Z.1 StPO. ebenfalls teils vollendeten und teils versuchten) schweren Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127 Abs.1 und Abs.2 Z.1, 128 Abs.1 Z.4, 129 Z.1, 2 und 3 (der Sache nach auch § 15) StGB. (B), des Vergehens der dauernden Sachentziehung nach § 135 Abs.1 StGB. (C), des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs.1 StGB. (D) sowie des Vergehens der schweren Sachbeschädigung nach §§ 125, 126 Abs.1 Z.7 StGB (E) schuldig erkannt und hiefür 'nach § 143 StGB.' (ersichtlich nach dessen erstem Strafsatz) unter Bedachtnahme auf § 28 StGB. in Anwendung des § 11 Z.1 JGG., Oliver B unter nachträglicher Festsetzung der Strafe (§§ 13 Abs.2, 46 Abs.4 JGG.) auch für das ihm nach dem Urteil des Jugendgerichtshofs Wien vom 30.November 1981, GZ. 23 U 580/81-9, zur Last liegende Vergehen der Sachbeschädigung nach § 125 StGB., zu Freiheitsstrafen von drei Jahren (A) und zweieinhalb Jahren (B) verurteilt; bei B wurde die Strafe gemäß § 43 Abs.1 StGB. unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen. Mit Nichtigkeitsbeschwerden bekämpfen der Angeklagte Ewald A seinen Schuldspruch aus § 281 Abs.1 Z.5, 9 lit. a und lit.b sowie 10 StPO., die Staatsanwaltschaft hingegen aus § 281 Abs.1 Z.3, 5, 7 und 11 StPO. den Strafausspruch hinsichtlich des Angeklagten B, der selbst kein Rechtsmittel ergriffen hat.
Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten A:
Inhaltlich des auf teils vollendeten, teils versuchten schweren Raub lautenden Schuldspruchs haben die beiden Angeklagten (in Wien) 'A) in Gesellschaft als Beteiligte (§ 12 StGB.) mit Gewalt gegen nachgenannte Personen diesen fremde bewegliche Sachen mit dem Vorsatz, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, I. weggenommen:
1. am 26.Dezember 1983 der Martha C etwa 200 S, indem sie ihr die Handtasche mit so erheblicher Gewalt aus der Hand rissen, daß Martha
C stürzte, 2. am 30.Dezember 1983 der Anna D etwa 300 S, drei Kurzstreckenfahrscheine und drei Vorverkaufsfahrscheine, indem sie ihr die Handtasche mit derartiger Gewalt aus der Hand rissen, daß sie strauchelte und zu Boden stürzte;
II. wegzunehmen versucht, indem sie am 30. Dezember 1983 einer unbekannten 50- bis 60-jährigen Frau mit dem Vorsatz, sie zu berauben, nachgingen, um ihr die Handtasche entreißen zu können, bis diese überraschend ein Haus betrat.' In der Mängelrüge bezeichnet der Beschwerdeführer den Ausspruch des Gerichtshofs, die Angeklagten hätten der Martha C (A I 1) mit 'Heftigkeit' und der Anna D (A I 2) mit 'Wucht' ihre Handtaschen entrissen (S. 325), als unzureichende und unvollständige Begründung der Annahme von Gewalt, welche in den Ergebnissen des Beweisverfahrens keine Deckung finde; Martha C sei nämlich ihrer eigenen Aussage zufolge umgefallen, als sie sich beim Entreißen der Handtasche umdrehte, zumal sie aufgeregt gewesen sei, und von Anna D fehle überhaupt eine bei der Hauptverhandlung abgelegte oder wenigstens verlesene Beweisaussage. Tatsächlich hat die Zeugin Martha C jedoch in der Hauptverhandlung angegeben, sie sei gestürzt, weil sie sich beim Anreißen an der Tasche umdrehte und ausrutschte (S. 313). Darnach ließ sich zwanglos konstatieren, daß ihr die Tasche unter Einsatz körperlicher Kraft mit einer (die Standfestigkeit der Zeugin beeinträchtigenden) Heftigkeit entrissen wurde (S. 325). Auf die zeugenschaftliche Vernehmung der Anna D haben die Parteien in der Hauptverhandlung verzichtet (S. 304); eine Verlesung ihrer früheren Angaben (S. 133, 137 in ON. 10; ON.22) ist aus den Protokollen (ON. 48 und 51) nicht ersichtlich. Die Urteilsfeststellung, daß das Entreißen ihrer Handtasche diese Frau zum Sturz kommen ließ, sohin mit einiger 'Wucht' geschah (S. 325), entspricht jedoch dem Geständnis des Beschwerdeführers (S. 299 zu A I 2), sodaß von einem Begründungsmangel diesbezüglich keine Rede sein kann. Ob die konstatierten Angriffe dem Tatbildmerkmal 'Gewalt gegen eine Person' nach § 142 StGB. entsprechen, ist eine Frage der rechtlichen Beurteilung und noch zu erörtern.
