Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 6.März 1985 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Faseth als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Horak, Dr. Lachner und Dr. Massauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Schwab als Schriftführer in der Strafsache gegen Heinz A und einen anderen wegen des Verbrechens der Erpressung nach § 144 Abs. 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und Berufungen der Angeklagten Heinz A und Leopold B gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 18. Dezember 1984, GZ 3 b Vr 12.204/84-19, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluß gefaßt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen werden zurückgewiesen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil sprach das Schöffengericht aus, daß es zur Entscheidung über die gegen Heinz A und Leopold B wegen des Verbrechens der Erpressung nach § 144 Abs. 1 StGB und des Vergehens der versuchten Nötigung nach §§ 15, 105 Abs. 1 StGB sowie hinsichtlich des Erstgenannten auch wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB erhobene Anklage nicht zuständig sei, weil sich die Tathandlung der beiden Angeklagten bei der mit dem erstangeführten Vorwurf relevierten Tat (abweichend von der Darstellung in der Anklageschrift) nicht als (mit Bereicherungsvorsatz begangene) Nötigung des Siegfried C zur Aufgabe seiner Eigentumsrechte an dem Farbfernsehgerät der Marke 'ITT Color 3124' (im Wert von 6.680 S) sowie zur Verfassung und Unterfertigung einer Verzichtserklärung (betreffend dieses Gerät), sondern als Wegnahme bzw. Abnötigen des Fernsehapparates als (am Tatort) präsente, im Gewahrsam des Opfers befindliche Sache darstelle, und deshalb vom hiefür zuständigen Geschwornengericht zu prüfen sei, ob sie darum das Verbrechen des schweren Raubes nach §§ 142 Abs. 1, 143 erster Fall StGB zu verantworten haben.
Rechtliche Beurteilung
Den auf § 281 Abs. 1 Z 6 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerden der beiden Angeklagten gegen dieses Urteil kommt keine Berechtigung zu. Die bezeichnete Urteilsnichtigkeit erblicken die Beschwerdeführer ausgehend von ihrer eigenen Verantwortung im wesentlichen darin, daß der vom Schöffengericht aus den Ergebnissen des Beweisverfahrens abgeleitete dringende Verdacht einer Raubgenossenschaft nicht schlüssig sei (S 150 f.); das Erstgericht sei 'lediglich den vagen und widersprüchlichen Aussagen' des Zeugen Siegfried C gefolgt, sodaß die Annahme, es liege Raub und nicht Erpressung vor, 'sicher nicht der einzige zwingend vorzunehmende Schluß' sei (S 155). Da durch die Ausstellung der Bestätigung erst 'eine künftige Sachwegnahme erzwungen' werden sollte, könne von einem dringenden Verdacht einer Raubgenossenschaft 'wohl kaum gesprochen werden' (S 156).
Nach § 261 StPO spricht das Schöffengericht seine Nichtzuständigkeit aus, wenn es erachtet, daß die der Anklage zugrundeliegenden Tatsachen an sich oder in Verbindung mit den in der Hauptverhandlung hervorgetretenen Umständen eine zur Zuständigkeit des Geschwornengerichts gehörige strafbare Handlung begründen. Zu dieser Annahme bedarf es indes, entgegen den Beschwerdeausführungen, gewiß nicht eines eindeutigen Schuldnachweises: Ein sogenannter 'Anschuldigungsbeweis', also der über bloße Zweifel daran, daß es sich bei der inkriminierten Tat wirklich nur um ein in die Kompetenz des Schöffengerichts fallendes Delikt handle, hinausgehende Nachweis von Verdachtsgründen für eine von der Anklageschrift abweichende Sachverhaltsvariante - nach der die betreffende Tat eine zur Zuständigkeit des Geschwornengerichts gehörige strafbare Handlung begründen würde und die sich demnach als eine (unbeschadet ihres Wahrscheinlichkeitsgrades jedenfalls denkmögliche und mit allgemeiner Lebenserfahrung vereinbare) echte Alternative zu dem in der Anklage angenommenen Geschehensablauf darstellt - reicht vielmehr aus (vgl 10 Os 104/83, ÖJZ-LSK. 1979/335, 1977/86; RZ. 1973, 186
u. a.m.).
