TE OGH 1985/4/2 4Ob37/85 (4Ob38/85, 4Ob39/85, 4Ob40/85)

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Veröffentlicht am 02.04.1985
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Petrasch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Prof.Dr.Friedl und Dr.Resch sowie die Beisitzer Dr.Walter Haindl und Johann Friesenbichler als weitere Richter in den verbundenen Rechtssachen der klagenden Parteien 1.)Helmut A, Arbeiter, Wilhelmsburg, Siedlungsstraße 46, 2.)Manfred B, Arbeiter, St.Veit a. d. Gölsen 14, 3.)Helmut C, Arbeiter, Traisen, Mariazeller Straße 102 und 4.)Eduard D, Arbeiter, Traisen, Taurerweg 5, sämtliche vertreten durch Gerhard Loibl, Sekretär der Gewerkschaft der Privatangestellten, dieser vertreten durch Dr.Werner Pennerstorfer, Rechtsanwalt in St.Pölten, wider die beklagte Partei E AG, Linz, Muldenstraße 5, vertreten durch Dr.Klaus Galle, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung (Streitwert jeweils S 31.000,--), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Kreisgerichtes St.Pölten als Berufungsgerichtes in arbeitsgerichtlichen Rechtsstreitigkeiten vom 13.November 1984, GZ 7 Cg 21, 22/84-15, womit infolge Berufungen der klagenden Parteien die Urteile des Arbeitsgerichtes St.Pölten vom 28.März 1984, GZ Cr 221/83-8 und Cr 222/83-6, teilweise abgeändert wurden, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil, das im Ausspruch über das Hauptbegehren als nicht bekämpft unberührt bleibt, wird dahin abgeändert, daß a)auch das Eventualbegehren, die Kläger Helmut A, Manfred B, Helmut C und Eduard D seien in die Verwendungsgruppe M I des Zusatzkollektivvertrages für die Angestellten der Bergwerke und eisenerzeugenden Industrie einzustufen, abgewiesen wird und b)die Kostenentscheidungen des Erstgerichtes wiederhergestellt werden. Die klagenden Parteien sind schuldig, der beklagten Partei die mit S 10.534,25 bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (darin enthalten S 906,75 Umsatzsteuer und S 560,-- Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Rahmenkollektivvertrag für Angestellte der Industrie gilt gemäß § 2 Abs 1 fachlich unter anderem für den Fachverband der Bergwerke und eisenerzeugenden Industrie, ausgenommen die F G AG. Sein persönlicher Geltungsbereich wird dahin umschrieben, daß er für alle dem Angestelltengesetz unterliegenden Dienstnehmer sowie für kaufmännische Lehrlinge und technische Zeichner-Lehrlinge gilt. Der persönliche Geltungsbereich des Zusatzkollektivvertrages für die Angestellten der Bergwerke und eisenerzeugenden Industrie wird dahin umschrieben, daß er für alle Angestellten gilt, auf welche der Rahmenkollektivvertrag für Angestellte der Industrie anzuwenden ist. In diesem Zusatzkollektivvertrag wird die Tätigkeit der Verwendungsgruppe M I wie folgt umschrieben:

'Aufsichtsangestellte mit Beaufsichtigungs- und Anweisungsbefugnis für eine Gruppe von Arbeitern mit Verantwortung für das übertragene Aufgabengebiet.

Erforderlich ist: eine abgeschlossene Lehrzeit bzw. eine mindestens 5jährige praktische Tätigkeit als Arbeiter im gleichen Arbeitsgebiet.

