TE OGH 1985/5/7 2Ob544/85

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Veröffentlicht am 07.05.1985
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kralik, Dr.Melber, Dr.Huber und Dr.Egermann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Gabriele A, Hausfrau, 1130 Wien, Fasangartensiedlung 13/1, vertreten durch Dr.Christian Prem, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei STADT WIEN, 1082 Wien, Rathaus, vertreten durch den Bürgermeister, dieser vertreten durch Dr.Wolfgang Mayer, Rechtsanwalt in Wien, wegen 50.000 S s.A. bzw. 86.000 S s.A, infolge Revision der klagenden und der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 6.Dezember 1984, GZ 15 R 242/84-46, womit infolge Berufung der klagenden und der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 19.Juni 1984, GZ 22 Cg 464/81- 39, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluß gefaßt:

Spruch

Beiden Revisionen wird Folge gegeben.

Die unterinstanzlichen Urteile werden aufgehoben; die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die Klägerin fordert von der beklagten Partei als Spitalserhalter des Krankenhauses der Stadt Wien - Lainz ein Schmerzengeld in der Höhe von 150.000 S mit der Behauptung, dem ärztlichen Personal dieses Krankenhauses seien bei Behandlung ihrer anläßlich eines Unfalles erlittenen Verletzungen Kunstfehler unterlaufen, wodurch sie mit fünf Operationen verbundene Komplikationen und jahrelange Behinderungen erlitten habe und für welche die beklagte Partei hafte.

Die beklagte Partei beantragte Klagsabweisung, weil die Behandlung der Klägerin vollkommen sachgerecht und mängelfrei durchgeführt worden sei und kein Zusammenhang zwischen dieser Behandlung und den von der Klägerin behaupteten Komplikationen bestehe. Das Erstgericht sprach der Klägerin einen Betrag von 80.000 S s.A zu und wies das Mehrbegehren ab.

Das Berufungsgericht gab der auf Abweisung eines weiteren Teilbetrages von 66.000 S gerichteten Berufung der beklagten Partei nicht, dagegen der auf volle Klagsstattgebung gerichteten Berufung der Klägerin teilweise Folge. Es sprach ihr einen weiteren Teilbetrag von 20.000 S unter Abweisung des Mehrbegehrens zu und erklärte die Revision für zulässig.

Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes wenden sich die auf den Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützten Revisionen beider Parteien. Die Klägerin beantragt die Abänderung des angefochtenen Urteils im Sinne einer vollen Klagsstattgebung sowie hilfsweise die Urteilsaufhebung. Die beklagte Partei beantragt die Abänderung dahin, daß das über den rechtskräftigen Zuspruch von 14.000 S hinausgehende Klagebegehren abgewiesen werde.

In ihren Revisionsbeantwortungen beantragen die Parteien jeweils, der Revision des Prozeßgegners nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revisionen sind im Sinne der Aufhebung der unterinstanzlichen Urteile und der Rückverweisung der Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung gerechtfertigt.

Den unterinstanzlichen Entscheidungen liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Die Klägerin wurde am 30.Dezember 1978 von ihrem PKW gegen eine Garagentüre gedrückt und erlitt hiedurch einen Bruch des rechten Oberschenkels, einen Bruch des oberen und unteren Schambeinastes sowie einen Bruch des vierten Fingers rechts. Nach ihrer Einlieferung ins Krankenhaus der Stadt Wien - Lainz wurde der Oberschenkelbruch und die Verletzung des Ringfingers rechts erkannt und der Oberschenkelbruch in typischer Behandlungsart mit einem Streckverband sowie auch die Fingerwunde versorgt.

