Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Stix als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Melber und Dr. Zehetner als Richter in der Sachwalterschaftssache betreffend Maria Theresia A, geboren am 11. Jänner 1952, derzeit im Haus der Barmherzigkeit, Vinzenzgasse 2-6, 1180
Wien, infolge Amtsrekurses des Erstrichters gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgerichtes vom 13. Februar 1985, GZ. 44 R 280/84-34, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Döbling vom 22. Oktober 1984, GZ. 2 SW 78/84-26, in seinem Punkt 1) behoben wurde, folgenden
Beschluß gefaßt:
Spruch
Dem Amtsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung:
Die am 11. Jänner 1952 geborene Maria Theresia A wurde mit Beschluß des Erstgerichtes vom 1. März 1973 wegen Geistesschwäche voll entmündigt. Der Begründung dieses Beschlusses ist zu entnehmen, daß die Kurandin im Säuglingsalter eine Gehirnentzündung erlitt und seither geistig schwer geschädigt ist. Sie kann nicht sprechen, schreiben und lesen. Ihre Intelligenz blieb auf einer niedrigen Stufe. Mit Beschluß vom 23. Juli 1973 wurde Dr. Günther A, der Vater der Kurandin, zum Kurator bestellt. Im Jahr 1975 starb die Mutter der Kurandin; seither befindet sich diese in Pflege im Haus der Barmherzigkeit.
Die Kurandin erhielt nach dem Tod ihrer am 9. März 1980 verstorbenen Großtante Margarethe B ein Barlegat von S 5.000,--, das (nach Abzug der Erbschaftssteuer) mit einem Betrag von S 4.650,-- auf einem gerichtlich gesperrten Sparbuch erliegt. Sonstiges Vermögen oder Einkommen hat die Kurandin nach der Aktenlage nicht; die Kosten ihrer Unterbringung im Haus der Barmherzigkeit werden von der MA 12 bezahlt.
Nach der Übergangsvorschrift des Art. X Z 3 Abs 1 C ist der für die Kurandin bestellte Kurator als Sachwalter nach § 273 Abs 3 Z 3 ABGB anzusehen.
Das Erstgericht leitete von Amts wegen das Verfahren zur Beendigung der Sachwalterschaft ein und hob mit Beschluß vom 22. Oktober 1984 die Sachwalterschaft auf. Es begründete seine Entscheidung im wesentlichen damit, daß die Kurandin keine Vermögens- und Rechtsangelegenheiten zu besorgen habe.
Obgleich unter den im § 273 Abs 1 ABGB erwähnten Angelegenheiten nicht nur solche rechtlicher beziehungsweise vermögensrechtlicher Natur zu verstehen seien, sondern auch die Sorge für die Person, sei auf § 273 Abs 2 ABGB Bedacht zu nehmen. Im Hinblick auf die im vorliegenden Fall der Kurandin im Rahmen ihrer Unterbringung im Haus der Barmherzigkeit geleistete Hilfe bedürfe sie nach dieser Gesetzesstelle keines Sachwalters. überdies werde die allenfalls notwendige Personensorge vom Vater der Kurandin, also im Rahmen der Familie, ausgeübt.
Dem gegen diese Entscheidung gerichteten Rekurs des Sachwalters gab das Rekursgericht mit dem angefochtenen Beschluß Folge; es behob den Beschluß des Erstgerichtes.
Das Rekursgericht führte im wesentlichen aus, die Vorschrift des § 273 Abs 2 1. Satz ABGB komme in jenen Fällen zum Tragen, in denen lediglich eine geringfügige, auf bestimmte Bereiche begrenzte geistige Behinderung vorliege, beispielsweise bei einer an seniler Demenz leidenden Person, die in einem Alters- oder Pflegeheim untergebracht sei. Der Hilfeleistende nach dieser Gesetzesstelle unterstütze nur den Betreffenden bei von diesem selbst zu tätigenden Handlungen. Nur dann, wenn die betreffende Person noch so viel Einsichtsvermögen besitze, von sich aus von den angebotenen Hilfeleistungen Gebrauch zu machen, werde ein Sachwalter nicht in Frage kommen.
