Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Stix als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Melitta E*****, vertreten durch Dr. Gottfried Hammerschlag, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wider die beklagte Partei Mohamed Nabil Abdel Fattah E*****, vertreten durch Dr. Manfred Haslinglehner, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen Ehescheidung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 13. September 1984, GZ 6 R 139/84-52, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 5. Juni 1984, GZ 16 Cg 123/83-47, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.953,50 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin Umsatzsteuer von 268,50 S, keine Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die am 27. 1. 1958 geborene Klägerin und der am 1. 1. 1948 geborene Beklagte haben am 3. 9. 1976 vor dem Standesamt Wien-Landstraße die Ehe geschlossen. Es handelt sich beiderseits um die erste Ehe. Ihr entstammen zwei Kinder, und zwar die am 18. 10. 1976 geborene Tochter Susann und der am 4. 8. 1978 geborene Sohn Iman. Die Klägerin ist österreichische Staatsangehörige, der Beklagte ägyptischer Staatsbürger. Der letzte gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt der Streitteile war in G*****.
Die Klägerin begehrte mit ihrer am 15. 10. 1981 eingebrachten Klage die Scheidung der Ehe aus dem Verschulden des Beklagten, weil er sie seit Jahren mit anderen Frauen betrogen habe. Insbesondere habe er mit Gabi S*****, mit der er ehebrecherische Beziehungen unterhalte, im August 1981 einen Urlaub in Italien verbracht. Der Beklagte habe die Klägerin beschimpft, geschlagen und mit dem Umbringen bedroht. Er habe übermäßig dem Alkohol zugesprochen und beim Kartenspiel hohe Summen verspielt. Er habe Schulden gemacht und die Klägerin gezwungen, Bürgschaften für von ihm aufgenommene Darlehen zu übernehmen. Er lebe mit Elisabeth W***** in Lebensgemeinschaft, habe mit ihr Ehebruch begangen und sei der Vater ihres Kindes. Der Beklagte habe sich geweigert, zuzustimmen, dass die beiden ehelichen Kinder die österreichische Staatsbürgerschaft erhalten.
Der Beklagte bestritt die ihm zu Last gelegten Eheverfehlungen und beantragte die Abweisung der Klage. Er wendete ein überwiegendes Mitverschulden der Klägerin mit der Begründung ein, dass sie ihn nie während seiner Haft besucht habe, dass sie seinen Kontakt mit den Kindern unterbunden und ihn insoweit aus der Ehewohnung gewiesen habe, als sie während seiner Haftzeit seine Fahrnisse aus der Wohnung entfernt und im Gefangenhaus Klagenfurt deponiert habe. Seit November 1983 lebe auch die Klägerin in Lebensgemeinschaft mit einem anderen Mann, von dem sie schwanger sei. Zwei bis drei Wochen nach der am 27. 11. 1981 erfolgten Haftentlassung des Beklagten sei es zwischen ihm und der Klägerin einmal in einem Hotel und einmal in der Wohnung seines Onkels zum Geschlechtsverkehr gekommen; damit habe ihm die Klägerin die ihm vorgeworfenen Eheverfehlungen verziehen.
Das Erstgericht schied - im zweiten Rechtsgang - die Ehe der Streitteile aus beiderseitigem Verschulden, wobei das Verschulden des Beklagten überwiege.
Es stellte im Wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:
Schon etwa ein halbes Jahr nach der Eheschließung begann der Beklagte damit, die Klägerin zu beschimpfen, wobei er Ausdrücke wie „Schwein“, „Sau“, „Kuh“, „Hure“ und „Hundetochter“ gebrauchte. Zu diesen Beschimpfungen kam es meist dann, wenn die Klägerin den Beklagten etwas fragte, was ihm nicht passte. Später hat die Klägerin den Beklagten ebenfalls beschimpft. Die letzte Beschimpfung fand kurz vor der Verhaftung des Beklagten statt.
Es kam auch öfter vor, dass der Beklagte die Klägerin misshandelte. Er schlug sie auf den Rücken, riss sie an den Haaren und gab ihr Ohrfeigen. Im Jahr 1980 fügte er ihr ein Hämatom am Hals zu. Der letzte tätliche Angriff des Beklagten fand im Juni 1981 statt.
