TE OGH 1984/11/22 7Ob41/84

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Veröffentlicht am 22.11.1984
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Petrasch, Dr. Wurz, Dr. Warta, Dr. Egermann als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Herbert G*****, vertreten durch Dr. Wilfried Mayer, Rechtsanwalt in Gmunden, wider die beklagte Partei D*****-AG in *****, vertreten durch Dr. Hans Maxwald und Dr. Georg Maxwald, Rechtsanwälte in Linz, wegen Feststellung (Streitwert 157.315,40 S), infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 6. Juli 1984, GZ 5 R 155/84-15, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Kreisgerichts Wels vom 18. April 1984, GZ 7a Cg 226/83-11, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben und dem Berufungsgericht eine neue Entscheidung nach Durchführung einer Berufungsverhandlung aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind als weitere Kosten des Berufungsverfahrens zu behandeln.

Text

Begründung:

Der Kläger begehrt die Feststellung der Verpflichtung des beklagten Haftpflicht- und Vollkaskoversicherers zur Deckung eines Verkehrsunfalls. Die beklagte Partei wendet Leistungsfreiheit wegen Verzugs des Beklagten mit der Zahlung einer qualifiziert eingemahnten Folgeprämie ein. In diesem Zusammenhang ist im Revisionsverfahren nur noch strittig, ob das Mahnschreiben dem Kläger im Wege der Ausfolgung an seine Mutter am 18. 2. 1983 gesetzmäßig zugegangen ist.

Der Erstrichter gab dem Klagebegehren statt. Nach seinen Feststellungen ist der Kläger Eigentümer des landwirtschaftlichen Anwesens in O***** 3 (im Folgenden kurz: Haus Nr 3), eines Vierkanthofs, den er „unter Mithilfe seiner dort wohnenden Mutter und einer weiteren Arbeitskraft bewirtschaftet“. Der Kläger selbst bewohnt seit Ende 1979 das etwa 10 m entfernte Nachbarhaus O***** 2 (im Folgenden kurz: Haus Nr 2), ein Nebengebäude des Anwesens, und führte dort bis November 1983 mit einer Lebensgefährtin einen eigenen Haushalt. Dem ständigen Postzusteller Robert O***** war die getrennte Haushaltsführung zwischen dem Kläger und seiner Mutter bekannt und ebenso auch, dass der Kläger das Haus Nr 2 mit einer Lebensgefährtin bewohnte. Es gab bei der Postzustellung durch diesen Briefträger nie Schwierigkeiten. O***** brachte die an den Kläger adressierte Post, abgesehen von wenigen Fällen, wenn im Haus Nr 2 niemand anwesend war, immer dort hin, auch wenn die Poststücke etwa zur Hälfte auf die Anschrift Nr 3 adressiert waren. Bei eingeschriebenen Briefen an den Kläger hinterließ O***** bei Zustellschwierigkeiten im Hause Nr 2 eine Benachrichtigung. Der Aushilfsbriefträger Erich D***** gab hingegen die für den Kläger bestimmte Post auch bei dessen Mutter im Haus Nr 3 ab, obwohl auch er wusste, dass der Kläger mit seiner Lebensgefährtin im Nachbarhause wohnte. Der Kläger verbot Erich D***** sogar im August oder September 1982 ebenso wie seiner Mutter ausdrücklich, an ihn adressierte Post dort abzugeben beziehungsweise zu übernehmen, weil die Mutter alles verliere und sehr vergesslich sei. D***** hatte dies zu befolgen versprochen.