Auch für die Feststellung zum versuchten Raub (A II), daß die Angeklagten ihr Vorhaben, der von ihnen auf der Straße verfolgten unbekannten Passantin die Handtasche mit Gewalt wegzunehmen, aufgeben mußten, weil die Frau (für die Täter) überraschend in ein Haus trat (S. 325), sind - dem weiteren Beschwerdevorbringen zuwider - zureichende Gründe vorhanden. Der zu dem entsprechenden Punkt der Anklage (A II 2) geständigen Verantwortung des Beschwerdeführers kann entnommen werden, daß das Eintreten des ausersehenen Tatopfers in ein Haus für die Angeklagten eine Störung ihres Plans bedeutete, die ihnen eine Tatvollendung auf die vorgesehene Weise nicht mehr möglich erscheinen ließ (S. 299).
Rechtliche Beurteilung
Gleichfalls verfehlt ist die daran anknüpfende Rechtsrüge (§ 281 Abs.1 Z.9 lit.a StPO.), das Nachgehen hinter dem präsumtiven Opfer sei noch keine ausführungsnahe Handlung, der Raub daher noch nicht versucht gewesen. Die Verfolgung des Opfers auf der Straße durch die zur sofortigen Tatausführung entschlossenen Täter, um ihm (an geeigneter Stelle und im geeigneten Augenblick) die Handtasche gewaltsam wegzunehmen, stellt bereits eine unmittelbare, in zeitlicher und örtlicher Beziehung ausführungsnahe Vorstufe der Deliktsverwirklichung und damit den versuchten Raub dar (§ 15 Abs.2 StGB.).
Soweit die Beschwerde - abermals zum Raubversuch (A II) - eine freiwillige, also nicht von den Umständen erzwungene Aufgabe des Tatentschlusses behauptet und den Strafaufhebungsgrund des Rücktritts vom Versuch reklamiert (§ 281 Abs.1 Z.9 lit.b StPO.), ist sie urteilsfremd. Denn nach den Urteilsfeststellungen mußten die Angeklagten von ihrem Raubvorhaben ablassen, weil das vorgesehene Opfer (für sie überraschend: S.317) in ein Haustor trat (S.325). Daß den Angeklagten die Ausführung dieses Raubs auch noch innerhalb des betreffenden Hauses möglich erschienen wäre, sie aber gleichwohl (und damit im Sinn des § 16 StGB. freiwillig) davon abgestanden seien, ist nicht festgestellt und wurde von ihnen auch im erstinstanzlichen Verfahren gar nicht behauptet.
Ebenso verfehlt erweist sich die den Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs.1
Z.10 StPO. relevierende Rechtsrüge, sämtliche im Ersturteil als (vollendeter bzw. versuchter) Raub beurteilten Taten wären unter den Tatbestand des Diebstahls zu subsumieren, weil das bloße Entreißen einer Handtasche für sich allein keine Gewalt (im Sinn des § 142 StGB.) darstelle.
