Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Kinzel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hule, Dr. Warta, Dr. Klinger und Mag. Engelmaier als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei protokollierte Firma W***** Gesellschaft m.b.H. & Co KG, *****, vertreten durch Dr. Edgar Kollmann, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei „L*****“ L*****gesellschaft m.b.H., *****, vertreten durch Dr. Peter Prettenhofer und Dr. Peter Jandl, Rechtsanwälte in Wien, wegen restlich 362.507,80 S sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 5. Juli 1984, GZ 1 R 67/84-8, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 11. Jänner 1984, GZ 18 Cg 128/83-4, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird in seinem abändernden Teile und in diesem Umfang auch das Urteil des Erstgerichts (Zahlung von 362.507,80 S samt 5 % Zinsen seit dem 26. August 1980 und 18 % Umsatzsteuer aus den Zinsen) einschließlich der Kostenentscheidungen aufgehoben. Im Übrigen bleiben die Entscheidungen der Vorinstanzen unberührt.
Die Rechtssache wird insoweit an das Erstgericht zurückverwiesen und diesem die neue Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Prozesskosten.
Text
Begründung:
Die klagende Kommanditgesellschaft unterhielt mit der beklagten L*****gesellschaft m.b.H. und mit der G.*****gesellschaft m.b.H. eine Geschäftsverbindung. Michael M***** war Geschäftsführer der Beklagten bis zum 22. Juli 1981 und der G.*****gesellschaft m.b.H. bis zum 5. Feber 1980. Gegen diese Gesellschaft hatte die Klägerin am 7. November 1979 Forderungen von zusammen 658.183,42 S. Der G.*****gesellschaft m.b.H. standen an diesem Tag Forderungen von 507.694,60 S zu (Rechnungen Nr 7910370, 7910307 und 7910118 vom Oktober 1979). Die Klägerin ersuchte die G.*****gesellschaft m.b.H. am 7. November 1979 um die Regulierung des Saldos von 150.488,82 S. Die G.*****gesellschaft m.b.H. antwortete am 26. November 1979, sie „gehe mit dem Kontostand konform“, und übersandte zur Abdeckung Wechselakzepte.
Aus der Geschäftsverbindung mit der Beklagten standen der Klägerin am 26. August 1980 Forderungen von 199.597 S (Rechnung Nr 17494 vom 4. Feber 1980), 32.096 S (Rechnung Nr 16025 vom 6. März 1980), 9.062,40 S (Rechnung Nr 16364 vom 27. März 1980), 15.340 S (Rechnung Nr 17579 vom 7. Mai 1980), 49.088 S (Rechnung Nr 16711 vom 25. April 1980), 28.910 S (Rechnung Nr 16582 vom 15. April 1980) und 28.414,40 S (Rechnung Nr 16172 vom 18. März 1980), zusammen von 362.507,80 S zu.
Die Klägerin schrieb am 26. August 1980 an die Beklagte:
„Sehr geehrte Herren,
in der Beilage überreichen wir Ihnen einen Verrechnungsscheck der Österr. Länderbank Nr 21846403 über
S 145.186,80
Dieser Betrag setzt sich wie folgt zusammen:
Unsere Rechnung 17494 199.597,-
'' '' 16025 32.096,-
'' '' 16172 28.414,40
'' '' 16364 9.062,40
'' '' 16582 28.910,-
'' '' 16711 49.088,-
'' '' 17579 15.340,-
Ihre Rechnung 7910118 36.249,60,-
'' '' 7910307 384.800,-
'' '' 7910370 86.645,-
507.694,60 362.507,80
unsere Scheckzahlung
von heute 145.186,80
507.694,60 507.694,60
Wir bitten um gleichlautende Buchung und verbleiben mit freundlichen Grüßen ...“
Die Beklagte löste den Verrechnungsscheck ein.