Der Beklagte hat die Klägerin öfter mit dem Umbringen bedroht, insbesondere dann, wenn sie die Absicht äußerte, sich von ihm scheiden zu lassen. Derartige Scheidungsabsichten hat die Klägerin wegen ihrer Misshandlungen durch den Beklagten geäußert. Die letzte derartige Bedrohung erfolgte im Sommer 1981.
Der Beklagte begann schon kurze Zeit nach der Eheschließung damit, übermäßig Bier und Wein zu trinken, wobei er im Lauf der Zeit seinen Alkoholkonsum steigerte. Im letzten halben Jahr vor der Einbringung der Scheidungsklage kam der Beklagte mehrmals wöchentlich in der Nacht bzw um 6:00 oder 7:00 Uhr morgens betrunken nach Hause. 1980 oder 1981 erlitt er wegen übermäßigen Alkoholkonsums einen Kreislaufkollaps, sodass ein Arzt beigezogen werden musste.
Etwa zu Beginn des Jahres 1981 lernte der Beklagte Gabi S***** kennen. Er besaß damals einen PKW, mit dem er in Klagenfurt herumfuhr, um in verschiedenen Lokalen Blumen zu verkaufen. Bei derartigen Verkaufsfahrten begleitete ihn Gabi S*****. Kurz nach Beginn ihrer Bekanntschaft kam es zwischen ihr und dem Beklagten zu intimen Verkehr; sie haben bis etwa September 1981 regelmäßig jede Woche geschlechtlich miteinander verkehrt. Im Sommer 1981 übernachteten sie in einem Gasthaus in Klagenfurt; dort hat der Beklagte Gabi S***** als seine Ehefrau ausgegeben. Im August 1981 unternahm der Beklagte mit Gabi S***** eine viertägige Reise nach Venedig.
Vom 5. 9. bis 27. 11. 1981 befand sich der Beklagte in Haft im Gefangenhaus Klagenfurt. Er wollte während der Haft seine Kinder sehen. Diesem Wunsch entsprach die Klägerin nicht, weil sie die Meinung vertrat, dass ein solcher Kontakt für die Kinder unzumutbar und schädlich sei. Der Beklagte hat der Klägerin verziehen, dass sie ihn während der Haft nur einmal besuchte. Während seiner Haftzeit ersuchte der Beklagte die Klägerin, sie möge ihm Bekleidung bringen. Daraufhin schickte ihm die Klägerin alle Bekleidungsstücke, die im Gefangenhaus Klagenfurt deponiert wurden. Der Beklagte wurde mit Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 26. 11. 1981 zu einer Freiheitsstrafe von 7 Monaten, bedingt auf 3 Jahre, rechtskräftig verurteilt.
Nach seiner Haftentlassung machte der Beklagte der Klägerin den Vorschlag, sich wegen der Scheidung auszusprechen. Am 28. 11. 1981 trafen sich die Streitteile im Hotel M***** in W*****. Dort hatte ein Freund des Beklagten ein Zimmer gemietet. In diesem Zimmer kam es zwischen den Streitteilen zu einem Geschlechtsverkehr. Am 30. 11. 1981 fand eine Aussprache der Streitteile in der Wohnung der Rosalie N***** in V***** statt. Die Streitteile verbrachten dort den Abend gemeinsam mit den Eheleuten N*****. Rosalie N***** machte den Streitteilen den Vorschlag, die Nacht gemeinsam im Schlafzimmer zu verbringen. In dieser Nacht kam es abermals zwischen den Streitteilen zu einem Geschlechtsverkehr. Die Streitteile haben damals wohl über das anhängige Scheidungsverfahren gesprochen, doch sind einige Fragen überhaupt unerörtert geblieben, wie die Frage des Wirtschaftsgelds und die Eheverfehlungen des Kartenspielens, der Beschimpfungen und der Tätlichkeiten. Die Klägerin hat auch die Scheidungsklage aufgrund dieser Aussprache nicht zurückgezogen.
