Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 28.März 1985 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Harbich als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Müller (Berichterstatter), Dr. Schneider, Dr. Felzmann und Dr. Brustbauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Stöger als Schriftführerin in der Strafsache gegen Johann A wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschwornengerichts beim Kreisgericht Leoben vom 3. Dezember 1984, GZ 11 Vr 955/84-56, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalts Dr. Presslauer, und des Verteidigers Dr. Weiser, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Der am 9.August 1923 geborene Pensionist Johann A wurde auf Grund des Wahrspruchs der Geschwornen des Verbrechens des Mords nach § 75 StGB schuldig erkannt, weil er am 4.Juli 1984 in Kapfenberg den Alexander B*** durch Messerstiche 'vorsätzlich' (was aber im § 75 StGB nicht vorkommt und zufolge § 7 Abs 1 StGB überflüssig ist: 13 Os 186/84, 13 Os 24/85) getötet hat.
Rechtliche Beurteilung
Der Angeklagte ficht den Schuldspruch aus § 345 Abs 1 Z. 6 und 12 StPO mit Nichtigkeitsbeschwerde an.
Verstöße gegen § 313 und 314 Abs 1 StPO (Z. 6) behauptet der Beschwerdeführer, weil eine Zusatzfrage nach Notwehr sowie Eventualfragen nach Körperverletzung mit tödlichem Ausgang und nach fahrlässiger Tötung (in Notwehrüberschreitung) abzufassen gewesen wären. Indes sind in der Hauptverhandlung keine Tatsachen vorgebracht worden, welche die reklamierte Fragestellung geboten hätten. War doch insbesondere der Verantwortung des Angeklagten nicht zu entnehmen, daß er dem Alexander B die tödlichen Stichverletzungen in Abwehr eines Angriffs versetzt hätte. Seine Darstellung lief vielmehr auf die Bestreitung der Tathandlungen oder jedenfalls eines vom Willen gesteuerten Verhaltens hinaus. Der Beschwerdeführer schilderte zwar, daß B ihn bedroht und mißhandelt habe, behauptete jedoch, den Finnendolch zum Schutz gegen Schläge gezogen und damit bloß vor seinem eigenen Gesicht 'hin- und hergefuchtelt' zu haben, ohne den B überhaupt zu sehen oder gegen ihn Stiche zu führen. Sinngemäß brachte er zum Ausdruck, sich für die Verletzungen des B nicht verantwortlich zu fühlen, weil er 'nichts gemacht' habe, wobei er lediglich einräumte, vielleicht 'im Unterbewußtsein' gehandelt zu haben (Bd II S 133 ff). Diese Verantwortung ging auf die für den Anklagevorwurf maßgebende Zufügung der nur durch kräftige Stöße mit dem Dolch erklärbaren Schnitt- und Stichwunden des Getöteten überhaupt nicht ein und enthielt - als folgerichtige Konsequenz der Darstellung, B nicht einmal gesehen zu haben - auch keinen Hinweis auf einen beim derartigen Gebrauch der Waffe gegenwärtigen oder unmittelbar drohenden Angriff, geschweige denn auf die Notwendigkeit einer Verteidigungsmaßnahme.
Ebensowenig lassen die in der Beschwerde bezeichneten Ergebnisse der Hauptverhandlung eine Deutung in Richtung Notwehr zu. Der vom Sachverständigen für Psychiatrie festgestellte, jahrelang wirksame Haßaffekt des Angeklagten, seine auf eine abnorme Persönlichkeitsstruktur hinweisenden, eine drohende öußerung des B vermerkenden schriftlichen Aufzeichnungen und schließlich auch die Tatverübung durch in großer Streuung versetzte Dolchstiche indizieren keineswegs ein durch die notwendige Abwehr eines Angriffs gekennzeichnetes Verhalten, sondern sprechen zum Teil sogar gegen eine solche Fallgestaltung.
