Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Petrasch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Friedl und Dr. Kuderna sowie die Beisitzer Prof. Dr. Halpern und Hon.-Prof. Dr. Waas als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Silvia D*****, vertreten durch Dr. Kurt Martschitz, Rechtsanwalt in Dornbirn, wider die beklagte Partei Franz D*****, vertreten durch Dr. Rainer Kinz, Rechtsanwalt in Bregenz, wegen 38.139,72 S sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Berufungsgericht in arbeitsgerichtlichen Rechtsstreitigkeiten vom 18. September 1984, GZ Cga 6/84-17, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeitsgerichts Feldkirch vom 23. Februar 1984, GZ Cr 35 /83-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Der Beklagte ist schuldig, der Klägerin die mit 2.700,15 S sA bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 240 S Barauslagen und 223,65 S USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin war seit 1. 12. 1978 beim Beklagten - ihrem Schwiegervater - als Angestellte beschäftigt. Am 3. 12. 1982 wurde sie fristlos entlassen.
Mit der Behauptung, dass diese Entlassung ohne rechtfertigenden Grund ausgesprochen worden sei, begehrt die Klägerin vom Beklagten aus dem Titel der Kündigungsentschädigung (einschließlich der anteiligen Sonderzahlungen) sowie der Abfertigung die Zahlung von insgesamt 38.139,72 S sA.
Der Beklagte hat dieses Begehren dem Grunde und der Höhe nach bestritten. Die Klägerin sei zu Recht entlassen worden, weil sie am 3. 12. 1982 in Gegenwart einer Zeugin erklärt habe, der Beklagte möge sich durch einen Psychiater auf seinen Geisteszustand untersuchen lassen. Sie habe im Übrigen auch schon vorher Weisungen des Beklagten missachtet und ihn desöftern beschimpft.
Das Erstgericht erkannte im Sinne des Klagebegehrens. Nach den Ergebnissen des Beweisverfahrens könnten die - im Zuge einer heftigen Auseinandersetzung mit dem Beklagten gefallenen - Äußerungen der Klägerin vom 3. 12. 1982 nicht als erhebliche Ehrverletzung iSd § 27 Z 6 AngG gewertet werden.
Die Berufung des Beklagten blieb erfolglos. Das Berufungsgericht führte die Verhandlung gemäß § 25 Abs 1 Z 3 ArbGG von neuem durch und nahm folgenden wesentlichen Sachverhalt als erwiesen an:
Seit etwa 1980 besteht zwischen dem Beklagten einerseits und seiner geschiedenen Frau, Gertrud D***** sowie seinem Sohn Werner D***** - dem Ehegatten der Klägerin - andererseits ein gespanntes Verhältnis. Dieses war im Wesentlichen die Ursache dafür, dass es in der Folge auch zwischen den Parteien zu Differenzen kam.
Am Morgen des 3. 12. 1982 beschwerte sich der Beklagte gegenüber Reinfriede B***** - der Ehegattin seines Steuerberaters, welche zur Besprechung von Buchhaltungsarbeiten in sein Büro gekommen war - darüber, dass sein Sohn aus der Geschäftskasse 1.500 S entnommen habe. Der Beklagte war darüber „ziemlich empört und wütend“, weil er den von ihm vorgenommenen Abzug vom Lohn seines Sohnes für gerechtfertigt hielt; Werner D***** hatte ihn dagegen offenbar für zu hoch gehalten. Als die Klägerin, welche sich im nahegelegenen Computerraum aufhielt, diese Beschwerde des Beklagten hörte, wies sie ihn darauf hin, dass er der Berechnung der Betriebskosten eine zu große Wohnfläche zugrundegelegt habe. In der Folge entwickelte sich zwischen den Parteien ein beiderseits ziemlich heftig geführter Streit über diese Frage. Der Beklagte erwähnte dabei gegenüber der Klägerin, dass sie seinen Sohn nur des Geldes wegen geheiratet habe. Auf die Frage, weshalb er das sagen könne, erwiderte der Beklagte, die Klägerin selbst habe gegenüber Christine U***** eine solche Äußerung gemacht. Daraufhin sagte die Klägerin zum Beklagten, er solle zu einem Psychiater gehen. Sie machte diese Äußerung insbesondere wegen des Vorwurfs, dass sie den Sohn des Beklagten nur wegen des Geldes geheiratet habe, aber auch wegen des damaligen erregten Verhaltens des Beklagten („weil sich der Beklagte unmöglich benommen hat“). Der Beklagte sprach hierauf die Entlassung der Klägerin aus.
