TE OGH 1985/1/15 4Ob104/84

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Veröffentlicht am 15.01.1985
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrasch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Prof.Dr. Friedl und Dr. Resch sowie die fachmännischen Laienrichter Dipl.Ing. Beer und Mag. Dirschmied als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Erich P***, Angestellter, Hinterbrühl, Rudolf Schmidt-Weg 9, vertreten durch Dr. Harard Bisanz, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei A*** A*** Ö*** F***-AG in Wien 10.,

Fontanastraße 1, vertreten durch Dr. Georg Grießer, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 7.960,80 s.A. und Feststellung (Streitwert S 100.000,-), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgerichtes in arbeitsgerichtlichen Rechtsstreitigkeiten vom 19. März 1984, GZ 44 Cg 39/84-14, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeitsgerichtes Wien vom 19. September 1983, GZ 4 Cr 1316/82-8, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 7.798,65 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 447,15 Umsatzsteuer und S 2.880,- Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger ist bei der beklagten Partei als Flugkapitän angestellt. Er beantragte zuletzt den Zuspruch von S 7.960,80 brutto s.A. sowie die Feststellung, daß für ihn gemäß der Bestimmung des Kollektivvertrages für das Bordpersonal der A*** A*** alle jene Zeiträume, sohin auch Bereitschaftsdienst, als Dienstzeit, also Einsatz- bzw. Arbeitszeit außerhalb des Flugdienstes zu beurteilen und abzugelten seien, in welchen der Dienstnehmer nicht frei von dienstlicher Beanspruchung sei. Er habe in den Monaten August und September 1981 Bereitschaftsdienst geleistet, den ihm die beklagte Partei entgegen § 6 Z 4 des Kollektivvertrages nicht als Flugzeiten angerechnet habe.

Gemäß § 6 Z 1 des Kollektivvertrages für das Bordpersonal der A*** A*** gilt als Flugzeit die Blockzeit laut Flight Control Log. Gemäß § 6 Z 4 sind für Urlaubstage, Krankenstand, für Tage gemäß § 11 dieses Kollektivvertrages sowie für Diensteinteilung außerhalb des Flugdienstes, für die Ermittlung der monatlichen Flugstunden den Angestellten 2 1/3 Stunden pro Tag in Anrechnung zu bringen. Gemäß § 9 Z 1 werden Flugzeiten, die im Kalendermonat 72,5 Flugstunden (früher 75 Flugstunden) überschreiten, den Angestellten mit je 1/70 des Monatsbruttogrundgehaltes sowie der Flugzulage pro anrechenbare Flugstunde als Mehrleistung abgegolten. Die beklagte Partei stellte das Leistungsbegehren der Höhe nach außer Streit, beantragte jedoch, das Klagebegehren abzuweisen und wendete ein, § 6 Z 4 des Kollektivvertrages sei auf Zeiten des Bereitschaftsdienstes nicht anzuwenden, weil es sich dabei nicht um eine Diensteinteilung außerhalb des Flugdienstes handle. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es stellte - abgesehen vom Inhalt der Bestimmungen des Kollektivvertrages - folgenden Sachverhalt fest:

