Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 30.April 1985 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, Dr. Walenta, Dr. Schneider (Berichterstatter) und Dr. Felzmann als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Köhl als Schriftführers in der Strafsache gegen Kurt A wegen des Verbrechens des versuchten Diebstahls durch Einbruch nach den §§ 15, 127 Abs. 1, 129 Z. 1 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengerichtes vom 7.November 1984, GZ. 12 b Vr 10592/84-19, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokuraturs, des Generalanwaltes Dr. Rzeszut, und des Verteidigers Dr. Scheed, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Gemäß dem § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 22.Jänner 1958 geborene, zuletzt beschäftigungslos gewesene Büromaschinenmechaniker Kurt A des Verbrechens des versuchten Diebstahls durch Einbruch nach den §§ 15, 127
Abs. 1, 129 Z. 1 StGB sowie des teils vollendeten, teils versuchten Vergehens nach dem § 16 Abs. 1 Z. 2 SuchtgiftG und § 15 StGB schuldig erkannt. Ihm liegt zur Last, in Wien 1. am 14.September 1984 versucht zu haben, fremde bewegliche Sachen, nämlich sechs Packungen Paracodin-Tropfen im Werte von zumindest 200 S, dem Mag. Helmut B durch Einbruch mit dem Vorsatz wegzunehmen, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern;
2. von Mitte August bis 14.September 1984 unberechtigt Suchtgifte, und zwar Paracodin-Tropfen und einen Joint Haschisch, erworben und besessen sowie am 14.September 1984 versucht zu haben, sechs Packungen Paracodin-Tropfen unberechtigt zu (erwerben und zu) besitzen.
Der Angeklagte bekämpft dieses Urteil mit einer auf § 281 Abs. 1 Z. 5, 8
und 9 (zu ergänzen: lit. a) StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, die ausschließlich gegen den Schuldspruch zum Urteilsfaktum 2. (Vergehen nach dem § 16 Abs. 1 Z. 2 SuchtgiftG und § 15 StGB) gerichtet ist.
Zum erstangeführten Nichtigkeitsgrund macht der Angeklagte zunächst geltend, das angefochtene Urteil lasse Feststellungen über die (chemische) Zusammensetzung der Paracodin-Tropfen und solcherart eine zureichende Begründung für die Annahme vermissen, daß dieses Präparat als Suchtgift im Sinn des Suchtgiftgesetzes zu beurteilen sei. Mit diesem Einwand bringt er allerdings nicht den von ihm angerufenen Nichtigkeitsgrund, sondern jenen der Z. 9 lit. a des § 281 Abs. 1 StPO zur Ausführung:
Rechtliche Beurteilung
Denn der Ausspruch darüber, ob ein bestimmter Stoff (vorliegend Paracodin) unter den Suchtgiftbegriff des § 1 Abs. 1 SuchtgiftG fällt oder nicht, ist nicht die Konstatierung eines Tatumstandes, sondern die Lösung einer Rechtsfrage. Die dem Erstgericht vorgeworfene Vernachlässigung der chemischen Konsistenz des tatgegenständlichen Präparates läuft mithin der Sache nach auf die Geltendmachung eines Feststellungsmangels hinaus, der nach Meinung des Beschwerdeführers eine erschöpfende materiellrechtliche Beurteilung verhindert.
Die Rüge versagt.