Mit ihrer am 10. November 1983 erhobenen Klage begehrt die Klägerin von der Beklagten die Zahlung von 507.694,60 S samt 12 % Zinsen seit dem 26. August 1980 und 18 % Umsatzsteuer aus den Zinsen. Durch einen Irrtum der Klägerin sei es zu der Aufrechnung der ihr am 26. August 1980 gegen die Beklagte zustehenden Forderungen von 362.507,80 S mit der bereits getilgten Forderung der G.*****gesellschaft m.b.H. zum 7. November 1979 von 507.694,60 S und zur Zahlung des Unterschiedsbetrags von 145.186,80 S an die Beklagte gekommen. Dem Geschäftsführer der Beklagten sei bewusst gewesen, dass eine Gegenverrechnung mit nicht der Beklagten zustehenden bereits abgerechneten Gegenforderungen der G.*****gesellschaft m.b.H. erfolgte. Die Beklagte habe arglistig den Irrtum der Klägerin, der erst bei Überprüfung der Bücher im Herbst 1983 entdeckt wurde, ausgenützt.
Die Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Sie habe die Klägerin nicht in Irrtum geführt und Zahlung von 145.186,80 S angeboten. Die Forderungen von zusammen 362.507,80 S seien hingegen verjährt. Die Fehlverrechnung habe der Beklagten aufgrund des Umfangs der Geschäfte mit der Klägerin nicht auffallen können. Sie sei ihr auch nicht aufgefallen.
Das Erstgericht verhielt die Beklagte zur Zahlung von 145.186,80 S samt 5 % Zinsen seit dem 26. August 1980 und 18 % Umsatzsteuer aus den Zinsen und wies das Mehrbegehren auf Zahlung von 362.507,80 S samt 12 % Zinsen seit dem 26. August 1980 und von 7 % Zinsen aus 145.186,80 S seit dem 26. August 1980 ab.
Diesem Urteil liegt der eingangs dargestellte Sachverhalt zugrunde, den das Erstgericht rechtlich dahin beurteilte, dass die infolge der Verrechnung der bereits getilgten Verbindlichkeiten gegenüber der G.*****gesellschaft m.b.H. erfolgte irrtümliche Zahlung der Nichtschuld im Betrage von 145.186,80 S nach § 1431 ABGB zurückgefordert werden könne. Es gebürten aber nur die gesetzlichen Zinsen von 5 %, weil es sich um einen Bereicherungsanspruch handle und nicht um eine Forderung aus der Geschäftsverbindung. Die irrtümliche Aufrechnung sei aber der irrtümlichen Zahlung einer Nichtschuld nicht gleichzuhalten. Nach § 1438 ABGB entstehe die Aufrechnungslage, wenn sich Forderungen und Gegenforderungen, die richtig, gleichartig und im Aufrechnungszeitpunkt fällig seien, gegenüberstünden.
Nur dann trete durch die Aufrechnungserklärung das Erlöschen der zur Aufrechnung gestellten Forderung ein. Die Aufrechnungserklärung der Klägerin habe eine irrtümlich angenommene, nicht bestehende Forderung der Beklagten betroffen und sei daher unwirksam geblieben. Die Forderungen der Klägerin von zusammen 362.507,80 S seien ungeachtet der irrigen Aufrechnungserklärung aufrecht geblieben und eine Vermögensverschiebung nicht eingetreten. Eine Irrtumsanfechtung könne nicht erfolgen, weil die Aufrechnungserklärung der Klägerin ohne Rechtsfolgen geblieben sei. Erst durch den Ablauf der dreijährigen Verjährungszeit des § 1486 Z 1 ABGB vor der Erhebung der Klage sei Verjährung der Forderungen der Klägerin von zusammen 362.507,80 S eingetreten und infolge des Einwands der Beklagten wahrzunehmen.
Das Berufungsgericht gab der gegen den abweisenden Teil des Ersturteils erhobenen Berufung der Klägerin teilweise Folge und änderte die Entscheidung dahin ab, dass die Beklagte der Klägerin auch den Betrag von 362.507,80 S samt 5 % Zinsen seit dem 26. August 1980 und 18 % Umsatzsteuer von den Zinsen zu bezahlen habe. Nur die Abweisung des Begehrens auf Zahlung 5 % übersteigender Zinsen wurde bestätigt.