Im vorliegenden Fall könne von einer derartigen geringfügigen oder auf bestimmte Bereiche begrenzten geistigen Behinderung beziehungsweise vom Vorhandensein eines eigenen vernünftigen Willens des Betroffenen, der bloß einer Hilfeleistung oder Unterstützung bedürfe, nicht gesprochen werden. Die Kurandin sei vielmehr nicht fähig, irgendwelche Willensentscheidungen, auch nicht in Bezug auf ihre eigene Person, zu treffen, geschweige denn zu artikulieren. Selbst wenn man jedoch davon ausginge, daß die Vorschrift des § 273 Abs 2 ABGB auch im Falle einer schwerst behinderten Person anwendbar wäre, lägen im vorliegenden Fall die gesetzlichen Voraussetzungen hiefür nicht vor.
Die Kurandin werde im Haus der Barmherzigkeit gepflegt. Es handle sich hiebei nicht um eine Einrichtung der öffentlichen oder privaten Behindertenhilfe; es sei nicht die Aufgabe dieses Heimes, sich über die gesundheitliche Betreuung und körperliche Pflege der Patienten hinaus um deren Belange zu kümmern.
Der Begriff der Angelegenheiten sei sehr umfassend zu sehen; dazu zähle auch die Fürsorge für die Person. Im vorliegenden Fall hätte die Kurandin derartige Angelegenheiten zu besorgen, und zwar die Vertretung gegenüber der Gemeinde Wien wegen der KostenÜbernahme, Anspruch auf Zuweisung eines Fürsorgetaschengeldes oder sonstiger Sozialleistungen, Zustimmung zu allfälligen Operationen, insbesondere im Hinblick auf das Fußleiden der Kurandin sowie alle Angelegenheiten betreffend die Unterbringung, Betreuung und die Wahrung der Rechte der Kurandin gegenüber dem Haus der Barmherzigkeit, allfällige Verlegung in ein anderes Heim etc. Wenn sich auch der Vater der Kurandin um alle diese Angelegenheiten regelmäßig kümmere, so fehle ihm doch im Fall der Beendigung der Sachwalterschaft dazu die nötige rechtliche Legitimation. Dazu komme noch das - wenngleich geringfügige - Vermögen der Betroffenen.
Aus allen diesen Gründen sei der Beschluß des Erstgerichtes über die Beendigung der Sachwalterschaft ersatzlos zu beheben. Gegen diese Entscheidung richtet sich der Amtsrekurs des Erstrichters mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluß im Sinne der Wiederherstellung der Entscheidung des Erstgerichtes abzuändern, dies allenfalls mit der Maßgabe, daß der auf dem gesperrten Sparbuch erliegende Geldbetrag der Kurandin der MA 12 zur teilweisen Abdeckung der Pflegegebühren, in eventu dem Vater der Kurandin mit der Maßgabe ausgefolgt werde, diesen Betrag für seine Tochter zu verwenden; hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag. Der Sachwalter Dr. Günther A hat eine Rekursbeantwortung (§ 249 Abs 3 AußStrG) mit dem Antrag erstattet, dem Amtsrekurs keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Amtsrekurs des Erstrichters ist im Sinne des § 15 Abs 1 AußStrG zulässig. Die Vorschrift des § 249 AußStrG, die gemäß § 251 AußStrG auch auf die Beendigung der Sachwalterschaft entsprechend anzuwenden ist, regelt nicht das Rechtsmittelverfahren in Sachwalterschaftssachen im Sinne des 5. Hauptstückes des Außerstreitgesetzes abschließend, sondern normiert nur einzelne in Sachwalterschaftssachen geltende Ausnahmen von der allgemeinen Regelung des Rechtsmittelverfahrens in den §§ 9 bis 16 AußStrG, welche Vorschriften sie aber im übrigen unberührt läßt (vgl. Maurer, Sachwalterrecht in der Praxis 150 f). Auch in Sachwalterschaftssachen kann daher im Sinne des § 15 Abs 1 AußStrG der Erstrichter gegen die Entscheidung des Rekursgerichtes den Rekurs ergreifen, wenn er von dieser Entscheidung für Personen, die sich selbst zu vertreten unfähig sind, unwiederbringlichen Nachteil besorgt. Dieses Rekursrecht des Erstrichters geht nicht weiter als das der zu schützenden Person (SZ 37/116; RZ 1981/17; EFSlg. 44.627 ua.).