Wegen der erwähnten Äußerung des Beklagten nahm die Klägerin mit Christine U***** telefonisch Kontakt auf. Diese teilte dem Beklagten auf Ersuchen der Klägerin telefonisch mit, dass die Klägerin ihr gegenüber nie eine derartige Äußerung gemacht habe. Tatsächlich war aber der Zeugin Christine U***** von dritter Seite zur Kenntnis gebracht worden, dass die Klägerin Werner D***** nur des Geldes wegen geheiratet habe; sie hatte einige Zeit vor dem 3. 12. 1982 dem Beklagten eine entsprechende Mitteilung gemacht. Nachdem der Beklagte von Christine U***** angerufen worden war, übergab er schließlich der Klägerin ein Entlassungsschreiben.
Dass sich die Klägerin gegenüber dem Beklagten weisungswidrig verhalten oder ihn öfter beschimpft hätte, ist ebensowenig erwiesen wie die vom Beklagten behauptete Erklärung der Klägerin, er sei „übergeschnappt“.
Der Beklagte hat nach dem Vorfall vom 3. 12. 1982 einen Psychiater aufgesucht.
Rechtlich meinte das Berufungsgericht, dass die Äußerung von Zweifeln am Geistezustand des Arbeitgebers durch einen Arbeitnehmer im Allgemeinen eine Ehrverletzung begründe; unter Berücksichtigung der Umstände des Falls - insbesondere des gespannten Verhältnisses der Parteien, des Umstands, dass die Auseinandersetzung vom 3. 12. 1982 ihre Ursache in einer rein privaten Angelegenheit hatte, sowie des „unmöglichen Benehmens“ des Beklagten - könne aber die Äußerung der Klägerin nicht als erhebliche, eine sofortige Auflösung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigende Ehrverletzung (§ 27 Z 6 AngG) gewertet werden. Das der Höhe nach nicht mehr strittige Begehren der Klägerin auf Zahlung einer Kündigungsentschädigung und einer Abfertigung erweise sich demnach als berechtigt. Für eine Verschuldensteilung nach § 32 AngG, wie sie der Beklagte in seiner Berufung verlangt hatte, sei schon deshalb kein Raum, weil diese Bestimmung nur im Fall einer berechtigten Entlassung herangezogen werden könnte, hier aber die Entlassung der Klägerin zu Unrecht ausgesprochen worden sei.
Das Urteil des Berufungsgerichts wird seinem ganzen Inhalt nach vom Beklagten mit Revision aus den Gründen des § 503 Abs 1 Z 2 und 4 ZPO bekämpft. Der Beklagte beantragt, die angefochtene Entscheidung im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens abzuändern, hilfsweise „gemäß § 32 AngG zu entscheiden“.
Die Klägerin beantragt, der Revison nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Der vom Beklagten gerügte Verfahrensmangel liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 Satz 2 ZPO).