Durchschnittlich fliegt ein AUA-Pilot etwa 600 Stunden pro Jahr, was unter Berücksichtigung des Urlaubes eine monatliche Flugzeit von etwa 60 Stunden ergibt. Der Kläger wies in den Monaten August und September 1981 eine reine Flugzeit von 72,5 Stunden auf, was die maximal zulässige Flugzeit (offenbar gemeint: "die der Berechnung der Mehrleistung zu Grunde liegende Flugzeit") darstellt. Die reine Flugzeit ist jene Zeit, in welcher sich das Flugzeug aus eigener Kraft bewegt, einschließlich der Rollzeit. Jeder Pilot erhält ein monatliches Fixum, das einer Flugzeit von 72,5 Stunden entspricht und zwar unabhängig davon, ob eine solche Flugzeit erbracht wird. Übersteigt die Flugzeit eines Piloten 72,5 Stunden, dann kommt § 9 des Kollektivvertrages hinsichtlich des Mehrleistung zur Anwendung. Ein weiterer Bestandteil des Gehaltes eines Piloten ist die Flugzulage. Diese erhält ein Pilot auch dann, wenn er einen ganzen Monat überhaupt nicht fliegt. Wenn in einem Monat die höchstzulässige Arbeitszeit von 177 Stunden überschritten wird, hat dies für den Piloten keinerlei Auswirkung, auch nicht finanziell, da beim Piloten lediglich entscheidend ist, ob die 72,5 Flugstunden überschritten wurden oder nicht. Bereitschaftsdienst wurde seitens der beklagten Partei bisher immer als zum Flugdienst gehörig behandelt. Der Bereitschaftsdienst wird im Dienstplan als "stand by" bezeichnet und bedeutet Ruf- oder Arbeitsbereitschaft. Wenn ein Pilot zu einem solchen Bereitschaftsdienst eingeteilt ist, muß er im Bedarfsfall innerhalb einer Stunde den Dienst aufnehmen können. Das bedeutet für den Piloten nicht unbedingt, daß er zu Hause sein muß, sondern er muß nur telefonisch erreichbar und innerhalb einer Stunde am Flughafen sein. Zusätzlich belohnt wird der Bereitschaftsdienst nicht. Tätigkeiten außerhalb des Flugdienstes sind zB medizinische Untersuchungen des Piloten, Simulator, Schulungen und administrative Tätigkeiten oder ähnliches.

Rechtlich vertrat das Erstgericht die Auffassung, beim Bereitschaftsdienst zu Hause handle es sich um eine sogenannte "Rufbereitschaft". Die Rufbereitschaft sei anders als die an der Arbeitsstätte zu leistende Arbeitsbereitschaft von der Arbeitszeit losgelöst. Sie könne nicht als Überstundenleistung angesehen werden und werde unabhängig von der vertragsgemäßen Arbeitszeit entlohnt und zwar grundsätzlich geringer als die Arbeit selbst. Die Art der Entlohnung für die "Rufbereitschaft" ergebe sich im vorliegenden Fall aus § 6 Abs 4 (Gemeint § 6 Z 4) des Kollektivvertrages, wonach für Diensteinteilungen außerhalb des Flugdienstes für die Ermittlung der monatlichen Flugstunden, den Angestellten 2 1/3 Stunden pro Tag in Anrechnung zu bringen seien.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei Folge und wies das Klagebegehren ab. Es verhandelte die Streitsache gemäß § 25 Abs 1 Z 3 ArbGG von neuem und traf dieselben Feststellungen wie das Erstgericht. Rechtlich vertrat es die Auffassung, die vom Kläger geleisteten Bereitschaftsdienste könnten schon bei wörtlicher Auslegung des Kollektivvertrages nicht als Diensteinteilung außerhalb des Flugdienstes im Sinne des § 6 Z 4 des Kollektivvertrages gewertet werden. Zur Aufrechterhaltung des Flugbetriebes der beklagten Partei sei es unbedingt erforderlich, daß für den Fall der Verhinderung eines Piloten im vorhinein Vorsorge getroffen werde. Die beklagte Partei sei ein Unternehmen, welches Linienflüge durchführe. Für ein Unternehmen dieser Art wäre es untragbar, wenn es durch den Ausfall von Piloten zu Verzögerungen beim Abflug oder gar zur Verlegung von Flügen kommen müßte. Ein Pilot, der auf Grund eines im § 5 Z 1 des Kollektivvertrages vorgesehenen Dienstplanes Bereitschaftsdienst leiste, befinde sich zwar in einem eingeteilten Dienst, doch könne es sich dabei um keine Diensteinteilung außerhalb des Flugdienstes handeln. Der Begriff des Flugdienstes nach § 6 Z 4 des Kollektivvertrages sei weiter als jener der Flugzeit nach § 6 Z 1 Kollektivvertrag. Unter dem Begriff des Flugdienstes seien alle Tätigkeiten zusammenzufassen, die mit der Aufrechterhaltung des geregelten Flugbetriebes im unmittelbaren Zusammenhang stünden. Abgesehen von dem der Auslegung nach strittigen Tatbestand der Diensteinteilung außerhalb des Flugdienstes sei allen weiteren Tatbeständen des § 6 Z 4 gemeinsam, daß der Dienstnehmer während der betreffenden Zeit keine Dienstleistung für die beklagte Partei erbringe. Da aber der Bereitschaftsdienst nach § 5 Z 2 B d des Kollektivvertrages als Dienstleistung gewertet werde und zu 50 % auf die Arbeitszeit anrechenbar sei, könne er bei systematischer Betrachtung des § 6 Z 4 des Kollektivvertrages nicht als Diensteinteilung außerhalb des Flugdienstes gesehen werden.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers aus den Gründen der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit den Anträgen, das Ersturteil wiederherzustellen oder das angefochtene Urteil aufzuheben und die Rechtssache zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung - offenbar an eine der Vorinstanzen - zurückzuverweisen. Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor

(§ 510 Abs 3 ZPO).