Unter Suchtgiften im Sinn des § 1 Abs. 1 SuchtgiftG. werden nämlich (alle) Stoffe und Zubereitungen verstanden, die durch die Einzige Suchtgiftkonvention (BGBl. 531/1978) Beschränkungen in der Erzeugung (Gewinnung und Herstellung), im Besitz oder Verkehr, ferner in der Ein-, Aus- und Durchfuhr, der Gebarung oder Anwendung unterworfen sind. Diese Voraussetzung trifft aber nicht nur auf das im Anhang II der Einzigen Suchtgiftkonvention ausdrücklich als Suchtgift bezeichnete Codein, sondern laut Anhang III u.a. auch auf Zubereitungen von Codein zu: Unter den als Suchtgift zu beurteilenden Stoffen sind im Anhang III der Suchtgiftverordnung 1979 (BGBl. 390/1979) auch die pharmazeutischen Zubereitungen von Codein angeführt, die je Einzeldosis nicht mehr als 100 mg Suchtgift oder 2,5 % in unaufgeteilten Dosen enthalten, während Zubereitungen mit höherer Suchtgiftkonzentration sowie Codein (3-o-Methylmorphin) selbst im Anhang II aufscheinen. Um eine unter den gesetzlichen Suchtgiftbegriff fallende Form pharmazeitischer Zubereitung von Codein handelt es sich aber bei Paracodin (vgl. 9 Os 157/80; siehe auch Kisser in RZ 1973; insbesondere S. 150, linke Spalte unten), wobei es an jedweden konkreten Anhaltspunkten dafür fehlte, daß die urteilsgegenständlichen, zumindest im (allein analysierbaren) sichergestellten Teil dem Vorratskontingent einer Apotheke entstammenden Paracodin-Tropfen einen im Vergleich zur herkömmlichen pharmazeutischen Zubereitung atypisch geringen (geradezu verschwindenden) Codeinanteil aufwiesen.
Der Beschwerdevorwurf, es mangle an den für eine erschöpfende Beurteilung der Suchtgiftqualität des in Rede stehenden Codeinpräparates erforderlichen Tatsachenfeststellungen wurde demzufolge zu Unrecht erhoben. Die Mängelrüge kann auch auf sich beruhen, soweit sie auf die beim Angeklagten sichergestellte Zigarettenschachtel mit (dem äußeren Anschein nach) Cannabisgras (vgl. S. 11, 18, 29) Bezug nimmt. Der Beschwerdeführer übersieht nämlich, daß dieses Sicherstellungsobjekt gar nicht Gegenstand des angefochtenen Schuldspruchs ist.
Entgegen der im Rahmen der Mängelrüge weiters vertretenen Auffassung kann auch davon keine Rede sein, daß dem Ausspruch über die Verwahrung der vom Angeklagten in der Nacht zum 14.September 1984 erworbenen und konsumierten Haschischzigarette Undeutlichkeit in der Bedeutung des angerufenen Nichtigkeitsgrundes anhafte. Der vom Erstgericht in diesem Zusammenhang unmißverständlich als erwiesen angenommene, nach § 16 Abs. Z. 2 SuchtgiftG tatbildliche Besitz des Suchtgiftes ergibt sich nämlich zwangsläufig als Erwerb und Konsum verbindendes Zwischenstadium.
Das Vorbringen zur Mängelrüge unter Bezugnahme auf die Ausführungen des gerichtsmedizinischen Sachverständigen über die Entwicklung der Drogenabhängigkeit des Angeklagten läßt eine Argumentation in Richtung des behaupteten formalen Begründungsmangels vermissen. Nicht gefolgt werden kann dem Angeklagten auch, wenn er zum Schuldspruch im Urteilsfaktum 2. wegen (teils versuchten) Erwerbes und Besitzes von Paracodin-Tropfen eine Anklageüberschreitung im Sinn des § 281 Abs. 1 Z. 8 StPO behauptet. Gegenstand der Anklage bildet stets die Beteiligung des Angeklagten an einem bestimmten tatsächlichen Ereignis, das irgendeinen nach Ansicht des Anklägers strafbaren Erfolg nach sich zog (vgl. Mayerhofer-Rieder 2 , E.Nr. 1 bis 3 zu § 262 StPO). Vorliegend umfaßt der (zu den Anklagefakten 1. und 2.) inkriminierte Sachverhalt den in der Nacht zum 14.September 1984 versuchten Diebstahl von Paracodin-Tropfen durch Einbruch in eine Apotheke und den dieser Tathandlung (während eines in der Anklageschrift ausdrücklich nicht näher konkretisierten Zeitraums) vorausgegangenen Suchtgiftmißbrauch des Angeklagten. An diesen Sachverhalt, nicht aber an dessen rechtliche Beurteilung durch den Ankläger war das erkennende Gericht bei der Urteilsfällung gebunden. Die Frage, ob Paracodin unter den gesetzlichen Suchtgiftbegriff fällt (oder nicht), betrifft nun ausschließlich die rechtliche Beurteilung:
Unbeschadet des Umstandes, daß der Anklage die rechtsirrige Auffassung zugrundelag, Paracodin sei nicht als Suchtgift nach § 1 Abs. 1 SuchtgiftG anzusehen, war es dem Gericht also keineswegs (auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer überschreitung der Anklage) verwehrt, auch das mit dem versuchten Einbruchsdiebstahl in echter (ungleichartiger) Tateinheit zusammentreffende Suchtgiftdelikt dem Gesetz entsprechend wahrzunehmen. Sinngemäß gilt dies auch für jenes vom Schuldspruch zum Urteilsfaktum 2.
