TE Vwgh Erkenntnis 2005/6/14 2003/18/0184

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Veröffentlicht am 14.06.2005
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
27/01 Rechtsanwälte;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AVG §10 Abs2;
AVG §71 Abs1 Z1;
AVG §71 Abs1;
FrG 1997 §36;
RAO 1868 §11 Abs2;
VwGG §46 Abs1;
VwRallg impl;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Stummer, über die Beschwerde des J, geboren 1975, vertreten durch Mag. Dr. Ingrid Weber, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Rotenturmstraße 19, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 2. Juni 2003, Zl. SD 446/03, betreffend Abweisung eines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Berufung gegen einen Aufenthaltsverbotsbescheid, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 2. Juni 2003 wurde der Antrag des Beschwerdeführers, eines kroatischen Staatsangehörigen, vom 18. Februar 2003 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Berufung gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien (der Erstbehörde) vom 10. Dezember 2002, mit dem gegen ihn ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen worden war, gemäß § 71 Abs. 1 und 2 AVG abgewiesen.

Der Aufenthaltsverbotsbescheid der Erstbehörde sei dem ausgewiesenen Rechtsvertreter des Beschwerdeführers am 13. Dezember 2002 zugestellt worden. Das Aufenthaltsverbot sei in Ermangelung eines fristgerecht eingebrachten Rechtsmittels in Rechtskraft erwachsen.

Der Beschwerdeführer mache geltend, er sei von seinem damaligen Rechtsanwalt von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes nicht verständigt worden; er habe erst durch Mitteilung der Bezirkshauptmannschaft Schärding davon erfahren. Der Umstand, dass sein rechtsfreundlicher Vertreter es unterlassen habe, ihm den Aufenthaltsverbotsbescheid zu übermitteln oder ihn darüber in Kenntnis zu setzen, stelle ein unvorhersehbares und unabwendbares Ereignis dar, das ihn an einer fristgerechten Einbringung einer Berufung gehindert habe.

Die Folgen eines Versehens des Rechtsanwaltes würden die Partei des Verfahrens treffen, die grundsätzlich für die Handlungen und Unterlassungen ihres Vertreters einzustehen habe. Nach § 11 Abs. 1 RAO sei der Anwalt schuldig, das ihm anvertraute Geschäft, solange der Auftrag bestehe, zu besorgen. Selbst nach (nicht aktenkundiger) Kündigung des Vollmachtsverhältnisses sei der Anwalt gemäß § 11 Abs. 2 RAO noch durch 14 Tage ab Zustellung der Kündigung gehalten, seine Partei vor Rechtsnachteilen zu schützen. Sein Rechtsanwalt hätte im Interesse des Beschwerdeführers daher jedenfalls fristgerecht ein Rechtsmittel einbringen müssen, wenn dies zur Vermeidung von Rechtsnachteilen notwendig gewesen wäre. Daher gehe auch das Argument des Beschwerdeführers ins Leere, er habe seinen Rechtsanwalt mangels Kenntnis von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes keinen Auftrag zur Erhebung der Berufung erteilen können. Das Verschulden des Parteienvertreters an der Nichteinbringung der Berufung sei einem Verschulden des Beschwerdeführers gleichzuhalten. Da jedoch ein unabwendbares oder unvorhersehbares Ereignis auf Seiten des damaligen Vertreters nicht einmal behauptet worden sei, seien die Voraussetzungen zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gegeben. Die geltend gemachten, lediglich das Innenverhältnis zwischen dem Beschwerdeführer und seinem Vertreter betreffenden Umstände seien unbeachtlich.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Gemäß § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG ist gegen die Versäumung einer Frist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis gehindert war, die Frist einzuhalten, und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.

2. Die vorliegende Beschwerde zieht die im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen über den Zeitpunkt der Zustellung des Aufenthaltsverbotsbescheides und über das Verstreichen der Berufungsfrist nicht in Zweifel. Die Rechtsansicht der belangten Behörde, die Frist zur Erhebung einer Berufung gegen den Aufenthaltsverbotsbescheid sei versäumt worden, begegnet keinen Bedenken. Somit ist die wesentliche Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Wiedereinsetzungsantrages erfüllt (vgl. § 71 Abs. 1 AVG).