Als Folge der Unfallsverletzungen kam es sodann zu einer ausgeprägten Schocksymptomatik mit gehirnmäßiger und lungenmäßiger Fettembolie. Nach derzeit herrschender medizinischer Lehre wäre im Krankenhaus Lainz eine entsprechende Schockbehandlung der Klägerin notwendig gewesen. Eine intensive Schockbehandlung nach Oberschenkelschaftfrakturen und nach Beckenfrakturen ist auch eine derzeit übliche Behandlung. Wegen des Unterbleibens der notwendigen Schockbekämpfung kam es zum Auftreten des Schocklungensyndroms und zu einer Fettembolie, die am 4.Jänner 1979 eine Verlegung der Klägerin an die Intensivabteilung der I. Chirurgischen Universitätsklinik des Allgemeinen Krankenhauses der Stadt Wien notwendig machte. In dieser Intensivabteilung wurde die Klägerin in der Zeit vom 4. bis 11.Jänner 1979 wegen der Schocksymptomatik behandelt und schließlich am 15.Jänner 1979 eine Marknagelung am Oberschenkel vorgenommen. Wäre bereits im Krankenhaus Lainz eine adäquate Schockbehandlung erfolgt, wäre diese Marknagelungs-Operation mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit am zweiten oder dritten Tag nach dem gegenständlichen Unfall vorgenommen worden. Wegen der Schocksymptomatik mußte die Klägerin qualvolle Schmerzen während der Dauer von drei bis vier Tagen und sodann anschließend bis zur Durchführung des operativen Eingriffes am 15. Jänner 1979 starke Schmerzen erdulden. Nach Durchführung der Marknagelung kam es zu einer sogenannten Frühinfektion (Eiterung im Bereich der Operationsstelle), die am 27.Jänner 1979 eine neuerliche Operation notwendig machte. Bei diesem Eingriff wurde die Bruchstelle nochmals geöffnet und die Eiterung versorgt. Weiters wurde der Marknagel ausgetauscht. Nach Abklingen der Infektion wurde die Klägerin am 22.Februar 1979 nach Hause entlassen. Am 6.März 1979 erfolgte die neuerliche stationäre Aufnahme, weil im Operationsbereich Schmerzen und äußerlich sichtbare Rötungen der Haut (Entzündungszeichen) aufgetreten waren. Am 9.März 1979 wurde die Klägerin neuerlich operiert und eine aufgetretene eitrige Entzündung versorgt. Da nunmehr auf der Hand lag, daß sich die Infektionsstelle im Bereiche der Bruchstelle befand, war es medizinisch nicht möglich, die Infektion vor Entfernung des Marknagels zu beseitigen und mußte auf ihre Ausheilung bis zur Abheilung des Knochenbruches und daran anschließend bis zur Marknagelentfernung zugewartet werden. Nach dem operativen Eingriff vom 9.März 1979 bildete sich bei der Klägerin noch eine Fistel (Flüssigkeitsabsonderungskanal). Die Marknagelungentfernung erfolgte am 17.Oktober 1979; am 17.November 1979 wurde die Klägerin nach Hause entlassen.

Zu diesem Zeitpunkt war der Bruch geheilt, bestand keine Fistelbildung mehr und war nach klinischen Gesichtspunkten die Entzündung abgeklungen. Während ihres Aufenthaltes in der Intensivstation war die Klägerin bis zum 8.Jänner 1979 durch Einführung eines Rohres in die Luftröhre maschinell künstlich beatmet worden. Die Nahrungsversorgung erfolgte intravenös oder durch eine Magensonde. Aus immunologischer Sicht steht fest, daß schwere Unfälle mit Knochenbrüchen zur Beeinträchtigung der körperlichen Abwehrleistung führen.

Ein Aufenthalt auf einer Intensivstation, die Notwendigkeit der Anwendung bestimmter Geräte (Venenkatheder, Beatmungsgeräte) können das Eindringen von Erregern in den Körper des Patienten ebenfalls begünstigen. Schockzustände führen zur Abnahme von unspezifischen sowie auch spezifischen Abwehrleistungen. Schock und Aufenthalt an der Intensivstation erscheinen vorliegendenfalls als alleinige Ursachen für eine mögliche Abwehrschwäche unwahrscheinlich, möglich ist jedoch eine zusätzliche Beeinträchtigung der bereits durch den Unfall geschwächten körpereigenen Abwehrfunktionen (siehe Sachverständigen-Gutachten S 109). Aus unfallchirurgischer Sicht ist davon auszugehen, daß es durch einen schweren Schockzustand zu einer allgemeinen immunologischen Abwehrschwäche des Patienten kommen kann. In einem solchen Zustand vorgenommene notwendige operative Eingriffe sind mit einem erhöhten Infektionsrisiko verbunden. Vorliegendenfalls wurde die postoperative Infektion durch den operativen Vorgang hervorgerufen. Das Infektionsrisiko war durch den geschwächten Zustand der Klägerin, durch den Schockzustand und durch die ausgelöste immunologische Abwehrschwäche wesentlich erhöht.

