Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs
Kinzel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hule, Dr. Warta, Dr. Klinger und Mag. Engelmaier als Richter in der Exekutionssache der betreibenden Partei J*****, vertreten durch Dr. Ulrich Brandstetter, Rechtsanwalt in Wien, und anderer beigetretener Gläubiger wider die verpflichtete Partei R***** (Wohnung), bzw ***** (Betriebsstätte) vertreten durch Dr. Nikolaus Lehner, Rechtsanwalt in Wien, wegen 352.629 S sA und andere betriebliche Forderungen infolge Rekurses der verpflichteten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 2. März 1984, GZ 46 R 95/84-77, womit der Rekurs der verpflichteten Partei gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Hainburg an der Donau vom 14. Dezember 1983, GZ E 20/80-70, zurückgewiesen wurde, folgenden
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der Beschluss des Gerichts zweiter Instanz wird aufgehoben und diesem die Entscheidung über den Rekurs des Verpflichteten unter Abstandnahme von dem gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.
Die Kosten des Rekurses der verpflichteten Partei an den Obersten Gerichtshof sind wie weitere Kosten des Verfahrens in zweiter Instanz zu behandeln.
Text
Begründung:
Mit Beschluss vom 14. 12. 1983, ON 70, setzte das Bezirksgericht Hainburg an der Donau als Exekutionsgericht infolge von Einwendungen des Verpflichteten den Schätzwert der zu versteigernden Liegenschaft EZ 3001 KG ***** endgültig mit 281.700 S fest.
Der Beschluss wurde dem Verpflichteten am 20. 12. 1983 zugestellt, an welchem Tag ihm die am 16. 12. 1983 einer nichtempfangsberechtigten Person ausgefolgte Beschlussausfertigung iSd § 7 ZustellG tatsächlich zugekommen ist (Erhebung ON 84).
Am 30. 12. 1983 (Erhebung ON 85) brachte der damals noch nicht rechtsfreundlich vertretene Verpflichtete beim Bezirksgericht Innere Stadt Wien einen Rekurs gegen den Beschluss ON 70 zu Protokoll, der vom Bezirksgericht Innere Stadt Wien dem Bezirksgericht Hainburg an der Donau übermittelt wurde und dort am 4. 1. 1984 einlangte.
Das Gericht zweiter Instanz wies diesen Rekurs als verspätet zurück, weil mangels Bewilligung der Verfahrenshilfe der Rekurs nicht beim Wohnsitzgericht sondern nur beim entscheidenden Erstgericht eingebracht werden hätte können.
Gegen den Zurückweisungsbeschluss der zweiten Instanz wendet sich der Rekurs des Verpflichteten mit dem Antrag, ihn aufzuheben und dem Gericht zweiter Instanz aufzutragen, in der Sache selbst zu entscheiden, wobei der Verpflichtete die Auffassung vertritt, dass auch eine nicht Verfahrenshilfe genießende Partei den Rekurs beim Wohnsitzgericht zu Protokoll erklären dürfe.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist wegen des 300.000 S übersteigenden Werts des betriebenen Anspruchs im führenden Versteigerungsverfahren als Vollrekurs zulässig. Es kommt ihm Berechtigung zu.
Gemäß § 78 EO, § 520 Abs 1 Satz 1 ZPO müssten zwar Rekurse bei dem Gericht überreicht werden, dessen Beschluss angefochten wird. Daraus folgt aber nicht, dass das im bezirksgerichtlichen Verfahren bestehende Recht gemäß § 520 Abs 1 Satz 2 ZPO einen Rekurs mündlich zu Protokoll anzubringen, ebenfalls nur beim erkennenden Gericht wirksam ausgeübt werden kann. Eine Protokollaranbringung lässt sich nicht unter den Begriff des „Überreichens“ einordnen, sondern stellt ein mündliches „Anbringen“ dar. Für diesen Fall enthält das Gesetz keine Bestimmung darüber, bei welchem Gericht dies zu erfolgen habe. Auch beim Wohnsitzgericht kann daher ein Rekurs wirksam zu Protokoll erklärt werden, gleichgültig ob die betreffende Partei Verfahrenshilfe genießt oder nicht; in diesem Fall hängt die Rechtzeitigkeit des Rekurses nur vom Zeitpunkt der Protokollaufnahme und nicht vom Zeitpunkt des Einlangens des Protokolls beim erkennenden Gericht erster Instanz ab (ebenso SZ 21/48, EvBl 1971/139, Fasching Komm IV 417 und 419).
Es ist richtig, dass in der Begründung der vom Gericht zweiter Instanz zitierten Entscheidung EvBl 1963/33 davon ausgegangen wird, dass der Rekurs nur bei dem Gericht zu Protokoll gegeben werden dürfe, das mit der Sache befasst war. Aber auch diese Entscheidung geht ungeachtet dieser Ansicht davon aus, dass der beim unzuständigen Gericht zu Protokoll gegebene Rekurs trotzdem als wirksam erhoben gilt. Diese Auffassung muss im Lichte der Neuerungen der Zivilverfahrens-Novelle 1983 noch mehr gelten, deren Grundgedanken auch dahin gehen, Schädigungen einer Partei durch Anrufung eines unzuständigen Gerichts tunlichst zu vermeiden (vgl etwa auch die Neufassung von § 434 Abs 2 ZPO). Aus der Bestimmung des § 64 Abs 1 Z 4 ZPO und der noch weitergehenden Bestimmung des § 90 GOG kann aber nicht abgeleitet werden, dass durch die dort der Verfahrenshilfe genießenden Partei eingeräumten Rechte hinsichtlich einer Klagsanbringung oder hinsichtlich sonstiger Anträge die unabhängig von der Verfahrenshilfe speziell für den Rekurs im bezirksgerichtlichen Verfahren geltende Norm des § 520 ZPO so ausgelegt werden müsste, dass eine nicht Verfahrenshilfe genießende Partei einen Rekurs wirksam nur beim erkennenden Gericht zu Protokoll geben kann. Der vom Gericht zweiter Instanz vertretenen Auffassung (so diese auch schon in RPflEx 1965/120) wird daher nicht beigetreten; sondern der Rekurs des Verpflichteten ist als rechtzeitig zu behandeln. Der Zurückweisungsbeschluss der zweiten Instanz war daher zu beheben.
Die Entscheidung über die vom Verpflichteten in seinem Rekurs an den Obersten Gerichtshof verzeichneten Kosten war gemäß § 78 EO, § 52 Abs 1 ZPO dem dafür zuständigen Gericht zweiter Instanz zu überlassen.
Textnummer
E114588European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1984:0030OB00061.840.1107.000Im RIS seit
23.05.2016Zuletzt aktualisiert am
23.05.2016