Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr. Petrasch sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Warta und Dr. Egermann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. Peter A, klinischer Psychologe, Wien 1., Herrengasse 6-8/IV/4/18, vertreten durch Dr. Kurt Eckmair und Dr. Reinhard Neureiter, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei B C D E, Versicherungs-Aktiengesellschaft, Wien 2., Praterstraße 1- 7, vertreten durch Dr. Josef Bock, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 10. Jänner 1985, GZ. 3 R 233/84-15, womit das Urteil des Handelsgerichtes Wien vom 10. August 1984, GZ. 28 Cg 1/84-10, unter Rechtskraftvorbehalt aufgehoben wurde, folgenden
Beschluß gefaßt:
Spruch
Dem Rekurs wird Folge gegeben. Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben und dem Berufungsgericht eine neue Entscheidung aufgetragen.
Die Rekurskosten sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Der Kläger hat mit der beklagten Partei im Jahre 1978 einen Krankenversicherungsvertrag abgeschlossen, bei dem seine Ehefrau Annemarie A Versicherte ist. Der Versicherung liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Krankenversicherung in der Fassung 1968 und der Spitalstarif GTS für sozialversicherte Personen zugrunde. Der Spitalstarif enthält die Versicherungsleistungen bei einem medizinisch notwendigen Krankenhausaufenthalt (stationäre Krankenhausbehandlung). Danach wird anstelle aller anderen Leistungen ein Krankenhaustagegeld bezahlt, wenn der Versicherte für die ganze Dauer des Spitalsaufenthaltes die allgemeine Gebührenklasse aufsucht und keinerlei andere Kosten entstehen. Nach § 19 der allgemeinen Versicherungsbedingungen liegt eine Krankenhausbehandlung bei medizinisch notwendiger stationärer Heilbehandlung in näher umschriebenen Krankenanstalten vor. Annemarie A hat sich seit 1982 dreimal wöchentlich einer Dialysebehandlung zu unterziehen, die im Hanusch-Krankenhaus vorgenommen wird.
Die Behandlung beginnt jeweils um 7 Uhr und endet und 12,15 Uhr. Annemarie A wird hiebei jeweils formell in die Station aufgenommen und nach der Behandlung wieder entlassen. Während der Behandlung wird die Blutgerinnung kontrolliert, je nach Bedarf werden Blut abgenommen, Infusionen oder Sauerstoff gegeben. Annemarie A wird laufend überwacht und in periodischen Abständen röntgenisiert. Sie könnte auch die Mahlzeiten in der Station einnehmen. Der Kläger ist bei der Wiener Gebietskrankenkasse pflichtversichert. Diese erstattet dem Krankenhaus für jede Dialyse die Pflegegebühren für einen Tag Anstaltspflege und begehrt vom Kläger einen Pflegegebührenbeitrag von 10 %.
Der Kläger vertritt den Standpunkt, daß die beklagte Partei Krankenhaustagegeld zu leisten habe, und begehrt die Feststellung der Deckungspflicht.
Nach Auffassung der beklagten Partei erfordere eine Dialysebehandlung keinen stationären Aufenthalt. Es liege auch keine stationäre, sondern eine ambulante Heilbehandlung vor. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es verneinte das Vorliegen einer stationären Heilbehandlung. Eine solche liege nur dann vor, wenn der Patient zumindest für die Dauer eines vollen Tagesablaufes mit den dadurch bedingten Unterbringungs- und Versorgungsmaßnahmen in das Krankenhaus eingegliedert werde. Das Berufungsgericht hob das Ersturteil unter Rechtskraftvorbehalt auf und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes S 300.000,-- übersteigt. Es ging davon aus, daß Annemarie A zur Durchführung der Dialyse in die stationäre Behandlung des Hanusch-Krankenhauses aufgenommen worden sei. Nach dem klaren Wortlaut des § 19 der allgemeinen Versicherungsbedingungen seien die strittigen Versicherungsleistungen jedoch nur dann zu erbringen, wenn der stationäre Aufenthalt des Versicherten medizinisch notwendig gewesen sei.
Hiebei handle es sich um eine Tatfrage, die erst nach Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens beantwortet werden könne. In diesem Sinne sei daher das erstgerichtliche Verfahren ergänzungsbedürftig.
