Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch, Dr. Schobel, Dr. Riedler und Dr. Schlosse als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A B, vertreten durch Dr.Karl Heinz Klee, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagten Parteien 1.) Dipl.Ing.Fred C, Architekt, Innsbruck, Karl-Kapferer-Straße 5, vertreten durch Dipl.VW DDR.Armin Santner, Rechtsanwalt in Innsbruck, 2.) Dipl.Ing.Franz D, Zivilingenieur für Bauwesen, Innsbruck, Reut-Nicolussi-Straße 12, vertreten durch Dr. Roland Pescoller, Rechtsanwalt in Innsbruck, und 3.) Fa.H.E, Beton- und Fertigteilwerke Gesellschaft m.b.H., Innsbruck, Archenweg 52, vertreten durch DDr.Hubert Fuchshuber, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen 2,999.538,45 S samt Nebenforderungen, infolge Revisionsrekurses der erstbeklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Rekursgerichtes vom 14.Februar 1985, GZ 2 R 26/85-73, womit der Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck vom 21.Dezember 1984, GZ 13 Cg 274/79-70 (nunmehr 18 Cg 46/85-70), abgeändert wurde, folgenden Beschluß gefaßt:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird nicht stattgegeben.
Der angefochtene Beschluß wird mit der Maßgabe bestätigt, daß die in dem zitierten Vorbringen der klagenden Partei vom 2.Juli 1984 gelegene Klagsänderung zugelassen wird.
Der Erstbeklagte hat die Kosten seines Revisionsrekurses selbst zu tragen.
Text
Begründung:
Die klagende Stadtgemeinde betrieb als Bauherrin die Errichtung eines - aus Verwaltungsgebäude, Wirtschaftsgebäude und Hallen bestehenden - sogenannten städtischen Zentralhofes. Der Erstbeklagte übernahm als Architekt Planung, Einreichung, Kostenberechnung, Ausschreibung, künstlerische, technische und geschäftliche Oberleitung der Bauausführung sowie die örtliche Bauaufsicht. Die konstruktive Bearbeitung und statische Berechnung des Bauwerkes übertrug die Klägerin dem Zweitbeklagten, der im Rahmen des von ihm übernommenen Auftrages auch die überprüfung der Bauausführung anhand der statischen Berechnungen und der Pläne vorzunehmen hatte. Im Zuge der vom Erstbeklagten verfaßten Ausschreibung schloß die Klägerin mit der drittbeklagten Partei einen Vertrag über die Ausführung von Stahlbetonfertigteilen. Dabei hatte der Erstbeklagte die drittbeklagte Partei unter Anschluß der Ausschreibungsunterlagen zur Anbotsstellung eingeladen gehabt. Die drittbeklagte Partei hatte ein Anbot unterbreitet und sich zur überprüfung ihrer statischen Berechnungen des Zweitbeklagten bedient. Dieser war zugleich von der Klägerin mit der überprüfung der statischen Berechnungen beauftragt. Die Bauarbeiten wurden im Frühjahr 1970 abgeschlossen. Nach der Fertigstellung der Bauarbeiten bestätigte der Zweitbeklagte mit dem Schreiben vom 8.April 1970, daß alle Bauteile nach dem statischen Plan ausgeführt, die Bewehrungen ordnungsgemäß verlegt worden seien und die Betonqualitäten den geforderten Bedingungen entsprächen. Im Schlußbericht vom 17.September 1971
bestätigte der Zweitbeklagte, daß die statische Berechnung für die Binder-Berechnungen einwandfrei sei. Im Zuge des baubehördlichen Verfahrens zur Erteilung der Benützungsbewilligung wurden Mängel an der Stahlbetonkonstruktion festgestellt.
Die Klägerin behauptete darüber hinaus, daß ungeachtet der im Jahre 1971
durchgeführten Sanierungsarbeiten an der Fertigteilkonstruktion und an der Dachdeckung zur Behebung der anläßlich einer Begehung vom 14. Mai 1971 in Anwesenheit des Erstbeklagten, des Zweitbeklagten und von Vertretern der drittbeklagten Partei festgestellten Mängel und der am 18.Jänner 1974
erteilten baubehördlichen Benützungsbewilligung im Herbst 1976 an den Dächern der in Fertigteilbauweise errichteten Teile des Zentralhofes erhebliche Schäden aufgetreten seien; im Winter 1976/77 habe sich der Bauzustand verschlechtert. Im März 1977 habe die Klägerin ein Gutachten über die von der drittbeklagten Partei zugrundegelegte statische Berechnung eingeholt. Nach den öußerungen des Gutachters sei bei der Planung des Bauwerkes von einem nach den besonderen klimatischen Verhältnissen an der Baustelle mit bloß 120 kg/m 2 zu niederem Wert der bei der Dachkonstruktion zu berücksichtigenden Schneelast ausgegangen und auf den Winddruck überhaupt nicht Bedacht genommen worden; die Tolerierung einer Durchbiegung von 1/200 der Stützbreite habe den höchstzulässigen Wert von 1/500 wesentlich überschritten (P.17).