Daraus folgt, daß weder für eine Zusatzfrage nach Notwehr noch für eine Eventualfrage nach fahrlässigem Notwehrexzess ein Anlaß bestand. Soweit der Beschwerdeführer das Unterbleiben einer Eventualfrage nach Körperverletzung mit tödlichem Ausgang rügt, wird weder mit dem unsubstantiierten Hinweis auf seine Verantwortung noch mit der aktenwidrigen Behauptung eines die letztere Fragestellung betreffenden Antrags in der Hauptverhandlung (siehe hiezu Bd. II S. 155) ein Umstand bezeichnet, welcher ein derartiges Tatgeschehen indizieren würde, weshalb auch dieser Einwand versagt. Unter § 345 Abs 1 Z. 12 StPO versucht der Beschwerdeführer mittels Heranziehung von Ergebnissen des Beweisverfahrens darzulegen, daß er nicht in 'Tötungsabsicht' gehandelt habe und die Tat als Körperverletzung mit tödlichem Ausgang oder fahrlässige Tötung zu beurteilen gewesen wäre. Solcherart geht er jedoch nicht von den im Wahrspruch enthaltenen Feststellungen aus, welche bei der Entscheidung über materielle Nichtigkeitsgründe allein die Grundlage für die Prüfung der Gesetzesanwendung sein können. Der Rechtsmittelwerber behauptet vielmehr im Ergebnis die Unrichtigkeit der im Wahrspruch getroffenen und unter diesem Gesichtspunkt keiner Anfechtung unterliegenden Konstatierungen, weshalb der angerufene Nichtigkeitsgrund einer gesetzmäßigen Darstellung entbehrt. Schließlich wird im Rahmen der Berufung eine Grundvoraussetzung für die Einweisung in eine Anstalt nach § 21 Abs 2 StGB, nämlich die Begehung der Anlaßtat unter dem Einfluß einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad, bestritten und damit offenbar eine nach ständiger Judikatur nur im Weg der Nichtigkeitsbeschwerde anfechtbare Befugnisüberschreitung des Erstgerichts reklamiert (§ 345 Abs 1 Z. 13, 435 Abs 3 StPO). Allein dieses Vorbringen verkörpert keine prozeßordnungsgemäße Geltendmachung eines Nichtigkeitsgrunds. Eine vom Angeklagten im Zusammenhang begehrte überprüfung der Annahme der bezeichneten Abnormität auf ihre Deckung durch die Verfahrensergebnisse (Gutachten) ist nämlich im Nichtigkeitsverfahren gegen Urteile der Geschwornengerichte nicht vorgesehen.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.
Das Geschwornengericht verhängte nach § 75 StGB eine Freiheitsstrafe von fünfzehn Jahren und wies den Angeklagten gemäß § 21 Abs 2 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher ein. Bei der Strafbemessung waren erschwerend die Brutalität der Tatausführung, mildernd hingegen die Unbescholtenheit, die Enthemmung des Angeklagten durch Alkohol und dessen vom Sachverständigen festgestellte schwierige Persönlichkeitsstruktur. Mit seiner Berufung strebt der Angeklagte eine Herabsetzung des Strafmaßes und, wie erwähnt, die Aufhebung der Anstaltseinweisung an.
Auch die Berufung geht fehl.
Ein Tatsachengeständnis, also das Zugeben bloßer Tatsachen ohne Eingeständnis der subjektiven Merkmale des strafbaren Verhaltens, wie es gerade im vorliegenden Fall von Wichtigkeit gewesen wäre, wirkt entgegen dem Berufungsvorbringen nicht strafmildernd (Leukauf-Steininger 2 , § 34 StGB, RN. 25). Sonstige Aspekte, die zu einer Reduzierung der Strafhöhe führen könnten, wurden nicht vorgebracht und sind auch nicht zu ersehen. Die verhängte zeitliche Freiheitsstrafe entspricht der Schwere der Tat, durch die ein Menschenleben ausgelöscht wurde.
Wie in der Berufung zutreffend wiedergegeben, hat der beigezogene Sachverständige zusammenfassend dem Angeklagten eine anlagebedingte Aggressivität attestiert und diese als erhebliche psychische und geistige Abartigkeit eingestuft, nachdem er zuvor in Erläuterung seines schriftlichen Gutachtens (ON 17) ein umfassendes Bild von der gefährlichen Eigenart des Angeklagten in ihrer Entstehung, Entwicklung und Auswirkung gezeichnet hatte (Bd. II, S. 151 bis 154). Die Berufung auf frühere Gutachten, die beim Angeklagten einen unauffälligen psychischen Befund erhoben haben wollen, versagt schon angesichts der zeitlichen Diskrepanz und des Begutachtungszwecks in einem Schiedsgerichtsverfahren. Ist doch letztlich die geistige und seelische Abartigkeit von höherem Grad (§ 21 StGB) geradezu der einzige Schlüssel zum Verständnis der ansonsten unerklärlichen und völlig sinnlosen Tat.
Anmerkung
E05406European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1985:0130OS00030.85.0328.000Dokumentnummer
JJT_19850328_OGH0002_0130OS00030_8500000_000