Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schubert, Dr.Gamerith, Dr.Hofmann und Dr.Schlosser als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach Ida A, verstorben am 4.9.1982, infolge Revisionsrekurses der Theresia A, Pensionistin, Wien 12., Schlögelgasse 47/2/10, vertreten durch Dr.Peter Armstark, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Wien als Rekursgerichtes vom 16.Jänner 1985, GZ 43 R 1650/84-82, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Fünfhaus vom 25.Oktober 1984, GZ 1 A 772/82-66, abgeändert wurde, folgenden Beschluß gefaßt:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben. Der angefochtene Beschluß wird dahin abgeändert, daß der Beschluß des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.
Text
Begründung:
Ida A wurde mit Beschluß des Bezirksgerichtes Meidling vom 10.10.1924, L I 31/24-2, wegen Geisteskrankheit voll entmündigt. Diese Entmündigung blieb bis zu ihrem Tod am 4.9.1982 aufrecht. Zuletzt war die nunmehrige Rekurswerberin Theresia A Kuratorin. Mit Beschlüssen des Erstgerichtes vom 11.3.1983, ON 17, und vom 2.4.1984, ON 54, wurden sechs von Nachkommen einer Tante der Verstorbenen auf Grund des Gesetzes mit der Rechtswohltat des Inventars abgegebene Erbserklärungen zu Gericht angenommen. Die Rekurswerberin gab auf Grund eines auf einer Ladung zum Bezirksgericht Baden vom 5.8.1968 und eines weiteren mit 7.12.1962 datierten eigenhändigen Testamentes der Erblasserin die bedingte Erbserklärung zum gesamten Nachlaß ab.
Das Erstgericht nahm auch die Erbserkläung der Theresia A zu Gericht an. Die volle Entmündigung bewirke nicht absolute Testierunfähigkeit. Es komme auf die tatsächlichen geisten und willentlichen Fähigkeiten an. Daher könne auch der entmündigte Geisteskranke in einem lichten Augenblick testieren. Die Frage, ob die Erblasserin zum Zeitpunkt der Errichtung der letztwilligen Verfügungen testierfähig gewesen sei, sei nicht vom Abhandlungsgericht zu klären.
über Rekurs dreier gesetzlicher Erben änderte das Rekursgericht den Beschluß des Erstgerichtes dahin ab, daß es die Erbserklärung der Theresia A zurückwies. Die volle Entmündigung bewirke zwar nach herrschender Lehre noch nicht die absolute Testierunfähigkeit, es komme vielmehr auf die geistigen und willentlichen Fähigkeiten zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung an. Das Rekursgericht schließe sich aber der von Ehrenzweig-Kralik, Erbrecht 3 98, vertretenen Ansicht an: Gemäß § 569 ABGB und § 4 Abs 2 EntmO gelte für Minderjährige zwischen dem 14. und 18.Lebensjahr und beschränkt Entmündigte die Formvorschrift der mündlichen Testierung vor Gericht. § 4 Abs 2 EntmO sehe diese Formvorschrift zwar nur für Personen, die nach § 1 Abs 2 EntmO beschränkt entmündigt seien, vor; ein Größensschluß ergebe aber, daß diese Formvorschrift erst recht für voll Entmündigte gelten müsse, die in einem lichten Zeitraum testieren wollten. Jede andere Lösung laufe auf einen unlösbaren Wertungswiderspruch hinaus. Zweck der Formvorschrift sei unzweideutig der Schutz Minderjähriger und beschränkt Entmündigter. Dieser könne bei einem voll Entmündigten nicht in einem geringeren Grade angenommen werden, als bei einem nur beschränkt Entmündigten. Selbst bei Annahme eines lichten Zwischenraumes hätte daher Ida A nur mündlich vor Gericht testieren können. Die eigenhändigen Testamente seien formungültig, sie könnten daher nie Grundlage für eine Einantwortung des Nachlasses an Theresia A bilden.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs der Theresia A ist berechtigt.
Nach den Materialien zur Entmündigungsordnung (687 Blg AH XVIII.Session 31
und Amtliche Erläuterungen JMVBl.1916,252), wollte der Gesetzgeber anläßlich der Schaffung der Formvorschrift des § 4 Abs 2 EntmO an der bewährten Regelung der §§ 566 und 567 ABGB, die er daher aufrecht erhielt, festhalten: Selbst ungeachtet einer wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche ausgesprochenen vollen Entmündigung sollte daher der Kurand, wenn er zur Zeit der letzten Anordnung bei voller Besonnenheit gewesen ist, testierfähig sein. Nach anfänglich bloß auf den Wortlaut des § 3 EntmO gestützten gegenteiligen Argumentation (Wellspacher, NZ 1916,373; Sternberg, Entmündigungsordnung I 64; Wühl in JBl 1929,141; Wolff 4 350) setzte sich die auf die Absicht des historischen Gesetzgebers gestützte Interpretation, auch ein voll Entmündigter sei in lichten Zwischenräumen testierfähig, in der Lehre allgemein durch
(Ehrenzweig 2 II/2,409 f; Weiß in Klang 2 III 264;
Gschnitzer-Faistenberger, Erbrecht 2 34; Koziol-Welser 6 II 261;
Welser in Rummel, ABGB, Rdz 7 zu § 566; Ehrenzweig-Kralik, Erbrecht 3 97). Dem ist zu folgen: Die Vorschriften der §§ 566 und 567 ABGB und des § 3 EntmO können nebeneinander Bestand haben. Ihre Harmonisierung wird dadurch gefunden, daß § 3 EntmO die allgemeine Handlungsfähigkeit, nicht aber die Testierfähigkeit regeln wollte. Nur im Rahmen der allgemeinen Handlungsfähigkeit sollte ein voll Entmündigter einem Kind vor Vollendung des 7.Lebensjahres gleichgestellt werden. Bei Lösung der Frage aber, ob beschränkt Entmündigte, sollten sie geheilt sein oder aber einen lichten Zwischenraum haben, nur nach der Testierform nach § 4 Abs 2 EntmO testieren können oder ob ihnen alle Testierformen offenstehen sollten, gehen Lehre und Rechtsprechung auseinander. Während die Rechtsprechung seit der Entscheidung SZ 25/26 (siehe SZ 52/11; SZ 29/13; 7 Ob 563/78; übereinstimmend damit Sperl in JBl 1976 479 ff und Erdmann in NZ 1949,58) die Ansicht vertritt, die Formvorschrift des § 4 Abs 2 EntmO gelte bis zur Aufhebung einer beschränkten Entmündigung, vertritt die überwiegende Lehre auf Grund historischer Interpretation die Ansicht, daß für den Fall eines lichten Zwischenraumes der beschränkt Entmündigte in jeder Form testieren könne (Gschnitzer-Faistenberger aaO 34; Koziol-Welser aaO 261;
Welser in Rummel Rdz 8 zu § 566; Weiß aaO 264,276 f). Auf Grund der herrschenden Rechtsprechung zog Ehrenzweig-Kralik aaO 98 den Schluß, daß zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen auch der ausnahmsweise testierfähige voll Entmündigte nur in den Formen, die beschränkt Entmündigten zur Verfügung stehen, testieren könne (vgl. dazu schon Erdmann in NZ 1949,58 und Wühl in JBl 1929,142).