Rechtliche Beurteilung
Der gegen den Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes erhobene Rekurs der beklagten Partei ist nur im Ergebnis berechtigt. Nach § 19 der allgemeinen Versicherungsbedingungen und nach dem Spitalstarif F ist eine medizinisch notwendige stationäre Krankenhausbehandlung Voraussetzung für die Bezahlung des Krankenhaustagegeldes. Die Leistungspflicht der beklagten Partei für das Krankenhaustagegeld ist somit an zwei selbständige Voraussetzungen geknüpft:
Es muß eine stationäre Behandlung erfolgen und diese muß medizinisch notwendig sein. Unter einer stationären Behandlung ist im medizinischen Sprachgebrauch eine Behandlung zu verstehen, die auf einer Krankenhausstation erfolgt (Duden, Das Wörterbuch der medizinischen Fachausdrücke). Sie setzt voraus, daß der Patient auf einer entsprechenden Fachstation (Bettenstation) des Krankenhauses aufgenommen und in den Krankenhausbetrieb formal eingegliedert wird, was regelmäßig auch die Berechnung des Pflegesatzes durch das Krankenhaus zur Folge hat. Auf eine bestimmte Mindestdauer des Aufenthaltes kann es in der Regel nicht ankommen, wie sich aus den 'Ein-Tages-Operationen' ergibt, bei denen der Patient nach dem operativen Eingriff nur wenige Stunden zur Beobachtung im Krankenhaus bleibt (Bach-Moser, Private Krankenversicherung 115 f.). Den Gegensatz zur stationären Behandlung bildet die ambulante Behandlung, die in der Durchgangsbehandlung in der Praxis oder Klinik ohne Aufnahme des Patienten in eine Bettenstation erfolgt (Duden aaO). Den Parteien des Versicherungsvertrages steht es frei, als stationäre Behandlung nur eine solche zu vereinbaren, bei der ein bestimmter Mindestaufenthalt, etwa eines vollen Tagesablaufes (einschließlich Nächtigung), gegeben ist. Da die allgemeinen Versicherungsbedingungen in der für den vorliegenden Fall geltenden Fassung eine solche Bestimmung nicht enthalten, ist die Frage, ob die Dialysebehandlung der Annemarie A als stationäre Behandlung anzusehen ist, unter Außerachtlassung der zwischenzeitigen Ergänzung der allgemeinen Versicherungsbedingungen nur nach den dargelegten Kriterien im bejahenden Sinn zu beurteilen. Es ist nicht strittig, daß Annemarie A auf eine Krankenhausstation aufgenommen und formell in den Krankenhausbetrieb eingegliedert wurde, und daß hiefür der Pflegesatz vom Krankenhaus berechnet wird. Wie bereits das Berufungsgericht zutreffend darlegte, beruft sich die beklagte Partei zu Unrecht auf die in VersR 1979, 565, 1977, 78 und 1974, 1093
veröffentlichten Entscheidungen. In der Entscheidung VersR 1979, 565 wird zwar für eine stationäre Behandlung der Verbleib des Patienten unter ärztlicher und pflegerischer Betreuung für die Dauer eines vollen Tagesablaufes verlangt, was aber, wie schon oben dargelegt wurde, abzulehnen ist. In der Entscheidung VersR 1974, 1093 wurde der Anspruch auf ein Krankenhaustagegeld im wesentlichen deshalb abgelehnt, weil eine Aufnahme in ein Krankenhaus nicht einmal behauptet worden war, und in der Entscheidung VersR 1977, 78, weil das Erfordernis der medizinischen Notwendigkeit verneint wurde. Die weitere Voraussetzung, daß die stationäre Behandlungsform als ärztliche Maßnahme medizinisch notwendig sein muß, kann sinnvoll nur in Gegenüberstellung zur ambulanten Behandlungsform verstanden werden. Es ist deshalb nur dann vertretbar, eine stationäre Behandlung als medizinisch notwendig anzusehen, wenn der angestrebte Behandlungserfolg nicht auch durch ambulante Maßnahmen erzielt werden kann. Die medizinische Notwendigkeit für eine Behandlung im Krankenhaus ergibt sich, wenn die spezifischen Einrichtungen des (klinischen) Krankenhausbetriebes zur Behandlung des bestehenden Leidens besser geeignet sind als die Möglichkeiten eines niedergelassenen Arztes, wenn eine Vorbereitung oder Nachbeobachtung, eine ständige überwachung und Kontrolle durch Krankenhausärzte erforderlich ist oder wenn der Versicherungsnehmer aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage ist, die Möglichkeiten ambulanter Behandlung auszunutzen (Bach-Moser, aaO 116 f.). Insoweit das Berufungsgericht die Tatsachengrundlage zur Beurteilung dieser Frage noch für ergänzungsbedürftig erachtet, kann dem nicht entgegengetreten werden (SZ 50/15 uva).
