TE Vwgh Erkenntnis 2005/6/14 2004/02/0379

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Veröffentlicht am 14.06.2005
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
10/10 Grundrechte;
90/01 Straßenverkehrsordnung;

Norm

B-VG Art144 Abs3;
B-VG Art7 Abs1;
StGG Art2;
StVO 1960 §45 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Riedinger, Dr. Holeschofsky, Dr. Beck und Dr. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ströbl, über die Beschwerde der T Ges.m.b.H. in R, vertreten durch Dr. Bernhard Haid, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Universitätsstraße 3, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 11. März 2003, Zl. IIb2-2-1-7-45/3, betreffend Ausnahmegenehmigung gemäß § 45 Abs. 2 Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Tirol hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Schreiben vom 23. Juli 2003 beantragte die Beschwerdeführerin Ausnahmegenehmigungen vom Fahrverbot für Lastkraftfahrzeuge mit einem höchsten zulässigen Gesamtgewicht von mehr als 7,5 t auf der B 171 Tiroler Bundesstraße, Ortsdurchfahrt Kundl, für 11 dem Kennzeichen nach näher bestimmte "Motorwagen/Sattelzugmaschinen" und jeweils dazu gehörende näher bestimmte "Anhänger/Auflieger".

Dieses Ansuchen wurde mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 11. März 2003 gemäß § 45 Abs. 2 StVO - nach zusammenfassender Wiedergabe des Inhaltes des Bescheides der Behörde erster Instanz und des Vorbringens der Beschwerdeführerin - mit folgender Begründung abgewiesen:

"Ein erhebliches persönliches Interesse an der Erteilung der Ausnahmebewilligung kann nur dann vorliegen, wenn die Nichterteilung der Ausnahmebewilligung den Berufungswerber außergewöhnlich hart treffen würde.

Die alternativ vorgesehene Voraussetzung eines erheblich wirtschaftlichen Interesses an der Erteilung der Ausnahmebewilligung kann nur dann angenommen werden, wenn die Nichterteilung der Ausnahmebewilligung den Berufungswerber wirtschaftlich und finanziell außergewöhnlich hart treffen würde.

Bei der Beurteilung der Erheblichkeit der genannten Interessen ist ein strenger Maßstab anzulegen, der auch am Gleichheitssatz zu messen ist.

Auch wenn der Berufungswerber in seinen Ergänzungen zur Berufung die wirtschaftliche Härte darzulegen versucht, muss festgestellt werden, dass bei Nichterteilung einer Ausnahmebewilligung Mehrkilometer im Ausmaß von 14 km pro Fahrt entstehen und in diesem Ausmaß nicht unzumutbar sind und den Berufungswerber nicht außergewöhnlich hart treffen.

Im Zusammenhang mit den Mehrkilometern hat die Behörde auch bedacht, dass sich der Abnehmerkreis kaum im Bereich des Fahrverbotes befindet, sondern Kunden im gesamten österreichischen Raum und darüber hinaus im Ausland beliefert werden.

Entstehende Kosten infolge 'Roadpricing' oder Wartezeiten wegen ordnungsgemäß durchgeführter Kontrollen an der Kontrollstelle Kundl stellen keine Gründe für die Erteilung einer Ausnahmebewilligung dar.

Der Berufungswerber gibt in seiner Berufung bekannt, dass er auf eine Ausnahmegenehmigung während der Nachtstunden verzichtet oder zumindest eine Einschränkung für möglich hält, obwohl er hauptsächlich im Lebensmittelbereich tätig ist und wie in der Berufung angeführt, vor allem in den Nachtstunden Lieferfahrten durchzuführen hat. Eine außergewöhnliche Härte oder Unzumutbarkeit ist sohin nicht feststellbar.

Außerdem wurde die Verordnung eines Fahrverbotes für LKW über 7,5 t auf der gegenständlichen Straße aus Gründen der Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs erlassen, sodass jeder zusätzliche LKW eine unzumutbare Verkehrsbeeinträchtigung darstellt."