Wörtlich festgestellt wurde auf Seite 8 des Urteiles: 'Das Verhältnis der Ursache der Infektion ist vorliegendenfalls zu 50 % als Operationsrisiko und zu 50 % auf die verminderte Abwehrschwäche der Klägerin zurückzuführen, aufzuteilen'. Bei Knochenoperationen beträgt, weltweit statistisch erwiesen, die Wahrscheinlichkeit einer postoperativ auftretenden Infektion zwischen 2 bis 6 %. Insgesamt mußte die Klägerin unter Berücksichtigung des Umstandes, daß 50 % der Schmerzen auf das normale Operationsrisiko entfallen, an 8 Tagen starke Schmerzen, an 18 Tagen mittelstarke Schmerzen und an 70 Tagen geringgradige Schmerzen erdulden, wobei dieser Schmerzenanteil der unterbliebenen Schockbehandlung anzulasten ist.

In seiner rechtlichen Beurteilung vertrat das Erstgericht die Ansicht, dem örzteteam des Krankenhauses der Stadt Wien - Lainz sei durch die Unterlassung der Schockbehandlung der Klägerin ein im Sinne des § 1299 ABGB anzulastender Kunstfehler unterlaufen, welchen die beklagte Partei als Spitalerhalter zu vertreten habe. Soweit diese ihre Haftung für die nach dem operativen Eingriff vom 15. Jänner 1979 aufgetretenen Komplikationen und Schmerzen ablehne, sei auf die Ergebnisse des Beweisverfahrens hinzuweisen, nach welchen 'mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Kausalzusammenhang zwischen der unterbliebenen Schockbehandlung und den Folgebeschwerden der Klägerin gegeben sei'. Dem vom unfallchirurgischen Sachverständigen vorgenommenen 'Splitting' komme zweifellos Berechtigung zu. Unter Berücksichtigung dieser Aufteilung sowie unter Berücksichtigung des gesamten Leidensweges der Klägerin erweise sich vorliegendenfalls ein Schmerzengeldanspruch von 80.000 S als angemessen.

Das Berufungsgericht hielt die erstgerichtlichen Feststellungen für unbedenklich. In rechtlicher Hinsicht führte es aus, die Haftungsgrundlage liege vorliegendenfalls in dem zwischen den Parteien geschlossenen Behandlungsvertrag und den sich aus § 1299 ABGB ergebenden Pflichten.

