Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Marold als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Griehsler, Dr. Jensik, Dr. Zehetner und Dr. Klinger als Richter in der Pflegschaftssache des mj ehelichen Kindes Miroslav S*****, geboren am *****, wohnhaft beim ehelichen Vater Miroslav S*****, derzeit unbekannten Aufenthalts, infolge Revisionsrekurses der ehelichen Mutter Ing. Pavla S*****, vertreten durch Dr. Anton Baier, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Kreisgerichts Wiener Neustadt als Rekursgericht vom 27. August 1984, GZ R 275/84-29, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Pottenstein vom 26. Juni 1984, GZ P 46/84-20, bestätigt wurde, folgenden
Beschluss
gefasst:
Spruch
Es wird dem Revisionsrekurs Folge gegeben und in Abänderung des angefochtenen Beschlusses (der im Übrigen mangels Anfechtung unberührt bleibt) sowie des Punktes 2 lit a des erstgerichtlichen Beschlusses der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich - Außenstelle L***** (Auswanderungsbüro) aufgetragen, den tschechoslowakischen Reisepass des ehelichen Vaters Miroslav S*****, geboren am 11. 6. 1955, sofort bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Zuteilung der Elternrechte hinsichtlich des mj Miroslav S*****, geboren am *****, beim Erstgericht zu hinterlegen.
Text
Begründung:
Der am ***** geborene mj Miroslav stammt aus der Ehe der tschechoslowakischen Staatsbürger Miroslav S***** und Ing. Pava S*****. Der Vater hält sich mit dem Minderjährigen seit 21. 7. 1983 in Österreich auf. Die Mutter beschuldigt ihn, an diesem Tag anlässlich einer Urlaubsreise nach Italien den Buben zu sich genommen und sie in einem Park in Horn ohne Geld und Ausweise zurückgelassen zu haben, wobei er die Urlaubsreise nur vorgetäuscht habe, um aus der CSSR zu flüchten, wovon sie aber bis zu diesem Zeitpunkt nichts gewusst habe.
Die Mutter legte ein mit der Bestätigung der Rechtskraft versehenes Urteil des Bezirksgerichts Jindrichuv Hradec, CSSR, vom 10. 8. 1983 vor, wonach der Minderjährige der Mutter zur Erziehung anvertraut und der Vater zu Unterhaltsleistungen verpflichtet wird, und beantragte, in Bestätigung ihres Alleinerziehungsrechts dem Kindesvater aufzutragen, den minderjährigen Miroslav an sie zurückzustellen, dem Vater zu verbieten, den Minderjährigen vor dem Vorliegen von rechtskräftigen behördlichen Entscheidungen ins Ausland zu verbringen, und Reisepass sowie Ausreisedokumente des Vaters vorläufig bis zur rechtskräftigen Erledigung des anhängigen Verfahrens beim Pflegschaftsgericht hinterlegen zu lassen (ON 1, 2 und 11).
Der Vater sprach sich gegen den Antrag der Mutter aus, ihm die Zurückstellung des Minderjährigen an sie aufzutragen, erhob aber keine Einwendungen gegen ein Verbot, den Minderjährigen in das Ausland zu verbringen. Er behauptete, die Einreise nach Österreich sei in der mit der Mutter vereinbarten Absicht erfolgt, in Österreich um Asyl anzusuchen; er habe nicht die Absicht, Österreich zu verlassen. Am Tag der Einreise habe die Mutter jedoch plötzlich erklärt, in die CSSR zurückkehren zu wollen; sie habe aber dabei nicht zu erkennen gegeben, dass sie den Minderjährigen mitnehmen wolle (ON 4).
Mit Beschluss vom 31. 1. 1984, ON 13, wies das Erstgericht die Anträge der Mutter „ab“ (richtig: „zurück“). Es führte zusammengefasst aus, bei der gegebenen Rechtslage sei es ihm verwehrt, über die Anträge der Mutter zu entscheiden, weil mit dem Urteil des Bezirksgerichts Jondrichuv Hradec eine Behörde der CSSR die Fürsorge über das Kind übernommen habe.
