Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 11.Dezember 1984 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Obauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Steininger (Berichterstatter), Dr. Horak, Dr. Reisenleitner und Dr. Felzmann als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Hardegg als Schriftführerin in der Strafsache gegen Stefan A wegen des Vergehens der Täuschung nach § 108 Abs. 1 StGB über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 15.Juni 1983, AZ 3 Bs 205/83, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Kodek, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Text
Gründe:
I/ Mit dem Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 12.April 1983, GZ 15 b E Vr 504/83-8, wurde Stefan A des Vergehens der Täuschung nach § 108 Abs. 1 StGB schuldig erkannt und hiefür zu einer Geldstrafe verurteilt. Nach dem Inhalt des Schuldspruchs hat er am 17. Feber 1983 in Höchst der REPUBLIK ÖSTERREICH in ihren Rechten dadurch absichtlich einen Schaden zugefügt, daß er Beamte des Gendarmeriepostens Höchst durch die unrichtige Behauptung, Inhaber einer Berechtigung zum Lenken von Personenkraftwagen zu sein, mithin durch Täuschung über Tatsachen, zu einer Duldung, und zwar zur (Gestattung der) Fortsetzung der Fahrt mit einem Personenkraftwagen auf einer öffentlichen Verkehrfläche verleitete, die den Schaden, dies nicht unterbunden zu haben, herbeiführte.
Nach den wesentlichen Urteilsfeststellungen wurde der Beschuldigte als Lenker eines Personenkraftwagens von Gendarmeriebeamten wegen mehrerer auf der Fahrt in Höchst in Richtung Gaißau begangener Verkehrsübertretungen angehalten und kontrolliert, wobei er nach seinem Führerschein befragt wurde. Er gab den Beamten hierauf zur Antwort, daß er einen Führerschein habe, er habe ihn aber vergessen, werde ihn holen und ihn in einer halben Stunde auf dem Gendarmerieposten vorzeigen. Dem Beschuldigten, der keine Lenkerberechtigung und daher auch keinen Führerschein hat, kam es dabei darauf an, die Gendarmeriebeamten zur Duldung seiner Weiterfahrt zu verleiten. Da eine sofortige Überprüfung seiner Angaben nicht möglich war und seine Beteuerungen den Beamten glaubwürdig erschienen, wurde ihm die Weiterfahrt gestattet. Erst als der Beschuldigte nicht am Gendarmerieposten erschien, kam der wahre Sachverhalt auf.
Gegen dieses Urteil erhob der Beschuldigte Berufung, die er jedoch nicht ausführte. Aus Anlaß dieser Berufung hob das Oberlandesgericht Innsbruck mit Urteil vom 15.Juni 1983, AZ 3 Bs 205/83 (= 15 b Vr 504/83-12), gemäß §§ 477 Abs 1, 489 Abs. 1 StPO in amtswegiger Wahrnehmung des Nichtigkeitsgrundes der Z 9 lit a des § 281 Abs. 1 StPO das Ersturteil auf, erkannte in der Sache selbst und sprach Stefan A von der wider ihn erhobenen Anklage wegen des Vergehens der Täuschung nach § 108 Abs. 1 StGB gemäß § 259 Z 3 StPO frei; mit seiner Berufung wurde der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Das Berufungsgericht vertrat die Auffassung, dem Angeklagten sei es durch die unwahre Behauptung gegenüber den einschreitenden Gendarmeriebeamten vorerst gelungen, glaubhaft zu machen, daß er eine Lenkerberechtigung habe und den Führerschein bloß vergessen habe, und sie davon abzuhalten, gegen ihn wegen der Verwaltungsübertretung des Fahrens ohne Lenkerberechtigung einzuschreiten und Zwangsmaßnahmen gemäß § 102 Abs. 12 KFG zu ergreifen.