Das Berufungsgericht meinte, die Klägerin habe ihren eingeklagten Anspruch nicht auf einen bestimmten Rechtsgrund gestützt und auch behauptet, dass ihre verrechneten Forderungen vom Februar bis Mai 1980 von zusammen 362.507,80 S unberichtigt aushaften. Eine Verjährung dieser Kaufpreisforderungen sei nicht eingetreten, weil die Erhebung der Verjährungseinrede gegen Treu und Glauben verstoße, wenn ein Verhalten der Beklagten dafür maßgebend gewesen sei, dass die Klägerin ihre Forderungen nicht vor Ablauf der Verjährungszeit geltend machte. Der rechtsgeschäftliche Verkehr dürfe nicht dazu missbraucht werden, den anderen zu übervorteilen. Die Klägerin habe sich auf List der Beklagten berufen. Eine Täuschung der Klägerin durch die Unterlassung der Aufklärung des dieser unterlaufenen Irrtums habe die Beklagte nicht bestritten. Aus ihrer Bereitschaft, den Betrag von 145.186,80 S zurückzuzahlen, ergebe sich, dass der Irrtum der Beklagten erkennbar war.
Gegen den abändernden Teil der Entscheidung des Berufungsgerichts wendet sich die Beklagte mit ihrer nach § 502 Abs 4 Z 2 ZPO zulässigen Revision. Sie beantragt, das Urteil des Berufungsgerichts dahin abzuändern, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird, und fügt hilfsweise einen Aufhebungsantrag bei. Sie behauptet das Vorliegen von Verfahrensmängeln und einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung der Sache durch das Berufungsgericht.
Die Klägerin beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist berechtigt.
Der Rechtsansicht des Erstgerichts ist zu billigen, dass durch den der Klägerin unterlaufenen Irrtum eine zum Entstehen eines Bereicherungsanspruchs führende Vermögensverschiebung nicht eintreten konnte: Da die Klägerin irrig eine Aufrechnungslage zwischen ihren gegen die Beklagte am 26. August 1980 mit zusammen 362.507,80 S bestehenden fälligen Kaufpreisforderungen und den gar nicht mehr aufrechten Forderungen des Dritten in gleicher Höhe angenommenen und ihrem Schreiben vom 26. August 1980 zugrunde gelegt hat, lagen in Wahrheit die Voraussetzungen für eine wirksame (einseitige) Aufrechnung nicht vor (Rummel in Rummel, Rz 2 zu § 1438 ABGB ua). Durch ihre Erklärung traten daher keine Rechtswirkungen im Sinne einer „Zahlung“ (vgl hiezu Rummel aaO Rz 13) und damit - mangels „Zahlung“! - auch keine Rechtswirkungen auf den Bestand der eigenen Kaufpreisforderung ein. Es blieb der Klägerin somit unbenommen, die Forderungen von 362.507,80 S vor Ablauf der Verjährungszeit gegenüber der Beklagten geltend zu machen und einzuklagen. Dass sie diesen Anspruch erst nach der Entdeckung ihres Irrtums im Herbst 1983 und damit nach Verlauf der Verjährungszeit verfolgte, ist nicht anders zu sehen, als wenn die Untätigkeit auf andere in der Sphäre der Klägerin gelegene Umstände zurückzuführen wäre.
Steht der Durchsetzbarkeit der Kaufpreisforderungen der Klägerin aber nur der Verjährungseinwand entgegen, ist die dadurch im Vermögen der Klägerin eingetretene Verminderung und die im Vermögen der Beklagten eingetretene Vermehrung nicht Folge der irrtümlichen Annahme der Aufrechnungslage sondern Auswirkung der Forderungsverjährung. Der der Klägerin gleich doppelt unterlaufene Irrtum, weil sie nicht nur die Forderungen der G.*****-gesellschaft m.b.H. als solche der Beklagten ansah sondern auch deren frühere Tilgung durch die schon am 7. November 1979 erklärte Kompensation übersah, kann daher insoweit, als ihre Erklärung vom 26. Mai 1980 ihre Kaufpreisforderung unberührt ließ, nicht iSd § 1431 ABGB der - nach den vorstehenden Ausführungen hier nicht erfolgten - Zahlung einer Nichtschuld gleichbehandelt werden.