Der Beklagte hat mit Elisabeth W***** Ehebruch begangen. Er lebt mit ihr in Lebensgemeinschaft und ist der außereheliche Vater ihrer Tochter Nadja, geboren am 4. 2. 1983.
Die Klägerin hat mit Johann A***** Ehebruch begangen. Sie lebt mit ihm in Lebensgemeinschaft; er ist der außereheliche Vater ihres Sohnes Johann, geboren am 26. 7. 1983.
Der Beklagte hat sich geweigert, dem Antrag des Jugendamts Althofen auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft an die beiden ehelichen Kinder zuzustimmen. Mit Beschluss des Bezirksgerichts St. Veit an der Glan vom 2. 1. 1984, P 9283-23, wurde die Zustimmung des Beklagten pflegschaftsbehördlich ersetzt.
Rechtlich beurteilte das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt im Wesentlichen dahin, dass die Ehe der Streitteile aus dem überwiegenden Verschulden des Beklagten zu scheiden sei.
Der gegen diese Entscheidung gerichteten Berufung des Beklagten gab das Berufungsgericht mit dem angefochtenen Urteil keine Folge.
Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichts und führte rechtlich im Wesentlichen aus, das Verfahren habe keinen Anhaltspunkt dafür geboten, dass der zweimalige geschlechtliche Kontakt der Streitteile nach der Haftentlassung des Beklagten Ausdruck einer Versöhnung gewesen sei. Die Streitteile hätten zwar bei dieser Gelegenheit die Situation besprochen; eine Bereinigung der beiderseitigen Ehewidrigkeiten und eine Übereinkunft über die Wiederaufnahme der ehelichen Gemeinschaft könne aber nicht einmal der Beklagte behaupten. Auch die Zeugin Rosalie N***** habe keine Wahrnehmungen über eine Einigung der Parteien machen können. Der geschlechtliche Kontakt der Streitteile sei daher wohl nur auf eine besondere Gelegenheit zurückzuführen. Keineswegs gehe daraus aber unzweideutig hervor, dass die Klägerin die Eheverfehlungen des Beklagten nicht mehr als solche empfunden habe, was Voraussetzung dafür sei, dass ein Geschlechtsverkehr als Verzeihung aufgefasst werden könne.
Bei Beurteilung der Mitverschuldensanteile der beiden Ehegatten am Scheitern der Ehe komme es insbesondere darauf an, wessen Verfehlungen die erste Ursache für die weiteren gewesen seien und inwieweit sie allenfalls andere bedingt und schließlich zum Scheitern der Ehe geführt hätten. Besondere Bedeutung komme dem Umstand zu, wer mit der schuldhaften Zerstörung der Ehe den Anfang gemacht habe.
Im vorliegenden Fall habe zunächst der Beklagte durch seine Beschimpfungen, Misshandlungen und Ehebrüche jene Eheverfehlungen gesetzt, die den Ehewillen der Klägerin entscheidend zerstört hätten. Die Beschimpfungen des Beklagten durch die Klägerin träten dem gegenüber in den Hintergrund, sodass die vom Erstgericht vorgenommene Verschuldensabwägung voll zu billigen sei. Den nach der unheilbaren Zerrüttung der Ehe begangenen Ehebrüchen beider Ehegatten komme keine entscheidende Bedeutung mehr zu.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Beklagten. Er bekämpft sie aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass die Ehe aus beiderseitigem gleichteiligen Verschulden geschieden werde; hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag.