Nachdem es schon vorher aufgrund solcher Zustellungen in zwei oder drei Fällen in Versicherungsangelegenheiten mit der beklagten Partei zu Zahlungsverzögerungen gekommen war, der Kläger aber nach mündlicher Mahnung durch den Versicherungsvertreter die Zahlung jeweils unverzüglich geleistet hatte, wurde das strittige Schreiben der beklagten Partei vom 15. 2. 1983 am 18. 2. 1983 von Erich D***** wiederum an die Mutter des Klägers ausgefolgt, die den Empfang durch ihre Unterschrift bestätigte. Es ist möglich, dass der Kläger selbst zu dieser Zeit nicht in seinem Anwesen zu Haus war; ob seine Lebensgefährtin zu Hause war, konnte nicht festgestellt werden. Erich D***** versuchte die Zustellung im Hause Nr 2 gar nicht und hinterließ dort auch keine Benachrichtigung. Das Schreiben wurde von der Mutter nicht an den Kläger weitergeleitet.

Im Herbst 1982 war dem Kläger am Gemeindeamt vom zuständigen Bediensteten zur Frage einer Ummeldung erklärt worden, dass er ohnehin Eigentümer beider Anwesen und es daher gleichgültig sei, wo er wohne. Der Kläger ist demnach weiterhin im Haus Nr 3 gemeldet. Anlässlich des Abschlusses des vorliegenden Versicherungsvertrags am 1. 7. 1980 hatte die Sekretärin des Versicherungsvertreters die persönlichen Daten des Klägers, insbesondere auch seine Anschrift im Haus Nr 3 aus früheren Versicherungspolizzen in das Formular eingetragen. Diesen Antrag hat der Kläger unterfertigt.

Nach der Rechtsansicht des Erstrichters sei die Zustellung des Mahnschreibens nicht ordnungsgemäß erfolgt und eine Leistungsfreiheit der beklagten Partei mangels Zahlungsverzugs des Klägers nicht eingetreten.

Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens ab. Es übernahm zwar die Tatsachenfeststellungen des Erstrichters als unbedenklich, vertrat aber die Rechtsansicht, dass die Mutter des Klägers zur Empfangnahme der strittigen Zustellung nach den Postvorschriften legitimiert gewesen sei, weil der Kläger im Zeitpunkt der Zustellung nach wie vor im Hause Nr 3 gemeldet war und diese Adresse auch im Versicherungsantrag angegeben hatte und eine Ersatzzustellung gemäß § 174 Abs 1 letzter Satz PO nur dann unzulässig gewesen wäre, wenn der Empfänger dagegen schriftlich Einspruch erhoben hätte. Überdies sei der Kläger nicht nur Eigentümer des landwirtschaftlichen Betriebs Nr 3, sondern bewirtschaftete dieses Anwesen auch, sodass es auch als Betriebsstätte eine für die Zustellung von Postsendungen an den Kläger geeignete Abgabestelle und seine dort mittätige Mutter empfangsberechtigt gewesen sei.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision des Klägers ist entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts zulässig, weil zu den hier anzuwendenden Bestimmungen der Postordnung eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs fehlt und die Entscheidung auch für künftige Fälle von Bedeutung ist. Die Revision ist aber auch berechtigt.

Die Mängelrüge, wonach das Berufungsgericht in Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes von den Tatsachenfeststellungen des Erstrichters abgegangen sei, trifft allerdings nicht zu. Die zweite Instanz hat zwar bei der rechtlichen Beurteilung darauf Bedacht genommen, dass das bäuerliche Anwesen Nr 3 die Betriebsstätte des Klägers ist. Diese Tatsache hatte aber schon der Erstrichter festgestellt.