Der erkennende Senat kann sich der von Kralik vertretenen Auffassung nicht anschließen. Die Errichtung letztwilliger Verfügungen ist an strenge Formvorschriften gebunden. Diese sollen einerseits dem Testator die Bedeutung seiner Erklärung bewußt machen, so daß er sie mit überlegung trifft, andererseits Streitigkeiten nach seinem Tod verhindern. Den Formvorschriften kommt demnach sowohl Warn- als auch Beweisfunktion zu (Koziol-Welser 7 II 304; Weiß in Klang 2 III 299). Die Formvorschriften sind daher zwingend. Wurde die Form nicht gewahrt, so ist die Anordnung des Erblassers selbst bei klarem und eindeutig erweisbarem Willen ungültig (NZ 1931,155; Koziol-Welser aaO 304 f.; Welser in Rummel, ABGB, Rdz 1 zu § 601). Andererseits darf die Auslegung von Formvorschriften nicht zu dem Ergebnis führen, dem Erblasser ein Abweichen von der gesetzlichen Erbfolge zu erschweren (Kralik-Ehrenzweig aaO 127) und als gültig ansehbare Testamente im Zeitpunkt ihrer Unwiederholbarkeit ungültig machen. Der Testator kann grundsätzlich zwischen allen ihm offenstehenden Testamentsformen frei wählen.
Während die durch das Bundesgesetz vom 2.2.1983 über die Sachwalterschaft für behinderte Personen, BGBl. Nr.136, neu geschaffene, auf diesen Rechtsfall noch nicht anzuwendenden Vorschrift des § 568 ABGB, deren Starrheit von der Lehre bereits wiederholt beklagt wurden (Schauer, Anmerkungen zum neuen Sachwalterrecht, NZ 1983,53; Koziol-Welser aaO 288), die klarstellt, daß Personen, denen ein Sachwalter nach § 273 ABGB bestellt wurde, in jedem Fall nur mündlich vor Gericht oder mündlich notariell testieren können, bestand zuvor eine Beschränkung der Testamentsformen gemäß § 4 Abs 2 EntmO nur für Personen, die wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche beschränkt entmündigt waren; auch bei diesen war noch strittig, ob die Beschränkung auch noch für Personen galt, bei denen die Voraussetzungen für die beschränkte Entmündigung bereits wieder weggefallen waren. Wenn auf Grund der streng formalen und daher grundsätzlich einer wertenden Auslegung nicht zugänglichen Vorschriften über die vom Gesetzgeber zugelassenen Testierformen eine Einschränkung der Testamentsformen für in lichten Zwischenräumen testierfähige voll entmündigte Personen dem Gesetz nicht zu entnehmen war, kann dem von Kralik aaO 98 entgegen der herrschenden Lehre (so ausdrücklich Kralik-Ehrenzweig, Erbrecht, Ergänzungsheft 1985,6 FN 7) nur auf Grund eines angenommenen Wertungswiderspruches gezogenen, die vom Gesetzgeber zur freien Disposition des Erblassers gestellten Testierformen einschränkenden Größenschlußes nicht gefolgt werden. Damit erweist sich die Zurückweisung der Erbserklärung der Theresia A durch das Rekursgericht als unberechtigt. Nur solche Erbserklärungen, die überhaupt nicht zu einer Einantwortung des Nachlasses führen können, sind vom Verlassenschaftsgericht zurückzuweisen (SZ 55/165; SZ 47/65; SZ 44/76
u. v.a.; Welser aaO, Rdz 16 zu §§ 799,800). Eine Prüfung ihrer materiellen Berechtigung (hier der Testierfähigkeit der Erblasserin) durch den Außerstreitrichter hat nicht stattzufinden (NZ 1981,105; NZ 1971,26; SZ 36/148
uva; Welser aaO Rdz 14).
Dem Revisionsrekurs ist Folge zu geben und der Beschluß des Erstgerichtes wiederherzustellen.
Anmerkung
E05563European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1985:0010OB00539.85.0508.000Dokumentnummer
JJT_19850508_OGH0002_0010OB00539_8500000_000