TE OGH 1985/2/13 9Os164/84 (9Os165/84)

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Veröffentlicht am 13.02.1985
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Der Oberste Gerichtshof hat am 13.Februar 1985 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Faseth als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Horak, Dr. Lachner und Dr. Massauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Hardegg als Schriftführerin in der Strafsache gegen Franz S*** wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und Abs 4 (erster Fall) StGB über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen die Urteile des Bezirksgerichtes Waidhofen/Thaya vom 29. März 1984, GZ U 624/83-9, und des Kreisgerichtes Krems an der Donau als Berufungsgericht vom 5.Juni 1984, AZ 7 Bl 41/84, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, des Ersten Generalanwaltes Dr. Nurscher, und des Verteidigers Dr. Wielander, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Text

Gründe:

I. Mit Urteil des Bezirksgerichtes Waidhofen/Thaya vom 29. März 1984, GZ U 624/83-9, wurde der Landwirt Franz S*** des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und Abs 4 (erster Fall) StGB schuldig erkannt und zu einer (bedingt nachgesehenen) Geldstrafe verurteilt, weil er am 29.November 1983 in Rudolz als Lenker eines Traktorgespannes Steyr 8080 mit Einachsanhänger, beladen mit 6.000 kg Kunstdünger, dadurch, daß er beim Zurückschieben in die Garage mit der rechten Bordwand die Garagenwand streifte, wodurch der obere Bordwandteil entgegen der Fahrtrichtung nach vor geschoben wurde, fahrlässig seiner Gattin Maria S***, die an der rechten vorderen Ecke des Anhängers beim Zurückschieben mithalf, eine schwere Körperverletzung, nämlich eine Abtrennung des rechten Zeigefingers-Endgliedes, verbunden mit einer Weichteilverletzung und Quetschung des rechten Mittelfingers, zugefügt hat.

Nach den wesentlichen Feststellungen wollte Franz S*** zur Tatzeit mit dem 2,04 m breiten Einachsanhänger im Rückwärtsgang in eine Garage mit 2,60 m breitem Tor einfahren. Dabei brach der Anhänger auf der vor der Garage befindlichen Betonunterlage ein, wodurch die Anhängerräder etwa 5 bis 10 cm einsanken. Der Beschuldigte forderte deshalb seine Gattin Maria und seinen Sohn auf, ihm bei der weiteren Rückwärtsfahrt durch Anschieben des Anhängers zu helfen. Diesem Ersuchen entsprechend schoben Maria S*** und der Sohn des Beschuldigten, erstere gesehen in der Fahrtrichtung nach vorne, an der rechten Ecke des Anhängers, und letzterer an dessen linker Ecke an, während der Beschuldigte, der infolge der Bauart des Traktors keine Sicht auf seine an der vorderen Bordwand anschiebenden, also zwischen Traktor und Anhänger befindlichen Helfer hatte, das Rückfahrmanöver fortsetzte. Nach etwa 50 cm Rückwärtsfahrt streifte er dabei mit der rechten Anhänger-Bordwand die Garagenwand, wodurch der obere Teil der Bordwand um etwa 1 cm nach vor verschoben wurde und Maria S*** die angeführte schwere Verletzung erlitt.

In rechtlicher Beziehung lastete das Gericht dem Beschuldigten als Fahrlässigkeit an, daß er ohne entsprechende Sicht auf seine Gattin in Kenntnis der gegebenen Verhältnisse so unsachgemäß im Rückwärtsgang in die Garage hineingeschoben hat, daß die rechte Bordwand die Garagenwand streifte, wodurch es zur schweren Verletzung seiner Gattin kam.

Mit Urteil des Kreisgerichtes Krems an der Donau vom 5. Juni 1984, AZ 7 Bl 41/84 (= U 624/83-14), wurde die Berufung des Angeklagten wegen Nichtigkeit und Schuld zurückgewiesen und seiner Strafberufung nicht Folge gegeben. Das Berufungsgericht billigte die rechtliche Beurteilung durch das Erstgericht. Es fügte bei, daß im gegebenen Fall ein mit 6 Tonnen beladener Anhänger aus einer kleinen Grube bewegt werden sollte, was nur mit rascher Beschleunigung und unmittelbar nachfolgender unkontrollierter Bewegung geschehen kann; damit ist ein Lenkmanöver kurzzeitig ohne Wirkung, womit sich eindeutig die Gefährlichkeit der Situation zeigt. Die Gefahr einer Rechtsgutbeeinträchtigung in einer solchen Situation und bei einem solchen Fahrmanöver hätte auch der Angeklagte erkennen können, womit der objektive Sorgfaltsverstoß gegeben ist. Ergänzend hielt es der Berufung noch entgegen, daß eine Voraussehbarkeit des Erfolges in allen Einzelheiten, also einschließlich des gesamten Kausalverlaufes, nicht erforderlich ist, sondern daß der Eintritt irgendeines Erfolges vorhersehbar gewesen sein muß. Daß durch den Anstoß der Bordwand des Anhängers gegen die Garagenwand die Verletzung einer Person, die beim Traktor (richtig: beim Anhänger) anschiebt, eintreten kann, widerspricht nicht den Erfahrungen des täglichen Lebens, womit von einem atypischen Kausalverlauf hier nicht gesprochen werden kann.