In der Sache selbst bekämpft der Revisionswerber die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, wonach der Zugang der qualifizierten Mahnung des Versicherers nach der Vorschrift des § 862a ABGB im Zusammenhang mit den Postvorschriften zu beurteilen sei (Gschnitzer in Klang2 IV/1, 69; VersR 1980, 760 ua), nur in der Richtung, dass nach den vorliegenden Umständen mit einer Kenntnisnahme durch ihn nicht hätte gerechnet werden dürfen, weil seine Mutter Poststücke verschlampt hatte und er deshalb sowohl ihr als auch den Postzustellern die Abgabe der Poststücke an sie verboten hatte. Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden. Wie der Revisionswerber richtig erkennt, kommt es für den Zugang einer Willenserklärung nach der Empfangstheorie zu § 862a ABGB nur darauf an, das nach dem Einlangen der Erklärung im Machtbereich des Empfängers dessen Kenntnisnahme regelmäßig, also unter normalen Umständen, erwartet werden kann (Rummel in Rummel, ABGB, Rdz 2 zu § 862a; SZ 34/118 ua). Damit ist ein objektiver Maßstab anzulegen. Für den Erklärenden sind besondere Umstände wie hier die Vergesslichkeit der Mutter des Empfängers nicht erkennbar. Sie liegen bereits im Machtbereich des letzteren. Auf das vom Erstrichter festgestellte, bloß mündliche Verbot einer Ersatzzustellung an die Mutter kommt es hingegen schon deshalb nicht an, weil der vom Berufungsgericht zutreffend angeführte § 174 Abs 1 letzter Satz PO bestimmt, das ein Einspruch gegen eine Ersatzzustellung nur wirksam ist, wenn ihn der Empfänger schriftlich erhoben hat. Mangels Befolgung dieser Vorsichtsmaßnahme war daher die Ersatzzustellung an sich zulässig, zumal es um kein Problem der Willenserklärung durch Boten geht.

Zu prüfen bleibt allerdings, ob die Ersatzzustellung auch im Übrigen der Postordnung entsprach. Das Berufungsgericht ist dabei richtig davon ausgegangen, dass im vorliegenden Fall das Haus Nr 3 die Abgabestelle im Sinn des § 170 PO war, weil diese Anschrift vom Absender
– übrigens entsprechend der im Versicherungsantrag angeführten Adresse – angegeben war. Eine wirksame Zustellung konnte jedoch nur unter den in der Postordnung weiters genannten Voraussetzungen erfolgen. Die bloße Tatsache, dass der Kläger noch im Hause Nr 3 gemeldet war, reichte nach der zutreffenden Ansicht des Revisionswerbers dafür nicht aus. Nach § 176 PO sind nämlich Postsendungen, soweit die Ersatzzustellung überhaupt zulässig ist, nur an eine erwachsene, zur Annahme bereite Person zuzustellen, die an derselben Abgabestelle wie der Empfänger wohnt. ... Der Revisionswerber wohnte aber im Zustellzeitpunkt nicht mehr an der als Abgabestelle angebenenen Adresse und es bestand keine gemeinsame Wohnung mit seiner Mutter mehr. Dieser Rechtfertigungsgrund für die Ersatzzustellung ist somit objektiv nicht gegeben.