Daraus kann aber im vorliegenden Fall nicht die Unzulässigkeit des Amtsrekurses abgeleitet werden, weil die Entscheidung des Rekursgerichtes nicht in Stattgebung eines Rekurses der Kurandin, sondern in Stattgebung eines Rekurses des Sachwalters erging und ein Interessengegensatz zwischen Kurandin und Sachwalter in Bezug auf die Aufhebung der Sachwalterschaft durchaus denkbar ist. Im übrigen ist der Erstrichter nur dann zur Erhebung des Rekurses legitimiert, wenn er konkrete Umstände anführt, auf die er seine Besorgnis gründet und die auch objektiv einen unwiederbringlichen Nachteil für die nicht selbst vertretungsfähige Person bewirken könnten (SZ 40/99; SZ 43/48; 8 Ob 530/83). Auch diesem Erfordernis genügt das vorliegende Rechtsmittel durch den Hinweis auf § 24 der Nationalratswahlordnung 1971. Gegen die Zulässigkeit des vorliegenden Amtsrekurses bestehen somit keine Bedenken. Sachlich ist das Rechtsmittel des Erstrichters aber nicht berechtigt.
Gemäß § 283 Abs 2 ABGB ist der Sachwalter auf Antrag oder von Amts wegen zu entheben (und damit die Sachwalterschaft aufzuheben), wenn der Pflegebefohlene nicht mehr seiner Hilfe bedarf. Es ist also im vorliegenden Fall zu prüfen, ob die im § 273 ABGB normierten Voraussetzungen für die Bestellung eines Sachwalters für die Kurandin nach wie vor vorliegen; nur wenn dies nicht zutrifft, ist die Aufhebung der Sachwalterschaft möglich. Die Bestellung des Sachwalters hat nach den Intentionen des Gesetzgebers durchaus subsidiären Charakter und darf nur dann erfolgen, wenn der Betroffene nicht anders, nämlich durch die im § 273 Abs 2 ABGB erwähnten Möglichkeiten, in die Lage versetzt werden kann, seine Angelegenheiten im erforderlichen Ausmaß zu besorgen (Schwind in Ehrenzweig, System 3 , Familienrecht 206); dies darf aber nicht zur völligen Verdrängung des dem Sachwalterrecht innewohnenden Schutzgedankens führen.
Es besteht kein Zweifel daran, daß im vorliegenden Fall die Kurandin geistig so hochgradig behindert ist, daß sie nicht ohne Gefahr eines Nachteiles für sich selbst ihre Angelegenheiten selbst besorgen kann (§ 273 Abs 1 ABGB). Die in dieser Gesetzesstelle erwähnten Angelegenheiten sind in einem sehr umfassenden Sinn zu verstehen; darunter fallen nicht nur Rechtsgeschäfte und Rechtshandlungen, sondern auch (vgl. § 282 2. Satz ABGB) die Fürsorge für die eigene Person (Maurer aaO 53 f). Die Kurandin, die nach der Aktenlage nicht nur ein äußerst geringes Intelligenzniveau aufweist, sondern auch unfähig ist, sich in irgendeiner Weise zu artikulieren (sie kann nicht sprechen, schreiben und lesen), ist unter diesen Umständen zweifellos nicht in der Lage, irgendwelche Angelegenheiten, und sei es auch nur die Fürsorge für die eigene Person, ohne Gefahr eines Nachteiles für sich selbst zu besorgen. Daß sie aber derartige Angelegenheiten zu besorgen hätte, ergibt sich nicht nur aus ihrem (wenn auch geringfügigen) Vermögen in Form eines gerichtlich gesperrten Sparbuches, über das Verfügungen zu treffen sind, sondern insbesondere auch aus der Tatsache, daß sie ständig im Haus der Barmherzigkeit untergebracht ist und daher in einer dauernden Rechtsbeziehung zu dieser Institution beziehungsweise dem zuständigen Fürsorgeträger steht.