Sein Verhalten sei daher darauf gerichtet gewesen, die Verfolgung seiner Person wegen Verwaltungsübertretungen zu vereiteln; damit habe er aber lediglich das staatliche ius puniendi verletzt, was zur Erfüllung des Tatbestands der Täuschung nicht ausreiche. II/ Nach Ansicht der Generalprokuratur steht dieses Erkenntnis des Oberlandesgerichtes Innsbruck mit dem Gesetz nicht im Einklang. In ihrer deshalb gemäß § 33 Abs. 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes führt sie hiezu aus:
'Die an sich weitgehend zutreffenden Rechtsausführungen des Berufungsgerichtes übergehen die ausdrückliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichtes, daß es dem Angeklagten bei seinem unwahren Vorbringen darauf ankam, die solcherart getäuschten Gendarmeriebeamten zur Duldung seiner Weiterfahrt zu bestimmen. Von dieser Feststellung hatte das an sie gebundene Berufungsgericht bei überprüfung der rechtlichen Beurteilung durch das Erstgericht auszugehen. Aus der bezeichneten Feststellung ergibt sich aber, daß gerade im Sinne der vom Berufungsgericht zutreffend zitierten Judikatur zur Straflosigkeit einer lediglich auf Vereitelung des sogenannten staatlichen ius puniendi gerichteten Täuschung die rechtliche Beurteilung durch das Berufungsgericht verfehlt ist: Eben nicht auf die Verhinderung seiner Bestrafung wegen der vor der Anhaltung durch Gendarmeriebeamte begangenen Verwaltungsübertretungen und insbesondere wegen jener nach dem § 134 Abs. 1
in Verbindung mit § 64 KFG wegen Lenkens eines Kraftfahrzeuges ohne Lenkerberechtigung kam es dem Beschuldigten an, sondern auf die Duldung seiner - mangels einer entsprechenden Lenkerberechtigung rechtswidrigen - Weiterfahrt nach dieser Anhaltung (vgl auch EvBl 1979/58 zu § 149 StGB). Zu seiner freisprechenden Entscheidung gelangte das Berufungsgericht, indem es gerade diese Feststellung des Erstgerichtes überging und dem gegenständlichen Tun des Angeklagten eine weder vom angefochtenen Urteil festgestellte noch auch vom Angeklagten selbst behauptete Motivation unterstellte. Das Erkenntnis des Oberlandesgerichtes Innsbruck verletzt solcherart aber nicht nur durch das Abweichen von der mangels einer Beweiswiederholung auch seine Entscheidungsgrundlage bildenden erstgerichtlichen Urteilsfeststellung das Gesetz in der Bestimmung des § 477 Abs. 1 StPO. Der gefällte Freispruch widerspricht vielmehr bei der gegebenen Sachlage auch dem § 108 Abs. 1 StGB:
Der Staat hat einen konkreten Anspruch auf Ausschluß einer Person ohne Lenkerberechtigung von der Lenkung von Kraftfahrzeugen auf Straßen im öffentlichen Verkehr, der sich aus der Bestimmung des § 102 Abs. 12
lit f KFG ergibt (11 Os 20/83). Dieser Anspruch stellt ein konkretes Recht des Staates dar, das zu jenen Rechtsgütern zählt, deren Beeinträchtigung mittels Täuschung gemäß § 108 Abs. 1 StGB strafbar ist. Der Tatbildlichkeit des unwahren Vorbringens des Beschuldigten als Täuschungshandlung steht vorliegend auch nicht entgegen, daß es sich dabei um bloßes Parteivorbringen im Verwaltungsverfahren handelte, das nicht durch Urkunden oder andere Beweismittel gestützt war (vgl SSt 41/72 ua). Nach der Besonderheit der durch § 102 Abs. 12 lit f KFG der angehaltenen Partei eingeräumten Möglichkeit, den Besitz ihrer vorschriftswidrig nicht mitgeführten Lenkerberechtigung glaubhaft zu machen, ist eine sofortige überprüfung derartigen Vorbringens durch die Straßenverkehrsaufsichtsorgane regelmäßig nicht möglich; daher ist bereits eine unwahre, nur verbale Beteuerung des Besitzes der Lenkerberechtigung eine zur Herbeiführung des vom Gesetzgeber verpönten Schadens durch Weiterfahrt, trotz Fehlens der Lenkerberechtigung geeignete Täuschungshandlung (vgl neuerlich den der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 23.März 1982 !richtig: 1983 , 11 Os 20/83-12, zugrundeliegenden Fall der Täuschung).
