Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch, Dr. Schobel, Dr. Riedler und Dr. Schlosser als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Franz A, Postbediensteter, Völs, Bahnhofstraße 48, vertreten durch Dr. Günter Kolar, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagten Parteien 1.) Erika A, im Haushalt,
2.) Barbara A, im Haushalt, und 3.) Paul A, Lagerarbeiter, alle in Völs, Bahnhofstraße 48, die erste beklagte Partei vertreten durch Dr. Paul Flach, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Räumung aus Anlaß der außerordentlichen Revision der klagenden Partei gegen das die Räumungsverpflichtung der ersten beklagten Partei betreffende Teilurteil des Landesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 27. April 1984, GZ 3 a R 143/84-10, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 2. November 1983, GZ 11 C 516/83-5, in Ansehung der ersten beklagten Partei bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluß
gefaßt:
Spruch
Aus Anlaß der außerordentlichen Revision werden das angefochtene Teilurteil und das Urteil erster Instanz, soweit diese über das gegen die erste beklagte Partei erhobene Begehren abgesprochen haben, als nichtig aufgehoben; in diesem Umfang wird die Rechtssache an das Bezirksgericht Innsbruck abgegeben.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind Kosten des weiteren Verfahrens.
Text
Begründung:
Der Kläger und die Erstbeklagte waren miteinander verheiratet. Ihre Ehe wurde vor dem Inkrafttreten des Eherechtsänderungsgesetzes (EheRöG) geschieden. Die Erstbeklagte bewohnt weiterhin - gemeinsam mit den beiden übrigen Beklagten und einem weiteren, noch minderjährigen Kind der Streitteile - die ehemalige Ehewohnung. Diese Wohnung liegt in einem Haus, das im Alleineigentum des Klägers steht.
Mit der im April 1983 eingebrachten Klage begehrte der Kläger unter anderem von seiner geschiedenen Ehefrau - nur dieses Teilbegehren ist Gegenstand des Revisionsverfahrens die Räumung der ehemaligen Ehewohnung. Nach dem bereits in der Klage vorgetragenen Prozeßstandpunkt des Klägers benütze die Erstbeklagte seit der Ehescheidung im Juli 1976 die ehemalige Ehewohnung ohne Rechtsgrund und weigere sich ungeachtet wiederholter Aufforderungen, diese zu räumen. überdies mache die Erstbeklagte von der Wohnung einen erheblich nachteiligen Gebrauch.
Die Erstbeklagte wendete ein, der Kläger habe ihr die weitere Wohnungsbenützung in Erfüllung seiner Unterhaltsverpflichtungen eingeräumt.
Das Erstgericht hat das gegen die Erstbeklagte gerichtete Räumungsbegehren abgewiesen.
Das Berufungsgericht hat diese Entscheidung bestätigt. Dazu hat es ausgesprochen, daß der von der Bestätigung betroffene Wert des Streitgegenstandes S 60.000,--, nicht aber S 300.000,-- übersteigt. Ferner hat das Berufungsgericht ausgesprochen, daß die Revision nicht zulässig sei.
Aus den vom Berufungsgericht übernommenen erstrichterlichen Feststellungen ist hervorzuheben:
Die Eheleute haben im Scheidungsverfahren am 21.Juli 1976 folgenden gerichtlich protokollierten Vergleich geschlossen:
'1.) Der Kläger und Widerbeklagte verpflichtet sich für die Beklagte und Widerklägerin, beginnend ab 1.8.1976, einen monatlichen Unterhaltsbetrag von S 2.000,-- bis längstens zum 5. eines jeden Monats im vorhinein zu bezahlen und zwar auf das Konto ....
2.) Der Kläger und Widerbeklagte verpflichtet sich der Beklagten und Widerklägerin zu Handen ihres Vertreters einen Kostenbeitrag von S 12.000,--
bis spätestens 1.11.1976 zu bezahlen.
3.) Festgehalten wird, daß bei der Regelung des Unterhaltes laut Punkt 1.) von den derzeitigen Einkünften der Streitteile, die Tatsache, daß die Beklagte und Widerklägerin in Völs,Bahnhofstraß4 48, die Wohnung im Parterre mietfrei mit den Kindern benützen kann und allein die Kosten für Beheizung, die Strom- und Kaminkehrerkosten für diese Räume aus dem festgelegten Unterhalt bestreitet, ausgegangen wird.' Darüber hinaus haben die Eheleute über die Benützung der Ehewohnung keine - ausdrückliche - Vereinbarung getroffen. Der Kläger hat sich auch nicht das Recht vorbehalten, (die Duldung) der Wohnungsbenützung durch die geschiedene Ehefrau jederzeit zu widerrufen.