Hütte M I: Hilfsmeister, Betriebsaufseher.' Die Kläger begehrten in den zum Teil erst im Berufungsverfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Rechtssachen in erster Instanz jeweils die Feststellung, daß die von ihnen ausgeübten Tätigkeiten höhere nichtkaufmännische Tätigkeiten im Sinne des Angestelltengesetzes seien, die die Einstufung in die Beschäftigungsgruppe M II des Zusatzkollektivvertrages der Angestellten der Bergwerke und eisenerzeugenden Industrie erforderten. Im Berufungsverfahren stellten sie ferner das allein noch den Gegenstand des Revisionsverfahrens bildende Eventualbegehren auf Feststellung, daß sie zumindest in die Verwendungsgruppe M I des Zusatzkollektivvertrages für die Angestellten der Bergwerke und eisenerzeugenden Industrie einzustufen seien. Sie brachten vor, sie seien auf Grund ihrer Tätigkeiten Angestellte im Sinne des § 2 Abs 1 Angestelltengesetz.

Die beklagte Partei beantragte, das Haupt- und das Eventualbegehren abzuweisen, und wendete ein, die Kläger übten keine Angestelltentätigkeit aus.

Das Erstgericht wies das Hauptbegehren ab. Es stellte folgenden wesentlichen Sachverhalt fest:

Sämtliche Kläger sind als Vorarbeiter im Bereich Technische Kontrolle/Visitierung eingesetzt und zwar A und B beim Fließband Tempergießerei des Werkes Traisen, C und D im Bereich des Fittingwerkes des Werkes Traisen. In dieser Funktion sind A und B 9 bis 10

Visitiererinnen fachlich, jedoch nicht disziplinär unterstellt, C und D hingegen 30 Visitiererinnen. Alle Kläger sind ihrerseits dem Leiter der Abteilung Technische Kontrolle, Ing.H, fachlich und disziplinär unterstellt.

Die Visitiererinnen im Bereich der Tempergießerei stehen am Förderband, auf welchem sich die nach dem Guß getrocknete Ware befindet. Von diesem Förderband werden die zu tempernden Produkte abgenommen und in einen Behälter gefüllt. Der Ausschuß bleibt auf dem Förderband. Aufgabe der Vorarbeiter A und B ist es, jeder einzelnen Visitiererin ein bestimmtes Produkt zum Aussortieren anzuweisen und die Füllung der Temperbehälter anzuordnen, weil ein Behälter zur Temperung etwa 400 kg haben soll. Aufgabe der Vorarbeiter ist es ferner, darauf zu achten, daß die Temperbehälter möglichst gleichmäßig gefüllt werden, weil immer nur gleichwandig gleichstarke Stücke zugleich getempert werden können. Die Einteilung und Aufgabenaufteilung treffen die Vorarbeiter auf Grund der Erfahrung bzw. auf Anweisung des Abteilungsleiters. Wird von den Visitiererinnen am Fließband bei einem Produkt ein auffällig hoher Ausschuß festgestellt, sind die Vorarbeiter verpflichtet, dies sofort selbständig der Gießerei zu melden. über den jeweiligen Ausschuß führen die Vorarbeiter Aufzeichnungen. Diese werden an den Abteilungsleiter weitergeleitet. Eine Meldung geschieht aber unmittelbar vom Vorarbeiter an die Gießerei. Die Aufzeichnungen werden pro Schicht von den Vorarbeitern zusammengefaßt, in eine Karte eingetragen und dienen der innerbetrieblichen Information. Ebenso führen die Vorarbeiter in der Zwischenkontrolle ein Rapportbuch. Bei Erkrankung eines Arbeiters oder anderen Ausfällen wird das fehlende Personal von der Endkontrolle nach Meldung durch die Vorarbeiter ersetzt. Die Arbeit der Kläger A und B betrifft zu 10 % die Einteilung der Arbeiten mit Einsichtnahme in das Gießereiprogramm, zu 5 % die überwachung der 9 bis 10 Visitiererinnen und des gesamten Arbeitsplatzes mit Rapportbuchführung sowie überwachung des Manipulators der Tempergießerei, zu 5 % das Wegtragen des Ausschusses vom Fließband zum Vorarbeitertisch, zu 45 %

die Nachkontrolle und Nachvisitierung, zu 15 % die sofortige mündliche Fehler- bzw. Ausschußmeldung an die Gießerei etc., zu 15 % die Anweisung und überprüfung des Annahmestandards und zu 5 % die fallweise Aushilfe am Fließband. Die von den Klägern A und B verrichteten Arbeiten setzen sich daher insgesamt zu 40 bis 45 % aus Kanzleiarbeiten im weitesten Sinn und zum überwiegenden Teil aus Kontrollarbeiten zusammen.