Gewalt gegen eine Person im Sinn des § 142 StGB. ist auch das Entreißen einer Handtasche, wenn dadurch der Sachbehauptungswille des (wenn auch überraschend) Angegriffenen unter Einsatz körperlicher Kraft des Täters ausgeschaltet oder überwunden werden soll; zusätzliche Gewalteinwirkung, etwa durch Versetzen eines Stoßes gegen den Körper des Opfers, ist in einem solchen Fall nicht erforderlich (EvBl.1978/215; LSK.1976/77 u.a.). Bezogen auf die vorliegenden Fälle ergibt sich darnach die Rechtsrichtigkeit der erstgerichtlichen Annahme von Gewalt in der Bedeutung des § 142 StGB.;
hatten doch die Angeklagten sowohl der 75-jährigen Martha C (A I 1) als auch der 77-jährigen Anna D (A I 2) deren Handtaschen jeweils mit solcher Kraft entrissen, daß die beiden (ihre Taschen festhaltenden) Frauen unter der Einwirkung des Angriffs strauchelten bzw. stürzten, und lag doch auch der beim Versuch gebliebenen Tat (A II), wie sich schon aus dem engen zeitlichen Zusammenhang mit dem unmittelbar nachfolgenden Raub an Anna D zeigt, ein gleichgearteter, auf Beraubung gerichteter Vorsatz der Angeklagten zugrunde (S. 325). Den Schuldspruch wegen Diebstahls bekämpft der Beschwerdeführer aus dem Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs.1 Z.9 lit. a StPO. nur insoweit, als ihm (und dem Mitangeklagten B) unter B III angelastet wird, dieses Delikt dadurch versucht zu haben, daß sie anfangs November 1983 einer unbekannten, etwa 60-jährigen Frau die Handtasche wegnahmen, in der jedoch kein Bargeld war; dagegen wendet er ein, weil sich in der Handtasche keine Sachen von (wirtschaftlichem) Wert befanden, handle es sich um einen absolut untauglichen und sohin straflosen Versuch.
Ob ein strafloser, weil absolut untauglicher Versuch im Sinn des § 15
Abs.3 StGB. vorliegt, ist aus abstrahierender und generalisierender Sicht zu beurteilen. Es kommt demnach nicht darauf an, daß die betreffende Frau tatsächlich (gerade zufällig) nicht das von den Angeklagten - nach alltäglicher Lebenserfahrung - erwartete Geld in ihrer Handtasche hatte; ein bloß daran gescheiterter Diebstahlsversuch ist nur relativ untauglich und somit strafbar. Die Vergehen der dauernden Sachentziehung nach § 135 Abs.1 StGB. und der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs.1 StGB. (C und D) erachtete das Erstgericht dadurch als verwirklicht, daß die Angeklagten jene Handtaschen, die sie insgesamt vier Frauen bei jeweils auf die Erlangung von Bargeld abzielenden, teils räuberischen (A I 1 und 2), teils diebischen (B II und III) Angriffen weggenommen hatten, samt den darin gegebenenfalls außer Geld und Fahrscheinen befindlichen Sachen und (in den beiden Fällen des Raubs auch) Dokumenten wegwarfen.