Auch den Rechtsausführungen der Revision kann nicht gefolgt werden:
Gemäß § 27 Z 6 AngG ist als ein wichtiger Grund, der den Arbeitgeber zur vorzeitigen Entlassung berechtigt, insbesondere anzusehen, „wenn der Angestellte sich … erhebliche Ehrverletzung gegen den Arbeitgeber … zuschulden kommen lässt“. Die Beleidigung muss nach ständiger Rechtsprechung objektiv geeignet sein, in erheblichem Maß ehrverletztend zu wirken, und diese Wirkung auch tatsächlich hervorgerufen haben. Dabei kommt es entscheidend darauf an, ob sie nach ihrer Art und den Umständen, unter denen sie ausgesprochen wurde, von einem Menschen mit normalem Ehrgefühl nicht anders als mit dem Abbruch der Beziehungen beantwortet werden konnte. Bei der Beurteilung dieser Frage sind vor allem die Stellung des Arbeitnehmers im Betrieb, sein Bildungsgrad, die Art des Betriebs, die Gelegenheit, bei der die Äußerung gefallen ist, sowie das bisherige Verhalten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen. Auch eine an sich erhebliche Ehrverletzung ist kein Entlassungsgrund, wenn besondere Umstände - etwa Erregung über das vorangegangene Verhalten des Beleidigten, Verteidigung gegen einen vermeintlich ungerechtfertigten Vorwurf, langjährige Dienstzeit, Einmaligkeit des Vorfalls - sie im Einzelfall noch entschuldbar erscheinen lassen (Arb 6041 = JBl 1954, 596 = SozM I Ad 77; Arb 7961, 8070; Arb 8428 = RdA 1969, 163 = SozM I Ad 779; Arb 8901 = SozM I Ad 973; Arb 9804 = RdA 1980, 53 = SozM I Ad 1187 = ZAS 1980, 103 ua; Kuderna, Entlassungsrecht 77, 99; Martinek-Schwarz, AngG6, 577 ff § 26 Anm 31, 636 ff § 27 Anm 33.
Einen solchen Fall hat das Berufungsgericht hier mit Recht angenommen: Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils ist die beanstandete Äußerung im Zuge eines „beiderseits ziemlich heftig geführten“ Streits über die Berechnung der Betriebskosten gefallen, in dessen Verlauf der Beklagte gegenüber der Klägerin erklärt hatte, sie habe seinen Sohn nur des Geldes wegen geheiratet. Wenn sich die Klägerin durch diesen Vorwurf des Beklagten sowie durch dessen weitere, objektiv unrichtige, Behauptung, sie selbst habe eine solche Äußerung gegen Christine U***** gemacht, zu der - an sich gewiss ungehörigen - Aufforderung hinreißen ließ, der Beklagte solle zu einem Psychiater gehen, dann kann diese in begreiflicher Erregung über die unmittelbar vorangegangene beleidigende Äußerung ihres Schwiegervaters und über dessen „unmögliches“ Benehmen gemachte Äußerung noch als den Umständen nach entschuldbare Entgleisung, nicht aber als erhebliche Ehrverletzung angesehen werden, welche dem Beklagten iSd § 27 Z 6 AngG eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit der Klägerin auch nur bis zum nächstmöglichen Kündigungstermin unzumutbar gemacht hätte. Inwiefern die Berücksichtigung des gespannten Verhältnisses zwischen den Parteien hier zu einer gegenteiligen Beurteilung führen müsste, ist nicht zu sehen.
Auch der auf eine „Culpacompensation“ iSd § 32 AngG abzielende Eventualantrag des Beklagten ist nicht berechtigt. Diese Bestimmung dient nicht dazu, im Fall einer - wie hier - ungerechtfertigten Entlassung der Auflösungserklärung, für welche die geltend gemachten Gründe nicht ausreichen, doch noch zumindest teilweise zum Erfolg zu verhelfen. Das Fehlen eines ausreichenden Entlassungsgrundes führt nicht zur Anwendung des § 32 AngG, sondern dazu, dass die fristlose Auflösung des Arbeitsverhältnisses als unberechtigt anzusehen ist (Arb 9229 = SozM I Ad 1111 = ZAS 1975, 31; Arb 9631; Arb 10.222 = SozM I Ad 1311; RdA 1980, 148; Kuderna, Das Mitverschulden an der vorzeitigen Auflösung des Dienstverhältnisses, RdA 1967, 181 ff [182]). Ein für die Entlassung ursächliches, von dem geltend gemachten Entlassungsgrund verschiedenes oder über ihn hinausgehendes schuldhaftes Verhalten der Klägerin, welches mit dem des Beklagten kompensiert werden könnte, ist aber vom Beklagten nicht bewiesen worden.
Diese Erwägungen führen zur Bestätigung des angefochtenen Urteils.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.
Textnummer
E94446European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1985:0040OB00152.84.0226.000Im RIS seit
04.08.2010Zuletzt aktualisiert am
05.08.2010