'Man' ist bei Abschluß des Vergleiches davon ausgegangen, die Ehefrau dürfe mit den Kindern, solange diese nicht selbsterhaltungsfähig seien, in der Ehewohnung bleiben, wenn sie keine andere Wohnung fände. Das jüngste Kind, der im Jahre 1970 geborene Sohn Peter, ist noch nicht selbsterhaltungsfähig. Die Ehefrau bewohnt die im Klagebegehren beschriebenen Räume nach wie vor mit ihren drei Kindern, dem erwähnten Schulkind und seinen beiden Geschwistern, der zweiten und dritten beklagten Partei. Das Erstgericht wertete Punkt 3.) des am 21. Juli 1976 geschlossenen Vergleiches bloß als Feststellung (zu ergänzen: der Unterhaltsbemessungsvoraussetzungen). Aus dem Vergleichspunkt gehe aber hervor, daß das Wohnen ( der Beklagten) mietfrei erfolge; mangels vereinbarter Widerrufsmöglichkeit nach Willkür des Klägers und im Hinblick darauf, daß man bei Vergleichsabschluß von einer Wohnungsbenützung bis zur Erreichung der Selbsterhaltungsfähigkeit (aller) Kinder ausgegangen sei, liege eine leihweise Wohnraumüberlassung und keine rechtsgrundlose Wohnungsbenützung vor. Das Berufungsgericht teilte diese Beurteilung.
Der Kläger erhebt gegen das bestätigende Berufungsurteil außerordentliche Revision. Zu deren Zulässigkeit macht er geltend, daß das Berufungsgericht streiterhebliche Fragen der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre im Widerspruch zu den §§ 914 und 863 ABGB und deren Auslegung durch die Rechtssprechung gelöst habe. Der Revisionswerber beantragt die Abänderung des angefochtenen Urteiles im Sinne seines Klagebegehrens; hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag.
Die Erstbeklagte hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichtes zulässig.
Die Vorinstanzen haben zwar zutreffend erkannt, daß die in den Unterhaltsvergleich unter Punkt 3.) aufgenommenen Erklärungen keinen selbständigen wechselseitig verpflichtenden Inhalt haben, sondern - im Hinblick auf die damit als vereinbart geltende Abhängigkeit der vergleichsweise erfolgten Unterhaltsfestsetzung von der Aufrechterhaltung bestimmter Regelungsvoraussetzungen (sogenannte Umstandsklausel) - nur einzelne Regelungsvoraussetzungen ausdrücklich festhalten und damit lediglich die Bedeutung haben sollten, daß die vereinbarte Unterhaltsfestsetzung einer Abänderung für die Zukunft zugänglich sei, wenn sich an den als wesentlich festgehaltenen Umständen etwas ändern sollte. Die für das klageweise erhobene Räumungsbegehren erhebliche Frage,ob der Kläger gegenüber seiner geschiedenen Ehefrau eine rechtsgeschäftliche Verpflichtung eingegangen ist, sie die im Vergleich erwähnten Räume unter den dort erwähnten näheren Bedingungen 'mietfrei mit den Kindern benützen' zu lassen, sowie ob eine derartige Verpflichtung weiterhin aufrecht besteht, ist nicht auf Grund der zum gerichtlich protokollierten Vergleich abgegebenen Rechtsgeschäftserklärungen zu lösen. Die Vorinstanzen haben eine derartige vertragliche Bindung angenommen, ohne die diesbezüglich a u ß e r h a l b des Vergleiches gewechselten Rechtsgeschäftserklärungen oder ein solche ausdrückliche Erklärungen ersetzendes Rechtsgeschäftsverhalten konkret festzustellen.
Die rechtliche Folgerung auf eine Vertragsbindung nach dem Inhalt des Vergleichspunktes 3.), der als bloße Feststellung von Unterhaltsbemessungsvoraussetzungen erkannt wurde, ohne klare Bestimmung des die rechtlichen Bindungen begründenden Verhaltens im Sinne einer weiteren ausdrücklichen rechtsgeschäftlichen Erklärung oder eines gemäß § 863 ABGB zum Vertragsschluß führenden Verhaltens nimmt einen in einem wesentlichen Punkt unvollständigen Sachverhalt zur Grundlage der Ableitung. Der Vorgang zur Gewinnung des richterlichen Erkenntnisses ist daher mit so schwerwiegenden Mängeln behaftet, daß seine Korrektur zur Wahrung der Rechtssicherheit und Rechtseinheit geboten erscheint; die Lösung des Rechtsstreites hängt damit von einer nach § 502 Abs 4 Z 1 ZPO qualifizierten Frage ab. Liegt aber im aufgezeigten Sinne ein zulässiges Rechtsmittel vor, ist von Amts wegen die Zulässigkeit des streitigen Rechtsweges zu prüfen.
Das gegen die erste beklagte Partei gerichtete Klagebegehren ist auf Räumung der ehemaligen Ehewohnung durch den geschiedenen Ehegatten gerichtet.
Die Ehescheidung erfolgte vor dem Inkrafttreten des EheRöG (BGBl. Nr.280/1978).