Auch die Rechtsrüge ist nicht begründet.

Entscheidend für den Rechtsstreit ist die Frage, was unter dem Begriff "Diensteinteilung außerhalb des Flugdienstes" in § 6 Z 4 des Kollektivvertrages zu verstehen ist. Bei Auslegung dieses Begriffes ist davon auszugehen, daß die im Kollektivvertrag verwendeten Begriffe des "Flugdienstes" und der "Flugzeit" verschiedenen Inhalt haben und daher nicht unbedingt Zeiten, die im Flugdienst zurückgelegt werden, auch Flugzeiten im "engeren Sinn" (§ 6 Z 1 des Kollektivvertrages) oder als solche anrechenbare Zeiten (§ 6 Z 4 des Kollektivvertrages) sind. Als Flugzeit im engeren Sinn gilt gemäß § 6 Z 1 des Kollektivvertrages die Blockzeit laut Flight Control Log, das ist die Zeit, in der sich das Flugzeig aus eigener Kraft bewegt, also einschließlich der Rollzeiten. Daneben bestimmt § 6 Z 4 des Kollektivvertrages, daß gewisse Zeiten für die Ermittlung der monatlichen Flugstunden in Anrechnung zu bringen sind. Welche Tätigkeiten unter dem Begriff des "Flugdienstes" fallen, erläutert der Kollektivvertrag dagegen nicht. Daß sich der Begriff des "Flugdienstes" nicht mit dem der "Flugzeit" deckt, sondern weiter ist, ergibt sich bereits aus § 5 Z 2 A lit b bis d und f, handelt es sich dabei doch um Zeiten, die keine Flugzeiten im engeren Sinn sind, sondern vor, zwischen und nach den Flügen liegen und von denen nicht behauptet wurde, daß es sich dabei um eine Diensteinteilung außerhalb des Flugdienstes handelt. Gleiches ergibt sich aus Punkt 1.2. des Anhanges zum Kollektivvertrag, wonach die Flugzulage bei Einsatz im Flugdienst gebührt, wobei feststeht, daß die Flugzulage auch dann bezahlt wird, wenn im betreffenden Monat überhaupt keine Flugzeit im engeren Sinn verrichtet wurde. Da den Kollektivvertragsparteien grundsätzlich unterstellt werden darf, daß sie eine vernünftige, zweckentsprechende, praktisch durchführbare Regelung treffen, sowie einen gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen herbeiführen wollen, ist bei mehreren an sich in Betracht kommenden Auslegungsmöglichkeiten, wenn alle anderen Auslegungsgrundsätze versagen, jener der Vorzug zu geben, die diesen Anforderungen am meisten entspricht (Arb. 9661). Der Begriff des "Flugdienstes" ist in diesem Zusammenhang nach seinem Wortsinn und vernünftigen Zusammenhang dahin auszulegen, daß darunter alle Tätigkeiten fallen, welche in unmittelbarem Zusammenhang mit der Aufrechterhaltung des Flugbetriebes stehen. Hiezu gehört auch der Bereitschaftsdienst, ohne den ein geregelter Flugbetrieb bei einem Unternehmen, welches Linienflüge durchführt, nicht möglich ist. Gegen eine Anrechnung von Zeiten des Bereitschaftsdienstes zu Hause als Flugstunden spricht auch, daß solche Zeiten gemäß § 5 Z 2 B lit d zu 50 % nur für die Berechnung der höchstzulässigen Arbeitszeit innerhalb von 7 aufeinanderfolgenden Tagen, nicht aber als Arbeitszeit schlechthin, anrechenbar sind. Dies spricht gegen eine Anrechnung als Flugstunden, bei welchen es sich um eine höherwertige Tätigkeit handelt. Auch entsprechen die 2 1/3 Stunden pro Tag, welche gemäß § 6 Z 4 des Kollektivvertrages als Flugstunden anzurechnen sind, etwa 70 Flugstunden pro Monat, also ungefähr jenen 72,5 Flugstunden, welche der Berechnung des Monatsentgelts der Angestellten zu Grunde gelegt wurden. Damit würde aber der Bereitschaftsdienst genau so hoch bewertet werden wie die der Entlohnung zu Grunde gelegte durchschnittliche tägliche Flugzeit. Auch würde eine Anrechnung zu Hause geleisteten Bereitschaftsdienstes auf die Flugstunden gegenüber dem auf Flughäfen geleisteten Bereitschaftsdienst selbst dann eine ungleiche Behandlung bedeuten, wenn in beiden Fällen des Bereitschaftsdienstes eine Anrechnung vorgenommen würde, ist doch der Bereitschaftsdienst auf den Flughäfen für den Angestellten belastender als der zu Hause verrichtete.