Diesen Teil des Schuldspruchs bekämpft der Beschwerdeführer aus dem Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs.1 Z.9 lit.a StPO. Er vertritt dazu die Auffassung, es handle sich insoweit um straflose Nachtaten zum Raub bzw. Diebstahl. Auch damit ist er nicht im Recht:
Bei gegenständlich (wie hier auf Sachen bestimmter Art in Handtaschen) begrenztem Zueignungs- und Bereicherungsvorsatz hat der Täter neben Raub bzw. Diebstahl die Preisgabe der - hier von den bezüglichen Schuldsprüchen (A I 1 und 2, B II und III) nicht erfaßten - Behältnisse (Taschen) samt den sonst noch darin befindlichen Sachen, auf die sich sein Zueignungs- und Bereicherungsvorsatz nicht erstreckte, und Urkunden neben dem Raub bzw. Diebstahl als dauernde Sachentziehung (§ 135 Abs.1 StGB.) bzw. Urkundenunterdrückung (§ 229 StGB.) konkurrierend zu verantworten (Kienapfel BT II § 127 RN 160, § 135 RN 41 und 42, § 142 RN 93 und die dort jeweils zitierte Judikatur; SSt.50/5; SSt.51/21; EvBl.1981/118 u.a.). In einem solchen Fall kommt mangels Identität des verletzten Rechtsguts eine Beurteilung der beiden zuletzt genannten Delikte als 'straflose Nachtaten' nicht in Betracht (Leukauf-Steininger 2 , § 28 StGB., RN 51; EvBl.1980/94; JBl.1984, 269
r. Sp.).
Den Schuldspruch wegen Sachbeschädigung ficht der Beschwerdeführer aus § 281 Abs.1 Z.5 StPO. an, soweit ihm darnach zur Last liegt, dieses Delikt (unter anderem) am 15.Jänner 1984 (in Perchtoldsdorf) durch Zerschlagen von Teilen einer Eternitverkleidung und Einwerfen einer Fensterscheibe des Hauses des Karl E begangen zu haben (E 4). Jene Verantwortung des Beschwerdeführers mit Trunkenheit (S. 300), deren stillschweigende übergehung er dem Erstgericht vorwirft, bezog sich indes (anders als die aus S.302, 303 zu entnehmende) gar nicht auf den anfechtungsgegenständlichen Sachverhalt, sondern auf den Anklagepunkt E II, von dem der Beschwerdeführer ohnehin gemäß § 259 Z.3 StPO. freigesprochen worden ist (S.321), ohne daß allerdings die hiefür maßgebenden Erwägungen aus den Urteilsgründen ersichtlich wären. Dieser Begründungsmangel steht jedoch in keinem Zusammenhang mit dem angefochtenen Schuldspruch und benachteiligt den Beschwerdeführer nicht. Generell macht der Beschwerdeführer schließlich als einen Nichtigkeit nach § 281 Abs.1 Z.9 lit.b StPO. bewirkenden Feststellungsmangel das Fehlen von Erörterungen über seine verzögerte Reife (§ 10 JGG.) geltend.
Um die bei Personen, die das vierzehnte Lebensjahr vollendet haben, allgemein vom Gesetz vorausgesetzte Reife in einem konkreten Fall verneinen zu können, müssen nach § 10 JGG. besondere Gründe vorliegen, die zur Folge haben, daß der Jugendliche entweder das Unrecht seiner Tat nicht einzusehen oder trotz dieser Einsicht nicht danach zu handeln vermag. Den insofern auf ein psychologisches Gutachten der Wiener Jugendgerichtshilfe (S. 199) gestützten Urteilsfeststellungen zufolge handelt es sich beim Beschwerdeführer um eine unreif-naive, leicht zu beeinflussende und unkritische Person, bei der sich zu den massiver gewordenen Pubertätsproblemen eine erhöhte Bereitschaft zum Alkoholkonsum und eine Steigerung des Strebens nach Selbständigkeit gesellt haben (S.322). Die Verfahrensergebnisse haben aber keine Hinweise für eine durch besondere Umstände, wie etwa Krankheit oder schwere Erziehungsmängel, bedingte Entwicklungshemmung so außergewöhnlichen Grads erbracht, daß dadurch die jugendstrafrechtliche Verantwortlichkeit des Angeklagten A, der die ihm angelasteten Taten in seinem 17.Lebensjahr begangen hat, (noch) in Frage gestellt erschiene. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Fähigkeit zur Einsicht in das Unrecht der Tat und dazu, sie zu unterlassen, bei schweren Rechtsbrüchen, wie sie hier überwiegend vorliegen, selbst im Fall einer doch nicht allezu gravierenden Entwicklungshemmung eines Jugendlichen eher erwartet werden kann als bei bloß leichten Gesetzesverstößen; die gewaltsame Wegnahme fremder Sachen gehört überhaupt zu jenen Handlungen, deren grobe Rechtswidrigkeit bereits jedes Schulkind zu erfassen vermag. Dazu kommt noch, daß dem Beschwerdeführer die Strafwürdigkeit von Diebstählen und Sachbeschädigungen bereits durch eine gerichtliche Verurteilung am 17. Oktober 1983 (AZ. 2 a Vr 840/83 des Jugendgerichtshofs Wien) vor Augen geführt wurde. Demnach kann auch die im Sinn des § 10 JGG. nötige Reife beim Beschwerdeführer bejaht werden, ohne daß es hiezu noch weiterer, nicht ohnehin schon im Ersturteil getroffener Feststellungen bedarf.