Infolge Rekurses der Mutter hob das Rekursgericht diesen Beschluss auf und trug dem Erstgericht auf, über die Anträge der Mutter unter Abstandnahme von dem gebrauchten Zurückweisungsgrund sachlich zu entscheiden (Beschluss vom 18. 6. 1984, ON 18). Da zwischen Österreich und der CSSR kein Vertrag über die Vollstreckbarkeit von Sorgerechtsentscheidungen bestehe und weder Gegenseitigkeit im Sinne des § 79 EO noch faktische Gegenseitigkeit gegeben sei, könne das mehrfach erwähnte tschechoslowakische Urteil in Österreich nicht vollstreckt werden. Nach der primär maßgeblichen Rechtsquelle für die Abgrenzung der inländischen Jurisdiktion, nämlich der übereinstimmenden Mitteilung der beiderseitigen Justizministerien (JABl 1948, 7), sei die vormundschafts- und pflegschaftsbehördliche Fürsorge für tschechoslowakische Staatsbürger von den österreichischen Gerichten den tschechoslowakischen Behörden zu überlassen. Die österreichischen Gerichte könnten aber bis zur Übernahme der Fürsorge durch die tschechoslowakischen Gerichte zugunsten tschechoslowakischer Minderjähriger vorläufige Maßnahmen treffen. Da der im Heimatstaat zugunsten des Minderjährigen geschaffene Titel in Österreich nicht vollstreckbar sei, könne sinnvoller Weise nicht davon gesprochen werden, dass vom Heimatstaat die Fürsorge übernommen worden sei. Angesichts der erwähnten Unwirksamkeit des Urteils des Bezirksgerichts Jindrichuv Hradec in Österreich sei die Jurisdiktion der österreichischen Gerichte auch nicht auf vorläufige Maßnahmen beschränkt, sondern erstrecke sich auch auf die Zuweisung eines Kindes in die Pflege und Erziehung eines Elternteils. Für das anzuwendende materielle Recht sei es bedeutsam und daher noch zu klären, ob der Vater, allenfalls auch der Minderjährige als Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention zu betrachten seien. Schließlich hob das Rekursgericht hervor, dass der Vater laut Amtsvermerk vom 7. 6. 1984 die Absicht habe, mit dem Minderjährigen am 9. 7. 1984 in die USA auszuwandern.
Daraufhin erließ das Erstgericht, ohne das Ergebnis weiterer Erhebungen abzuwarten, am 26. 6. 1984 folgenden Beschluss (ON 20):
„1. Dem ehelichen Vater Miroslav S***** (Außenstelle des F*****), wird in einstweiliger Vorkehrung untersagt, den minderjährigen Miroslav S*****, geboren am *****, aus Österreich zu verbringen. Dieses Verbot gilt bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Zuteilung der Elternrechte (Pflege und Erziehung) an einen Elternteil.
2. Die Anträge der ehelichen Mutter Ing. Pavla S*****, vertreten durch Dr. Anton Baier, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Führichgasse 6, dem ehelichen Vater
a) die Hinterlegung der Reisedokumente beim Pflegschaftsgericht,
b) in Vollstreckung des Urteils des Bezirksgerichts in Jindrichuv Hradec vom 10. 8. 1983, Nc 187/83-19, die Übergabe des mj Miroslav an diese aufzutragen, werden abgewiesen.
3. Die Entscheidung über den Antrag der Mutter, ihr die Elternrechte (Pflege und Erziehung) zuzuweisen, wird vorbehalten.“
Zur Begründung führte das Erstgericht aus:
Ausgehend von der Rechtsmeinung des Rekursgerichts ergebe sich, dass die Anträge der Mutter, soweit sie eine Übergabe des Kindes in Vollstreckung des Urteils des Bezirksgerichts Jindrichuv Hradec bezweckten, abzuweisen seien. Die Entscheidung über die Zuweisung der Elternrechte sei nicht spruchreif, weil noch weitere Erhebungen notwendig seien. Das Gericht habe jedoch im Sinne der Rechtsfürsorge alle Maßnahmen zu treffen, die einen Vollzug später getroffener Entscheidungen nicht von vornherein unmöglich machten. Es habe sich aber darauf zu beschränken, die im Sinne des Kindeswohls (§ 178a ABGB) erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Da der Vater beabsichtige, am 9. 7. 1984 in die Vereinigten Staaten auszuwandern, seien die Voraussetzungen zur Erlassung der einstweiligen Vorkehrung gegeben. Nicht gerechtfertigt sei aber der weitere Antrag, dem Antragsgegner aufzutragen, den Reisepass und die Ausreisedokumente zu hinterlegen. Abgesehen davon, dass eine solche Zwangsmaßnahme im Gesetz nicht vorgesehen sei, würde sie einen Eingriff in die unmittelbare Sphäre des Vaters darstellen, dem das Pflegschaftsgericht keine Vorschriften darüber machen könne, was seine eigenen Pläne betreffe. Wenn er ohne das Kind ausreisen möchte, könne das Pflegschaftsgericht keinen Einfluss nehmen.