Unter Diensteinteilungen außerhalb des Flugdienstes sind daher nur Tätigkeiten zu verstehen, welche mit der Aufechterhaltung des Flugbetriebes nicht in unmittelbaren Zusammenhang stehen, also etwa die im § 5 Z 2 A lit e genannten Tätigkeiten. Daß zwar gemäß § 6 Z 4 sogar für Urlaubstage, Krankenstände und Tage der Dienstverhinderung gemäß § 11 des Kollektivvertrages eine Anrechnung auf die monatlichen Flugstunden erfolgt, nicht aber für Bereitschaftsdienst, ist nur ein scheinbarer Widerspruch. Dabei handelte es sich um Zeiten, in denen der Angestellte keinerlei Dienstleistung für die beklagte Partei erbringen kann und es ihm daher unmöglich ist, die der Entlohnung überlicherweise zugrundegelegten Flugstunden zu errechnen. Auch sollte damit offenbar eine Überbeanspruchung des Personals in der restlichen Zeit des Monats durch echte Flugstunden hintangehalten werden, sind doch die Angestellten gemäß § 6 Z 2 des Kollektivvertrages verpflichtet, auf Verlangen der Beklagten monatlich 90 Flugstunden zu leisten. Eine ähnliche Bestimmung findet sich im § 5 Z 4, wonach auf die höchstzulässige Arbeitszeit für Urlaubsund Krankentage den Angestellten 5,7 Stunden pro Tag in Anrechnung zu bringen sind. Dies entspricht mit Rücksicht auf die 7 Tage Arbeitswoche im Betrieb der Beklagten der durchschnittlichen täglichen Arbeitszeit unter Zugrundelegung einer 40-stündigen Arbeitszeit. Wenn der Kläger darauf verweist, daß auch anderen Berufsgruppen, wie Spitalsärzten oder Angehörigen des Sicherheitsdienstes, Mehrleistungen abgegolten werden, übersieht er, daß ein solcher Vergleich wegen der völlig verschiedenen Art der Dienstleistung und der Entlohnung nicht möglich ist. Der im Rahmen des Flugdienstes zu leistende Bereitschaftsdienst stellt eben keine Mehrleistung gegenüber der bedungenen Arbeitsleistung dar. Daß die einzelnen Angestellten zu Bereitschaftsdienst in verschieden großem Ausmaß eingeteilt würden und dies ohne Anrechnung gemäß § 6 Z 4 des Kollektivvertrages eine Ungleichbehandlung ergeben würde, stellt eine im Revisionsverfahren unzulässige Neuerung dar.

Die Zeiten des Bereitschaftsdienstes sind daher nicht unter Anwendung des § 6 Z 4 des Kollektivvertrages als Flugstunden anzurechnen und daher auch nicht gemäß § 9 Z 1 des Kollektivvertrages bei der Abgeltung der Mehrleistung zu berücksichtigen, weshalb das Berufungsgericht mit Recht sowohl das Leistungsals auch das Feststellungsbegehren abgewiesen hat. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

Anmerkung

E08903

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1985:0040OB00104.84.0115.000

Dokumentnummer

JJT_19850115_OGH0002_0040OB00104_8400000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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