Sohin erweist sich die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten A zur Gänze als unbegründet; sie war daher zu verwerfen.
Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft:
Den Nichtigkeitsgrund nach § 281 Abs.1 Z.3 StPO. erblickt die Anklagebehörde darin, daß im Hauptverhandlungsprotokoll der Vorschrift des § 271 Abs.1 StPO. zuwider die Entscheidung des Gerichtshofs über den vom Anklagevertreter gestellten Antrag auf Einbeziehung des Verfahrens 23 U 580/81
des Jugendgerichtshofs Wien gegen Oliver B zur nachträglichen Straffestsetzung nicht vermerkt sei. In § 271 StPO. ist jedoch nur die gänzliche Unterlassung der Aufnahme eines (vom Vorsitzenden und vom Schriftführer zu unterschreibenden) Protokolls mit Nichtigkeit bedroht (Absatz 1 erster Satz); allfällige Protokollierungsmängel stellen keine Nichtigkeit dar (vgl. dazu u.a. LSK. 1975/77). Der in der Urteilsausfertigung, und zwar in der Wiedergabe des Erkenntnisses (§ 270 Abs.2 Z.4 StPO.), anschließend an die dort erwähnte Einbeziehung des Verfahrens 23 U 580/81 des Jugendgerichtshofs Wien ursprünglich fehlende Ausspruch des (verkündeten) Urteils über die nachträgliche Festsetzung der Strafe hiezu wurde mit Beschluß des Erstgerichts vom 8.Juni 1984 (ON.60) nachgetragen, die Urteilsausfertigung also mit dem verkündeten Urteil in Einklang gebracht. Damit ist der auf Z.5 des § 281 Abs.1 StPO. gestützten Bemängelung des Urteilstenors als undeutlich, unvollständig und widersprüchlich ebenso die Grundlage entzogen wie dem unter der Z.7 der zitierten Gesetzesstelle erhobenen Vorwurf, das Urteil habe die Anklage nicht (ordnungsgemäß) erledigt, weil es keine Entscheidung über den Straffestsetzungsantrag der Staatsanwaltschaft enthalte. Nur um Mißverständnissen vorzubeugen, sei dazu noch bemerkt, daß sich eine Mängelrüge nach § 281 Abs.1 Z.5 StPO. nur gegen die Urteilsgründe, nicht aber gegen den Urteilsspruch richten kann (LSK.1978/342), und daß eine Anklage nur dann unerledigt ist (§ 281 Abs.1 Z.7 StPO.), wenn das Gericht seiner Entscheidung eine unter Anklage stehende Tat nicht zugrundelegt, nicht aber wenn in einem neuen Strafverfahren gegen einen nach § 13 JGG. bedingt Verurteilten der gemäß § 46 Abs.4 JGG. gestellte Straffestsetzungsantrag - gegen dessen Abweisung dem Staatsanwalt (auch nur) die Berufung zustünde (§ 46 Abs.5 JGG.) - nicht (mit-)erledigt wird (Mayerhofer/Rieder, Dritter Teil, Nebengesetze, 1.Halbband, Nr.18 zu § 46 JGG.); in diesem Fall ist nur eine Strafberufung möglich.