Die Tätigkeit der Kläger C und D besteht zu 5 % aus der Arbeitseinteilung der Visitiererinnen, zu 5 % in deren überwachung, zu 6 % in Anweisungen an dieselben, zu 40 % in der Nachkontrolle der Arbeiten, zu 15 %

in Anweisungen über Stichproben und deren Eintragung in die Kartei, zu 5 % in der Leitkartenkontrolle, zu 5 % in Aufschreibungen über Urgenzware und Sonderware, zu 3 % in der Erstellung des Gewichtsausschusses (Abwage-Aufschreibung), zu 3 % in der Eintragung der Lohnblätter für Visitiererinnen, da keine Stempelkarten verwendet werden, zu 3 % in der Schichtübergabe und Absprache mit dem nachfolgenden Vorarbeiter und zu 10 % in der Meldung an Abteilungsleiter bzw. Absprache mit der Abteilungsleitung. Insgesamt verrichten daher die Kläger C und D zu etwa 40 bis 45 % Büroarbeiten im weitesten Sinn und ansonsten Kontrollarbeiten durch Betrachten und Messen.

Rechtlich vertrat das Erstgericht die Auffassung, die überwiegende Tätigkeit der Kläger bestehe in Kontrollarbeiten und der Arbeitseinteilung und überwachung der Visitiererinnen. Dies stelle keine höhere nichtkaufmännische Dienstleistung dar. Das Berufungsgericht gab den Berufungen der Kläger teilweise Folge und änderte das erstgerichtliche Urteil dahin ab, daß es zwar das Hauptbegehren abwies, dem Eventualbegehren jedoch stattgab. Es sprach ferner aus, daß der Wert des Streitgegenstandes in jeder der verbundenen Rechtssachen S 2.000,--

übersteige. Das Berufungsgericht verhandelte die Streitsache gemäß § 25 Abs 1 Z 3 Arbeitsgerichtsgesetz von neuem und traf die selben Feststellungen wie das Erstgericht mit der Ausnahme, daß es feststellte, die Visitiererinnen seien den Klägern auch disziplinär unterstellt. Rechtlich vertrat es die Auffassung, die Kläger seien zwar nicht auf Grund höherer nichtkaufmännischer Dienste als Angestellte nach dem Angestelltengesetz in die Verwendungsgruppe M II des Zusatzkollektivvertrages einzureihen, wohl aber deshalb, weil der Kollektivvertrag Dienstnehmer, die mit einem bestimmten Aufgabengebiet betraut seien, ohne Rücksicht darauf, ob deren Tätigkeit die Merkmale des § 1 oder § 2 AngG aufweise, als Angestellte qualifiziere. Die Tätigkeit der Kläger lasse zwar eine Einreihung in die Verwendungsgruppe M II nicht zu, wohl aber erfüllten sie alle Voraussetzungen für eine Einstufung in M I, da sie eine Beaufsichtigungs- und Einweisungsbefugnis für die ihnen fachlich und disziplinär unterstellten Visitiererinnen hätten, denen sie Arbeiten zuzuweisen und deren Tätigkeit und Arbeitsleistungen sie zu überwachen hätten. Soweit der Zusatzkollektivvertrag von Angestellten oder von Aufsichtsangestellten spreche, bedeute dies nicht, daß nur Personen, denen schon bisher die Angestellteneigenschaft zuerkannt worden sei, in diese Gruppe einzustufen seien, sondern es sei die Bezeichnung Angestellter in diesem Zusammenhang als Dienstnehmer oder Arbeitnehmer zu lesen. Für die Verwendungsgruppe M I sei nämlich eine mindestens 5jährige praktische Tätigkeit als Arbeiter im gleichen Arbeitsgebiet und nicht etwa als Angestellter erforderlich.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das Urteil des Erstgerichtes wiederherzustellen. Die Kläger beantragen, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Vorauszuschicken ist, daß der Revisionsantrag zwar nur die Wiederherstellung des erstgerichtlichen Urteils begehrt, dem Vorbringen in der Revision jedoch zu entnehmen ist, daß die beklagte Partei die Abweisung des allein noch offenen, erst im Verfahren vor dem Berufungsgericht gestellten Eventualbegehrens anstrebt. Dem Berufungsgericht kann nicht beigepflichtet werden, daß die Erfüllung der Tätigkeitsmerkmale der Verwendungsgruppe M I die Zuerkennung der Angestellteneigenschaft ohne Rücksicht darauf bedeute, ob der Dienstnehmer die Voraussetzungen der §§ 1 und 2 Angestelltengesetz erfüllt. Nach seinem § 1 gilt der Zusatzkollektivvertrag persönlich für alle Angestellten, auf welche der Rahmenkollektivvertrag für Angestellte der Industrie anzuwenden ist. Gemäß § 2 des Rahmenkollektivvertrages für Angestellte der Industrie gilt dieser wiederum persönlich für alle dem Angestelltengesetz unterliegenden Dienstnehmer sowie für kaufmännische Lehrlinge und technische Zeichner-Lehrlinge. Voraussetzung für die Anwendung der Bestimmungen des Zusatzkollektivvertrages ist daher, daß es sich um Angestellte im Sinne des Rahmenkollektivvertrages und danach wiederum um Angestellte nach den Bestimmungen des Angestelltengesetzes handelt. Dieser persönliche Geltungsbereich bestimmt die Grenzen der Anwendbarkeit des Zusatzkollektivvertrages. Durch ihn wurde daher Dienstnehmern, welche die Angestellteneigenschaft nicht besitzen, eine solche auch nicht zuerkannt (vgl. Arb.6946).