Es kann aber noch nicht abschließend gesagt werden, dass der unzweifelhaft vorliegende Ablauf der dreijährigen Verjährungszeit vor der Erhebung dieser Klage den Verjährungseinwand der Beklagten berechtigt erscheinen lässt. Die Klägerin hat zwar auf diesen Einwand nichts erwidert, doch schon in der Klage vorgebracht, dass der Geschäftsführer der Beklagten (schon im Jahr 1980) darum wusste, dass eine Gegenverrechnung mit nicht der Beklagten zustehenden Forderungen erfolgte, und die Beklagte den Irrtum der Klägerin „arglistig ausgenützt“ hat. Das Berufungsgericht hat zutreffend erkannt, dass die Richtigkeit dieser Tatsachenbehauptung zu der Annahme führt, dass sich die Beklagte wenn sie dadurch ihren Gläubiger abgehalten hat, der Verjährung durch die Einklagung innerhalb der Verjährungszeit vorzubeugen, auf die Verjährung nicht berufen kann (Klang in Klang² VI 604; SZ 47/104; SZ 54/56 ua). Hätte die Beklagte trotz ihrer Kenntnis, dass die Klägerin ihre Kaufpreisforderungen durch Gegenforderungen zufolge Aufrechnung als erloschen ansah, obwohl der Beklagten diese Gegenforderungen nie zustanden, geschwiegen, um die Klägerin abzuhalten, vor Eintritt der Verjährung Klage zu erheben, wäre ihre Verjährungseinrede als schwerer Verstoß gegen Treu und Glauben in der Tat nicht zu beachten (ein bloßes „Auffallenmüssen“ wäre hingegen nicht als derartiger Verstoß anzusehen).
Zur abschließenden Beurteilung reichen aber die Tatsachenfeststellungen entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht aus. Die Beklagte hat nämlich behauptet und unter Beweis gestellt, dass ihr der Irrtum der Klägerin weder auffiel noch auffallen konnte (AS 16). Aus der Anerkennung der Rückzahlungsverpflichtung über 145.186,80 S kann deshalb nicht der Schluss gezogen werden, die Beklagte habe schon bei Erhalt des Schreibens vom 26. Mai 1980, jedenfalls aber vor Ablauf der Verjährungszeit um den Irrtum der Klägerin gewusst, weil nicht feststeht, dass das mehrfache Anbot, den Betrag von 145.186,80 S an die Klägerin zu überweisen, vor der Entdeckung des Irrtums der Klägerin im Herbst 1983 erfolgte, vielmehr naheliegt, dass es nach diesem Zeitpunkt, als die Klägerin auf Zahlung von 507.694,60 S drang, stattfand. Es trifft auch nicht zu, dass die Beklagte unbestritten ließ, dass sie um den Irrtum früher als im Herbst 1983 wusste.
Es bedarf daher der Tatsachenfeststellung, dass die Beklagte (ihr Geschäftsführer) sich schon vor Eintritt der Verjährung bewusst war, dass der Klägerin ein Irrtum unterlaufen war und sie deshalb noch 145.186,80 S bezahlte statt 362.507,80 S einzufordern, was nach dem bisher zugrunde gelegten Sachverhalt unter der Voraussetzung einer ordnungsgemäßen Buchführung naheliegt, oder aber, dass der Beklagten - etwa wegen des Umfangs der Geschäfte - dieser Irrtum nicht aufgefallen ist. Auf bloße Wahrscheinlichkeit kann die Entscheidung nicht gegründet werden. Immerhin sind nämlich auch der Klägerin Fehler unterlaufen, die kaum zu erklären sind. Es wird daher einer eingehenden Erörterung und der Aufnahme der angebotenen Beweise über die Abwicklung der Geschäfte und die beiderseitige Buchhaltung und die Ursachen des Fehlers der Klägerin wie seiner Auffälligkeit für die Beklagte bedürfen, um die Frage der Forderungsverjährung abschließend lösen zu können.
Es ist daher der in der Revision gestellte Aufhebungsantrag berechtigt. Es bedarf ferner offenbar einer Verhandlung in erster Instanz, um die Sache spruchreif zu machen (§ 510 Abs 1 ZPO).
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 Satz 2 ZPO.
Textnummer
E109052European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1985:0030OB00594.840.0213.000Im RIS seit
21.11.2014Zuletzt aktualisiert am
21.11.2014