Der Erstbeklagte habe als der vertraglich hiefür Verantwortliche (P.18) bei der Ausschreibung für die Leistungsverzeichnisse der Professionisten diese technisch unrichtigen Werte vorgegeben und toleriert. Er habe daher die später aufgetretenen Gebäudeschäden schuldhaft mitverursacht (P.10/A). Seine Feststellung, daß die von der drittbeklagten Partei errichtete Fertigteilkonstruktion statisch in Ordnung sei und seiner fachgerechten Ausschreibung entspräche, sei neben dem Gutachten des Zweitbeklagten Grundlage für die baubehördliche Benützungsbewilligung gewesen (P.14). Der Erstbeklagte hafte gemäß § 1302 ABGB zur ungeteilten Hand mit den beiden weiteren beklagten Parteien für die im einzelnen aufgegliederten Kosten der Dachsanierung und für den Ausgleich der am Lagergut aufgetretenen Wasserschäden.
In der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 23.September 1980
hob die Klägerin ausdrücklich hervor, der Erstbeklagte habe auch die vertraglich übernommene Bauaufsichtspflicht verletzt, weil er die Durchbiegung der Träger der Ausschreibung gemäß befunden und zu einer Freigabe des von der drittbeklagten Partei einbehaltenen sogenannten Garantierücklasses geraten habe.
Der Erstbeklagte bestritt seine Schadenersatzpflicht dem Grunde und der Höhe nach, er machte unter anderem ein konkurrierendes Selbstverschulden der Klägerin geltend und wendete ausdrücklich Verjährung ein.
Nachdem ein im Rechtsstreit bestellter Sachverständiger schriftlich Befund und Gutachten über die Schäden am Flachdach des städtischen Zentralhofes erstattet hatte (ON 47), brachte die Klägerin in der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 2.Juli 1984 im Sinne ihres Schriftsatzes ON 58
Erinnerungen zum Sachverständigengutachten vor und führte in diesem Zusammenhang überdies wörtlich aus: 'In diesem Zusammenhang stellt der Herr Sachverständige auch fest, daß die Fertigteilkonstruktion der Halle verglichen mit einer Ortbetonkonstruktion ein 'beweglicher' Untergrund ist und die Dachhaut in der Lage sein muß, diese Bewegungen an den Fugen schadlos mitzumachen. Damit ist aber durch das Sachverständigengutachten festgestellt, daß die vom Erstbeklagten vorgesehene Ausführung der mit der Dachkonstruktion vollflächig verklebten Dachhaut ungeeignet war, denn eine starr verklebte Dachhaut muß reißen.
In der Anlage wird nochmals die Ausschreibung 'Dachaufbauten' des Erstbeklagten gelegt, aus welchem sich im Zusammenhang mit dem Sachverständigengutachten ergibt, daß das Vorsehen eines derartigen Dachaufbaues durch den Erstbeklagten in Anbetracht der Fertigteilkonstruktion der Halle ein Kunstfehler war.' Der Erstbeklagte erblickte darin, daß ihm die Klägerin nunmehr die vorgesehene Ausführung der mit der Dachkonstruktion vollflächig verklebten Dachhaut als Kunstfehler anlaste, eine Klagsänderung und sprach sich gegen diese aus, weil deren Zulassung eine wesentliche Erschwerung der Prozeßführung bedeutete.
Die Klägerin vertrat die Auffassung, daß ihr Vorbringen keine Klagsänderung darstelle; sie habe dem Erstbeklagten bereits in der Klage Kunstfehler angelastet; der zum Gegenstand des ergänzenden Vorbringens gemachte Kunstfehler ergebe sich erstmals aus dem Sachverständigengutachten und sei neben den übrigen nur präzisiert worden.
Das Prozeßgericht führte vorerst seine Verhandlung fort, entschied aber in der Folge auf Anregung des Erstbeklagten über die erhobenen Einwendungen gegen das als Klagsänderung gewertete neue Vorbringen der Klägerin.