Demgemäß hafte die beklagte Partei zwar für jedes Verschulden des die Behandlung durchführenden Personals, doch bestimme § 1298 ABGB nur eine Beweislast für das Verschulden, nicht auch für den Kausalzusammenhang, welchen der Geschädigte zu beweisen habe. Nach Lehre und Rechtsprechung genüge es jedoch, daß der Geschädigte einen prima facie-Beweis führe und obliege es sodann dem Schädiger, der seine Haftungsbefreiung erreichen wolle, diesen Beweis dadurch zu entkräften, daß er eine andere Ursache als zumindest ebenfalls wahrscheinlich aufzeige. Eine solche Entkräftung des prima facie-Beweises sei aber im vorliegenden Fall nicht gegeben, soweit 'das Verhältnis der Ursache der Infektion ..... zu 50 % als Operationsrisiko und zu 50 % auf die (infolge der Fehlbehandlung) verminderte Abwehrschwäche der Klägerin zurückzuführen' sei. Somit handle es sich hier um den Fall, daß einerseits möglicherweise ein Dritter in zurechenbarer Weise den Schaden verursacht habe, andererseits ein vom Geschädigten zu tragendes Ereignis möglicherweise den Schaden herbeigeführt haben könne, aber nicht eindeutig feststellbar sei, welches der beiden Ereignisse tatsächlich als kausal angesehen werden müsse. Nach neuerer Auffassung habe in diesem Sonderfall der alternativen Kausalität - alternative Konkurrenz von Haftungsgrund und Zufallsereignis - dem Rechtsgedanken des § 1304 ABGB entsprechend der Geschädigte einen Teil des Schadens ersetzt zu bekommen. Nur auf diese Weise lasse sich vermeiden, daß der rechtswidrig und schuldhaft handelnde Täter voll entlastet werde, weil noch eine gewisse Möglichkeit bestehe, daß das Schadensereignis durch einen nicht von ihm zu vertretenden Zufall herbeigeführt worden sei; daß aber auch umgekehrt der Geschädigte vollen Ersatz bekomme, obwohl die Kausalität des Verhaltens des Täters nicht einmal prima facie nachgewiesen worden sei (Bydlinski, FS Beitzke 1979, 30 ff; Koziol Haftpflichtrecht 2 I 69 f). Das vom Sachverständigen vorgeschlagene 'Splitting' der Schmerzperioden, welches vom Erstgericht lediglich mit der Begründung übernommen worden sei, daß ihm vorliegendenfalls zweifellos Berechtigung zukomme, halte somit auch rechtlicher Nachprüfung stand. Die von beiden Parteien aufgeworfene Frage der Adäquanz könne hier allerdings nicht zweifelhaft sein. Diese liege jedenfalls dann vor, wenn durch das Schadensereignis, also hier den Kunstfehler, die objektive Möglichkeit eines Erfolges von der Art des eingetretenen, nämlich Schmerzen infolge des dadurch ungünstig beeinflußten Heilungsverlaufes, generell in nicht unerheblicher Weise erhöht werde. Daß dies zutreffe, ergebe sich eindeutig aus dem eingeholten Sachverständigengutachten. Bei Bemessung des Schmerzengeldes seien Schwere und Umfang der Schmerzen während des verlängerten Heilungsverlaufes zu berücksichtigen sowie auch die Schmerzen, welche durch die nicht rechtzeitig vorgenommene Bekämpfung des Schocks erlitten worden seien. Insgesamt erscheine ein Schmerzengeld in der Höhe von 100.000 S angemessen. In ihrer Revision führt die Klägerin aus, eine Entkräftung des von ihr erbrachten prima facie-Beweises durch die beklagte Partei sei nicht erfolgt, weil das Operationsrisiko als Ursache für die Infektion statistisch nur 2 bis 6 % betrage und die Klägerin also bei ordnungsgemäßer Versorgung nur mit einem sehr geringen Wahrscheinlichkeitsgrad infiziert worden wäre. Somit könne aber von einer 'gleichwertigen Wahrscheinlichkeit' dieser möglichen Ursache mit jener der durch die schuldhaft unterlassene Schockbehandlung gegebenen 'wesentlich erhöhten immunologischen Abwehrschwäche' nicht die Rede sein.

Voraussetzung für die Annahme der Widerlegung des prima facie-Beweises sei es jedoch, daß eine andere, zumindest ebenso wahrscheinliche Ursache aufgezeigt werde.