Nach dessen Schluß- und übergangsbestimmungen (Art. XXIII § 3 Abs 5 und 6) unterliegen Meinungsverschiedenheiten der ehemaligen Ehegatten untereinander über die Benützung der ehemaligen Ehewohnung sowohl in materiellrechtlicher als auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht der Beurteilung nach der 6.DVEheG.
Das Revisionsgericht hat den Parteien Gelegenheit zur öußerung gemäß § 18 Abs 1 der genannten Verordnung gegeben. Nur der Kläger hat hievon Gebrauch gemacht. Er erachtet eine rechtsgestaltende Regelung durch den Außerstreitrichter wegen Vorliegens einer Einigung der Ehegatten als ausgeschlossen.
'Bemerkenswert' erscheint dabei nicht 'zwischen welchen Extremen juristischer Betrachtungen' die Sachbeurteilung im Instanzenzug schwanken kann, als vielmehr, zu welch in sich widersprüchlicher Stellungnahme ein geschiedener Ehegatte im Zuge des Verfahrens fähig ist, der sein Räumungsbegehren auf eine seit der Scheidung rechtsgrundlose Benützung der Ehewohnung durch die geschiedene Ehefrau stützt und noch seine außerordentliche Revision mit einer qualifiziert irrigen Annahme rechtsgeschäftlicher Bindung über die Wohnungsbenützung durch die geschiedene Ehefrau begründet, in der Erörterung der von Amts wegen aufgeworfenen Frage der Zulässigkeit des streitigen Rechtsweges aber eine rechtserhebliche Einigung der geschiedenen Ehegatten angenommen wissen will.
Auf das Vorliegen einer Einigung im Sinne des § 1 der 6.DVEheG kommt es aber nicht an. Der dem Außerstreitrichter nach der 6.DVEheG zur Billigkeitsentscheidung zugewiesene Aufgabenkreis ist nämlich durch § 17 der genannten Verordnung jedenfalls insoweit gegenüber § 1 erweitert, als kraft Größenschlusses nicht bloß die Abänderung eines gerichtlichen Vergleiches im Verfahren nach der 6.DVEheG zu erfolgen hat, sondern umsomehr auch die Neuregelung, wenn der Verfahrensgegenstand zur Vermeidung des gerichtlichen Verfahrens seinerzeit außergerichtlich geregelt worden ist. Gleiches gilt aber auch für Ergänzungen solcher Vereinbarungen, für Anordnungen zu ihrer Durchführung und zur Bereinigung von Auslegungsschwierigkeiten.
Die langjährige Rechtssprechung zu § 18 der 6. DVEheG hat den Aufgabenbereich des Außerstreitrichters entscheidend weiter gesehen als dies nun in der Auslegung des § 235 Abs 1 AußStrG der Fall ist. Die engere Auslegung des § 235 Abs 1 AußStrG beruht dabei nicht auf einer unterschiedlichen Formulierung der überweisungsnorm, sondern vielmehr auf einer unterschiedlichen Regelung des nachehelichen Aufteilungsverfahrens, insbesondere in der zeitlichen Befristung des Aufteilungsanspruches und in der bewußten Abstandnahme von einer in das Außerstreitverfahren gewiesenen Änderungsentscheidung nach der Art des § 17 der 6.DVEheG.
Die Rechtsprechung zu § 18 der 6.DVEheG hat alle Ansprüche eines geschiedenen Ehegatten gegen den anderen hinsichtlich der ehemaligen Ehewohnung, gleichgültig aus welchem Rechtsgrund sie erhoben wurden, in das außerstreitige Verfahren nach der 6.DVEheG gewiesen (vgl.SZ 23/194, 27/95, 37/93, 44/185 uva). Daran ist ungeachtet der einschränkenden Auslegung zu § 235 Abs 1 AußStrG für den Bereich der
6. DVEheG festzuhalten.
Selbst das Vorliegen einer - außerhalb des Unterhaltsvergleiches - zustande gekommenen vertraglichen Regelung änderte daher nichts an der gesetzlichen Verweisung des in Ansehung der ehemaligen Ehewohnung gegen die geschiedene Ehefrau erhobenen Räumungsanspruches in das außerstreitige Verfahren nach der
6. DVEheG. Mangels einer derartigen Einigung aber könnte die Unzulässigkeit des streitigen Rechtsweges umsoweniger zweifelhaft sein.
Der revisionsverfangene Teil des Rechtsstreites - die Rechtsverfolgung des Revisionswerbers gegen seine Kinder bleibt hievon unberührt - war daher gemäß § 18 der 6.DVEheG an das nach § 11 Abs 1 der genannten Verordnung zuständige Bezirksgericht abzugeben.
Der Kostenausspruch beruht auf § 23 der 6.DVEheG. Diese Bestimmung ist auf die erstinstanzlichen Kosten des abgegebenen Verfahrens unmittelbar anzuwenden.
Anmerkung
E05286European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1985:0060OB00533.85.0221.000Dokumentnummer
JJT_19850221_OGH0002_0060OB00533_8500000_000