Die Kläger waren daher in M I nur dann einzustufen, wenn sie auf Grund ihrer Tätigkeit bereits nach den Bestimmungen des Angestelltengesetzes Angestellte waren. Dies wurde jedoch von den Vorinstanzen mit Recht verneint.

Die Kanzleiarbeiten im weitesten Sinn - soweit es sich dabei überhaupt um solche im Sinne der §§ 1 Abs 2 und 2 Abs 1 AngG handelt - stellen nicht die überwiegende Tätigkeit der Kläger dar. Ihre überwiegende Tätigkeit kann aber auch nicht als höhere nichtkaufmännische Tätigkeit beurteilt werden. Als höhere Dienstleistung kommt eine Arbeit in Betracht, die - ohne daß gerade ein bestimmter Studiengang vorausgesetzt wird - doch in der Richtung der Betätigung entsprechende Vorkenntnisse und Schulung, Vertrautsein mit den Arbeitsaufgaben und eine gewisse fachliche Durchdringung derselben verlangt, also nicht rein mechanisch ausgeübt wird und nicht von einer zufälligen Ersatzkraft geleistet werden kann (Martinek-Schwarz, Angestelltengesetz 6 56 mwN).

Die von den Klägern verrichtete Tätigkeit als Vorarbeiter besteht jedoch im wesentlichen in der überwachung der Visitiererinnen, wobei die Prüfung durch bloßes Betrachten der aussortierten Werkstücke und teilweise durch Messen erfolgt. Darin und in der Zuteilung bestimmter Produkte an die einzelnen Visitiererinnen kann aber noch keine höhere nichtkaufmännische Tätigkeit erblickt werden. Es handelt sich im wesentlichen um rein mechanische Tätigkeiten. Die Kläger sind daher auf Grund ihrer Tätigkeit keine Angestellten nach den Bestimmungen des Angestelltengesetzes, weshalb eine Einstufung in M I nicht möglich ist.

Es war daher auch das Eventualbegehren abzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

Anmerkung

E05470

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1985:0040OB00037.85.0402.000

Dokumentnummer

JJT_19850402_OGH0002_0040OB00037_8500000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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