In der Revision der beklagten Partei wird der Standpunkt vertreten, eine Schadensteilung im Falle einer alternativen Konkurrenz von Haftungsgrund und Zufallsereignis, wie sie das Berufungsgericht angenommen habe, käme auf der Grundlage des geltenden Rechtes überhaupt nicht in Betracht. Bydlinskis Auffassung bedeute, daß ein schuldhaft handelnder Täter immer zur Schadenersatzleistung heranzuziehen sei, auch wenn der Schade in Wahrheit auf ein Zufallsereignis zurückzuführen sei. Nach den Regeln der Wahrscheinlichkeit werde dies in 50 % aller Fälle alternativer Konkurrenz von Haftungsgrund und Zufallsereignis zutreffen. Ein solches Ergebnis sei mit zwei wichtigen Grundsätzen des Schadenersatzrechtes unvereinbar, nämlich dem Grundsatz, daß kein Schadenersatz ohne Verschulden zu leisten sei (§ 1295 ABGB) und dem (auch allgemein gültigen) Grundsatz, daß jeder Fordernde seinen Anspruch auch nachzuweisen habe. Daß mangels ausreichenden Nachweises (eines Verschuldens) ein Anspruch nicht durchgesetzt werden könne, sei im Einzelfall sicher unbefriedigend, müsse aber in Anbetracht der Bedeutung und Wichtigkeit der beiden genannten Grundsätze zurücktreten und in Kauf genommen werden. Eine Schadensteilung nach § 1302 ABGB setze voraus, daß sowohl den Schädiger als auch den Geschädigten ein Verschulden treffe; die Aufteilung erfolge nach dem jeden der beiden zur Last fallenden Verschulden. Der in dieser Gesetzesbestimmung enthaltene Grundsatz spreche eindeutig gegen die Thesen Bydlinskis, und zwar schon deshalb, weil ein Verschulden des Geschädigten bei einem Zufall nicht gegeben sei und ein Verschulden des Schädigers nicht feststehe. Es stelle sich hier also die Frage, wie dann eine sachgerechte verhältnismäßige Teilung des Schadens überhaupt erfolgen sollte. Eine analoge Anwendung bestehender Vorschriften des Schadenersatzrechtes scheide - wie Bydlinski selbst einräume - aus. Eine Rechtsfortbildung, welcher schon wegen ihrer Kollision mit bedeutenden Grundsätzen der bestehenden Rechtsordnung eine erhebliche Bedeutung zuzumessen sei, könne daher nur - wie Bydlinski in JBl 1959, 1 ff, richtig ausgeführt habe - de lege ferenda vorgenommen werden, eine Änderung der Rechtsprechung könne dafür nicht als zulässig erachtet werden.

Zur Revision der klagenden Partei:

Das Erstgericht traf die Feststellung, das 'Verhältnis der Ursache der Infektion' sei vorliegendenfalls 'zu 50 % als Operationsrisiko und zu 50 % auf die verminderte Abwehrschwäche der Klägerin zurückzuführen'. Im Rahmen seiner rechtlichen Beurteilung führte es sodann aber aus (Seite 11 des Urteiles), 'das Beweisverfahren hat ergeben, daß mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Kausalzusammenhang zwischen der unterbliebenen Schockbehandlung und den Folgebeschwerden der Klägerin gegeben ist'.

Auf Grund dieser - widersprüchlichen - Erklärungen allein ohne exakte Feststellung bleibt es insgesamt unklar, ob das Erstgericht den natürlichen Kausalzusammenhang zwischen der unterbliebenen Schockbehandlung und der für die Folgebeschwerden maßgeblichen Infektion der Klägerin bejaht hat oder nicht. Das Berufungsgericht ging auf diese Frage und auch auf die Beweisrüge der beklagten Partei, wonach ein solcher natürlicher Kausalzusammenhang nicht erwiesen sei, nicht ein, sondern faßte die erstgerichtlichen Ausführungen ausschließlich dahin auf, daß die Ursache für die Infektion der Klägerin mit 50 %iger Wahrscheinlichkeit in der Operation als solcher und mit gleicher Wahrscheinlichkeit in der infolge der Fehlbehandlung 'verminderten Abwehrschwäche' der Klägerin gelegen sein könnte.

Eine eindeutige Klarstellung dahin, ob der natürliche Kausalzusammenhang zwischen der unterlassenen Schockbehandlung und der Infektion von den Tatsacheninstanzen bejaht oder verneint wird, ist aber für die Beurteilung des Schadenersatzanspruches der Klägerin - siehe die späteren Ausführungen - jedenfalls erforderlich. Damit erweist sich die Aufhebung der unterinstanzlichen Urteile unumgänglich. Bei dieser Klarstellung wird das Erstgericht darauf Bedacht zu nehmen haben, daß die Ausführungen des unfallchirurgischen Sachverständigen Dr. B in seinem Ergänzungsgutachten AS 116 'Im vorliegenden Fall kommt man daher zum Ergebnis, daß das Verhältnis der Ursache der Infektion zu 50 % auf die Operation, d.h.