Insoweit war die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft daher zu verwerfen.
Berechtigt ist die Beschwerde der Staatsanwaltschaft hingegen aus dem Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs.1 Z.11 StPO.:
Ob diese materielle Nichtigkeit vorliegt, muß nach dem Inhalt des Urteils, wie es in den im § 260 Abs.1 StPO. angeführten Punkten verkündet (§ 268 StPO.) und sachlich unverändert als Erkenntnis des Gerichtshofs (§ 270 Abs.2
Z.4 StPO.) in der nunmehr vorliegenden (dem verkündeten Urteilsspruch angeglichenen) Fassung schriftlich ausgefertigt worden ist, geprüft werden.
Darnach hat das Erstgericht die Strafe über Oliver B nicht nur für die vom nunmehrigen Schuldspruch erfaßten Delikte, sondern zugleich auch zu dem früheren Schuldspruch (laut Urteil des Jugendgerichtshofs Wien vom 30.November 1981, GZ. 23 U 580/81-9) gemäß §§ 13 Abs.2, 46 Abs.4 JGG. verhängt. Weder auf den im letzten Absatz der schriftlichen Urteilsbegründung (S.330) angeführten Umstand, daß in dem in Rede stehenden Punkt die verkündete Entscheidung nicht mit dem Beschluß des Gerichtshofs übereinstimme, noch auf die in diesem Zusammenhang auch die Richtigkeit des (vom Vorsitzenden korrigierten) Beratungsprotokolls anzweifelnde Gegenbehauptung in der Beschwerde der Staatsanwaltschaft kann bei der Prüfung des Urteils auf seine materiellrechtliche Richtigkeit eingegangen werden. Ein Zurückgreifen auf das (dem Angeklagten und seinem Verteidiger nicht zugängliche) Beratungsprotokoll zur Aufklärung der Willensmeinung des Schöffensenats verböte sich auch schon grundsätzlich als Heranziehung einer parteieneinseitig unüberprüfbaren Erkenntnisgrundlage, wodurch die Grundsätze des billigen Verfahrens und des beiderseitigen rechtlichen Gehörs (Art.6 Abs.1 MRK.) verletzt würden (LSK.1975/224 bei § 270 Abs.3 StPO.). In materiellrechtlicher Beziehung ist der Beschwerde darin beizupflichten, daß es unzulässig, ja begrifflich ausgeschlossen ist, die Vollziehung der gemäß § 13 Abs.2 JGG. nachträglich festgesetzten Strafe - und im hier vorliegenden Fall einer Vereinigung (de facto) des zunächst mit dem Schuldspruch (ohne Strafausspruch) nach § 13 Abs.1 JGG. nur vorläufig abgeschlossenen Verfahrens mit dem wegen der neuen Straftaten eingeleiteten die im späteren Urteil für alle dem Angeklagten zur Last liegenden Straftaten ausgesprochene einzige Strafe (§ 28 Abs.1 StGB.) - nach § 43 Abs.1 StGB.