Das Berufungsgericht hat ein größeres Gewicht demnach mit Recht auf den Umstand gelegt, dass das bäuerliche Anwesen des Revisionswerbers mit der Anschrift Nr 3 als seine Betriebsstätte anzusehen ist, sodass eine Ersatzzustellung an seine Mutter auch wegen deren Mitarbeit im Betrieb in Frage kam. Der Meinung des Revisionswerbers, dass es auf diesen Umstand nicht ankomme, kann nicht gefolgt werden. § 176 PO lässt die Ersatzzustellung ausdrücklich auch an einen Arbeitnehmer (oder Arbeitgeber) des Empfängers zu, was – im gleichen Sinn wie die inzwischen aufgehobenen § 103 Abs 1 ZPO und § 23 Abs 1 AVG sowie der nunmehrige § 16 Abs 1 ZustG – die Betriebsstätte als Ort der Zustellung voraussetzt. Allerdings genügt nach der Postordnung eine Zustellung an eine dort bloß wohnende Person nicht. Es muss sich um einen „Arbeitnehmer oder Arbeitgeber des Empfängers“ handeln. Die bloße Mittätigkeit im Erwerb des Empfängers erfüllt entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts diese Voraussetzung nicht in jedem Fall. Wohl wurde zu § 103 Abs 1 ZPO, der ebenfalls von einem Bediensteten im Geschäft oder Gewerbe des Adressaten spricht, die Meinung vertreten, die Tätigkeit müsse nicht entgeltlich sein, soweit sie nur im Interesse des Empfängers erfolge (Fasching Komm II 588, ÖRZ 1937, 406). Walter-Mayer, Das österreichische Zustellrecht 93, meinen deshalb, dass auch als „Arbeitnehmer“ im Sinn des neuen § 16 Abs 2 ZustG jeder Bedienstete des Empfängers unabhängig davon anzusehen ist, ob die Dienstleistung entgeltlich oder unentgeltlich erfolgt, und dass nach der zitierten Judikatur des Obersten Gerichtshofs offenbar irrelevant sein solle, welche Rechtsgrundlage der Geschäftsführung oder der Leistung der Dienste zugrundeliege. Auch diese weitere Auslegung muss aber am äußersten Wortsinn der anzuwendenden Bestmmung ihre Grenze finden (Bydlinski in Rummel, ABGB Rdz 17 zu § 6), und erst im Wege einer Analogie käme eine allfällige Lückenfüllung in Betracht. Unter einem Bediensteten, Angestellten oder Dienstnehmer mag dann zwar auch ein unentgeltlich Beschäftigter zu verstehen sein. Die genannten Begriffe enthalten aber jedenfalls ein Kriterium der Abhängigkeit und Unselbständigkeit. Ob die Mittätigkeit der Mutter des Revisionswerbers am Hof diese Voraussetzung erfüllt, ist den bisherigen Tatsachenfeststellungen nicht zu entnehmen. Im gegenteiligen Fall wäre aber auch eine Anlalogie nicht am Platz. Abgesehen davon, dass eher eine bewusste Lücke innerhalb der Norm anzunehmen ist, die einen Umkehrschluss rechtfertigen würde, reicht der Umstand, dass die betreffenden Regelungen eine Art Anscheinsvollmacht des Empfängers enthalten (RZ 1982/51), nicht für die Annahme hin, dass jede im Betrieb mittätige Person wie ein Dienstnehmer zu behandeln sei. Es ist ja auch eine Ersatzzustellung an einen Mitbeschäftigten des Empfängers unzulässig (SZ 38/35).

Entgegen der Meinung der Revisionsgegnerin kommt ihr in diesem Zusammenhang auch nicht der Umstand zugute, dass der Kläger schon ursprünglich eine unrichtige Anschrift angegeben hatte. Wie sie richtig erkennt, war dessen ungeachtet gemäß § 170 PO die Postsendung an der in der Anschrift angegebenen Abgabestelle zuzustellen. Eine Ersatzzustellung an eine andere Person konnte aber nur unter den Voraussetzungen der §§ 174 ff PO wirksam erfolgen. Wäre in diesem Sinn die Zustellung an die Mutter des Klägers nicht gerechtfertigt gewesen, dann hätte nach den weiteren Vorschriften der Postordnung (§ 170 S 2, § 178, §§ 204 ff) vorgegangen werden müssen. Ein Fall des § 10 VersVG liegt hingegen nicht vor, weil der Kläger nicht erst nach dem Versicherungsantrag seine Wohnung geändert hat, sondern die Anschrift von vorneherein unrichtig war.

Nach dem Gesagten ist die Rechtssache noch nicht zur Entscheidung reif. Es bedarf ergänzender Feststellungen über die Art der Mittätigkeit der Mutter des Revisionswerbers in dessen bäuerlichem Betrieb. Mit Rücksicht auf den geringen Umfang der erforderlichen Erhebungen wird die Ergänzung des Verfahrens gemäß § 496 Abs 3 ZPO dem Berufungsgerichte obliegen.

Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 52 ZPO.

Textnummer

E117000

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1984:0070OB00041.840.1122.000

Im RIS seit

06.02.2017

Zuletzt aktualisiert am

06.02.2017
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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