auf den Unfall, und zu 50 % auf die verminderte Abwehrschwäche der Klägerin zurückzuführen ist', jedenfalls ihrem Wortlaut nach das Verhältnis der Mitverursachung der Infektion durch die (unrichtig: verminderte) erhöhte Abwehrschwäche der Klägerin angaben und nicht bloß das Verhältnis der Wahrscheinlichkeit einer Verursachung entweder durch die eine oder die andere dieser zwei in Frage kommenden Ursachen meinten. Wie das Gutachten diesbezüglich richtig aufzufassen ist, ob eine vorhandene erhöhte Abwehrschwäche tatsächlich gleichteilige Mitursache oder nur gleichermaßen mögliche Ursache war, kann nur durch ergänzende Einvernahme des Sachverständigen geklärt werden. Dieser hat sich bei seiner vorgenannten Ausführung auf das immunologische Sachverständigengutachten von Prof. E*** gestützt (ON 28). Letzteres hielt zwar einerseits die zunächst unterlassene Schockbehandlung und den deswegen sodann erforderlich gewordenen Aufenthalt auf der Intensivstation als alleinige Ursache für eine mögliche Abwehrschwäche der Klägerin für unwahrscheinlich (AS 109), jedoch eine hiedurch gegebene zusätzliche Beeinträchtigung der durch den Unfall geschwächten Abwehrfunktionen für möglich. Andererseits verwies dieses Gutachten aber ausdrücklich darauf, daß in den auf einer Intensivstation durchgeführten Behandlungsweisen ein zusätzliches Risiko liegt und sich bei wissenschaftlichen Untersuchungen gezeigt habe, daß etwa die Hälfte aller schweren Spitalsinfektionen mit der auf Intensivstationen erforderlichen Geräteanwendung in Verbindung stehen sowie weiters darauf, daß Schockzustände jedenfalls zu einer Beeinträchtigung der Abwehr führen. Aus diesem immunologischen Gutachten ergibt sich somit kein hinreichender Anhaltspunkt für die Beantwortung der Frage, ob der unfallchirurgische Sachverständige Dr. B eine tatsächlich gleichteilige Mitverursachung oder bloß eine mögliche und zwar gleichermaßen wahrscheinliche, Verursachung gemeint hat, weil beide Varianten ableitbar wären. Grundsätzlich ist jedenfalls in Betracht zu ziehen, daß nach den Erfahrungssätzen nicht bloß entweder die eine (Operationsrisiko) oder die andere (erhöhte Abwehrschwäche usw.) Ursache allein in Frage kommt, sondern daß beide Ursachen gleichzeitig und nebeneinander zum Ausbruch der Infektion beigetragen haben können - bei voller Abwehrfunktion wäre die drohende Infektion allenfalls letztlich doch abgewehrt worden - und solcherart eben Mitursachen darstellen.

Bei Mitverursachung der Infektion der Klägerin durch eine wegen der Fehlbehandlung erwiesenermaßen eingetretene immunologische Abwehrschwäche wäre die natürliche Kausalität der Fehlbehandlung der Klägerin für die eingetretene Infektion und damit aber zufolge unbestrittenen Vorliegens der übrigen erforderlichen Haftungsvoraussetzungen im Sinne der §§ 1299, 1313 a ABGB auch der Schadenersatzanspruch der Klägerin selbst grundsätzlich zu bejahen. Da die (Mit-)Verursachung aber entgegen der Ansicht der Revisionswerberin noch nicht feststeht, waren die unterinstanzlichen Urteile im Sinne ihres Hilfsantrages aufzuheben und dem Erstgericht die Klärung der Frage der natürlichen Kausalität hinsichtlich der an der Klägerin aufgetretenen Infektion und sodann die neuerliche Entscheidung der Rechtssache aufzutragen.

Zur Revision der beklagten Partei:

Nach den vorstehenden Darlegungen läßt das erstgerichtliche Urteil nicht die vom Berufungsgericht zugrundegelegte Annahme zu, das Erstgericht habe zwar den Nachweis des natürlichen Kausalzusammenhanges vorliegendenfalls als nicht erbracht angesehen, wohl aber zwei mögliche und gleichermaßen wahrscheinliche Ursachen für die Infektion festgestellt. Der Rechtsrüge der beklagten Partei kommt daher schon wegen des diesbezüglichen Feststellungsmangels ebenfalls Berechtigung zu. Ob sich die vom Berufungsgericht behandelte Rechtsfrage des Bestehens eines Ersatzanspruches bei Zusammentreffen eines Haftungsgrundes mit einem Zufallsereignis letztlich stellen wird, kann derzeit allerdings noch nicht gesagt werden. Dennoch erscheint es vorliegendenfalls zweckmäßig, auf Grund der Rechtsrüge der beklagten Partei, in welcher die diesbezügliche berufungsgerichtliche Auffassung bekämpft wird, auf diese Frage und die auf die Lehre Bydlinskis gestützten berufungsgerichtlichen Ausführungen wie folgt einzugehen:

Gemäß § 1295 Abs 1 ABGB ist jedermann berechtigt, vom Beschädiger den Ersatz des Schadens zu fordern, welchen dieser ihm aus Verschulden zugefügt hat. Ein Schadenersatzanspruch setzt nach dieser Gesetzesstelle somit grundsätzlich die Verursachung des Schadens durch den Schädiger voraus. Der natürliche Kausalzusammenhang zwischen der Handlung des Schädigers und dem Schadenserfolg muß daher erwiesen sein. Dieser Beweis ist nach Lehre und Rechtsprechung grundsätzlich vom Beschädigten zu führen. Mangels eines solchen Nachweises - die Feststellung, daß ein solcher Beweis des natürlichen Kausalzusammenhanges erbracht sei oder nicht, bildet eine vor dem Obersten Gerichtshof irrevisible Tatsachenfeststellung - ist die Klage abzuweisen.

Spricht ein typischer Geschehensablauf für die Wahrscheinlichkeit einer bestimmten Schadensursache, kann nach der Rechtsprechung hierin ein prima facie-Beweis des Geschädigten erblickt werden (RZ 1983/14; EvBl 1983/120;

JBl 1985, 36; 8 Ob 190/80 u.a.); dieser kann von dem als Schädiger in Anspruch genommenen aber dadurch entkräftet werden, daß er eine andere Schadensursache ebenfalls als wahrscheinlich aufzeigt. Grundsätzlich trägt somit jedenfalls der Geschädigte die Beweislast für die Verursachung des Schadens durch den von ihm in Anspruch genommenen vermeintlichen Schädiger; dies gilt auch nach § 1298 ABGB (SZ 52/15;

SZ 55/53 u.a.). Einen Sonderfall eines Schadenersatzanspruches regeln die Bestimmungen der §§ 1301 und 1302 ABGB. Danach können für einen widerrechtlich zugefügten Schaden mehrere Personen verantwortlich werden, wenn sie gemeinschaftlich, unmittelbar oder mittelbarer Weise, durch Verleiten, Drohen, Befehlen, Helfen, Verhehlen udgl., oder auch nur durch Unterlassung der besonderen Verbindlichkeit, das übel zu verhindern, dazu beigetragen haben. In einem solchen Falle verantwortet, wenn die Beschädigung in einem Versehen gegründet ist und die Anteile sich bestimmen lassen, jeder nur den durch sein Versehen verursachten Schaden. Wenn aber der Schaden vorsätzlich zugefügt worden ist oder wenn die Anteile der einzelnen an der Beschädigung sich nicht bestimmen lassen, so haften alle für einen und einer für alle; doch bleibt demjenigen, welcher den Schaden ersetzt hat, der Rückersatz gegenüber den übrigen vorbehalten.