bedingt nachzusehen. Denn Voraussetzung einer derartigen Straffestsetzung ist stets, daß eine Besserung des Verurteilten nicht erreicht werden kann, ohne die Strafe auszusprechen und zu vollziehen (§ 13 Abs.2 JGG., vgl. SSt.33/73); kommt das Gericht aber in Fällen, in denen - wie hier bei Oliver B - außer über die strafrechtliche Ahndung neuer Delikte über einen Straffestsetzungsantrag nach §§ 13 Abs.2, 46 Abs.4 JGG. abzusprechen ist, zu dem Ergebnis, daß bei dem gemäß § 13 Abs.1 JGG. (echt) bedingt Verurteilten trotz Rückfälligkeit innerhalb der Probezeit dennoch mit Bezug auf die den Rückfall begründenden deliktischen Handlungen die bloße Androhung des Vollzugs der zu verhängenden Strafe im Sinn des § 43 StGB. allein oder in Verbindung mit anderen Maßnahmen (immer noch) genügen werde, um ihn von weiteren strafbaren Handlungen abzuhalten, und daß es auch nicht der Vollziehung der Strafe bedarf, um der Begehung strafbarer Handlungen durch andere entgegenzuwirken, so hat es den Straffestsetzungsantrag des Staatsanwalts zum alten Verfahren abzuweisen (LSK.1978/99); dadurch eröffnet es sich die Möglichkeit, dem Angeklagten für die neuen Straftaten die bedingte Strafnachsicht zu gewähren. Die zuletzt bezeichnete Vorgangsweise kommt auch in Betracht, wenn - was in besonders gelagerten Fällen zweckmäßig sein kann - das Gericht die beiden Verfahren über den Straffestsetzungsantrag und über die neue Anklage im Sinn des § 57 StPO. getrennt führt (EvBl.1976/266 u. v.a.).
Das Erstgericht hat demnach dadurch, daß es die über Oliver B verhängte Strafe, die nach dem Wortlaut des verkündeten und ausgefertigten Urteils als einzige (Gesamt-)Strafe auch die zum Schuldspruch vom 30.November 1981 gemäß § 13 Abs.2 JGG. nachträglich ausgesprochene Strafe enthält, gemäß § 43 Abs.1 StGB. bedingt nachgesehen hat, seine Befugnisse überschritten (§ 493 Abs.2 StPO.), weshalb dem Urteil der Nichtigkeitsgrund nach § 281 Abs.1 Z.11 StPO. anhaftet. Diese Nichtigkeit betrifft den gesamten Oliver B betreffenden Ausspruch über die Strafe, weil die Verhängung einer (Gesamt-)Strafe unter Einbeziehung der nach § 13 Abs.2 JGG. nachträglich festgesetzten Strafe und deren gleichzeitige bedingte Nachsicht miteinander unvereinbar sind.
Der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft war daher teilweise Folge zu geben, das Urteil in dem gesamten, den Angeklagten B betreffenden Ausspruch über die Strafe aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht zu verweisen (§ 288 Abs.2 Z.3, zweiter Satz, StPO.). Eine Entscheidung in der Sache selbst war dem Obersten Gerichtshof deshalb nicht möglich, weil Unklarheiten über die erstgerichtliche Erledigung des gemäß § 46 Abs.4 JGG. gestellten Straffestsetzungsantrags bestehen (vgl. dazu abermals S.321, 330, 347).
Zur Berufung des Angeklagten A:
Hinsichtlich dieses Rechtsmittelwerbers wertete der Jugendgerichtshof in Bemessung der schon einleitend angeführten, über ihn verhängten Freiheitsstrafe von drei Jahren die drei (mit einer Zusatzstrafe vier) einschlägigen (ersichtlich gemeint: auf gleicher schädlicher Neigung beruhenden) Vorstrafen (§ 33 Z.2 StGB.), den überaus raschen Rückfall, das Zusammentreffen von Verbrechen mit Vergehen und die mehrfachen Angriffe, mithin die im vorliegenden Fall gegebene gleich- und ungleichartige Realkonkurrenz (§ 33 Z.1 StGB.), als erschwerend, als mildernd hingegen das Geständnis (§ 34 Z.17 StGB.), die teilweise Schadensgutmachung (§ 34 Z.14
StGB.) und die mindergünstigen Erziehungsverhältnisse (§ 34 Z.1 StGB.).