II. Nach Ansicht der Generalprokuratur stehen die Urteile des Bezirksgerichtes Waidhofen/Thaya und des Kreisgerichtes Krems an der Donau als Berufungsgericht mit dem Gesetz nicht im Einklang. In ihrer deshalb gemäß § 33 Abs 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde führt sie hiezu aus:

"Unbewußt fahrlässig - und nur unbewußte Fahrlässigkeit im Sinne des § 6 Abs 1 StGB kommt vorliegend in Frage - handelt, wer Sorgfaltsanordnungen außer acht läßt und deshalb nicht erkennt, daß er einen Sachverhalt verwirklichen könne, der einem gesetzlichen Tatbild entspricht (Burgstaller im WK, RN 2 zu § 6). Konstituierendes Merkmal jedes Fahrlässigkeitstatbestandes ist somit ein objektiv sorgfaltswidriges Verhalten, d.i. ein Verstoß gegen jene allgemein verbindlichen Verhaltensanforderungen, deren Einhaltung das Recht in der jeweiligen konkreten Situation zur Vermeidung ungewollter Tatbildverwirklichung verlangt. Grundvoraussetzung für die objektive Sorgfaltswidrigkeit eines Verhaltens ist, daß die jeweilige Tatbildverwirklichung bei Setzung des Verhaltens objektiv vorhersehbar ist. Nun lassen sich aber auf vielen Gebieten des täglichen Lebens - vom Beruf bis zum Sport - objektiv gefährliche Handlungen nicht immer vermeiden und sind daher keineswegs schlechthin verboten. Die objektive Sorgfaltswidrigkeit beginnt erst dort, wo der vom Recht tolerierte Bereich der Gefahr der Tatbildverwirklichung überschritten ist, das Verhalten also sozialinadäquat gefährlich wird. Der allgemeine Maßstab für die soziale Inadäquanz der mit einem bestimmten Verhalten verbundenen Gefahr einer Tatbildverwirklichung und damit für die objektive Sorgfaltswidrigkeit ist das gedachte Verhalten einer Modellfigur. Objektiv sorgfaltswidrig ist ein Verhalten dann, wenn es nicht dem entspricht, das - bei identischer Tatsituation - ein mit den rechtlich geschützten Werten angemessen verbundener, besonnener und einsichtiger Mensch gesetzt hätte (Burgstaller aaO, RN 33, 35, 37 und 38).

Legt man diesen vorliegend skizzierten Maßstab an das Verhalten des Beschuldigten Franz S***, so ergibt sich, daß er nicht objektiv sorgfaltswidrig gehandelt hat und daher auch nicht straffällig geworden ist. Denn er hat Frau und Sohn lediglich aufgefordert, an dem Traktoranhänger anzuschieben, und zwar an einer Stelle zwischen dem Zugfahrzeug und dem Anhänger, an der normalerweise eine Gefährdung der Helfer durch das Gespann nicht zu erwarten war. Daß seine Frau die Spitze ihres rechten Zeigefingers in den Spalt zwischen den Bordwänden legte, war für ihn weder vorherzusehen, noch hätte er dies - wenn die Position des Fingers erst im Verlauf der Arbeit entstanden sein sollte - verhindern können. Der maßstabgerechte Durchschnittsmensch hätte sich in der Situation des Beschuldigten in gleicher Weise verhalten. Der Unfall hat sich auf geradezu exceptionelle Weise ereignet und wäre nur dann zu verhindern gewesen, wenn der Beschuldigte ausdrücklich auf die selbstverständliche und auch für die später verletzte Ehefrau, die als landwirtschaftliche Hilfskraft mit derartigen Arbeiten vertraut war, vorhersehbare Gefahr, die durch die Position ihres Zeigefingers entstanden ist, aufmerksam gemacht hätte. Eine solche Warnung war aber auch von dem bereits mehrfach zitierten maßstabgerechten Durchschnittsmenschen nicht zu erwarten. Das (leichte) Anfahren des Traktoranhängers an die Garagenwand war im Hinblick auf die geringe Breitendifferenz zwischen dem Anhänger und der Garagenwand dem Franz S*** nicht als fahrtechnischer Fehler, der ein Verschulden begründet hätte, zuzurechnen und wäre auch ohne Folgen geblieben, wenn nicht Maria S*** ihren Zeigefinger unglücklicherweise in den Spalt zwischen den Bordwänden gebracht hätte. Mangels sozialadäquater Gefährlichkeit war somit das Verhalten des Beschuldigten, der ein sachgerechtes Verhalten seiner mit landwirtschaftlichen Arbeiten vertrauten Helfer bei dem von ihm erbetenen Anschieben voraussetzen durfte, nicht objektiv sorgfaltswidrig und deshalb auch nicht strafbar."