Nach § 496 Abs 3 ZPO hat das Berufungsgericht statt der Zurückweisung die in erster Instanz gepflogene Verhandlung, soweit erforderlich, zu ergänzen und durch Urteil in der Sache selbst zu erkennen, wenn nicht anzunehmen ist, daß dadurch in Vergleich zur Zurückweisung die Erledigung verzögert oder ein erheblicher Mehraufwand an Kosten verursacht würde. Dieser, durch die ZPO-Novelle 1983 neu geschaffenen Bestimmung liegt die Erwägung zugrunde, daß eine Aufhebung des Ersturteils durch das Berufungsgericht und die Zurückverweisung der Sache an das Erstgericht in der Regel eine empfindliche Verzögerung des Verfahrens bedeutet. Durch die Änderung und insbesondere durch die imperative Fassung der Bestimmung soll daher erreicht werden, daß die Berufungsgerichte in weiterem Umfang als bisher das Verfahren selbst ergänzen und in der Sache selbst entscheiden (669 BlgNR 15. GP 57). Aus dem Wortlaut des § 496 Abs 3 ZPO und aus der Zielsetzung des Gesetzgebers ergibt sich, daß es nicht in das Ermessen des Berufungsgerichtes gestellt ist, ob es eine Verfahrensergänzung selbst vornimmt oder die Rechtssache zum Zwecke der Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverweist. In allen Fällen des § 496 Abs 1 ZPO hat daher das Berufungsgericht die Verpflichtung, die Ergänzung des Verfahrens selbst vorzunehmen, außer es würde das zu ergänzende Verfahren vor dem Berufungsgericht im Vergleich zu einem erstgerichtlichen Ergänzungsverfahren einen erheblichen Mehraufwand an Kosten oder eine Verfahrensverzögerung bewirken. Verweist das Berufungsgericht ohne Vorliegen der ausnahmsweisen Voraussetzungen dennoch an das Erstgericht zurück, so liegt darin die unrichtige Lösung einer Frage des Verfahrensrechtes, die für die Rechtssicherheit von erheblicher Bedeutung ist (§ 519 Abs 2, § 502 Abs 4 Z 1 ZPO; Fasching, Zivilprozeßrecht Rdz 1817). Die vom Berufungsgericht hier für erforderlich gehaltene Verfahrensergänzung betrifft die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens. Es liegt auf der Hand, daß dies die Annahme der ausnahmsweisen Voraussetzungen nach § 496 Abs 3 ZPO nicht rechtfertigen kann, zumal die unterschiedliche Honorierung der Parteienvertreter im Berufungsverfahren und im erstinstanzlichen Verfahren kein tragfähiger Grund für eine Zurückverweisung an das Erstgericht ist. Die unterschiedliche Honorierung der Parteienvertreter würde sonst in jedem Fall eine Rückverweisung zulassen und so die Bestimmung des § 496 Abs 3 ZPO ihres Inhaltes entkleiden (4 Ob 33/84; 7 Ob 516/85). Auch die notwendige Klarstellung der Fassung des Urteilsbegehrens kann im Berufungsverfahren ohne besonderen Kostenaufwand vorgenommen werden. Demgemäß ist dem Rekurs Folge zu geben.
Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.
Anmerkung
E05509European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1985:0070OB00012.85.0418.000Dokumentnummer
JJT_19850418_OGH0002_0070OB00012_8500000_000