Mit seiner Berufung strebt der Angeklagte A die Herabsetzung und die bedingte Nachsicht der Freiheitsstrafe an. Diesem Rechtsmittel ist kein Erfolg beschieden.
Der Berufungswerber erlitt vier Vorstrafen (die letzte davon als Zusatzstrafe): drei wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs.1
bzw. 2 StGB. und eine wegen des Verbrechens des Diebstahls nach §§ 127
Abs.1 und 2 Z.1, 128 Abs.1 Z.4, 129 Z.1 und 2 und § 15 StGB. sowie wegen des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB. Zufolge § 71 StGB. beruhen auf der gleichen schädlichen Neigung mit Strafe bedrohte Handlungen, wenn sie gegen das selbe Rechtsgut gerichtet oder auf gleichartige verwerfliche Beweggründe oder auf den gleichen Charaktermangel zurückzuführen sind. Im Verhältnis zu den A angelasteten Verbrechen des Raubs beruhen demnach - der Meinung des Berufungswerbers zuwider - sowohl die Körperverletzungs- als auch die Eigentumsdelikte auf der gleichen schädlichen Neigung, weil durch die Raubanschläge sowohl das Rechtsgut der körperlichen Integrität wie auch das des Eigentums der Tatopfer verletzt wurden oder werden sollten (Versuch!). Daß statt des gesetzlichen Begriffs 'schädliche Neigung' (§§ 33 Z.2, 71 StGB.) der Ausdruck 'einschlägige' Vorstrafen gebraucht wurde, verschlägt nichts, weil beides auf das selbe hinausläuft. Für den Rechtsmittelwerber ist daher daraus nichts zu gewinnen.
Die vernachlässigte Erziehung des Angeklagten A wurde vom Erstgericht ebenso als Milderungsumstand berücksichtigt wie das von ihm abgelegte Geständnis (§ 34 Z.1, letzter Fall, und Z.17 StGB.). Die Arbeitslosigkeit wurde zutreffend nicht als Milderungsgrund herangezogen, weil sie nicht zu einer drückenden Notlage führte, die allein eine mildere Beurteilung zuließe (§ 34 Z.10 StGB.). Hier ist insbesondere auf die Urteilsfeststellung hinzuweisen, wonach A während der Zeit seiner Arbeitslosigkeit von seinen Eltern und beiden Schwestern mit Geldmitteln unterstützt wurde, sodaß seine Existenz materiell abgesichert war (S.322).
Auf der Grundlage der vom Schöffengericht festgestellten Strafzumessungsgründe erachtet der Oberste Gerichtshof - auch unter Berücksichtigung der unreif-naiven, leicht zu beeinflussenden und unkritischen Persönlichkeit AS (S.322), auf die in der Berufung hingewiesen wird - die vom Ersstgericht ausgemessene Freiheitsstrafe nicht als reduktionsbedürftig.
Drei, mit der Verhängung einer Geldstrafe bzw. bedingt nachgesehener Freiheitsstrafen wegen Körperverletzungs- bzw. Eigentumsdelikten verbundene Vorverurteilungen vermochten den Berufungswerber nicht von der Begehung strafbarer Handlungen, darunter mehrerer Raub- und Diebstaten, abzuhalten;
auch die Bestellung eines Bewährungshelfers bewahrte ihn nicht vor einem raschen und sehr massiven Rückfall. Es bedarf daher einer nachhaltigen erzieherischen Einwirkung auf Ewald A im Jugendstrafvollzug, weshalb ihm auch die Gewährung der bedingten Strafnachsicht verwehrt bleiben muß. Neben den dargestellten spezialpräventiven Gründen sprechen hier auch generalpräventive Belange im Sinn des § 43 StGB. i.V.m. § 11 Z.3 JGG. gegen die bedingte Strafnachsicht.
Anmerkung
E04941European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1984:0130OS00107.84.1025.000Dokumentnummer
JJT_19841025_OGH0002_0130OS00107_8400000_000