Das Prozeßgericht nahm das Vorliegen einer Klagsänderung an und ließ diese nicht zu, weil ohne Berücksichtigung des neuen Vorbringens der Rechtsstreit nahezu spruchreif wäre, bei Bedachtnahme auf das neue Vorbringen aber ein neuerliches Sachverständigengutachten eingeholt werden müßte und daher mit einer Verzögerung von mindestens mehreren Monaten zu rechnen wäre.
Das Rekursgericht verneinte das Vorliegen einer Klagsänderung, hob den erstinstanzlichen Beschluß auf und trug dem Erstgericht auf, das Verfahren unter Bedachtnahme auf das Vorbringen der klagenden Partei vom 2.Juli 1984, daß die vom Erstbeklagten vorgesehene Ausführung der mit der Dachkonstruktion vollflächig verklebten Dachhaut ungeeignet gewesen sei und das Vorsehen eines derartigen Dachaufbaues durch den Erstbeklagten in Anbetracht der Fertigteilkonstruktion der Halle ein Kunstfehler gewesen sei, fortzusetzen.
Hilfsweise fügte das Rekursgericht seiner Begründung bei, daß eine im Neuvorbringen etwa zu erblickende Klagsänderung nach dem konkreten Verfahrensstand zuzulassen wäre.
Der Erstbeklagte ficht die abändernde Rekursentscheidung mit dem Antrag auf Wiederherstellung des Beschlusses erster Instanz an.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist nicht berechtigt.
Die Klägerin nimmt die Haftung des Erstbeklagten als eines planenden und die Bauausführung überwachenden Architekten für Schäden am Dach eines neu errichteten Bauwerkes und für Folgeschäden in Anspruch. Sie stützte ihr Begehren vorerst auf die Behauptung, der Erstbeklagte habe den von der Flachdachkonstruktion auszuhaltenden Druck der Schneelast nach den gegebenen örtlichen Verhältnissen zu gering angesetzt, den Winddruck überhaupt nicht berücksichtigt und eine zu starke Durchbiegung der Dachkonstruktionsträger einerseits bei der Planung und andererseits bei der Bauüberwachung toleriert. Nach etwa fünfjähriger Prozeßdauer stützte die Klägerin ihre Ersatzansprüche gegen den Erstbeklagten mit Rücksicht auf den Inhalt des inzwischen erstatteten Sachverständigengutachtens auch darauf, daß der Erstbeklagte in seiner Planung bei einer Ausführung der Trägerkonstruktion in Fertigteilbauweise eine vollflächig verklebte Dachhaut vorgesehen habe.
Dieses Prozeßvorbringen konkretisiert einen neuen, selbständigen, nach dem bisherigen Prozeßvorbringen auch nicht ansatzweise geltend gemachten Vorwurf einer schadenskausalen Vertragspflichtswidrigkeit des planenden Architekten.
Das Erstgericht hat in dem neuen Vorbringen, wie dem Revisionsrekurswerber zuzugestehen ist, zutreffend eine Klagsänderung erblickt. Der Erstbeklagte soll nicht für einen negativen Erfolg, sondern für pflichtwidriges Verhalten einstehen. Dabei sind unabhängig voneinander schadenskausal wirkende Fehlleistungen als selbständig haftungsbegründende Tatumstände zu werten. Das neue Vorbringen der Klägerin ist entgegen der vom Rekursgericht vertretenen Auffassung weder als bloße Ausführung von Hilfstatsachen zu den bereits geltend gemachten konkreten Pflichtwidrigkeiten des Erstbeklagten noch als bloße Umschreibung näherer Umstände solcher Fehlleistungen aufzufassen. Die Formulierung der Klägerin in der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 2.Juli 1984, daß sich 'der gegenständliche Kunstfehler.... erstmals aus dem Sachverständigengutachten' ergeben habe, war in diesem Sinne zutreffend.
Damit ist aber für den Revisionsrekurswerber nichts gewonnen. Der hilfsweisen Ausführung des Rekursgerichtes, daß die konkrete Erweiterung der Anspruchsgrundlagen aus Gründen der Prozeßökonomie zuzulassen wäre, ist beizutreten. Die möglichen innigen technischen Wechselwirkungen der einzelnen Elemente der Planung lassen es im höchsten Maße zweckmäßig erscheinen, über sämtliche diesbezüglich dem Erstbeklagten als schadenersatzbegründend angelasteten Pflichtwidrigkeiten in einem Rechtsstreit zu erkennen. Der angefochtene Beschluß war daher mit der Maßgabe zu bestätigen, daß die im zitierten Vorbringen der Klägerin gelegene Klagsänderung zuzulassen war.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 40 und 50 ZPO.
Anmerkung
E05144European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1985:0060OB00552.85.0411.000Dokumentnummer
JJT_19850411_OGH0002_0060OB00552_8500000_000