Am 5. 7. 1984 teilte das Bundesministerium für Inneres - F***** dem Erstgericht mit, dass der tschechische Asylwerber Miroslav S*****, geboren am 11. 6. 1955, nicht als Flüchtling im Sinne der Genfer Konvention anzusehen sei (ON 24; diese Mitteilung wurde am 13. 9. 1984 wiederholt; Beilage zu ON 33).
Am 17. 7. 1984 gab der Vater beim Erstgericht zu Protokoll, dass er bis zur Genehmigung der Ausreise - seine Eltern seien zwischenzeitig in die USA ausgereist - in Neuhaus wohnen werde; der Minderjährige werde den Kindergarten in Weißenbach besuchen können.
Das Rekursgericht gab weder dem Rekurs der Mutter, welche die von ihr beantragte Erlassung des Auftrags an den Vater, seinen Reisepass und seine Ausreisedokumente beim Pflegschaftsgericht zu hinterlegen, oder eine andere zielführende Sicherungsmaßnahme anstrebte, noch dem Rekurs des Vaters, der sich gegen das Verbot, den Minderjährigen aus Österreich zu verbringen, wendete, Folge; und zwar aus nachstehenden Erwägungen:
Einstweilige Verfügungen im Verfahren außer Streitsachen seien - von hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmen abgesehen - im Gesetz nicht ausdrücklich geregelt. Die Rechtsprechung habe dazu aber die Grundsätze entwickelt, dass prinzipiell im Hinblick auf die dem Gericht obliegende Fürsorgepflicht für Minderjährige im Pflegschaftsverfahren einstweilige Verfügungen zulässig seien, wenn sie zur Abwendung eines dem Minderjährigen unmittelbar drohenden erheblichen Nachteils erforderlich seien, dass solche einstweiligen Vorkehrungen nur in dem unbedingt erforderlichen Ausmaß zu treffen seien und dass in diesem Provisorialverfahren auch die Durchbrechung des Grundsatzes des beiderseitigen Gehörs zulässig sei.
Ausgehend von dieser Rechtslage sei zwar die mögliche Ausreise des Vaters unter Mitnahme des Kindes als ein dem Kind unmittelbar drohender erheblicher Nachteil zu verstehen, weil es beim derzeitigen Verfahrensstand völlig ungewiss sei, welche Vor- und Nachteile mit der Zuweisung des Minderjährigen in die alleinige Pflege und Erziehung des einen oder anderen Elternteils verbunden seien, und auch die Überlassung in ein ganz ungewisses Schicksal als ernstliche Gefährdung des Kindeswohls angesehen werden müsse.
Das von der Mutter anstelle des vom Erstgericht ausgesprochenen Verbots, das Kind aus Österreich zu verbringen, verlangte Sicherungsmittel, nämlich die Hinterlegung der Ausreisedokumente des Vaters, insbesondere seines Reisepasses, sei aber in Übereinstimmung mit dem Erstgericht für unzulässig anzusehen, und zwar insbesondere deswegen, weil es eine unvertretbare Einschränkung der persönlichen Freiheit des Vaters selbst mit sich brächte. Den Reisepass im Besonderen brauche er zur Legitimierung im Inland, denn ein Fremder sei verpflichtet, sich jederzeit im Inland mit dem erforderlichen Reisedokument - darunter sei in erster Linie der Reisepass zu verstehen - auszuweisen (§ 22 Abs 3 PassG; Walter-Mayer, Grundriss des bes Verwaltungsrechtes 55).