Im vorliegenden Fall erblickte das Schöffengericht Indizien für das Vorliegen eines (schweren Gesellschafts-)Raubes primär in den Angaben des Zeugen Siegfried C (S 23 f., 37 f., 85 ff., 123 ff.). Dabei hat es sich auch mit der Verantwortung der beiden Angeklagten, die die Mitnahme des Fernsehgerätes beim Verlassen der Wohnung nicht in Abrede stellen, auseinandergesetzt, gelangte jedoch zum Ergebnis, daß die Angeklagten spätestens in der Wohnung des Siegfried C den Entschluß faßten, sich den vom Genannten erst einige Tage vorher angeschafften (und noch nicht ausbezahlten) Fernsehapparat zwecks (unrechtmäßiger) Bereicherung der geschiedenen Ehegattin des Genannten Christa C und ihrer selbst (als häufiger Besucher in deren Wohnung) allenfalls mit Gewalt zuzueignen, wobei sie diesen Plan nach erfolgloser Aufforderung CS, das Gerät herauszugeben, sogleich in die Tat umsetzten, indem der Angeklagte A auf C mit den Fäusten mehrmals einschlug und der Angeklagte B mit einer leeren Zweiliterflasche zur Schlagführung ausholte und sie (den nach einer Schädelverletzung arbeitsunfähigen) Siegfried C schließlich zur Ausstellung einer Bestätigung (wonach er das Gerät seinen Kindern schenkungsweise überlassen habe - vgl. S 41, 43) 'zwecks späterer Deckung vorsorglich' aufforderten (S 138).
Eine überprüfung dieser erstinstanzlichen Beweiswürdigung, wonach die Anwendung der Tatmittel - Gewalt und (der Sache nach) Drohung mit einer Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB); eine (bloß) gefährliche Drohung im Sinn des § 74 Z 5 StGB wie an einer Stelle der Urteilsgründe (S 135) erwähnt, würde als Raubmittel allerdings nicht genügen - darauf abzielten, dem Siegfried C den Fernsehapparat als präsente, in seinem Gewahrsam befindliche Sache (sofort) wegzunehmen bzw. abzunötigen, ist dem Obersten Gerichtshof auch im Rahmen des Nichtigkeitsgrundes nach § 281 Abs. 1 Z 6 StPO verwehrt (EvBl. 1977/13, 1965/248 u.a.).
Insoweit der Angeklagte A ein Handeln mit Bereicherungsvorsatz in Abrede stellt, genügt der Hinweis, daß das Schöffengericht auch in diesem Belang den für ein Unzuständigkeitsurteil hinreichenden Anscheinsbeweis (insbesondere) in der Aussage der Christa C (S 33 f., 89 f., 120 ff.) erblickte, wonach diese gegen ihren geschiedenen Ehegatten, der zur Leistung der damals fälligen Alimentationszahlung für zwei eheliche Kinder in der Höhe von 1.300 S fähig und bereit war, auch aus der früheren Anschaffung von Fernsehgeräten keine Forderung hatte (S 137). Im übrigen übersieht die Beschwerde, daß zur Verwirklichung des Tatbestandes sowohl der Erpressung als auch des Raubes ein Handeln mit Bereicherungsvorsatz erforderlich ist, der sich allerdings beim Raub (ebenso wie beim Diebstahl) auf Bereicherung durch Zueignung (einer fremden beweglichen Sache) beziehen muß, während bei der Erpressung (wie auch bei anderen Vermögensdelikten) diese Einschränkung nicht besteht. Die Frage hinwieder, ob sich der Angeklagte B im Tatzeitraum in einem (die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden) Zustand voller Berauschung befunden habe, wurde im Urteil der Sache nach ohnedies erörtert (S 137 f.);
weitere Ausführungen dazu, insbesondere zur behaupteten Blutalkoholkonzentration 'von jedenfalls mehr als drei Promille' (S 152), aus der allein ein Vollrausch abgeleitet wird, waren unter dem Gesichtspunkt eines (auch hier genügenden) Anschuldigungsbeweises entbehrlich. Vielmehr wird das Geschwornengericht verpflichtet sein, die (allenfalls zu erneuernde) Anklage in Richtung des Vorliegens der Voraussetzungen eines Raubes unter besonderer Berücksichtigung der für die Annahme einer Raubgesellschaft gemäß § 143 erster Fall StGB erforderlichen Kriterien, aber auch hinsichtlich des Alkoholisierungsgrades der Beteiligten, einer gewissenhaften Prüfung zu unterziehen.
Da das Schöffengericht sohin mängelfrei (und ohne Rechtsirrtum) erachtete, daß die der Anklage (unter Punkt I 1.) zugrundeliegenden Tatsachen in Verbindung mit den in der Hauptverhandlung hervorgetretenen Umständen den Verdacht des schweren Raubes (§§ 142 Abs. 1, 143 erster Fall StGB) begründen, waren die Nichtigkeitsbeschwerden der beiden Angeklagten als offenbar unbegründet schon bei einer nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285 d Abs. 1 Z 2 StPO).
Gleichermaßen war mit ihren - bei einem Unzuständigkeitsurteil schon wegen des Fehlens eines Ausspruchs über die Strafe und privatrechtliche Ansprüche (§ 283 Abs. 1 StPO) begrifflich gegenstandslosen - angemeldeten (und nicht ausgeführten) Berufungen zu verfahren.
Anmerkung
E05058European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1985:0090OS00027.85.0306.000Dokumentnummer
JJT_19850306_OGH0002_0090OS00027_8500000_000