3.1. Der Beschwerdeführer hat die Feststellungen der belangten Behörde über das Bestehen eines Vollmachtsverhältnisses mit seinem damaligen Rechtsvertreter im hier relevanten Zeitraum unbestritten gelassen. Der Beschwerdeführer wendet indes gegen den angefochtenen Bescheid ein, ihn selbst würde kein Verschulden treffen, da er sich darauf verlassen habe dürfen, dass er auftragsgemäß und fristgerecht vom Einlangen des Aufenthaltsverbotsbescheides verständigt werde. Ihm habe keine ständige Überwachung seines Vertreters zugemutet werden können. Aus welchem Grund sein Vertreter nicht fristgerecht Berufung erhoben habe, sei dem Beschwerdeführer nicht bekannt, da dieser "für ihn nicht erreichbar" gewesen sei. Ein unabwendbares und unvorhergesehenes Ereignis iSd § 71 Abs. 1 AVG würde jedoch darstellen, dass ihn sein Rechtsanwalt aus einem minderen Grad des Versehens nicht von der erfolgten Zustellung des Aufenthaltsverbotsbescheides und vom drohenden Ablauf der Berufungsfrist in Kenntnis gesetzt habe, sodass mangels Auftrages kein Rechtsmittel erhoben worden sei. Sein Vertreter habe in Verletzung seiner Berufspflichten keine Berufung erhoben. Sein Vertreter könne ohne Auftrag seines Mandanten gar nicht tätig werden, da er sonst seinen Honoraranspruch verlieren würde.

3.2. Mit diesem Vorbringen vermag der Beschwerdeführer keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufzuzeigen.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes treffen die Folgen eines Versehens des Rechtsanwaltes den Antragsteller, weil der Vertretene grundsätzlich für die Handlungen und Unterlassungen seines Vertreters einzustehen hat, mithin auch eine vom Vertreter verschuldete Fristversäumnis dem Vertretenen selbst zum Verschulden angerechnet werden muss (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. November 2001, Zl. 2001/18/0228). Die (bloße) Untätigkeit eines Vertreters bildet im Allgemeinen keinen Wiedereinsetzungsgrund (vgl. das hg. Erkenntnis vom 10. Oktober 1991, Zl. 91/06/0136), es sei denn, der Machthaber wäre seinerseits durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis gehindert gewesen, die Frist einzuhalten (vgl. zu den einen Rechtsanwalt in diesem Zusammenhang treffenden Pflichten insbesondere nach § 11 Abs. 2 RAO das hg. Erkenntnis vom 30. Jänner 2001, Zl. 98/18/0225). Dazu enthält der Wiedereinsetzungsantrag kein taugliches Vorbringen. Er stützt sich lediglich auf den Umstand, dass der an den Vertreter zugestellte Aufenthaltsverbotsbescheid von diesem nicht an den Beschwerdeführer weitergeleitet worden sei, enthält aber kein Vorbringen darüber, weshalb der Vertreter kein Rechtsmittel ergriffen hat. Mangels Dartuung eines tauglichen Wiedereinsetzungsgrundes hat die belangte Behörde dem verfahrensgegenständlichen Antrag schon deshalb rechtlich einwandfrei den Erfolg versagt, ohne dass es noch eines Eingehens auf die Verschuldensfrage bedurfte. Von daher geht auch die Verfahrensrüge des Beschwerdeführers ins Leere, die belangte Behörde hätte zum Beweis für das Vorliegen eines unabwendbaren und unvorhersehbaren Ereignisses die von ihm in seiner Berufung beantragten Zeugen einvernehmen müssen, um feststellen zu können, dass er tatsächlich von seinem damaligen Rechtsvertreter nicht von der Erlassung des Aufenthaltsverbotsbescheides verständigt worden sei und deshalb an der Erhebung einer Berufung gehindert gewesen sei.

3.3. Letztlich kann dem Beschwerdeführer auch nicht gefolgt werden, wenn er meint, dass ihm durch den angefochtenen Bescheid "de facto" die Möglichkeit einer "wirksamen Beschwerde" iSd Art. 13 MRK gegen den Aufenthaltsverbotsbescheid verwehrt worden sei, hat doch der Beschwerdeführer durch die Versäumung der Berufungsfrist von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht.

§ 71 Abs. 1 AVG bietet auch keinen Raum für eine "verfassungskonforme Interpretation" dahingehend, dass die Wiedereinsetzung jedenfalls zu bewilligen ist, wenn ansonsten ein Eingriff in das Privat- oder Familienleben des Beschwerdeführers vorläge.

4. Aus dem Gesagten erweist sich die Beschwerde als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

5. Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 14. Juni 2005

Schlagworte

Allgemein Auslegung Gesetzeskonforme Auslegung von Verordnungen Verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen VwRallg3/3

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2005:2003180184.X00

Im RIS seit

07.07.2005
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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