So verständlich das Anliegen der Mutter auch erscheine, sei doch das Pflegschaftsgericht außerstande, ein wirksameres Sicherungsmittel als das vom Erstgericht ausgesprochene Verbot an den Vater festzusetzen, das nicht andererseits einen allzu drastischen und für das Kind nachteiligen Eingriff darstelle, wie etwa eine vorläufige Abnahme des vierjährigen Buben und seine Unterbringung auf einem Pflegeplatz. Die Mutter selbst sei als Rekurswerberin ebenfalls nicht in der Lage - abgesehen von der Abnahme der Reisedokumente des Vaters - ein alternatives Sicherungsmittel vorzuschlagen.
Der Vater mache geltend, durch das vom Erstgericht unter Punkt 1 erlassene Verbot werde die zur Zeit gegebene Auswanderungsmöglichkeit und damit der Wiederaufbau eines menschenwürdigen Lebens verhindert. Die Möglichkeit, Bedürfnisse, Anlagen, Fähigkeiten und Neigungen des Kindes zu berücksichtigen, sei in der CSSR nicht gegeben, worin auch ein Grund für die Flucht nach Österreich zu suchen sei. Die Lebensverhältnisse der Mutter dort selbst wären ungleich ungünstiger, weil die Mutter unter schwerem psychischen Druck stehe.
Dem sei entgegenzuhalten: Auch die noch ausstehende definitive Entscheidung über die Zuweisung des Kindes in die Pflege und Erziehung allein eines Elternteils werde letztlich mit gewissen Risken belastet sein, wie immer sie ausfalle. Derzeit sei aber praktisch alles ungewiss, angefangen von den Plänen und Möglichkeiten des Vaters bis hin zu den Lebensverhältnissen der Mutter, sodass davon ausgegangen werden müsse, dass die Verbringung des Kindes durch den Vater aus Österreich mit der Überlassung des Kindes in ein völlig ungewisses Schicksal gleichbedeutend wäre, worin eben die ernstliche Gefährdung des Kindeswohls zu erblicken sei.
Der Beschluss des Rekursgerichts wurde beiden Elternteilen am 18. 9. 1984 zugestellt.
Schon am 17. 9. 1984 war dem Erstgericht vom Bundesministerium für Inneres im Wege des Bundesministerium für Justiz zur Kenntnis gebracht worden (ON 33), dass der Vater mit dem Minderjährigen am 2. 9. 1984 in unmittelbarer Nähe der Eisenbahnbrücke Freilassung versucht hätte, illegal zu Fuß die österreichisch-deutsche Staatsgrenze zu überschreiten, dass die Genannten aber am 4. 9. 1984 wieder in das F***** zurückgebracht worden wären. Der Mitteilung des Bundesministerium für Inneres vom 13. 9. 1984 ist weiter zu entnehmen, dass sich der Reisepass des Vaters - in dem der Minderjährige, wie der Oberste Gerichtshof erhoben hat, mit eingetragen ist - derzeit im Auswanderungsbüro des F***** befindet.
Am 8. 10. 1984 gab das Bundesministerium für Inneres - F***** dem Erstgericht bekannt, dass Miroslav S*****, geboren am 11. 6. 1955, am 24. 9. 1984 mit dem Vermerk „Lager ohne Abmeldung verlassen“ polizeilich vom Lagerstand abgemeldet wurde und sein derzeitiger Aufenthaltsort nicht bekannt ist (ON 42).
Bereits am 2. 10. 1984 hatte die Mutter den auf offenbare Gesetzwidrigkeit gestützten außerordentlichen Revisionsrekurs mit dem Antrag zur Post gegeben, den rekursgerichtlichen Beschluss dahin abzuändern, dass dem Vater bei sonstigem Zwang aufgetragen werde, seinen Reisepass und seine Ausreisedokumente bis zur rechtskräftigen Beendigung des anhängigen Verfahrens beim Pflegschaftsgericht zu hinterlegen, in eventu eine andere zielführende Sicherungsmaßnahme getroffen werde, die verhindere, das der Vater den Minderjährigen vor rechtskräftiger Erledigung des anhängigen Verfahrens ins Ausland verbringe.
Rechtliche Beurteilung
Der außerordentliche Revisionsrekurs ist zulässig und im Sinne der nachstehenden Ausführungen berechtigt.
Da nicht feststeht, dass sich der Minderjährige nicht mehr in Österreich aufhält, kann der Mutter das Rechtsmittelinteresse (die Beschwer) nicht abgesprochen werden. Aus diesem Grunde ist der Fortbestand der österreichischen Gerichtsbarkeit gleichfalls zu bejahen.