erfaßte Paracodin, das mit dem Apothekeneinbruch nicht im Zusammenhang steht.
Die in der Frage der Tatmodalitäten weitgehend undeterminierte Fassung des Anklagesatzes zum Faktum 2. und die solcherart hinreichend verdeutlichte umfassende Inkriminierung des Suchtgiftmißbrauchs (während der letzten Wochen) vor der Verhaftung eröffnete dem Gericht auch hier die Möglichkeit, die Drogenkontakte des Angeklagten in rechtlicher Hinsicht abweichend von der Anklage (rechtsrichtig) zu qualifizieren.
In Ausführung der Rechtsrüge gemäß § 281 Abs. 1 Z. 9 (lit. a) StPO wiederholt der Angeklagte nur den bereits zur Mängelrüge vorgebrachten Einwand der mangelnden Suchtgiftqualität von Paracodin. Die für die Widerlegung dieses Beschwerdestandpunktes maßgebenden Erwägungen wurden bereits dargetan.
Da somit keiner der Rügen Berechtigung zukommt, war die Nichtigkeitsbeschwerde zu verwerfen.
Das Landesgericht verhängte über den Angeklagten nach dem § 129 StGB unter Bedachtnahme auf den § 28 StGB eine Freiheitsstrafe in der Dauer von 18 Monaten. Es wertete bei der Strafbemessung den überaus raschen Rückfall, das (durch Vorstrafen) getrübte Vorleben des Angeklagten und das Zusammentreffen eines Verbrechens mit einem Vergehen als erschwerend, hingegen als mildernd das volle und reumütige Geständnis, die schwere Süchtigkeit des Angeklagten, die eine gewisse Enthemmung verursachte, den Umstand, daß es teilweise beim Versuch geblieben war sowie den geringen Wert der in Aussicht genommenen Diebsbeute.
Mit seiner Berufung strebt der Angeklagte die Herabsetzung der Freiheitsstrafe und die Einweisung in eine Anstalt für entwöhnungsbedürftige Rechtsbrecher (§ 22 StGB) an.
Der Berufung kommt keine Berechtigung zu:
Das Erstgericht stellte die Strafzumessungsgründe richtig und vollständig fest. Es unterzog sie - auch unter Berücksichtigung der allgemeinen Strafbemessungsnormen (§ 32 StGB) und der spezialpräventiven Belange - einer zutreffenden Würdigung. Der Meinung des Berufungswerbers zuwider beurteilte das Schöffengericht auch die schwere Drogenabhängigkeit und alle damit zusammenhängenden, für das Strafverfahren bedeutsamen Umstände, wie Behandlung während der Haft und Besserungswillen, hinreichend im Sinn des vorstehend erwähnten, die Drogenabhängigkeit ausdrücklich hervorhebenden Milderungsgrundes.
Die vom Landesgericht verhängte Freiheitsstrafe erweist sich somit nicht als reduktionsbedürftig.
Das Begehren des Angeklagten, im Berufungsweg seine Einweisung in eine Anstalt für entwöhnungsbedürftige Rechtsbrecher gemäß dem § 22 StGB auszusprechen, ist - abgesehen davon, daß die Voraussetzungen hiefür nicht vorliegen, wie das Erstgericht zutreffend begründete (siehe insbesondere S. 117) - nicht zum Vorteil des Rechtsmittelwerbers ausgeführt.
Aus den dargelegten Gründen war auch der Berufung ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die im Urteilsspruch zitierte Gesetzesstelle.
Anmerkung
E05685European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1985:0110OS00033.85.0430.000Dokumentnummer
JJT_19850430_OGH0002_0110OS00033_8500000_000