Rechtliche Beurteilung

III. Der Oberste Gerichtshof hat hiezu erwogen:

Objektiv sorgfaltswidrig ist - wie die Generalprokuratur an sich richtig ausführt - ein Verhalten, das gegen allgemein verbindliche Verhaltensanforderungen verstößt, deren Einhaltung das Recht in der jeweiligen konkreten Situation zur Vermeidung ungewollter Tatbildverwirklichung verlangt, das mithin nicht jenem entspricht, das - bei identischer Tatsituation - ein mit den rechtlich geschützten Werten angemessen verbundener, besonnener und einsichtiger Mensch gesetzt hätte (vgl Burgstaller in WK § 6 Rz 33, 38; Leukauf/Steininger Kommentar2 § 6 RN 12). Entscheidend ist dabei die objektive Voraussehbarkeit der Tatbildverwirklichung bei Setzung des Verhaltens; diese Voraussehbarkeit bedeutet bei einem Verursachungstatbestand wie jenem der fahrlässigen Körperverletzung nichts anderes als die auf den schädlichen Erfolg bezogene Gefährlichkeit des betreffenden Verhaltens (Burgstaller aaO § 6 Rz 35, 36). Mißt man das vom Gericht festgestellte Verhalten des Beschuldigten, das zur schweren Verletzung seiner Gattin geführt hat, daran, so wohnte diesem Verhalten unter Berücksichtigung aller konkreten Umstände, unter welchen es gesetzt wurde, jene typische sozialinadäquate Gefährlichkeit für die körperliche Integrität seiner Helferin inne, derentwegen ein mit den rechtlich geschützten Werten angemessen verbundener, besonnener und einsichtiger Mensch es nicht gesetzt hätte. Daß sich - wie die Generalprokuratur vermeint - der maßstabgerechte Durchschnittsmensch in der Situation des Beschuldigten in gleicher Weise verhalten hätte, kann aber füglich nicht gesagt werden.

Der Beurteilung des festgestellten Verhaltens des Beschuldigten als objektiv sorgfaltswidrig haftet somit ein Rechtsirrtum nicht an. Ausgehend vom Urteilssachverhalt sind vorliegend aber auch - was der Vollständigkeit halber beigefügt sei - alle Kriterien für die objektive Zurechenbarkeit des eingetretenen Erfolgs erfüllt. Daß das sorgfaltswidrige Verhalten für den eingetretenen Erfolg ursächlich gewesen ist, steht außer Zweifel. Der hiezu führende Kausalverlauf lag keinesfalls völlig außerhalb des Rahmens der gewöhnlichen Erfahrung; er stellt sich aber auch als Verwirklichung gerade desjenigen Risikos dar, dem die übertretene Sorgfaltsnorm gezielt entgegenwirken wollte, woran nichts ändert, daß sich die Verletzte selbstverantwortlich in eine für sie erkennbar gefährliche Situation begeben hat. Adäquanz- und Risikozusammenhang sind daher ebenfalls gegeben. Letztlich liegt es aber auf der Hand, daß bei sorgfaltsgemäßem Verhalten des Beschuldigten - bei sonst unveränderten Voraussetzungen - der schädliche Erfolg nicht eingetreten wäre, der Beschuldigte mithin durch sein sorgfaltswidriges Verhalten das Risiko für seine Gattin erst geschaffen hat.

Die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes war darum zu verwerfen.

Anmerkung

E22000

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1985:0090OS00164.84.0213.000

Dokumentnummer

JJT_19850213_OGH0002_0090OS00164_8400000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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