Die Motive, die den Gesetzgeber zur Schaffung der Vorschrift des § 273 Abs 2 ABGB veranlaßten, sind den Gesetzesmaterialien (742 BlgNR 15. GP 18) zu entnehmen. Es sollte klargestellt werden, daß die psychische Erkrankung und die geistige Behinderung für sich allein als Gründe der Sachwalterbestellung nicht ausreichen; es müsse noch die Unfähigkeit des psychisch Kranken oder geistig Behinderten hinzutreten, alle oder einzelne seiner Angelegenheiten ohne Gefahr eines Nachteiles für sich selbst zu besorgen. Das setze voraus, daß die behinderte Person überhaupt Angelegenheiten zu besorgen habe. Diese Voraussetzung könne unter Umständen bei einem Behinderten fehlen, der kein Vermögen und auch kein nennenswertes Einkommen habe und in einem Pflegeheim voll versorgt werde.
Unter diesem Aspekt ist die Vorschrift des § 273 Abs 2 ABGB zu sehen, nach der die Bestellung eines Sachwalters dann unzulässig ist, wenn der Betreffende durch andere Hilfe, besonders im Rahmen seiner Familie oder von Einrichtungen der öffentlichen oder privaten Behindertenhilfe, in die Lage versetzt werden kann, seine Angelegenheiten im erforderlichen Ausmaß zu besorgen. Hilfe im Sinne dieser Gesetzesstelle kann nur ein Tätigwerden bedeuten, das dazu beiträgt, eine bestimmte Willensbildung des Kuranden zu verwirklichen. Es kann sich dabei im Verhältnis zur behinderten Person nur um eine unterstützende Funktion handeln; Hilfe ist nur dann möglich, wenn die behinderte Person noch zu eigenem Handeln fähig ist. Es muß bei ihr noch ein bestimmtes Maß von Einsichts- und Urteilsfähigkeit vorhanden sein. Ist dies nicht der Fall, ist also der Behinderte auf Grund seines Zustandes gar nicht in der Lage, von derartigen Hilfeleistungen zur Unterstützung eigenen Handelns Gebrauch zu machen, dann kann nicht mehr davon gesprochen werden, daß er im Sinne des § 273 Abs 2 ABGB durch andere Hilfe als die Bestellung eines Sachwalters in die Lage versetzt werden könnte, seine Angelegenheiten im erforderlichen Ausmaß zu besorgen (so auch Kremzow, Österreichisches Sachwalterrecht 41).
Im vorliegenden Fall steht im Vordergrund, daß die Kurandin einerseits, wie bereits oben ausgeführt, über ein (wenn auch geringfügiges) Vermögen verfügt und infolge ihrer ständigen Unterbringung im Haus der Barmherzigkeit in einer ständigen Rechtsbeziehung zu dieser Institution beziehungsweise dem zuständigen Fürsorgeträger steht und daß sie andererseits nach dem Akteninhalt infolge ihrer geistigen Behinderung zu keiner eigenen Willensentscheidung beziehungsweise zur Artikulation einer solchen fähig ist. Unter diesen Umständen kann nicht gesagt werden, daß sie durch ihre Betreuung im Haus der Barmherzigkeit beziehungsweise durch die Besuche ihres Vaters allein im Sinne des § 273 Abs 2 ABGB in die Lage versetzt werden könnte, ihre Angelegenheiten im erforderlichen Ausmaß zu besorgen. Sie bedarf vielmehr nach wie vor eines Sachwalters nicht nur zur Verwaltung ihres (allerdings geringfügigen) Vermögens, sondern auch zur Sicherstellung der erforderlichen Personensorge (§ 282 2. Satz ABGB). Gerade im letztgenannten Punkt ist nicht zu übersehen, daß die Kurandin ohne die Bestellung eines Sachwalters nicht einmal in der Lage wäre, ihre eigenen Belange gegenüber der Institution, in der sie untergebracht ist und gegenüber dem Fürsorgeträger zu vertreten.
Unter diesen Umständen hat aber das Rekursgericht durchaus mit Recht die Beendigung der Sachwalterschaft abgelehnt.
Dem Amtsrekurs des Erstrichters mußte daher ein Erfolg versagt bleiben.
Anmerkung
E05652European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1985:0080OB00543.85.0418.000Dokumentnummer
JJT_19850418_OGH0002_0080OB00543_8500000_000