Gegen diesen Bescheid erhob die beschwerdeführende Partei zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Dieser lehnte mit Beschluss vom 28. September 2004, B 618/04, ihre Behandlung ab und trat sie gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 45 Abs. 2 StVO bestimmt:

"In anderen als in Abs. 1 bezeichneten Fällen kann die Behörde Ausnahmen von Geboten oder Verboten, die für die Benützung der Straßen gelten, auf Antrag bewilligen, wenn ein erhebliches persönliches (wie zB auch wegen einer schweren Körperbehinderung) oder wirtschaftliches Interesse des Antragstellers eine solche Ausnahme erfordert, oder wenn sich die ihm gesetzlich oder sonst obliegenden Aufgaben anders nicht oder nur mit besonderen Erschwernissen durchführen ließen und weder eine wesentliche Beeinträchtigung von Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs, noch wesentliche schädliche Einwirkungen auf die Bevölkerung oder die Umwelt durch Lärm, Geruch oder Schadstoffe zu erwarten sind."

§ 45 Abs. 2 leg. cit. sieht somit als Voraussetzung für die Erteilung einer Ausnahmebewilligung einerseits das Vorliegen entsprechender Interessen auf Seite des Antragstellers und andererseits - kumulativ - das negative Tatbestandselement vor, dass durch die Ausnahmebewilligung weder eine wesentliche Beeinträchtigung von Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs, noch wesentliche schädliche Einwirkungen auf die Bevölkerung oder die Umwelt durch Lärm, Geruch oder Schadstoffe zu erwarten sind (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. November 1994, Zl. 94/03/0127).

Wie der Verwaltungsgerichtshof in Auslegung der Bestimmung des § 45 Abs. 2 StVO 1960 in ständiger Rechtsprechung dargelegt hat, ist bei der Prüfung der erforderlichen Voraussetzungen für die Erteilung von derartigen Ausnahmebewilligungen ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 28. Februar 2003, Zl. 2000/02/0324).

Eine Ausnahmebewilligung nach § 45 Abs. 2 leg. cit. ist nur bei Vorliegen von gravierenden, den Antragsteller außergewöhnlich hart treffenden Gründen zu erteilen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 4. Februar 1994, Zl. 93/02/0078). Denn würde die Behörde bei der Beurteilung der Tatbestandsvoraussetzungen "erhebliches persönliches oder wirtschaftliches Interesse" einen großzügigen Maßstab anlegen, so würde sie sich im Falle der Stattgebung eines derartigen Antrages für zukünftige Anbringen präjudizieren, wollte sie sich nicht dem Vorwurf der Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes aussetzen (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 26. Mai 1993, Zl. 92/03/0109).

Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 11. Oktober 1973, Zl. 1647/71, betreffend die Wertung eines durch ein Fahrverbot notwendigerweise zu fahrenden Umweges Folgendes ausgeführt:

"Es kann wohl nicht mit Sicherheit gesagt werden, dass ein Umweg von nahezu 2 km einem Landwirt keinesfalls zumutbar ist, besonders wenn sein landwirtschaftlicher Betrieb voll motorisiert ist. Mit dem allgemeinen Hinweis auf den Umweg von fast 2 km allein ist mithin nicht hinreichend ein erhebliches, wirtschaftliches Interesse dargetan, vielmehr wird hiefür im vorliegenden Fall entscheidend sein, wie oft die Bewirtschaftung der beiden obgenannten Parzellen, die der Ausnahmewerber über den gegenständlich kürzeren Weg erreichen will, die Benützung landwirtschaftlicher Maschinen und Wirtschaftsfuhren notwendig macht. Ist eine solche nur im geringen Ausmaß im Jahr gegeben, dann liegt es sicher auch im wirtschaftlichen Interesse, Zeit zur Verkürzung des Weges zu sparen, doch kann nicht von einem erheblichen Interesse gesprochen werden."

Im Erkenntnis vom 20. Mai 1992, Zl. 90/03/0275, hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass ein erhebliches wirtschaftliches Interesse im Zusammenhang mit einer Transportleistung ein solches ist, das über das Interesse, welches grundsätzlich mit jeder Transportleistung verbunden ist, hinausgeht.

Die Beschwerdeführerin hat in ihrem Antrag im Wesentlichen vorgebracht, dass sie als Transportunternehmen in R - Bundesstraße angesiedelt, hauptsächlich im Lebensmittelverkehr für große Handelsketten in Tirol unterwegs sei und täglich mehrmals den Betriebsstandort anfahren müsse. Im Verwaltungsverfahren wurden diese Angaben konkretisiert.