Die Feststellung der aufgezeigten Verletzungen des Gesetzes in der Bestimmung des § 477 Abs. 1 StPO einerseits und des § 108 Abs. 1 StGB, in Verbindung mit § 102 Abs. 12 lit f KFG, erscheint erforderlich, zumal die Entscheidung des Oberlandesgerichtes Innsbruck durch ihre Veröffentlichung (LSK 1983/173) eine gewisse Publizität erlangt hat. Da sich die Entscheidung indes nicht zum Nachteil des Beschuldigten auswirkte, hat es mit dieser Feststellung sein Bewenden.' III/ Der Nichtigkeitsbeschwerde kommt keine Berechtigung zu; dies aus folgenden Erwägungen:
Rechtliche Beurteilung
Der Einwand, das Berufungsgericht habe bei seiner rechtlichen Beurteilung die Feststellung des Erstgerichtes, wonach es dem Angeklagten bei seinem unwahren Vorbringen darauf ankam, die getäuschten Gendarmeriebeamten zur Duldung seiner Weiterfahrt zu verleiten, übergangen und stattdessen (ohne Beweiswiederholung) angenommen, daß es dem Angeklagten darum gegangen ist, seine Bestrafung wegen der vor der Anhaltung begangenen Verwaltungsübertretungen, insbesondere jener nach § 134 Abs. 1 in Verbindung mit § 64 KFG wegen Lenkens eines Kraftfahrzeuges ohne Lenkerberechtigung, zu verhindern, ist deshalb nicht berechtigt, weil das Berufungsgericht zwar ausführt, das Verhalten des Angeklagten sei darauf gerichtet gewesen, die Verfolgung seiner Person wegen Verwaltungsübertretungen zu vereiteln, in diesem Zusammenhang aber (des weiteren) davon ausgeht, daß der Angeklagte solcherart primär eine gegen ihn gerichtete Zwangsmaßnahme gemäß § 102 Abs. 12 KFG vereiteln wollte (S 59 d.A), was in tatsachenmäßiger Hinsicht durch die in Rede stehende erstgerichtliche Konstatierung (S 42, 43 d.A) gedeckt ist. Konnte doch darnach die durch Täuschung bezweckte Duldung der Weiterfahrt, wie sie der Angeklagte anstrebte, im gegebenen Fall nur dadurch erwirkt werden, daß die Gendarmen von der Anwendung der Zwangsmaßnahme gemäß § 102 Abs. 12 KFG abgehalten werden. Diese Zwangsmaßnahme hinwieder stellt eine kraftfahrgesetzliche Sanktion (im Sinne einer Maßnahme gemäß Art II Abs. 6 lit e EGVG) dar, die im Falle der Betretung eines Fahrzeuglenkers, der den Straßenaufsichtsorganen den Führerschein nicht vorweisen kann und daher bei der Weiterfahrt die übertretung nach § 102 Abs. 5 lit a KFG begehen würde, gegen den Betreffenden anzuwenden ist, sofern er den Besitz der vorgeschriebenen Lenkerberechtigung nicht glaubhaft machen kann (§ 102 Abs. 12 lit f KFG). Zielt demnach eine gegenüber den Straßenaufsichtsorganen gebrauchte (verbale) Täuschung eines Verdächtigen, der den Führerschein nicht vorweisen kann, darauf ab, glaubhaft zu machen, daß er die vorgeschriebene Lenkerberechtigung habe, und solcherart die Straßenaufsichtsorgane von der Anwendung der Zwangsmaßnahme gemäß § 102 Abs. 12 KFG (Verbot der Weiterfahrt) abzuhalten, so verletzt sie - wie das Oberlandesgericht Innsbruck zutreffend erkannte - nur das (in § 102 Abs. 12 KFG verkörperte) staatliche ius puniendi und ist deshalb nicht nach § 108 Abs. 1 StGB strafbar (vgl SSt 48/18 = EvBl 1977/214; SSt 49/13 = ZVR 1978/124 ua), und zwar unbeschadet dessen, daß der Anspruch des Staates auf Ausschluß einer Person ohne Lenkerberechtigung von der Lenkung von Kraftfahrzeugen auf Straßen mit öffentlichem Verkehr nicht bloß ein abstraktes Aufsichts- und Prüfungsrecht, sondern ein konkretes Recht darstellt, wie dies in der Entscheidung 11 Os 20/83 zum Ausdruck gebracht wird.
Die behaupteten Gesetzesverletzungen haften somit dem Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 15.Juni 1983, AZ 3 Bs 205/83, nicht an, weshalb die Nichtigkeitsbeschwerde zu verwerfen war.
Anmerkung
E04963European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1984:0090OS00006.84.1211.000Dokumentnummer
JJT_19841211_OGH0002_0090OS00006_8400000_000