In diesem Sonderfalle sogenannter alternativer Kausalität hat der Gesetzgeber den Schadenersatzanspruch also ohne Beweis dafür gewährt, daß eine bestimmte (oder mehrere bestimmte) der mehreren im Kausalitätsverdacht stehenden Personen Schadensverursacher war (waren). Bydlinski vertritt nun die Auffassung (JBl 1959, 13; Probleme der Schadensverursachung nach deutschem und österreichischem Recht, 1964, 89; Festschrift Beitzke, 1979, 30 ff), die Regelung der §§ 1301 und 1302 ABGB betreffend die Schadenersatzpflicht bei Verursachung durch solche konkurrierende schuldhafte Handlungen lege eine ähnliche Regelung bei Konkurrenz einer schuldhaften Handlung als möglicher Ursache mit dem Zufall als Ursache nahe. Die positive Rechtsordnung habe sich zwar aus bestimmten Wertungsgründen - beim Zusammentreffen mehrerer schuldhaft Handelnder stehe fest, daß der Schaden aus einem Verschulden herrühre und daher dem Beschädigten Ersatz gebühre, im anderen Falle sei es aber möglich, daß der Schaden durch Zufall entstanden sei und daher in den Risikobereich des Beschädigten falle (§ 1311 ABGB) - nicht für eine solche Regelung entschieden. Im Hinblick darauf, daß auf dem Weg über das Beweisrecht nunmehr auch bereits die mögliche Kausalität als haftungsbegründend anerkannt werde, lasse sich indes in legitimer Fortbildung des geltenden materiellen Rechts aus den vorgenannten Bestimmungen die allgemeine Regel entwickeln, daß bereits die mögliche Kausalität ein Haftungselement sei und eine solche mögliche Kausalität auch beim Zusammentreffen eines Haftungsgrundes mit einem Zufallsereignis als möglicher Schadensursache für die Zuerkennung eines Schadenersatzanspruches allenfalls als hinreichend erscheinen könne. Die genaue Grenzziehung für eine solche Rechtsfortbildung sei selbstverständlich noch gesondert zu überlegen. Durch seine Ausführungen sollte lediglich die Vertretbarkeit des Grundgedankens 'im Hinblick auf die heutige Rechtsentwicklung im Bereiche der Beweislast und des Anscheinsbeweises' deutlich gemacht werden. Als zusätzliche Haftungsvoraussetzung zu befürworten sei z.B., daß der neben dem Zufall alternativ kausal mögliche Schädiger durch erheblichen Kausalitätsverdacht und grobes Verschulden belastet sei, sodaß sich zusammengesetzt ein gewichtiger Haftungsgrund ergebe. Auch könnte 'die Entwicklung zunächst fallgruppenweise gerade für jene Bereiche vorangetrieben werden, in denen sich das Haftungsbedürfnis bereits mit Hilfe der angedeuteten beweisrechtlichen Mittel, teilweise im übermaß, durchgesetzt' habe. So könnte man prüfen, wo bereits Gesichtspunkte der Haftungsverschärfung hinsichtlich des Kausalzusammenhanges anerkanntermaßen eine besondere Schutzwürdigkeit des Verletzten begründeten. Diese Gesichtspunkte ließen sich als Surrogat für den in § 1302 ABGB vorausgesetzten besonderen Gerechtigkeitsgrund, nämlich das Feststehen der Ersatzpflicht an sich, verstehen. Selbst auf der Grundlage dieser Lehre Bydlinskis, welcher nur Koziol (Haftpflichtrecht 2 , II 69 ff.) weitgehend zustimmt, könnte somit aber für den vorliegenden Fall eine Mithaftung der beklagten Partei wegen einer bloß möglichen Verursachung des Gesundheitsschadens der Klägerin durch ihre Erfüllungsgehilfen nicht angenommen werden, zumal es an den von Bydlinski selbst vorgeschlagenen Kriterien eines erheblichen Kausalitätsverdachtes in Zusammenhalt mit einem - hier gar nicht behaupteten - groben Verschulden jedenfalls fehlen würde. Die vom Berufungsgericht vorgenommene Fortbildung des bestehenden Rechtes noch über die von Bydlinski gezogenen Grenzen hinaus ist aus den selbst von Bydlinski respektierten Wertungsgründen des Gesetzgebers jedenfalls abzulehnen. Einer näheren Stellungnahme zur Lehre Bydlinskis und zu den diesbezüglichen Revisionsausführungen der beklagten Partei bedarf es somit nicht.

Die Entscheidung hängt vielmehr davon ab, ob die Unterinstanzen den natürlichen Kausalzusammenhang im dargestellten Sinne als gegeben erachten, in welchem Falle der Schadenersatzanspruch der Klägerin grundsätzlich zu bejahen wäre.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf § 52 ZPO.

Anmerkung

E05738

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1985:0020OB00544.85.0507.000

Dokumentnummer

JJT_19850507_OGH0002_0020OB00544_8500000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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