Zusammengefasst brachte die Beschwerdeführerin Folgendes vor:

Die Beschwerdeführerin sei bereits "seit 4 Jahren" (seit 1999) am gegenständlichen Betriebsstandort angesiedelt. Das für die B 171, Bereich Kundl, verordnete Fahrverbot für Lastkraftfahrzeuge über 7,5 t höchstes zulässiges Gesamtgewicht (Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Kufstein vom 13. November 2000, Zl. IVb-A- 44/29-99, in der Folge VO) sei nicht wegen des durch die angesiedelten Betriebe hervorgerufenen Verkehrs, sondern erst später deshalb verhängt worden, weil es durch die Errichtung einer Tankstelle zu erhöhtem Schwerverkehrsaufkommen ("Umgehungsverkehr") gekommen sei. Lastkraftfahrzeuge hätten zwischen den Autobahnanschlussstellen (in der Folge: AS) Kramsach und Wörgl/West die Autobahn verlassen und die B 171 durch das Ortsgebiet von Kundl befahren, um zur Tankstelle zu gelangen. Die Beschwerdeführerin falle nicht unter die Ausnahme des "Quell- und Zielverkehrs" der genannten Verordnung, weil das Fahrverbot "an der Westseite genau an der Kreuzung aufgestellt" sei, "wo die Einfahrt zur B" sei, somit (Richtung Osten) neben dem Betriebsstandort beginne und die Lkw's der Beschwerdeführerin somit zulässigerweise die B 171 Richtung Rattenberg (= Westen) befahren dürfen. Für alle Fahrten Richtung Wörgl (= Osten) müsse ein Umweg gefahren werden, der je Fahrt 14 km betrage und die Benützung der Autobahn im genannten Bereich samt den dadurch anfallenden Kosten für das "Road-Pricing" erzwinge.

Die Notwendigkeit der täglichen Anfahrt des Betriebsstandortes ergebe sich, weil "wegen der strengen Lebensmittelvorschriften die Kühlfahrzeuge ständig gereinigt" und "Leergut deponiert" werden müsse. Das Unternehmen beschäftige durchschnittlich 25 Mitarbeiter, die hohe Beschäftigung im Verhältnis zum Fahrzeugbestand resultiere aus der Tätigkeit im Lebensmittelverkehr (Berufung vom 31. Jänner 2004). Die Beschwerdeführerin gab im Schriftsatz vom 8. März 2004 bekannt, welche Lieferrouten wie oft zu befahren seien, und errechnete daraus die notwendigerweise jährlich zu fahrenden Umwegkilometer (Mehrverbrauch von 44.148 l Treibstoff) sowie die daraus und aus der Autobahnbenützung resultierenden Mehrkosten (für Treibstoff EUR 292.523,76, für "Road-Pricing" EUR 23.479,--) und den zusätzlichen Personalaufwand (Zeitaufwand von 2.389 Stunden).

Die bisherigen Ermittlungsergebnisse des Verwaltungsverfahrens sind allerdings nicht geeignet, die Entscheidung der belangten Behörde zu tragen:

Wohl hat die belangte Behörde darauf hingewiesen (vgl. die obige Darstellung), dass sich der Abnehmerkreis "kaum" im Bereich des Fahrverbotes befinde, sondern Kunden im "gesamten österreichischen Raum und darüber im Ausland" beliefert würden.

Diese Formulierung der belangten Behörde kann sinnvoller Weise nur dahin verstanden werden, dass sie mit den Worten "im Bereich des Fahrverbotes" nicht etwa den "Zielverkehr" (der ohnedies unter die generelle Ausnahme des verordneten Fahrverbotes fällt) meint, sondern jene Fahrten im Auge hat, die durch dieses Fahrverbot einen "Umweg" erforderlich machen.

Allerdings fehlen konkrete Feststellungen in Hinsicht auf die tatsächlichen wirtschaftlichen Auswirkungen des in Rede stehenden Fahrverbotes auf das Betriebsergebnis der Beschwerdeführerin zur Beurteilung der Frage, ob sie im Sinne der oben dargestellten hg. Judikatur dieses Fahrverbot "außergewöhnlich hart" trifft. Diese Feststellungen wird die belangte Behörde allenfalls unter Beiziehung eines entsprechenden Sachverständigen zu treffen haben, wobei die Beschwerdeführerin einer entsprechenden Mitwirkungspflicht unterliegt.

Auch die von der belangten Behörde gewählte weitere Begründung ("... sodass jeder zusätzliche LKW eine unzumutbare Verkehrsbeeinträchtigung darstellt") ist mangels entsprechender Sachverhaltsgrundlagen nicht geeignet, die Abweisung des Antrages zu tragen.

Da somit Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 14. Juni 2005

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2005:2004020379.X00

Im RIS seit

10.08.2005
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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