Die Vorinstanzen haben zwar richtig erkannt, dass das Außerstreitgericht nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs im Pflegschaftsverfahren, und zwar insbesondere im Zuge der Entscheidung über die Zuteilung der Elternrechte, kraft seiner Fürsorgepflicht im Interesse des Kindeswohls, ohne an die Vorschriften der Exekutionsordnung gebunden zu sein, nach dem Außerstreitgesetz anfechtbare vorläufige Anordnungen (einstweilige Verfügungen) treffen kann, wenn besondere Umstände zur Abwendung eines dem Minderjährigen unmittelbar drohenden erheblichen Nachteils eine sofortige Entscheidung erfordern (s die in MGA2 des Außerstreitgesetzes unter Nr 8 zu § 12 abgedruckten Entscheidungen sowie EFSlg 15.198, 29.069, 29.070, 40.784, 40.884 uva, zuletzt etwa 1 Ob 539/83). Die Mutter macht jedoch zutreffend geltend, dass die Vorinstanzen bei der Entscheidung der Frage, welche vorläufigen Maßnahmen in Anbetracht der besonderen Umstände des vorliegenden Falls ausreichen, um sicherzustellen, dass das Kind seinerzeit dem Elternteil, dem die Elternrechte zugeteilt werden, übergeben werden kann, das Kindeswohl außer acht gelassen haben - die Bedachtnahme auf das Wohl des pflegebefohlenen Kindes ist das Grundprinzip des Pflegschaftsverfahren -, sodass offenbare Gesetzwidrigkeit im Sinne des § 16 AußStrG vorliegt (EFSlg 16.822 uva, zuletzt etwa JBl 1980, 380). Das Rekursgericht führt selbst aus, dass die mögliche Ausreise des Vaters aus Österreich unter Mitnahme des Kindes, die - wie zu ergänzen ist - vom Vater sogar für die nächste Zeit angekündigt worden ist, einen dem Kind unmittelbar drohenden erheblichen Nachteil darstellt, weil es beim derzeitigen Verfahrensstand völlig ungewiss ist, welche Vor- und Nachteile mit der Zuweisung des Minderjährigen in die alleinige Pflege und Erziehung des einen oder anderen Elternteils verbunden sind, und auch die Überlassung in ein ganz ungewisses Schicksal als ernstliche Gefährdung des Kindeswohls angesehen werden muss. Es erscheint daher über das vom Erstgericht erlassene einstweilige Verbot hinaus unbedingt erforderlich, der unmittelbar drohenden (legalen) Ausreise des Minderjährigen aus Österreich mit Hilfe des für den Vater ausgestellten Reisepasses, in dem der Minderjährige miteingetragen ist, dadurch vorzubeugen, dass dieser Reisepass bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Zuteilung der Elternrechte beim Erstgericht hinterlegt wird. Da sich der Reisepass des Vaters nach der Aktenlage nicht mehr in dessen Besitz, sondern in der Verfügungsgewalt des Auswanderungsbüros im F***** befindet, war der Hinterlegungsauftrag an das genannte Büro zu richten. Dieser vorläufigen Anordnung steht § 22 Abs 3 PassG, wonach sich Fremde mit den in den Abs 1 und 2 der genannten Bestimmung angeführten Reisedokumenten auszuweisen haben, nicht entgegen. Abgesehen davon, dass der Fremde die Reisedokumente nicht ständig bei sich tragen muss (Hermann-Hackauf-Sellner, Pass-, Fremdenpolizei- und Asylrecht 33 Anm 4 zu § 22 PassG; vgl auch § 180 Abs 5 Z 5 StPO), hätte der Vater im gegenständlichen Fall unter anderem die Möglichkeit, sich von den österreichischen Behörden für sich allein einen fremden Pass (§ 8 Abs 1 lit b oder lit c PassG) oder einen Lichtbildausweis (§ 35 Abs 1 PassG; Verordnung BGBl 1977/482) ausstellen zu lassen.
Es war daher dem Revisionsrekurs Folge zu geben und spruchgemäß zu entscheiden.
Textnummer
E114685European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1984:0050OB00595.840.1113.000Im RIS seit
02.06.2016Zuletzt aktualisiert am
02.06.2016