Die Klägerin beantragt, der Revision keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Der Beklagte versucht mit seinen Revisionsausführungen zunächst darzutun, dass ihm die Klägerin seine bis dahin begangenen Eheverfehlungen durch den zweimaligen Geschlechtsverkehr nach seiner Haftentlassung im November 1981 verziehen habe. Dem ist zu entgegnen, dass der eheliche Verkehr das Scheidungsrecht nicht unter allen Umständen, sondern nur dann ausschließt, wenn er zum Ausdruck bringt, dass der gekränkte Gatte die Eheverfehlungen des anderen verziehen oder nicht als ehezerstörend empfunden hat (EFSlg 10.334 EFSlg 13.933; Rz 1978/51 ua). Im vorliegenden Fall kam es nach den Feststellungen der Vorinstanzen im November 1981 nach der Haftentlassung des Beklagten zweimal zwischen den Streitteilen zu geschlechtlichen Beziehungen, als sie sich über Vorschlag des Beklagten trafen, um sich über die von der Klägerin eingebrachte Ehescheidungsklage auszusprechen. Dass bei diesen Treffen in den Gesprächen der Streitteile, irgendwelche konkrete Ergebnisse in Bezug auf eine geplante Fortsetzung der Ehe erzielt worden wären, ergibt sich weder aus den Behauptungen des Beklagten noch aus den Feststellungen der Vorinstanzen. Unter diesen Umständen kann aber aus der bloßen Tatsache allein, dass die Streitteile unter den festgestellten Umständen zweimal Geschlechtsverkehr miteinander hatten, keine Verzeihung von Eheverfehlungen des Beklagten durch die Klägerin iSd § 56 EheG abgeleitet werden.
Dem Beklagten kann aber auch nicht gefolgt werden, wenn er darzutun versucht, dass seine Ehe mit der Klägerin aus beiderseitigem gleichteiligen Verschulden zu scheiden sei. Bei der Verschuldensabwägung iSd § 60 Abs 2 zweiter Satz EheG, auf welche Gesetzesstelle im Schlusssatz des § 60 Abs 3 EheG verwiesen wird, kommt es auf das gesamte Verhalten der Ehegatten in seinem Zusammenhang, nicht auf eine Gegenüberstellung der einzelnen von ihnen begangenen Eheverfehlungen an (EFSlg 25.088; EFSlg 31.702; 8 Ob 514, 515/84 ua). Der Ausspruch des überwiegenden Verschuldens eines Ehegatten hat dann zu erfolgen, wenn sein Verschulden erheblich schwerer als das des anderen ist, das heißt wenn die Schuld des einen Teils neben der des anderen fast völlig in den Hintergrund tritt. Der Unterschied des Verschuldens muss offenkundig hervortreten (EFSlg 38.788; EFSlg 41.281-41.284; 1 Ob 588/84 ua). Die Prüfung, ob die Schuld eines der Ehegatten überwiegt, hat sich nicht nur auf die Schwere der Verfehlungen an sich, sondern auch darauf zu erstrecken, in welchem Umfang die beiderseitigen Verfehlungen zu der schließlich eingetretenen Zerrüttung der Ehe beigetragen haben (6 Ob 586/82; 2 Ob 525/83; 6 Ob 602/84 ua).
Prüft man den von den Vorinstanzen festgestellten Sachverhalt nach diesen rechtlichen Gesichtspunkten, dann ist der rechtlichen Beurteilung des Berufungsgerichts durchaus dahin zu folgen, dass es zunächst der Beklagte war, der durch seine schweren Eheverfehlungen (im Wesentlichen Beschimpfungen, Bedrohungen und Misshandlungen der Klägerin und ehebrecherische Beziehungen zu Gabi S*****) die bestehende unheilbare Zerrüttung der Ehe herbeiführte und dass demgegenüber die der Klägerin angelasteten Eheverfehlungen fast völlig in den Hintergrund treten. Dass beide Streitteile nach Eintritt der unheilbaren Zerrüttung der Ehe die Lebensgemeinschaft mit anderen Partnern aufnahmen, hat unter diesen Umständen auf die Abwägung des beiderseitigen Verschuldens keinen entscheidenden Einfluss mehr. Im Ausspruch des überwiegenden Verschuldens des Beklagten ist jedenfalls eine unrichtige rechtliche Beurteilung nicht zu erkennen.
Der Revision des Beklagten musste daher ein Erfolg versagt bleiben.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Die Beibringung von Gerichtskostenmarken zur Revisionsbeantwortung der Klägerin war zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht notwendig, weil die Klägerin Verfahrenshilfe unter anderem im Umfang des § 64 Abs 1 Z 1 lit a ZPO genießt.
Textnummer
E94923European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1985:0080OB00646.84.0228.000Im RIS seit
23.09.2010Zuletzt aktualisiert am
23.09.2010